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Kapitel 1: Einführung
A. Überblick über die Problemstellung
Die aus Sicht der Kommission schleppende Entwicklung eines Energie-
Binnenmarktes1 führte zur Verabschiedung der Beschleunigungsrichtlinien Elektrizität2 und Gas3, die am 15.07.2003 veröffentlicht wurden. Das neue Energiewirtschaftsgesetz4 ist in Umsetzung dieser Richtlinien zwei Jahre später am 15.07.2005
in Kraft getreten und wirft viele neue Fragen und Probleme auf. Insbesondere das so
genannte Unbundling wurde und wird umfassend diskutiert. Mittlerweile sieht der
europäische Gesetzgeber das sehr umstrittene Ownership Unbundling als die wirksamste Möglichkeit, Diskriminierungen auf dem Energiemarkt zu verhindern und
unverfälschten Wettbewerb zu ermöglichen.5
Wenig beachtet wurde in der Literatur bis jetzt jedoch die Frage, wie sich die
neue Rechtslage auf die Stadtwerke als diejenigen Energieversorger auswirkt, die
den größten Teil der Endkunden mit Energie versorgen. Sie müssen sich nunmehr
trotz ihrer ursprünglichen Konzeption, nicht ausschließlich der Gewinnerzeugung zu
dienen, dem Wettbewerb stellen. Die ehemaligen Demarkationen in den §§ 103 f.
GWB wurden aufgehoben und durch den bereits mit dem EnWG 1998 ermöglichten
freien Netzzugang ist es jedem Energieversorgungsunternehmen - also auch einem
privaten - ermöglicht worden, jeden beliebigen Endkunden mit Energie zu versorgen. Was 1998 rechtlich ermöglicht wurde, soll durch die weiter reichenden Rege-
1 Mitteilung der Kommission an den Rat und das EP „Vollendung des Energiebinnenmarktes“
mit dem Vorschlag für eine Richtlinie des EP und des Rates zur Änderung der beiden RiLi
96/92/EG und 98/30/EG, verbunden mit der erstmaligen Vorlage eines Vorschlags für eine
Verordnung des EP und des Rates für die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel, KOM (2001) 125 endg. v. 13.03.2001.
2 Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2003 über
gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie
96/92/EG, ABlEU 2003 Nr. L 176, S. 37.
3 Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2003 über
gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie
98/30/EG, ABlEU 2003 Nr. L 176, S. 57.
4 Zweites Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 07.07.2005, BGBl. 2005,
Teil I, Nr. 42, S. 170 ff.; im Zuge damit: „Verordnung über die Entgelte für den Zugang zu
Elektrizitätsversorgungsnetzen“ (Stromnetzentgeltverordnung – StromNEV) vom 25.07.2005,
BGBl. 2005, Teil I, Nr. 46, S. 2225 ff.; sowie die „Verordnung über den Zugang zu Elektrizitätsversorgungsnetzen“ (Stromnetzzugangsverordnung – StromNZV) vom 25.07.2005, BGBl.
2005, Teil I, Nr. 46, S. 2243 ff.
5 Vgl. den Vorschlag der Kommission im Rahmen des so genannten 3. Richtlinienpakets vom
19.09.2007, KOM(2007) 528 endg., S.6.
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lungen des EnWG 2005 nun auch umfassend tatsächlich möglich werden. Die kommunalen Stadtwerke müssen daher zukünftig mit erheblichem Wettbewerbsdruck
rechnen, der mit der Entwicklung vor der Novelle nicht vergleichbar sein wird.
Die kommunalen Energieversorger sind gegenwärtig noch Marktführer im Endkundengeschäft.6 Sie spielen daher für die Stromversorgung eine entscheidende Rolle,
was sich beispielsweise an der Größe des Verbandes kommunaler Unternehmen
(VKU) zeigt, der zurzeit 1383 Mitglieder zählt. Von diesen sind 598 Energieversorger, die im Jahre 2004 Umsatzerlöse in Höhe von € 41.906.732 Mio. erwirtschaftet
haben.7
Nach einer Studie der Unternehmensberatung Mummert Consulting8 hat jeder
fünfte dieser Energieversorger Schwierigkeiten mit den eigenen Betriebskosten,
jedes zehnte Stadtwerk befürchtet, in den nächsten Jahren Wettbewerbsvorteile zu
verlieren. In der Wissenschaft wird aufgrund der „Überkomplexität der Umsetzung
in das deutsche Energiewirtschaftsgesetz“ kritisiert, dass eigenständige Stadtwerke
denjenigen Stadtwerken gegenüber, die Konzerngesellschaften der großen Energieversorger sind, einem „erheblichen Wettbewerbsnachteil“ ausgesetzt seien.9 Von
Bedeutung war unter Geltung der Bundestarifordnung Elektrizität (BTOElt), die
nicht über den 30.06.2007 hinaus verlängert wurde, der Streit über die Genehmigung
der Strompreise. Die Zurückweisung der Anträge auf Erhöhung der Strompreise
durch die Bundesländer traf nur die kleinen - insbesondere kommunalen – Energieversorger. Die großen Stromerzeuger hingegen konnten dies durch hohe Einnahmen
in der Stromerzeugung ausgleichen.10 Ähnliche Probleme bereiten nun die Genehmigungen für die Durchleitungsentgelte. Die integrierten kommunalen Stadtwerke
erzielen einen erheblichen Teil ihrer Gewinne aus den Netzentgelten und können
sinkende Entgelte kaum kompensieren.11 Die großen Verbundunternehmen sind
durch die Regulierung hingegen kaum betroffen, da die Transportkosten in ihren
Hochspannungsnetzen ohnehin nur einen Bruchteil der Kosten in den Niederspan-
6 Mummert Consulting (heute Oliver Wyman)/FAZ –Institut, Branchenkompass 2005 Energieversorger, S. 22.
7 VKU kompakt 2004, S. 2 f.; zur Entwicklung auch Sack, DfK 2006/II, S. 25, 30.
8 Mummert Consulting (heute Oliver Wyman)/FAZ –Institut, Branchenkompass 2005 Energieversorger, S. 20.
9 So Nagel, ZNER 2005, 147; skeptisch auch Koenig/Kühling/Rasbach, ZNER 2003, 3, 8, mit
Blick auf die Umsetzung im französischen Recht; Becker, ZNER 2001, 122 erkennt „sorgenvolle Blicke mancher Stadtwerkschefs in die Zukunft“; ders stellt in ZNER 2005. 108 fest,
dass mit dem Gesetz „etwas schief gelaufen“ sei. Der Verband kommunaler Unternehmen
(VKU) hat mit dem VDEW, DVG, ARE, BGW, VIK und BDI im Jahr 2001 eine „Arbeitsgemeinschaft zur Verteidigung des verhandelten Netzzugangs“ gegründet und sich damit vehement gegen eine Regulierung gewendet.
10 Handelsblatt vom 20.12.2005, S. 1: Heftiger Streit um Strompreise.
11 Die „Hannoverische Allgemeine Zeitung“ schreibt: „Gewinn der Stadtwerke sinkt, Als Ursache nennt das Unternehmen die neue Netzentgelt-Regelung“, HAZ v. 17.11.2007.
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nungsnetzen betragen. Es besteht daher die Gefahr, dass sinkende Netzentgelte
durch verringerte Investitionen im Netzbereich gerade auf der kommunalen Niederspannungsebene ausgeglichen werden.
Auch ein Blick über die Grenzen Europas hinaus zeigt, dass sich Regulierung nicht
nur positiv auswirken kann12. Am 14. August 2003 brach die Stromversorgung im
Nordosten der USA und in Teilen Kanadas großflächig wegen überlasteter Netze
zusammen. Grund dafür war nicht zuletzt die Deregulierung des amerikanischen
Energiemarktes. Marktaufsplitterung und Wettbewerbsdruck hatten die Investitionen
in die überalterten Stromleitungen auf ein Minimum reduziert. Vergleichbares ist
nunmehr auch Ende November 2005 beim Zusammenbruch der Stromversorgung im
Münsterland festgestellt worden.13
In Deutschland konnte die Zahlungsunfähigkeit des Stadtwerkes Cottbus, die auf
einer Fehlplanung im Kraftwerkbereich begründet war, nur mit erheblichem finanziellen Aufwand abgewendet werden. Die schwierige neue wettbewerbsrechtliche
Situation, die insbesondere die Marktstellung der Stadtwerke gefährdet, lässt erwarten, dass noch einige Stadtwerke mehr in eine wirtschaftliche Krise geraten werden.14 Besonders prekär ist die Lage dort, wo die Kommunen als Gesellschafter
aufgrund ihrer angespannten Haushaltslage nicht in der Lage sind, unterstützend
einzugreifen, die Rechtmäßigkeit solcher Handlungen vorausgesetzt.15
Das Beispiel der Stadtwerke Cottbus zeigt, von welch grundlegender Bedeutung
die Untersuchung ist, welche und ob überhaupt Handlungsspielräume für die öffentliche Hand bestehen, um ein kommunales Energieversorgungsunternehmen vor
einem Marktaustritt zu bewahren. Unklar ist, was in einem regulierten Markt mit
einem überschuldeten Unternehmen geschehen soll, das die Grundversorgung für
ein Gebiet nach § 36 EnWG 2005 durchführt, in einem Netzgebiet Netzbetreiber ist
oder auch beide Leistungen anbietet. Der Staat wacht nach der neuen Rechtslage mit
den Regulierungsbehörden über den Wettbewerb, damit dieser frei von Missbrauch
und Beschränkungen stattfinden kann. Das entspricht dem Ziel der Beschleuni-
12 Büdenbender, ET 2003 Special, 2, 8 nennt die Erfahrungen in den USA ein eher abschreckendes als nachahmenswertes Beispiel; Möschel, WuW 1999, 832, 838 weist darauf hin,
dass „vorhandene Regulierungen zu einer Verfestigung“ tendierten, die man nur schwer wieder los werde.
13 Handelsblatt vom 5.12.2005, S. 19: “Kritik an RWE nach Stromausfall wächst“; ein Gutachten wird das Geschehen näher analysieren und dabei insbesondere die Frage klären, inwieweit
Instandhaltungspflichten verletzt worden sind.
14 So titelt der „Südkurier“ vom 26.06.2007: „Selbst das Betriebsfest ist gestrichen – strikter
Sparkurs der Stadtwerke, deftiges Minus durch milden Winter“; vgl. auch HAZ v. 17.11.2007
(siehe oben Fn. 10).
15 Attig, ZNER 2005, 102 verweist darauf, dass einige Städte sich dem Kostendruck nicht gewachsen sähen und ihre Stadtwerke daher an Private Dritte veräußerten.
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gungsrichtlinien.16 Dem würde es zuwiderlaufen, durch Beihilfen in diesen noch
jungen (Wettbewerbs-)markt korrigierend einzugreifen. Zumindest wäre eine gesetzliche Regelung erforderlich. Die §§ 36 ff. EnWG 2005 regeln aber nicht, was geschieht, wenn der Grundversorger nicht mehr leisten kann, ebenso wenig das nationale Wettbewerbs- oder Insolvenzrecht. Auch für den Netzbetrieb lassen sich ausdrückliche Regelungen nicht im Gesetz finden.
Verschärft wird das Problem darüber hinaus noch dann, wenn das Unternehmen
mehrheitlich in kommunaler Hand ist. Hier wird der Konflikt zwischen Daseinsvorsorge, Wettbewerb, Beihilfenrecht und den Zielen des europäischen Energiewirtschaftsrechts besonders deutlich.
Es bleibt die Frage, ob in der Krise des kommunalen Energieversorgers die Gefahr
der Unterversorgung der Bevölkerung bis hin zum vollständigen Ausfall der Energielieferung besteht oder ob die öffentliche Hand Möglichkeiten oder sogar Pflichten hat einzugreifen oder ob sie Dritte verpflichten kann einzugreifen, damit die
Energieversorgung aufrechterhalten bleibt. Zu klären ist auf einem liberalisierten
Markt dabei insbesondere, wie sich solche möglichen Maßnahmen auf den Wettbewerb auswirken und wie sich die Ziele des EnWG 2005 und die grundgesetzlichen
Regelungen für ein menschenwürdiges Dasein damit vereinbaren lassen.
B. Gang der Untersuchung
Einleitend werden zunächst kurz die Begriffe der „Krise“ und des „kommunalen
Energieversorgers“ (EVU) erläutert, die Grundlage dieser Arbeit sind (Kapitel 2).
Im Anschluss wird der Frage nachgegangen, inwieweit es kommunalen Unternehmen noch gestattet ist, als Wettbewerber zu Privaten auf einem liberalisierten Markt
aufzutreten (Kapitel 3). Sollte sich herausstellen, dass schon die Betätigung als solche auf dem Energieversorgungsmarkt nicht mehr gestattet ist, erübrigt sich die
Frage nach einer Rettungspflicht bzw. einem Recht zur Rettung. Rechtswidriges
Handeln darf mit staatlichen Mitteln nicht unterstützt werden.
Dann wird die Rettungspflicht der öffentlichen Hand für ein kommunales Energieversorgungsunternehmen untersucht, das Versorgungsleistungen für Endkunden
anbietet. Zunächst muss dafür erörtert werden, ob kommunale Unternehmen überhaupt insolvenzfähig sind (Kapitel 4), nur dann kommt eine Rettungspflicht in Betracht (Kapitel 5). Unterschieden wird dabei zwischen einer Rettungspflicht aufgrund der Gesellschafterstellung einer Gemeinde (Kapitel 5.B.II.) und der staatlichen Rettungspflicht, die auf besonderen energierechtlichen Grundsätzen beruhen
könnte (Kapitel 5.B.IV.).
16 RiLi 2003/54/EG v. 2606.2003, AblEG Nr. L 176 v. 15.07.2003, S. 37; RiLi 2003/557EG v.
26.06.2003, AblEG Nr. L 176 v. 15.07.2003, S. 57.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die herausfordernde Aufgabe, den Energiemarkt zu liberalisieren und dem Wettbewerb zu öffnen, hat die kommunalen Energieversorger in Deutschland, die historisch bedingt über Jahrzehnte gewachsen sind, kaum berücksichtigt. Viele Stadtwerke bewegen sich mit Ihren Mitteln, wettbewerbsfähig zu bleiben, in einer juristischen Grauzone zwischen Wettbewerbspostulat und kommunalrechtlichen Beschränkungen. Hier besteht politischer Handlungsbedarf, wobei u.a. die Bedeutung der Stadtwerke für die lokale soziale Infrastruktur mit dem Erreichen eines unverfälschten Energiemarktes abgewogen werden muss. Geraten kommunale EVU neben oder sogar aufgrund dieser „Legitimationskrise“ in eine wirtschaftliche Schieflage, so ist fraglich, ob und wie eine staatliche Rettung in Betracht kommt.
Die Verantwortung des Staates ist in der Zeit einer der schwersten Finanzkrisen der Weltwirtschaft ein hoch umstrittenes Thema. Zu berücksichtigen ist, dass es der Staat ist, der eine sichere Energieversorgung garantieren muss, wobei Grundversorgung und sozialstaatliche Verantwortung mit dem europäischen Beihilfenrecht zu vereinbaren sind. Die Arbeit regt an, die Entwicklungen in der kommunalen Energiewirtschaft zu überdenken.