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ten, dass der Bund unabhängig von der Gesamthöhe der Kosten einen fixen Teil der
entstehenden Verwaltungsausgaben übernimmt. Indirekt werden die Gliedstaaten
damit ermuntert, Sozialleistungen orientiert am tatsächlichen Bedarf zu vergeben,
zumal das Kostenrisiko relativ überschaubar bleibt1092. Denn der Bund übernimmt
auf jeden Fall einen bestimmten Prozentsatz der entstehenden Kosten. Anders hingegen stellt sich die Lage bei den block grants dar1093. Hier erhalten die Gliedstaaten
eine einmalige Geldzahlung, darüber hinausgehende Ausgaben müssen sie selber
finanzieren. Damit wird indirekt ein Anreiz geschaffen, die Gesamtkosten mit Hilfe
der Anforderungen an den Leistungsbezug möglichst niedrig zu halten1094. Block
grants können daher einhergehen mit sogenannten close-ended entitlement programs, in denen Leistungen nur unter dem Vorbehalt vorhandener Finanzmittel
vergeben werden1095. Echte, gleichmäßig durchsetzbare Leistungsansprüche sind nur
bei open-ended entitlement programs denkbar1096. Diese gibt es aber nur in zwei
Konstellationen. Entweder übernimmt der Bund alle Kosten und verwaltet das Programm selber, wie dies etwa bei Supplemental Security Income (SSI) für Menschen
mit Behinderungen der Fall ist. Oder der Bund garantiert den Gliedstaaten einen in
der Höhe unbegrenzten Anteil der Kostenübernahme in Form eines matching grant,
wie dies z.B. bei Medicaid geschieht oder wie es bei der inzwischen abgeschafften
Familiensozialhilfe Aid to Families with Dependent Children (ADFC) der Fall war.
Der Großteil der beruflichen Rehabilitation in den Vereinigten Staaten beruht auf
einem close-ended entitlement program, das mit Hilfe eines block grant finanziert
wird. Die darauf beruhende Unterversorgung der Bevölkerung mit Leistungen zur
beruflichen Rehabilitation ist bereits ausführlich dargelegt worden1097. Daran könnte
der Bund nur etwas ändern, wenn er erheblich mehr Geld bereitstellen und dieses als
matching grant an die Gliedstaaten vergeben würde. Aufgrund der politischen Hürden ist damit jedoch in Zukunft nicht zu rechnen.
IV. Schlussbetrachtung: sozialpolitisch einheitlicher Föderalismus in Deutschland
gegen föderale Eindämmung der Sozialpolitik in den USA
Die in vielen Bereichen nur fragmentarische Rolle des Bundes als sozialpolitischem
Akteur in den Vereinigten Staaten ist also nicht nur der traditionellen Gesellschaftsideologie und dem derzeit herrschenden politischen Klimas geschuldet, sondern
wird durch spezielle Hürden in der föderalen Organisation, insbesondere durch die
1092 Vgl. Sawicky, in: ders., The End of Welfare, 1999, S. 3, 16.
1093 Oben S. 216 f.
1094 Dafür gibt es zwei bewährte Stellschrauben: Zum einen kann die Zahl der Anspruchsberechtigten reduziert werden, zum zweiten die Höhe der Leistungen; vgl. Sawicky, in: ders., The
End of Welfare, 1999, S. 3, 16.
1095 Silverstein, 85 Iowa L. Rev. (2000), 1691, 1702.
1096 Eine Liste der für Menschen mit Behinderungen speziell relevanten open-ended entitlement
programs findet sich bei Silverstein, 85 Iowa L. Rev. (2000), 1691, 1700 f.
1097 Oben S. 177.
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Verquickung von Aufgaben und Ausgaben durch die spending power, zusätzlich
begünstigt. In Deutschland hingegen fällt dem Bund auf sozialpolitischem Gebiet
eine maßgebliche Gestaltungskraft zu, auch wenn seit der neuesten Föderalismusreform gewisse – wenn auch nicht durchschlagende – Erschwernisse auf dem Gebiet
der beruflichen Rehabilitation von Menschen mit Behinderungen zu befürchten sind.
D. Antidiskriminierungsrecht für Menschen mit Behinderung als Substitut
Die Untersuchung hat ihren Panoramabogen nun soweit aufgespannt, dass sich eine
erste Bilanz ziehen lässt: Der allgemein schwach ausgebaute soziale Sektor in den
USA mit seinem nur fragmentarischen Angebot an Leistungen zur beruflichen Rehabilitation korreliert mit einem dogmatisch gut aufgearbeiteten und durch einen
recht weitgehenden Anspruch auf angemessene Vorkehrungen auch spezifisch wirksamen Antidiskriminierungsrecht für Menschen mit Behinderung. In Deutschland
verhält es sich dagegen umgekehrt – ein weitgehend vereinheitlichtes und leistungsstarkes Recht auf berufliche Rehabilitation korreliert mit einem lückenhaften und
wenig spezifischen Antidiskriminierungsrecht für Menschen mit Behinderung ohne
ausdrücklichen Anspruch auf angemessene Vorkehrungen. Stattdessen greift die
Rechtsprechung auf Instrumente des Schwerbehindertenrechts zurück, um das spezielle Antidiskriminierungsrecht für Menschen mit Behinderung zu stärken1098. Dabei handelt es sich jedoch um generalisierende Schutz- und Fördervorschriften für
Menschen mit besonders schweren Behinderungen und nicht um einen konkretindividuellen Ausgleich für behinderungsbedingte Nachteile im Einzelfall.
Lässt nun die jeweilige Beziehung zwischen Antidiskriminierungsrecht und beruflichem Rehabilitationsrecht in Deutschland und in den USA tatsächlich darauf
schließen, dass mit Hilfe des Antidiskriminierungsrechts Lücken im Rehabilitationsrecht gestopft werden sollen? Die bisherige Untersuchung hat eine Reihe von Indizien erbracht, die eine positive Beantwortung dieser Frage nahe legen. Im Folgenden
sollen sie thesenartig zusammengefasst werden, ehe die Abschlussfrage nach der
Fortführung des Paradigmenwechsels im deutschen Behindertenrecht im Lichte der
gewonnen Erkenntnisse beantwortet wird. Unterschieden wird dabei zwischen allgemeinen, der Natur des zu regelnden Lebenssachverhalts entstammenden Gründen
für die Annahme einer Substitutswirkung des Antidiskriminierungsrechts und besonderen Gründen, die nur aus den Entwicklungsbedingungen des Sozial- und Antidiskriminierungsrechts in den USA verständlich sind.
1098 Oben S. 123 ff. u. 126 ff.
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References
Zusammenfassung
Die Untersuchung geht der Frage nach, wie sich gleichheitsrechtlich geprägtes, modernes Antidiskriminierungsrecht für Menschen mit Behinderung und das traditionell sozialrechtlich geprägte Recht der beruflichen Rehabilitation zueinander verhalten. Als Vorbild eines speziellen antidiskriminierungsrechtlichen Regulierungsmodells zur verbesserten beruflichen Integration von Behinderten werden immer wieder die USA genannt, wo man seit den 1970er Jahren Erfahrungen mit diesem Ansatz sammeln konnte.
Eine umfassende Analyse der historischen Entwicklung sowie der gesellschaftspolitischen und verfassungsrechtlichen Grundannahmen des U.S.-amerikanischen Sozialsystems macht jedoch deutlich, dass das Antidiskriminierungsrecht dort häufig nur als Lückenbüßer dient.
Dieser Befund kann nicht ohne Konsequenz für das sozialstaatlich beeinflusste deutsche Rechtssystem sein. Zwar liefert der Rechtsvergleich mit den USA wichtige Anhaltspunkte für ein vertieftes Verständnis der europäischen antidiskriminierungsrechtlichen Vorgaben insbesondere für das Merkmal Behinderung. Allerdings werden auch die Grenzen dieses Ansatzes gegenüber der klassischen beruflichen Rehabilitation deutlich.
Die Arbeit wurde mit dem Zarnekow-Förderpreis 2009 ausgezeichnet.