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zung vorliegt. Das Bundesarbeitsgericht lässt eine solche richtlinienkonforme Interpretation in seinen bisherigen Entscheidungen zur Behinderungsdiskriminierung
bislang nicht erkennen.
Ferner lässt sich § 84 II SGB IX heranziehen, wo Arbeitgeber im Rahmen des
präventiven Kündigungsschutzes bei andauernder Krankheit im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements zu angemessenen Vorkehrungen verpflichtet
sind. Zwar bezieht sich diese Norm nicht ausdrücklich auf Menschen mit Behinderung, aber doch immerhin auf solche, die von Behinderung bedroht sind. Bedenkt
man, dass auch § 84 II SGB IX dem Erhalt von Arbeitsplätzen dient, so gibt es in
der Zielsetzung eine ausreichende Überschneidung mit Art. 5 des Rahmenrichtlinie.
Im Übrigen besitzen die Mitgliedstaaten im Rahmen ihres sozialpolitischen Ansatzes einen weiten Umsetzungsspielraum für das nach Art. 5 geforderte Recht auf
Vorkehrungen.
IV. Schlussbetrachtung: Kein kohärentes Recht auf angemessene Vorkehrungen als
Teil des speziellen Diskriminierungsschutzes für Menschen mit Behinderung im
deutschen Recht
Eine Umsetzung des Rechts auf angemessene Vorkehrungen aus einem konzeptionellen Guss ist weder gelungen noch war sie je vom Gesetzgeber angestrebt. Vielmehr ist das Bestreben erkennbar, die Zielsetzung und Regelungstechnik des
Schwerbehindertenrechts mit seinen Schutzrechten, seiner Quotenregelung und
seiner Ausgleichsabgabe möglichst intakt zu lassen. Das AGG enthält keinen ausdrücklichen textlichen Anhaltspunkt für angemessene Vorkehrungen im Zusammenhang mit dem Merkmal Behinderung. Das Recht auf Vorkehrungen müsste
richtlinienkonform in das Verbot der mittelbaren Diskriminierung hineingelesen
werden. Insgesamt fristet der für den Paradigmenwechsel zentrale spezielle Diskriminierungsschutz für Menschen mit Behinderung weiterhin ein konzeptionelles
Schattendasein im deutschen Recht.
D. Antidiskriminierungsrecht für Menschen mit Behinderung als Substitut?
Trotz einiger Anlaufschwierigkeiten des Supreme Court konnte in den USA bereits
Mitte der 1980er Jahre eine im Großen und Ganzen stimmige Dogmatik des besonderen Antidiskriminierungsrechts für Menschen mit Behinderung gefunden werden,
deren zentraler Bestandteil ein Recht auf angemessene Vorkehrung ist. Obwohl
Art. 5 der Antidiskriminierungs-Richtlinie 2000/78/EG in Anlehnung an diese Entwicklung ein solches Recht auf angemessene Vorkehrungen enthält, hat der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der Rahmenrichtlinie angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung nicht ausdrücklich in das neugeschaffene
Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eingebaut. Vielmehr sind Gesetzge-
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References
Zusammenfassung
Die Untersuchung geht der Frage nach, wie sich gleichheitsrechtlich geprägtes, modernes Antidiskriminierungsrecht für Menschen mit Behinderung und das traditionell sozialrechtlich geprägte Recht der beruflichen Rehabilitation zueinander verhalten. Als Vorbild eines speziellen antidiskriminierungsrechtlichen Regulierungsmodells zur verbesserten beruflichen Integration von Behinderten werden immer wieder die USA genannt, wo man seit den 1970er Jahren Erfahrungen mit diesem Ansatz sammeln konnte.
Eine umfassende Analyse der historischen Entwicklung sowie der gesellschaftspolitischen und verfassungsrechtlichen Grundannahmen des U.S.-amerikanischen Sozialsystems macht jedoch deutlich, dass das Antidiskriminierungsrecht dort häufig nur als Lückenbüßer dient.
Dieser Befund kann nicht ohne Konsequenz für das sozialstaatlich beeinflusste deutsche Rechtssystem sein. Zwar liefert der Rechtsvergleich mit den USA wichtige Anhaltspunkte für ein vertieftes Verständnis der europäischen antidiskriminierungsrechtlichen Vorgaben insbesondere für das Merkmal Behinderung. Allerdings werden auch die Grenzen dieses Ansatzes gegenüber der klassischen beruflichen Rehabilitation deutlich.
Die Arbeit wurde mit dem Zarnekow-Förderpreis 2009 ausgezeichnet.