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Interessant ist auch der Zusammenhang zwischen der prozentualen Befolgung der
Parteiparole der eigenen Anhänger und dem tatsächlichen Abstimmungserfolg, der
auch aus den Abbildungen 5.2.3.2 und 5.2.3.3 hervorgeht. Bei der SVP besteht ein
Zusammenhang von rs=0,34, bei der SP ist rs=0,62. Beide sind auf dem 99%-
Niveau signifikant. Damit ist der Abstimmungserfolg der SP stärker durch das
Stimmverhalten der eigenen Anhänger erklärbar, als das der SVP. Die SVP hat somit ein größeres Potential an Stimmen außerhalb ihrer eigenen Klientel. Die SP ist
hingegen stärker darauf angewiesen, dass ihre eigenen Anhänger ihrer Parole zustimmen, um überhaupt einen Stimmerfolg erlangen zu können.
Das ist ein Hinweis, dass es tatsächlich mehr Stimmbürger gibt, die den rechtskonservativen Parteien folgen als den links-liberalen.
Viele Autoren argumentieren, dass es sich hierbei um die natürlich konservative
Mehrheit in der Schweiz handelt (vgl. Merz 2006). Auch ein Blick auf die Parteisympathien in Abbildung 5.2.2.1 zeigt, dass die SVP ein größeres Potential unter
den Anhängern der anderen Parteien hat. FDP- und CVP-Anhänger werden eher mit
der SVP stimmen als mit der SP. Die SP kann im Wesentlichen noch auf die Wähler
der Grünen zurückgreifen. Betrachtet man die durchschnittliche Anhängerschaft der
beiden Lager in den in der Abbildung dargestellten zehn Befragungen, hat das rotgrüne Lager durchschnittlich 19,8% Unterstützung, das rechts-konservative Lager
24,4%. Der Anteil, der keiner Partei nahe steht, übertrifft beide Werte jedoch deutlich. Durchschnittlich fühlen sich 50% der Stimmberechtigten keiner Partei nahe.
Insgesamt basiert die Argumentation, dass konservative Parteien aufgrund ihrer
natürlichen Mehrheit in der Schweiz erfolgreicher aus Abstimmungen hervorgehen
würden, auf der Annahme, dass direkte Demokratie somit die gleichen Ergebnisse
hervorbringe wie Wahlen. Dass würde direkte Demokratie jedoch per se überflüssig
machen, da dann auch die gewählten Repräsentanten die Entscheidungen treffen
könnten.
Die Befürworter der direkten Demokratie betonen oft gerade den deliberativen
Diskurs, der losgelöst von parteipolitischen Einfärbungen geführt wird und dadurch
zu stärker an der Sache orientierten Lösungen führe (Wagschal 2007, S. 303).
Begründet man den größeren Abstimmungserfolg der SVP, die in Wahlen noch
dazu gleich viele Stimmen auf sich vereinen kann wie die SP, mit einer natürlichen
konservativen Mehrheit in der Schweiz, fällt dieser positive Aspekt der direkten
Demokratie weg.
5.3 Fazit der empirischen Befunde
Unsere empirischen Untersuchungen stützen alle drei Nebenthesen. Hinweise, die
eine der Thesen widerlegen würden, haben wir nicht gefunden. Die verschiedenen
Thesen können allerdings unterschiedlich stark belegt werden.
Als eindeutig gültig können wir Nebenthese N1 ansehen. In den einzelnen Policy-
Bereichen hat sich bereits gezeigt, dass Linke die Initiative häufiger nutzen als das
rechts-konsverative Lager. Hinzu kommt nun, dass die linken Parteien und Gruppie-
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rungen in den letzten Jahren mehr als doppelt so viele Initiativen eingereicht haben
wie die Rechts-Konservativen. In den letzten zehn Jahren waren zudem 28 der 35
Initiativen auf der politischen Linie der SP, was an ihren Parolen zu erkennen ist.
Nebenthese N2 ist schwieriger zu belegen. Sie wird vor allem durch die Studien
in den einzelnen Policy-Bereichen gestützt. Klar ist jedoch auch, dass Initiativen
sehr viel seltener angenommen werden. Und auch die Unterstützung der eigenen
Parteianhänger für die Annahme von Initiativen liegt bei der SP deutlich unter der
bei den übrigen Abstimmungsinstrumenten. Wir haben in unseren Untersuchungen
jedoch nicht die indirekte Wirkung von Initiativen einbezogen. Betrachtet man den
direkten Abstimmungserfolg wird jedoch deutlich, dass Referenden einen stärkeren
Effekt auf die Politik des Bundesrates haben als Initiativen. Es ist zu vermuten, dass
auch der indirekte Effekt von Referenden größer ist, als der der Initiativen. Denn sie
beeinflussen den Gesetzgebungsprozess bereits in großem Maß, bevor ein Gesetz
überhaupt verabschiedet wird, während die Drohung mit einer Initiative weniger
Einfluss ausübt (vgl. Gebhart 2002, S. 179 ff, Linder 2005, S. 256 ff).
Nebenthese N3 hat sich bestätigt. In den verschiedenen Policy-Bereichen hat sich
bereits deutlich gezeigt, dass die Elite progressiver und weltoffener agiert als das
Stimmvolk. In der Untersuchung der Parolenbefolgung bestätigt sich dieser Eindruck. Die Parolen der SVP sind insgesamt erfolgreicher, als die der SP. Zudem erklärt sich ihr Abstimmungserfolg in geringerem Maß durch das Abstimmungsverhalten ihrer eigenen Anhänger. Das lässt auf ein größeres Stimmenpotential außerhalb ihrer eigenen Klientel schließen. Das Schweizer Volk stimmt also eher entsprechend der rechts-konservativen als der links-liberalen Parolen. Auch der Abstimmungserfolg der Schweizer Demokraten, die zwei von vier Referenden und ihre eingereichte Initiative gewinnen konnten, ist ein starkes Indiz für die Nebenthese N1.
Die Grünen als etwas größere, linke Partei konnten im gleichen Zeitraum nur eins
von sieben Referenden und eine von vier Initiativen für sich entscheiden.
Diese Ergebnisse korrespondieren zudem mit der Auswertung der Erfolgsquoten
der Schweizer Parteien bei Abstimmungen durch Wagschal (2007, S. 312 f). Die
Sozialdemokraten weisen mit 55,6% in allen Abstimmungen seit 1848 eine deutlich
niedrigere Erfolgsquote auf, als die SVP mit 76,9%. Wagschal argumentiert zwar
richtig, dass die Mitteparteien mit Werten über 80% die höchsten Zustimmungsquoten aufweisen. Die SVP hat jedoch auch in den letzten fünf Jahren noch eine Zustimmungsquote von 71,4%. In dieser Zeit muss sie klar dem rechts-konservativen
Spektrum zugerechnet werden. Der rechte Rand hat damit höhere Zustimmungsraten
bei Abstimmungen, als der linke Rand. Was auch an der höheren Erfolgsquote der
Schweizer Demokraten im Vergleich zu den größeren Grünen deutlich wird (SD:
57%, GPS: 47,9%).
Alle Nebenthesen können somit entweder als bestätigt (N1 und N3) oder zumindest als nicht widerlegt und wahrscheinlich (N2) betrachtet werden. Somit gibt es
einen starken Hinweis, dass die Nullhypothese H0 verworfen werden muss und somit These H gültig ist und direkte Demokratie im Allgemeinen eine rechtskonservative Wirkung hat.
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Das bedeutet nicht unbedingt, dass Staaten mit direktdemokratischen Elementen
rechts-konservativere Politikergebnisse aufweisen, als Staaten ohne direkte Demokratie. Vielmehr lässt sich sagen, dass Staaten mit direkter Demokratie eine rechtskonservativere Politik machen, als sie sie ohne direktdemokratische Elemente hervorbringen würden.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die seit den 90er Jahren intensiver werdende Diskussion um die Einführung direktdemokratischer Instrumente in der Bundesrepublik schlägt sich auch in einer steigenden Zahl wissenschaftlicher Beiträge zu diesem Thema nieder. Unbeachtet blieb bisher jedoch die Diskrepanz zwischen der deutschen Debatte und der direktdemokratischen Praxis. Die Diskussion in der Bundesrepublik wird vor allem von den linken Parteien geschürt, die Erfahrungen mit direkter Demokratie in der Schweiz und anderen Staaten lassen hingegen eher eine rechts-konservative Wirkung vermuten.
In der vorliegenden Untersuchung werden erstmals Umfragen unter Bundestagsabgeordneten und Schweizer Nationalräten vorgelegt, die aufzeigen, dass es sich um typisch deutsche Konfliktlinien handelt. In der Schweiz stehen die politisch linken Parteien der direkten Demokratie deutlich skeptischer gegenüber als die rechten. In einer empirischen Analyse der Schweizer Volksabstimmungen der letzten 20 Jahre bestätigt sich, dass die bisherigen Erfahrungen mit direkter Demokratie eher auf eine rechts-konservative Wirkung von Volksentscheiden schließen lassen – ein Widerspruch zur Haltung der deutschen Parteien.
Neben diesem innovativen Beitrag zur wissenschaftlichen Debatte bietet das Werk einen aktuellen Überblick über den Forschungsstand zur Wirkung von Volksrechten.