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5.1.2 Finanz- und Steuerpolitik
In welchen Politikbereichen direktdemokratische Abstimmungen stattfinden dürfen,
ist oft unterschiedlich ausgestaltet. Insbesondere ein Finanzreferendum, also die
Möglichkeit über die Höhe von Steuern oder bestimmte Staatsausgaben abzustimmen, ist in vielen Staaten mit direkter Demokratie nicht vorgesehen. Auch die
Schweizer Kantone und Gemeinden sehen diesbezüglich unterschiedliche Regelungen vor. In einigen ist das Finanzreferendum Bestandteil der direktdemokratischen
Instrumentarien, in anderen ist es nicht vorgesehen.
Diese unterschiedlichen Bedingungen bieten eine gute Grundlage für vergleichende Studien, die vor allem Freitag und Kirchgässner genutzt haben (Freitag
2003, Feld/Kirchgässner 2001, Kirchgässner 2002). Beide untersuchen den Zusammenhang zwischen direkter Demokratie und Finanz- und Steuerpolitik, insbesondere
die Wirkung von Finanzreferenden.
Kirchgässner vermutet, dass die Staatsausgaben in Gemeinden oder Kantonen mit
Finanzreferendum deutlich unter denen ohne Finanzreferendum liegen. Dabei baut
er auf einer Untersuchung Pommerehnes auf (Pommerehne 1978). Dieser stellte fest,
dass der Anstieg der Staatsausgaben zwischen 1965 und 1975 in Gemeinden mit Finanzreferendum um knapp drei Prozent unter dem Anstieg der Staatsausgaben in
Gemeinden ohne Finanzreferendum lag (Kirchgässner 2002, S. 320).
Feld und Kirchgässner haben daraufhin 2001 alle 26 Schweizer Kantone auf ihre
Staatsquote untersucht. In einer Panelstudie betrachten sie die Einnahmen und Ausgaben der Kantone zwischen 1986 und 1997. Das Finanzreferendum erweist sich als
signifikante Erklärungsvariable für die Finanzpolitik der Kantone. Ebenso hat die
Initiative einen signifikanten Einfluss, allerdings in geringerem Ausmaß
(Feld/Kirchgässner 2001, S. 353). Ihre These, dass Referenden und Initiativen geringere Staatsausgaben und –einnahmen bewirken als parlamentarische Entscheide,
bestätigt sich damit in ihrer Analyse. Gemeinden mit direkter Demokratie weisen im
Schnitt 20% weniger Ausgaben und Einnahmen auf, als Gemeinden mit reiner Repräsentativverfassung (Feld/Kirchgässner 2001, S. 357).
Mit einer Simulation der Finanzpolitik in Schweizer Gemeinden verdeutlicht
Kirchgässner 2002 die Wirkung der direktdemokratischen Mittel. Er schätzt dabei
die Staatsausgaben der Schweizer Gemeinden ohne direktdemokratische Mittel,
wenn sie in der gleichen Zeit ein Finanzreferendum eingeführt hätten. Bis auf wenige Ausnahmen, hätte es nach Kirchgässners Modell zu signifikant niedrigeren Ausgaben geführt (Kirchgässner 2002, S. 322).
Gezielt mit der Wirkung direkter Demokratie auf den Steuerstaat, beschäftigen
sich Freitag et al 2003. Sie untersuchen, ob es einen Zusammenhang zwischen direkter Demokratie und der Steuerpolitik gibt. Ihre These ist, dass Referenden einen
bremsenden Effekt auf den Steuerstaat haben, Initiativen hingegen einen expansiven. In ihren Analysen, die sich auf die 80er und 90er Jahre beziehen, bestätigt sich
diese Vermutung weitgehend. Vor allem eine Kombination aus Referendumsrecht
und durchgeführten Referenden hat einen signifikanten Einfluss auf das Steuereinkommen der Schweizer Kantone. Vorlagen, die bestimmte soziale Gruppen begüns-
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tigen, haben an der Urne kaum eine Chance und werden teilweise in vorauseilendem
Gehorsam gar nicht erst dem Stimmvolk vorgelegt (Freitag et al 2003, S. 363). Interessant ist, dass sich der der Initiative zugeschriebene „Robin-Hood-Effekt“ nicht
bestätigt. Es wird kein systematischer Zusammenhang festgestellt. Somit hat hier
tatsächlich das Referendum durch seine reine Existenz in einem Kanton einen bremsenden Effekt auf Steuern und Ausgaben, die Initiative verpufft in ihrer Wirkung
jedoch, da sich Steuersenkungs- und Steuererhöungsanliegen von rechten und linken
Parteien in ihrer Wirkung egalisieren (Freitag et al 2003, S. 364).
Die Steuerpolitik ist ein sehr klassischer Streitpunkt zwischen rechten und linken
Parteien, da er stark mit der Konfliktlinie Arbeit-Kapital zusammenhängt. Linke
Parteien setzen sich stärker für höhere Steuern, insbesondere für Besserverdiener,
ein. Ihr Ziel ist ein finanzstarker Staat, der, gemäß dem oben angesprochenen „Robin-Hood-Effekt“, von den Reichen nimmt und an die Bedürftigen verteilt. Rechte
Parteien haben eine individualistischere und wirtschaftsfreundlichere Sicht. Sie gehen stärker nach dem „Leistung muss sich lohnen“-Prinzip vor und wollen daher
dem Einzelnen und auch den Unternehmen mehr von ihrem Einkommen lassen. Die
Gemeinschaft, die in einem Staat zum Großteil über Steuern finanziert wird, steht
dahinter zurück.
Betrachtet man diese beiden Grundhaltungen zur Steuerpolitik, lässt sich aus den
oben angeführten Studien folgern, dass die direkte Demokratie auch in diesem Bereich eher die Positionen rechter Parteien stützt als die der linken.
5.1.3 Minderheitenpolitik
Dass direkte Demokratie aufgrund der strikten Anwendung des Mehrheitsprinzips
bei Entscheiden minderheitenfeindlich wirken kann, ist eine Art Binsenweisheit geworden. Die „Tyrannei der Mehrheit“ ist eine viel beschworene Formel, die davon
ausgeht, dass Bevölkerungsgruppen, die ihre Interessen nicht durch ihre eigene
Mehrheit durchsetzen können, strukturell benachteiligt werden, da die Mehrheit ihre
Interessen ohne Rücksicht durchsetzt. Bowler und Donovan bringen diese Bedenken
gegenüber direkter Demokratie und Minderheiten auf drei Punkte: 1. die grundsätzliche Möglichkeit der „Tyrannei der Mehrheit“ durch das Entscheidungsprinzip der
einfachen Mehrheit 2. Die Volksmehrheit wird generell als intolerant gegenüber
Minderheiten eingeschätzt, insbesondere im Vergleich zu Eliten und 3. Die (toleranteren) Eliten hätten keinen oder nur einen geringen Einfluss auf Abstimmungen
(Bowler/Donovan 2001, S. 125).
In der repräsentativen Demokratie kann es grundsätzlich auch Probleme mit Minderheitenpolitik geben, da Politiker, folgt man der Public Choice Theorie, ihre Programme nach der Mehrheit der Wähler ausrichten (Mueller 2003). Jedoch stehen
Politiker, wie in Abschnitt 4.2.2 erläutert, gegenüber der Öffentlichkeit unter Rechtfertigungsdruck. Dies macht eindeutige Diskriminierungen von Minderheiten unwahrscheinlicher. Außerdem können mehrere Minderheiten, die mit verschiedenen
Gesetzen berücksichtigt werden, eine große Wählergruppe darstellen. Minderheiten-
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References
Zusammenfassung
Die seit den 90er Jahren intensiver werdende Diskussion um die Einführung direktdemokratischer Instrumente in der Bundesrepublik schlägt sich auch in einer steigenden Zahl wissenschaftlicher Beiträge zu diesem Thema nieder. Unbeachtet blieb bisher jedoch die Diskrepanz zwischen der deutschen Debatte und der direktdemokratischen Praxis. Die Diskussion in der Bundesrepublik wird vor allem von den linken Parteien geschürt, die Erfahrungen mit direkter Demokratie in der Schweiz und anderen Staaten lassen hingegen eher eine rechts-konservative Wirkung vermuten.
In der vorliegenden Untersuchung werden erstmals Umfragen unter Bundestagsabgeordneten und Schweizer Nationalräten vorgelegt, die aufzeigen, dass es sich um typisch deutsche Konfliktlinien handelt. In der Schweiz stehen die politisch linken Parteien der direkten Demokratie deutlich skeptischer gegenüber als die rechten. In einer empirischen Analyse der Schweizer Volksabstimmungen der letzten 20 Jahre bestätigt sich, dass die bisherigen Erfahrungen mit direkter Demokratie eher auf eine rechts-konservative Wirkung von Volksentscheiden schließen lassen – ein Widerspruch zur Haltung der deutschen Parteien.
Neben diesem innovativen Beitrag zur wissenschaftlichen Debatte bietet das Werk einen aktuellen Überblick über den Forschungsstand zur Wirkung von Volksrechten.