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Abbildung 3.3.3.3: Thesen mit großem Unterschied zwischen Zustimmungsraten der
SP und den anderen Parteien, insbesondere der SVP (Zustimmungsraten in
Prozent)
Die SP-Abgeordneten sind zu 64% der Meinung, dass direktdemokratische Instrumente das System blockieren können, insgesamt stimmten die Nationalräte der
These nur zu 30% zu. Die Mehrheit der Sozialdemokraten (55%) ist außerdem der
Meinung, dass direkte Demokratie den Status quo bevorzugt, auch hier stimmten nur
30% aller befragten Nationalräte zu.
Bei den sehr negativen Thesen, dass direkte Demokratie den Populismus fördere
und eine Prämie für Demagogen sei, stimmte zwar nicht die Mehrheit der SP-
Abgeordneten zu, mit 36% und 27% jedoch ein erwähnenswerter Teil. Kein Einziger der befragten SVP-Abgeordneten stimmte diesen Thesen zu. Dafür ein beträchtlicher Teil der FDP Abgeordneten (50% und 17%). Hier verläuft der Riss eher zwischen der SVP und den übrigen Parteien.
3.4 Fazit der Umfrage
Ziel der Umfrage war es, herauszufinden, wie die aktuelle Meinungslage zur direkten Demokratie im Bundestag ist, was von Volksrechten erwartet wird und ob es
sich dabei um typisch deutsche Einschätzungen handelt oder es allgemeine „rechte“
und „linke“ Positionen zur direkten Demokratie gibt.
Die aktuelle Meinung im Bundestag ist in der Umfrage sehr klar zum Ausdruck
gekommen. Die kleinen Parteien befürworten die Einführung direktdemokratischer
Elemente stark, die SPD ebenfalls, aber in geringerer Intensität. Die CDU/CSU lehnt
die Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene eindeutig ab.
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In der Schweiz ist das Parteienspektrum etwas anders aufgeteilt: die SP und die
kleineren Parteien beurteilen die direkte Demokratie weniger positiv als die rechtskonservative SVP, die die direkte Demokratie durchweg positiv bewertet.
Die Positionen der Deutschen und der Schweizer auf der Bewertungsskala bestätigen sich jeweils bei der Thesenabfrage. Die CDU/CSU weist in Deutschland mit
Abstand die niedrigsten Zustimmungsraten bei den positiven Thesen auf, die SVP in
der Schweiz die höchsten.
Wir haben also eine umgekehrte Stimmungslage: In Deutschland beherbergt das
linke Parteienspektrum die größten Befürworter der Einführung direkter Demokratie, in der Schweiz will die rechts-konservative SVP die direktdemokratischen Mitbestimmungsmöglichkeiten deutlich weiter ausbauen.
Auch bei der erwarteten Richtungswirkung zeigt sich dementsprechend ein geteiltes Bild. In der Bundesrepublik gehen die größten Befürworter, nämlich die Abgeordneten der Linken, am stärksten davon aus, dass direkte Demokratie Ergebnisse
produzieren wird, die mit ihrer eigenen politischen Richtung übereinstimmen. Die
CDU/CSU ist auch hier deutlich skeptischer. In der Schweiz denken jedoch vor allem die SVP-Abgeordneten (und auch die kleinen Parteien), dass die Abstimmungsergebnisse eher mit ihrer politischen Einstellung übereinstimmen. Hier ist die SP
deutlich anderer Meinung. Als einzige Fraktion geben die Abgeordneten mehrheitlich an, dass die Ergebnisse ihrer politischen Position eher widersprechen.
Eine allgemeine Wirkung in eine politische Richtung auf der erweiterten Links-
Rechts-Skala will sowohl in der Bundesrepublik, als auch in der Schweiz nur eine
Minderheit der Abgeordneten der direkten Demokratie zusprechen. Die 28% der Nationalräte, die sich festlegen können, nennen jedoch etwas häufiger eine rechtskonservative Wirkung. Die 22% der Bundestagsabgeordneten, die eine Richtung angaben, nannten beide Richtungen etwa gleich häufig.
Was bedeuten diese Ergebnisse nun für unsere Thesenbildung im folgenden Kapitel? Zusammengefasst können wir zwei Ergebnisse festhalten:
(1) Die Umfrageergebnisse unterstreichen die Meinungslage im Deutschen Bundestag, wie sie in der Einleitung skizziert wurde: Linke Parteien sind für die Einführung direktdemokratischer Mittel, konservative dagegen. Ebenso erwarten die Linken eine positive Wirkung entsprechend ihrer eigenen politischen Richtung.
(2) In der Schweiz, als dem Land, in dem es die größten Erfahrungen mit direktdemokratischer Praxis gibt, sind die Einstellungen der politischen Parteien umgekehrt. Die am weitesten rechts stehende Partei bewertet die direkte Demokratie am
positivsten, die Sozialdemokraten hingegen sehr viel negativer. Die Linken haben
eher den Eindruck, dass die Ergebnisse direktdemokratischer Abstimmungen ihren
eigenen politischen Zielen widersprechen, die Rechten glauben, dass Volksentscheide ihre eigene Richtung stützen.
Diese beiden Ergebnisse verdeutlichen den Widerspruch, der in der Einleitung bereits angesprochen wurde. Die Wirkung, die die linken Parteien der Bundesrepublik
von direktdemokratischen Abstimmungen erwarten, scheinen die Nationalräte in der
Schweiz nicht zu sehen. Wir kommen also wieder zu der Frage, in welche politische
Richtung direkte Demokratie wirkt. Da die Schweizer Angaben in der Umfrage sich
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auf eigene Erfahrungen in der direktdemokratischen Praxis stützen, die Antworten
der Bundestagsabgeordneten viel mehr hypothetische Erwartungen sind, scheint es
wahrscheinlich, dass die Einschätzung der Nationalräte näher an der Realität liegt,
was also eher eine rechts-konservative Wirkung der direkten Demokratie vermuten
ließe.
Diese These gilt es in den nächsten Kapiteln auszuformulieren und zu überprüfen.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die seit den 90er Jahren intensiver werdende Diskussion um die Einführung direktdemokratischer Instrumente in der Bundesrepublik schlägt sich auch in einer steigenden Zahl wissenschaftlicher Beiträge zu diesem Thema nieder. Unbeachtet blieb bisher jedoch die Diskrepanz zwischen der deutschen Debatte und der direktdemokratischen Praxis. Die Diskussion in der Bundesrepublik wird vor allem von den linken Parteien geschürt, die Erfahrungen mit direkter Demokratie in der Schweiz und anderen Staaten lassen hingegen eher eine rechts-konservative Wirkung vermuten.
In der vorliegenden Untersuchung werden erstmals Umfragen unter Bundestagsabgeordneten und Schweizer Nationalräten vorgelegt, die aufzeigen, dass es sich um typisch deutsche Konfliktlinien handelt. In der Schweiz stehen die politisch linken Parteien der direkten Demokratie deutlich skeptischer gegenüber als die rechten. In einer empirischen Analyse der Schweizer Volksabstimmungen der letzten 20 Jahre bestätigt sich, dass die bisherigen Erfahrungen mit direkter Demokratie eher auf eine rechts-konservative Wirkung von Volksentscheiden schließen lassen – ein Widerspruch zur Haltung der deutschen Parteien.
Neben diesem innovativen Beitrag zur wissenschaftlichen Debatte bietet das Werk einen aktuellen Überblick über den Forschungsstand zur Wirkung von Volksrechten.