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Durch Abbildung 2.3.2 wird Kitschelts These, dass die Hauptkonfliktlinie zwischen links-liberal und rechts-konservativ verläuft, weitgehend bestätigt. Die Romandie und die größten Schweizer Städte sind eher links-liberal einzuordnen, der
ländliche Teil der Deutschschweiz vor allem im rechts-konservativen Spektrum. Nur
ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung wird der links-konservativen Ecke zugeordnet,
dieser ist zahlenmäßig jedoch zu vernachlässigen. In der rechts-liberalen Ecke befinden sich die Steuerparadiese der Schweiz, vor allem Zentralschweizer Städte wie
Chur, Zug und St. Gallen. Diese politische Richtung kommt also durchaus vor, die
Hauptachse verläuft aber übereinstimmend mit Kitschelt links-liberal versus rechtskonservativ.
Insgesamt hat sich die Einordnung politischer Einstellungsfragen auf dieser zweidimensionalen Skala mit der oben genannten Hauptachse bewährt. Auch andere Autoren (vgl. Kriesi 1998, S.175) verwenden sie zur Analyse politischer Einstellungen.
Diese Achse soll daher als Grundlage für die Untersuchungen dieser Arbeit dienen. Es gilt in den folgenden Kapiteln zu überprüfen, ob direktdemokratische Instrumente systematisch in die links-liberale oder die rechts-konservative Richtung
wirken oder ob sie keine Auswirkungen in eine bestimmte politische Richtung aufweisen.
2.4 Zu betrachtende Policy-Bereiche
Die grundsätzliche Gegenüberstellung in dieser Arbeit wird zwischen links-liberal
und rechts-konservativ durchgeführt werden. Im vorigen Abschnitt wurden bereits
einige Themen angerissen, in welchen diese Unterscheidung besonders deutlich
wird. Für die empirische Untersuchung dieser Arbeit, der die Achse nach Kitschelt
zu Grunde liegen soll, müssen Policy-Bereiche ausgewählt werden, in denen die Unterscheidung passend ist und die Positionen links-liberal und rechts-konservativ
sinnvoll gegenübergestellt werden können. In Tabelle 2.4.1 findet sich eine Übersicht der Themen, die in Kapitel 5 gesondert betrachtet werden.
In den ausgewählten Themen sind rechts-konservative und links-liberale Positionen deutlich voneinander abgrenzbar. Die Auswahl erhebt keinen Anspruch auf
Vollständigkeit, sondern will vielmehr die zentralen Konflikte, um die auch mit direktdemokratischen Mitteln gestritten wird, erfassen. Sie führt dabei die Auswahl
von Hermann und Leuthold zusammen, die diese Themen jedoch auf drei Konfliktlinien aufteilen (rechts-links, liberal-konservativ, umweltfreundlich-technokratisch,
Hermann/Leuthold 2003).
Einen ersten Indikator für die Leistungsfähigkeit dieser Einordnung liefert der
Vergleich mit der Auflistung linker und rechter Themen in der Schweiz von Holzer
und Linder (Holzer/Linder 2003, S. 92). Die zehn Issues, die sie aufführen, lassen
sich alle eindeutig auf einer Seite der Tabelle einordnen. Sowohl die klassischen
Verteilungskonflikte „Stärkere Besteuerung hoher Einkommen versus geringere Besteuerung hoher Einkommen“, „Senkung der Sozialausgaben versus Erhöhung der
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Sozialausgaben“ und „Für Staatsinterventionismus in der Wirtschaft versus für
freie Marktwirtschaft“ als auch die von Holzer und Linder zu den „New Politics“
gezählten übrigen Kategorien wie unter anderem „Chancengleichheit für Ausländer versus bessere Chancen für Schweizer“, „Wahrung Schweizer Traditionen versus Infragestellung Schweizer Traditionen“ oder „Beibehaltung Atomenergie versus
Ausstieg aus der Atomenergie“ lassen sich klar der links-liberalen bzw. der rechtskonservativen Seite zuordnen. Den Begriff der „New Politics“ verwenden Holzer
und Linder dabei in Anlehnung an Kitschelts libertär-autoritäre Achse, was auch deren Verwendung unterstreicht (Holzer/Linder 2003, S. 94). Innerhalb der in Tabelle
2.4.1 aufgeführten Kategorien wird es daher gut möglich sein, einen Großteil der
Abstimmungen klar einzuordnen.
Tabelle 2.4.1: Links-liberale und rechts-konservative Positionen nach Themenfeldern (Eigene Darstellung in Anlehnung an Hermann und Leuthold 2003)
2.5 Die Liberalen in der Schweiz und der Bundesrepublik
Am schlechtesten erfasst werden mit der Achse links-liberal versus rechtskonservativ die liberalen Parteien. Sowohl die Freisinnig-Demokratische Partei der
Schweiz, wie auch die Freie Demokratische Partei Deutschlands lassen sich mit ihren Positionen nur schwer auf der einen oder anderen Seite einordnen. Sie stellen in
einigen Bereichen genau die Kombination rechts-liberal dar, die Kitschelt in seiner
Themen links-liberal rechts-konservativ
Soziale Fragen
Ausbau Sozialstaat
Minimierung des Sozialstaats,
Ökonomische Eigenverantwortung
Wirtschaft/
Öffentliche Finanzen Umverteilung Leistung muss sich lohnen
Ausgebaute Bürgerrechte Recht und Ordnung
Integration von Fremden Abgrenzung nach Außen
Staatsordnung/
Bürgerrechte/ Moralische Fragen/
Traditionen
Individuelle Entscheidungsfreiheit
Bewahrung moralischer
Grundregeln und Traditionen
Pazifismus militärische Verteidigung Außen- und Sicherheitspolitik Öffnung nach Außen nationale Souveränität
Umwelt/Energie Umweltschutz Nutzung der Ressourcen
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die seit den 90er Jahren intensiver werdende Diskussion um die Einführung direktdemokratischer Instrumente in der Bundesrepublik schlägt sich auch in einer steigenden Zahl wissenschaftlicher Beiträge zu diesem Thema nieder. Unbeachtet blieb bisher jedoch die Diskrepanz zwischen der deutschen Debatte und der direktdemokratischen Praxis. Die Diskussion in der Bundesrepublik wird vor allem von den linken Parteien geschürt, die Erfahrungen mit direkter Demokratie in der Schweiz und anderen Staaten lassen hingegen eher eine rechts-konservative Wirkung vermuten.
In der vorliegenden Untersuchung werden erstmals Umfragen unter Bundestagsabgeordneten und Schweizer Nationalräten vorgelegt, die aufzeigen, dass es sich um typisch deutsche Konfliktlinien handelt. In der Schweiz stehen die politisch linken Parteien der direkten Demokratie deutlich skeptischer gegenüber als die rechten. In einer empirischen Analyse der Schweizer Volksabstimmungen der letzten 20 Jahre bestätigt sich, dass die bisherigen Erfahrungen mit direkter Demokratie eher auf eine rechts-konservative Wirkung von Volksentscheiden schließen lassen – ein Widerspruch zur Haltung der deutschen Parteien.
Neben diesem innovativen Beitrag zur wissenschaftlichen Debatte bietet das Werk einen aktuellen Überblick über den Forschungsstand zur Wirkung von Volksrechten.