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Kapitel 7: Schlussfolgerungen
A. Taugliche Beherrschungsmittel im Sinne des § 6 I EBRG, Art. 3 I EBR-Richtlinie
I. Feststellung der Prüfungskriterien
Nunmehr sollen die in den Kapiteln 4 und 5 betrachteten Beherrschungs- und Kontrollmittel auf ihre Eignung zur Ausfüllung des Abhängigkeitsbegriffes der Generalklausel in § 6 I EBRG und Art. 3 I EBR-Richtlinie überprüft werden. Hierzu müssen
sie sich an den in den voran gegangenen Kapiteln erarbeiteten Prüfungskriterien
messen lassen. Diese ergeben sich aus der Untersuchung des Wortlautes von § 6 I
EBRG, der den Rahmen für Einbeziehungsfähigkeit und Eignung zur Ausfüllung
der Generalklausel des § 6 I EBRG absteckt. Aus der Analyse der Regelbeispiele in
§ 6 II EBRG bzw. Art. 3 II EBR-Richtlinie ergeben sich Art und Wirkungsweise der
einzubeziehenden und ausfüllungstauglichen Beherrschungs- und Kontrollmittel.
Daraus sollen Erkenntnisse über die Abhängigkeitsarten, Wirkungsrichtung der Einflussnahme und die Arten von Strukturveränderungen gezogen werden.
1. § 6 I EBRG – Rahmen für taugliche Beherrschungs- und Kontrollmittel
Aus dem Wortlaut des § 6 I EBRG ergibt sich als Grundmerkmal für alle ausfüllungstauglichen Beherrschungs- und Kontrollmittel die Möglichkeit zur beherrschenden Einflussnahme, das Ausüben-Können = Potentialität. Gegenstand einer
beherrschenden Einflussnahme ist die Beeinflussungsmöglichkeit der wesentlichen
unternehmerischen Entscheidungsbereiche im abhängigen bzw. kontrollierten Unternehmen. Unternehmenswesentlich sind die Bereiche Produktion, Organisation,
Beschaffung, Absatz, Finanzierung, Investitionen und Personal. Die Beeinflussungsmöglichkeit muss nicht sämtliche unternehmenswesentliche Entscheidungsbereiche umfassen, es genügt, wenn die Möglichkeit zur Einflussnahme einzelne dieser
Bereiche erfasst, da sich auch bei Beeinflussung einzelner Bereiche die Abhängigkeitswirkungen wie Fremdbestimmung, Informations- und Entscheidungsasymmetrien im abhängigen, kontrollierten Unternehmen zeigen.
2. Art, Umfang und Wirkungsweise der Beherrschungs- und Kontrollmittel
Aus der Analyse der Regelbeispiele des § 6 II EBRG bzw. Art. 3 II EBR-Richtlinie
konnten Erkenntnisse über Art und Umfang der Einflussnahme und die Wirkungsweise der Beherrschungs- und Kontrollmittel gewonnen werden.
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a) Art und Umfang der Einflussnahme
Eine Beeinflussung der unternehmenswesentlichen Entscheidungen kann auf der
Grundlage der Beherrschungs- und Kontrollmittel des § 6 II EBRG (Art. 3 II EBR-
Richtlinie) nur indirekt, unter Einsatz eines Druckmittels erfolgen. Der Inhaber der
Stimmrechtsmehrheit oder der Mehrheit der Bestellungsrechte (§ 6 I Nr. 1, 2 EBRG)
in einer Aktiengesellschaft hat nur die Möglichkeit an die Aufsichtsratsmitglieder
rechtlich unverbindliche Anregungen und Empfehlungen zu geben, deren Durchführung er durch Drohung mit persönlichen Nachteilen für die Organmitglieder (personenbezogene Wirkung) Nachdruck verleiht. Eine Ausnahme besteht für den Inhaber
der Stimmrechtsmehrheit in der GmbH. Das gesetzlich fixierte Weisungsrecht (§ 37
I GmbHG) gewährt ihm eine direkte Einflussnahmemöglichkeit auf die wesentlichen Unternehmensentscheidungen. Die Einflussnahmemöglichkeit dieser Beherrschungsmittel erstreckt sich auf sämtliche der o.g. wesentlichen unternehmerischen
Entscheidungsbereiche. Die Kapitalmehrheit gewährt eine indirekte Einflussnahmemöglichkeit. Druckmittel ist hierbei die Drohung mit dem Abzug des Kapitals,
das sich für das Unternehmen nachteilig auswirkt (unternehmensbezogene Wirkung).
b) Wirkungsweise der Beherrschungs- und Kontrollmittel
Die Beherrschungs- und Kontrollmittel, die eine indirekte Einflussnahmemöglichkeit vermitteln, bedürfen – im Gegensatz zu direkten Einflussnahmeformen – eines
Druckmittels zur Durchsetzung der rechtlich unverbindlichen Empfehlungen. Dieses
erzeugt für den Entscheidungsträger in der abhängigen Gesellschaft eine Entscheidungszwangslage. Bei den hier untersuchten Druckmitteln konnten solche mit personenbezogener Wirkung und solche mit unternehmensbezogener Wirkung festgestellt werden.
Die Formen der gemeinsamen und wechselseitigen Kontrolle (mehrfache bzw.
wechselseitige Abhängigkeit) sind dadurch gekennzeichnet, dass die Einfluss nehmenden und kontrollierenden Unternehmen einer gemeinschaftlichen Entscheidungsfindung und Willensbildung unterliegen. Die meist instrumentalisierten Formen der gemeinschaftlichen Willensbildung entfalten ihre Wirkungen zwischen den
kontrollierenden Unternehmen.
aa) Personenbezogene Wirkung
Das Beherrschungs- und Kontrollmittel entfaltet Wirkungen, die auf die Personen
der Organmitglieder in der abhängigen Gesellschaft gerichtet sind. Das einflusskonforme Verhalten der Organmitglieder wird durch ein in Aussicht stellen persönlicher
Nachteile erreicht. Wenn beispielsweise das kontrollierende Unternehmen die Möglichkeit hat, die Organmitglieder auszuwählen, zu bestellen und abzuberufen (so bei
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einer Stimmrechtsmehrheit oder der Mehrheit der Bestellungsrechte), kann dem angesonnenen Abstimmungsverhalten bei Organbeschlüssen durch Drohung mit der
Abberufung aus dem Organamt Nachdruck verliehen werden. Persönliche Nachteile
können auch die im Wege personeller Verflechtungen in das kontrollierte Unternehmen entsandten Organmitglieder der kontrollierenden Gesellschaft treffen, wenn
sie deren Interessen im kontrollierten Unternehmen nicht oder unzureichend vertreten. Ein andersartiger persönlicher Nachteil ist die persönliche Schadensersatzhaftung der Organmitglieder gegenüber der Gesellschaft. So z. B. bei Organisationsverträgen, die die gesellschaftsinterne Zuständigkeitsordnung zugunsten des Einfluss
ausübenden Vertragspartners verändern, mit der Folge, dass die Organmitglieder
nicht mehr autonom entscheiden, sondern nach Weisung. Ein Abweichen hiervon
kann – je nach Vertragsgestaltung – eine persönliche Haftung zur Folge haben.
Gleiches trifft auf die Unterstellung (und Folgepflicht) der kontrollierten Gesellschaft unter die Entscheidungen eines gemeinsamen Gremiums oder die Zustimmung des kontrollierenden Unternehmens zu.
bb) Unternehmensbezogene Wirkung
Bei diesen Beherrschungs- und Kontrollmitteln wird über ein in Aussicht stellen von
Nachteilen für das Unternehmen, finanziell oder betreffend dessen Stellung am
Markt, Druck auf die Entscheidungsträger in der abhängigen Gesellschaft ausgeübt.
Beispielsweise kann die Drohung mit dem Abzug der Beteiligung bei einer Kapitalmehrheit und dem damit verbundenen Verlust von Eigenkapital das erwünschte
Verhalten begünstigen. Bei Liefer- und Kreditbeziehungen (hier: relationale Verträge871) sowie bei Just-in-Time-Lieferverträgen stellt die Beendigung des für das kontrollierte Unternehmen existentiell wichtigen Vertrages einen erheblichen Nachteil
dar. Treten relationale Verträge in Kombination mit einer Beteiligung oder organisatorischen Verflechtungen auf, kumulieren sich die zu erwartenden Nachteile: Der
Abzug der Beteiligung reißt eine Lücke in die Eigenkapitaldecke. Hinsichtlich der
organisatorischen Verflechtungen können die Nachteile unterschiedlicher Art sein.
Hat sich ein Unternehmen bei einer engen Zusammenarbeit auf das andere Unternehmen in Bezug auf Produktion, Absatz/Beschaffung oder die Zusammenarbeit im
Bereich Forschung und Entwicklung eingestellt, kann seine Existenz bedroht sein.
Bei Organisationsverträgen kann, je nach Gestaltung des Vertrages, die Nichteinhaltung der Weisungen auch eine Schadensersatzhaftung nach sich ziehen. Ebenso bei
der Unterstellung des kontrollierten Unternehmens unter die Entscheidungen eines
gemeinsamen Gremiums oder einem Zustimmungserfordernis, wobei es hier ebenfalls auf die Formulierung in der Satzung oder im Vertrag ankommt.
871 Hier als relationale Verträge klassifiziert, siehe dazu unten Abschnitt B.
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cc) Wirkung der Instrumente der Willensbildung zwischen den kontrollierenden Unternehmen
Bei gemeinsamer und wechselseitiger Kontrolle entfalten die Instrumente zur Willensbildung Wirkungen zwischen den kontrollierenden Unternehmen. Die Wirkung
ist auf die Erzielung einer Einigung im Hinblick auf Einflussnahmeziele und -mittel
gegenüber dem kontrollierten Unternehmen gerichtet. Maßgeblich ist, ob jedem
Mutterunternehmen eine Mitkontroll- und Mitentscheidungsmöglichkeit eingeräumt
wurde.
3. Abhängigkeitsarten und Wirkungsrichtung der Einflussnahme
Eine systematisierende Betrachtung der in Kapitel 4 und 5 untersuchten Beherrschungs- und Kontrollmittel brachte Erkenntnisse über die verschiedenen Arten von
Abhängigkeitsbeziehungen, die Wirkungsrichtung der Einflussnahme sowie die Arten von Strukturänderungen, die zum Entstehen von Abhängigkeiten und Kontrollverhältnissen führen.
a) Abhängigkeitsarten
Bezogen auf die Anzahl der Einfluss ausübenden (herrschenden) Unternehmen sowie die Wirkungsrichtung der Einflussnahme lassen sich drei verschiedene Formen
der Kontrolle und der Abhängigkeit feststellen. Dabei beschreiben die Abhängigkeitsformen Sachverhalte aus der Sicht des abhängigen Unternehmens, die Kontrollformen dieselben aus dem Blickwinkel der herrschenden Unternehmen.
aa) Einfache Abhängigkeit = alleinige Kontrolle (sole control)
Die Willensbildung für die Einflussnahme und die Einflussnahme selbst erfolgt
durch ein Unternehmen allein. Die Einflussnahme ist einseitig in Richtung auf das
kontrollierte (abhängige) Unternehmen gerichtet (einseitige Wirkungsrichtung der
Einflussnahme). Taugliche Beherrschungs- und Kontrollmittel können verschiedener Art sein.872 Dabei können die einzelnen Beherrschungs- und Kontrollmittel
Einflussnahmemöglichkeiten auf einzelne oder sämtliche wesentliche unternehmerische Entscheidungsbereiche gewähren. Aus der Sicht des abhängigen Unternehmens
wird es in diesen Bereichen fremdbestimmt, die Entscheidungsfindung geht in diesen Bereichen auf das herrschende Unternehmen über. Zwischen dem herrschenden
und dem abhängigen Unternehmen besteht ein Subordinationsverhältnis.
872 Siehe Kapitel 4 B.
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bb) Mehrfache Abhängigkeit = gemeinsame Kontrolle (joint control)
Üben zwei (oder mehr) Unternehmen gemeinsam die Kontrolle (joint control) über
ein (oder mehrere) Unternehmen aus, ist Letztgenanntes ein von den beiden herrschenden Unternehmen abhängiges Unternehmen (mehrfache Abhängigkeit). Voraussetzung hierfür ist, dass die Willensbildung im Hinblick auf die Beeinflussung
des abhängigen Unternehmens gemeinschaftlich erfolgt. Es besteht hierbei eine
Notwendigkeit zur Einigung.
Instrumente zur Willensbildung können sein: vereinbarte Veto- oder Bestellungsrechte, die Schaffung gemeinsamer Gremien sowie auf faktischer Grundlage wirkende paritätische Beteiligungen und faktische Vetorechte.
Die Einflussnahme ist ebenfalls einseitig in Richtung auf das kontrollierte (abhängige) Unternehmen gerichtet (einseitige Wirkungsrichtung der Einflussnahme).
Vom Einfluss betroffen ist das abhängige Unternehmen. Aus seiner Sicht liegt eine
Fremdbestimmung in einzelnen oder sämtlichen unternehmenswesentlichen Entscheidungen vor. Daraus ergibt sich für das Verhältnis der herrschenden Unternehmen zum abhängigen Unternehmen eine Subordinationsbeziehung, zwischen den
beiden herrschenden Unternehmen besteht im Hinblick auf den Einigungszwang zur
Einflussnahme auf das abhängige Unternehmen ein Verhältnis der Gleichordnung.
cc) Wechselseitige Abhängigkeit = wechselseitige Kontrolle (reciprocal control)
Grundlage der wechselseitigen Beherrschung und Kontrolle waren in den hier untersuchten Formen Verträge. Darin ist festgelegt, ob sämtliche oder nur einzelne und
welche der wesentlichen unternehmerischen Entscheidungsbereiche einer gemeinschaftlichen Leitung unterstellt werden. Die gemeinschaftliche Leitung erfolgt in
den meisten Fällen über ein gemeinsam gebildetes Gremium. Die Entscheidungsfindung im Hinblick auf die der gemeinschaftlichen Willensbildung unterstellten Entscheidungen liegt gemeinschaftlich in den Händen der beteiligten Unternehmen (Einigungszwang). Hinzu kommt, dass die beteiligten Unternehmen von den gemeinschaftlich getroffenen Entscheidungen in gleicher Weise betroffen werden. Beispielsweise können die Unternehmen sich vertraglich verpflichtet haben, alle oder
einen Teil ihrer Tätigkeitsbereiche der Entscheidungsgewalt gemeinsamer Gremien
zu unterstellen. Damit unterliegt jedes Unternehmen der Kontrolle durch das jeweils
andere, denn im Hinblick auf die Entscheidungen in diesen Tätigkeitsbereichen bedarf es nunmehr der Einigung mit dem anderen Unternehmen. Die beteiligten Unternehmen sind herrschende und abhängige Unternehmen zugleich.873 Die Wir-
873 Für den Bereich der wechselseitigen Beteiligungen mit gegenseitiger Beherrschungsmöglichkeit sieht dies auch § 19 III AktG vor. In dem hier untersuchten Bereich der wechselseitigen Abhängigkeit und Kontrolle bilden vertragliche Vereinbarungen die Grundlage,
wechselseitige Beteiligungen können hinzutreten. Vgl. Mitteilung der Kommission über
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kungsrichtung der Einflussnahme ist somit wechselseitig. Im Hinblick auf die der
gemeinschaftlichen Entscheidungsgewalt unterstellten unternehmerischen Bereiche
sind die beteiligten Unternehmen an der Entscheidungsfindung und in Bezug auf die
Wirkungen der gemeinschaftlichen Leitung in gleicher Weise beteiligt bzw. betroffen.874 Im Gegensatz zu einem Subordinationsverhältnis, bei dem die Entscheidungsfindung auf das oder die herrschenden Unternehmen übergeht und das abhängige
Unternehmen einer Fremdbestimmung unterliegt, wird in wechselseitigen Abhängigkeits- und Kontrollverhältnissen die Entscheidungsfindung quasi vergemeinschaftet. Grundlage für die Verlagerung von Entscheidungszuständigkeiten auf das
gemeinsame Leitungsgremium bildet ein Vertrag. Werden sämtliche unternehmenswesentliche Entscheidungsbereiche den Gremien übertragen, liegt darin eine Änderung der gesellschaftsinternen Zuständigkeitsverteilung zugunsten der gemeinschaftlichen Entscheidungsmacht in den Gremien. Der zugrunde liegende Vertrag ist als
Organisationsvertrag875 zu qualifizieren. Werden nur einzelne unternehmenswesentliche Entscheidungszuständigkeiten übertragen, wird die gesellschaftsinterne Zuständigkeitsverteilung nur partiell in den vertraglich abgesteckten Bereichen der Zusammenarbeit verändert. Hierbei liegt ein Vertrag mit Kooperationscharakter876 vor.
b) Wirkungsrichtung der Einflussnahme
Hinsichtlich der Wirkungsrichtung der Einflussnahme ergeben sich Unterschiede
zwischen einfachen und Mehrfachabhängigkeitsverhältnissen (sole und joint
control) einerseits und wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnissen (reciprocal
control) andererseits.
aa) Einseitige Wirkungsrichtung
Bei den Formen der einfachen und Mehrabhängigkeit erfolgt die Einflussnahme von
den herrschenden Unternehmen ausgehend in Richtung auf das abhängige Unternehmen, somit in eine Richtung verlaufend.
den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) Nr. 4064/89, ABl. (EG) 1998 Nr. C
66/02, Tz. 7.
874 Für den Gleichordnungskonzern: Geßler in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Aktiengesetz, Bd. I, § 18 Rn. 69-71.
875 Siehe unten B.
876 Siehe unten B.
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bb) Wechselseitige Wirkungsrichtung
Die Formen der wechselseitigen Abhängigkeit unterscheiden sich von den Formen
der sole und joint control dadurch, dass die Beeinflussung der unternehmenswesentlichen Entscheidungen wechselseitig in den beteiligten Unternehmen erfolgt. Es besteht eine wechselseitige Abhängigkeit.
4. Strukturveränderung
a) Strukturveränderungen als Grundlage für das Entstehen der Abhängigkeitsbeziehung
Abhängigkeit der Gesellschaft ist ein Zustand der sie von der unabhängigen Gesellschaft durch die Möglichkeit zur Einflussnahme zugunsten eines anderen Unternehmens in unternehmenswesentliche Entscheidungen unterscheidet. Hinzukommen
muss die Dauerhaftigkeit dieses Zustands. Ein dauerhaftes Abweichen vom Normalfall der unabhängigen Gesellschaft kann nur über eine strukturelle Veränderung zu
Gunsten einer Einflussnahmemöglichkeit eines kontrollierenden bzw. herrschenden
Unternehmens erreicht werden. Die Strukturveränderung, ein Prozess der Umgestaltung, ist Grundlage der Abhängigkeit, wenn die strukturellen Änderungen in der
Weise erfolgen, dass eine Fremdorganisation und Fremdbeeinflussung der unternehmenswesentlichen Entscheidungen ermöglicht wird. Für die Beeinflussungsmöglichkeit bilden die unternehmenswesentlichen Entscheidungsbereiche eine Relevanzschwelle. Das Abweichen von der unabhängigen Gesellschaft liegt in der Beeinflussungsmöglichkeit, denn nach dem Leitbild der unabhängigen Gesellschaft,
wird die Zusammensetzung der Organe vom Votum aller Gesellschafter getragen
und die Entscheidungen folgen dem Interesse der Gesellschaft. Die dauerhafte Ver-
änderung der Strukturen in einer Gesellschaft ist auch Grundlage für Zusammenschlüsse (Fusionen und Kontrollerwerb) nach Art. 3 FKVO.877 878
Im Folgenden sollen die Strukturveränderungen, die einem anderen Unternehmen
die Möglichkeit zur Beeinflussung der unternehmenswesentlichen Entscheidungen
gewähren, daraufhin untersucht werden, in welcher Weise eine Beeinflussung des
innergesellschaftlichen Entscheidungsprozesses erfolgen kann.
877 Vgl. Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG)
Nr. 4064/89, ABl. (EG) 1998 C 66/5 vom 2.3.1998, Tz. 3.
878 Zur Vergleichbarkeit der Schaffung von Abhängigkeitsbeziehungen nach Art. 3 EBR-
Richtlinie, § 6 EBRG mit dem Erwerb der Kontrolle über ein anderes Unternehmen nach
Art. 3 I lit. b), II FKVO aufgrund der Gemeinsamkeiten der dauerhaften Strukturveränderungen im abhängigen bzw. kontrollierten Unternehmen, siehe oben Kapitel 4 A.
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b) Arten von Strukturveränderungen
Um herauszufinden, in welcher Weise die Strukturen des innergesellschaftlichen
Entscheidungsprozesses gegenüber einer unabhängigen Gesellschaft verändert werden, soll ein spieltheoretischer Ansatz879 dienen. Gegenüber gestellt werden der Entscheidungsprozess in der unabhängigen Gesellschaft und die Einflussnahmemöglichkeiten auf den innergesellschaftlichen Entscheidungsprozess in Gesellschaften, die über eine Stimm- oder Bestellungsrechtsmehrheit zugunsten eines anderen
Unternehmens kontrolliert werden und Gesellschaften, die per Vertrag mit Organisationswirkung (Organisationsverträge, Verträge mit Organisationscharakter, Verträge
mit Kooperationscharakter880) oder über satzungsmäßige bzw. vertragliche Zustimmungs- oder Vetorechte kontrolliert werden. Angenommen wird, dass das Unternehmen drei relativ gleichwertige Entscheidungsalternativen zur Lösung eines Problems hat.
aa) Unabhängige Gesellschaft
Die Auswahl der zu präferierenden Entscheidungsalternative erfolgt frei, entsprechend einer Gewinnoptimierung, also allein im Interesse der Gesellschaft.
bb) Gesellschaft, die über eine Stimm- oder Bestellungsrechtsmehrheit kontrolliert
wird
Der Inhaber der Stimm- oder Bestellungsrechtsmehrheit verfügt über die Personalhoheit in den Organen. Er wird die von ihm bestellten Organmitglieder anweisen,
unter Einsatz des Druckmittels persönlicher Nachteile, diejenige Entscheidungsalternative zu wählen, die mit seinen anderweitigen unternehmerischen Interessen am
besten harmoniert. Die Beeinflussung erfolgt in Richtung auf die Entscheidungsalternative, die seinen Interessen entspricht. Die anderen Entscheidungsalternativen
werden dabei ausgeblendet. Die Beeinflussung führt zu einer Reduktion der Entscheidungsalternativen auf die eine, die den Interessen des Beeinflussenden gerecht
wird. Der Inhaber der Stimmrechtsmehrheit ist Gesellschafter; der Inhaber der Bestellungsrechtsmehrheit kann, muss aber nicht Gesellschafter sein.881 Der Inhaber
der Stimm- oder Bestellungsrechtsmehrheit kann Personen seiner Wahl in die Gesellschaftsorgane einsetzen. Damit erfolgt eine Änderung der Personalstruktur in den
Organen. Da die Beeinflussung ihre Wirkungen bei der Entscheidungsfindung in-
879 Spieltheorie zur Analyse strategischer Interaktionen, siehe hierzu: Varian, Grundzüge der
Mikroökonomik, S. 455 ff.
880 Siehe unten B.
881 Im Gegensatz zu § 290 II Nr. 2 HGB: Der Inhaber der Bestellungsrechtsmehrheit muss
Gesellschafter sein.
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nerhalb der Organe entfaltet – denn hier erfolgt die Reduktion der Entscheidungsalternativen –, liegt hier eine gesellschaftsinterne Einflussnahme vor.
Ebenso bei personellen Verflechtungen, bei denen Organmitglieder eingesetzt
werden. Auch wenn dadurch keine Mehrheit im Organ erreicht wird, sind diese Organmitglieder in der Lage, durch Zustimmungsverweigerung, z.B. bei geforderter
Einstimmigkeit oder qualifizierten Mehrheiten, Entscheidungen zu blockieren und
bestimmte Entscheidungsalternativen fortfallen zu lassen. Die Entscheidungsgewalt
verlagert sich damit faktisch auf den Inhaber der Stimm- oder Bestellungsrechtsmehrheit. Ihm kommt eine indirekte Einflussnahmemöglichkeit zu, die der Vermittlung über ein Druckmittel und der „Gefolgschaft“ der angewiesenen Organperson
bedarf.
cc) Gesellschaft, die per Vertrag mit Organisationswirkung oder über satzungsmäßige bzw. vertragliche Zustimmungs- oder Vetorechte kontrolliert wird
Organisationsverträge, z. B. Beherrschungsverträge, gestalten die gesellschaftsinterne Entscheidungsstruktur in der Weise um, dass sich hinsichtlich sämtlicher unternehmenswesentlicher Entscheidungen die Entscheidungsbefugnis auf den Vertragspartner verlagert, der zu Weisungen berechtigt ist. Bei den Verträgen mit Organisationscharakter, z.B. Just-in-Time-Zulieferverträge der Gruppen III und IV, sowie bei
Verträgen mit Kooperationscharakter, z.B. Zusammenarbeitsverträge für bestimmte
Bereiche, wird auf der Grundlage des Vertrages die Entscheidungsbefugnis nur in
einzelnen, den vertraglich festgelegten, unternehmenswesentlichen Entscheidungsbereichen auf den Vertragspartner verlagert. Der Vertrag reduziert die Entscheidungsalternativen auf diejenige, die vertragsgemäß ist. Die Auswahl der Entscheidungsalternativen erfolgt damit aufgrund vertraglicher Vorgaben.
Beispielsweise enthalten Just-in-Time-Zulieferverträge der Gruppen III und IV
Klauseln, wie die Verpflichtung des Lieferanten zu bestimmten produkt- und vertragsspezifischen Investitionen, zu sequenzgenauer Fertigung und Anlieferung sowie
Vorgaben zur Produktionsorganisation und die Beteiligung des Lieferanten an der
Produktentwicklung. Die vertragliche Vereinbarung verschafft dem Vertragspartner,
einem Gesellschafts-Externen, Entscheidungszuständigkeiten im Hinblick auf die
vertraglich fixierten unternehmenswesentlichen Entscheidungsbereiche.882 Die Verlagerung der Entscheidungszuständigkeiten führt beispielsweise bei Just-in-Time-
Zulieferverträge der Gruppen III und IV dazu, dass der Hersteller – das kontrollierende Unternehmen – den Zulieferer in seine Unternehmensorganisation integriert
und einpasst. Die Produktion beim Zulieferer, dessen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten sowie Investitionsfragen werden in hohem Maße fremdorganisiert.
In der vertragsbasierten tatsächlichen Verlagerung der Entscheidungszuständigkei-
882 Aufgrund einer ungleichen Verteilung von Markt- und Verhandlungsmacht, ist das schwächere Unternehmen meist gezwungen, sich auf eine Preisgabe von Entscheidungszuständigkeiten einzulassen.
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ten zugunsten eines Externen liegt eine strukturelle Veränderung im Prozess der
Entscheidungsfindung. Der Entscheidungsprozess wird umgestaltet zu Gunsten des
Vertragspartners. Die Einflussnahme auf die vertraglich festgelegten unternehmenswesentlichen Entscheidungsbereiche kann aufgrund des Vertrages direkt erfolgen, zudem von außerhalb der Gesellschaft. Hierin liegt der Unterschied zur Stimmoder Bestellungsrechtsmehrheit, bei der Organpersonen ausgewählt werden und die
Beeinflussung innerhalb der Entscheidungsorgane wirkt, aber die Einflussnahme nur
indirekt – über die Druckausübung auf die Organpersonen – erfolgen kann.
Werden vertraglich oder satzungsmäßig Zustimmungs- oder Vetorechte gewährt,
können diese sich auf sämtliche oder nur einzelne unternehmenswesentliche Entscheidungsbereiche beziehen. Die Beeinflussungsmöglichkeit des Zustimmungsbzw. Vetoberechtigten ergibt sich aus der Zustimmungsverweigerung, einer Blockierposition,883 so dass er im Wege einer Negativauslese die Entscheidungsalternativen auf diejenige reduzieren kann, die seinen eigenen unternehmerischen Interessen am dienlichsten ist. Die Zustimmungs- oder Vetorechte können zugunsten von
Gesellschaftern, aber auch zugunsten von Nichtgesellschaftern, Gesellschafts-
Externen, vereinbart sein.
Fazit: Anhand der Gegenüberstellung von Entscheidungsprozessen in einer unabhängigen Gesellschaft und in Gesellschaften, die über eine Stimm- oder Bestellungsrechtsmehrheit oder über Verträge mit Organisationswirkung oder aufgrund von
Zustimmungs- oder Vetorechten kontrolliert werden, konnte eine Reduktion der
Entscheidungsalternativen als Folge der Beeinflussung sowie eine Umgestaltung des
Entscheidungsprozesses und eine Veränderung der Strukturen in Abweichung vom
Leitbild der unabhängigen Gesellschaft beobachtet werden.
Die Arten der Beeinflussungsmöglichkeit sowie der strukturellen Veränderungen
unterscheiden sich: Bei der Stimm- oder Bestellungsrechtsmehrheit wirkt die Einflussnahme indirekt über die eingesetzten Organmitglieder, somit gesellschaftsintern. Dagegen kann bei Verträgen mit Organisationswirkung die Einflussnahme auf
der Basis des Vertrages direkt wirken zu Gunsten des Vertragspartners, eines Gesellschafts-Externen.
Somit lassen sich zwei Arten von Strukturveränderungen feststellen. In Gesellschaften, die über eine Stimm- oder Bestellungsrechtsmehrheit kontrolliert werden,
hat der Inhaber die Möglichkeit, die Personalstruktur in den Organen zu verändern.
Bilden Verträge mit Organisationswirkung die Basis der Kontrolle, verschiebt der
Vertrag die Entscheidungszuständigkeiten und verändert somit den gesellschaftsinternen Entscheidungsprozess.
883 Die Blockierposition ist als Beherrschungs- und Kontrollmittel durch die Wettbewerbskommission anerkannt, vgl. Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) Nr. 4064/89, ABl. (EG) 1998 C 66/5 vom 2.3.1998, Tz. 19.
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c) Ergebnis: organisationsvermittelte Abhängigkeit
In Abkehr vom Leitbild der unabhängigen Gesellschaft wird der Prozess der Entscheidungsfindung in der abhängigen Gesellschaft umgestaltet in der Weise, dass
ein anderes (kontrollierendes) Unternehmens die Möglichkeit zur Einflussnahme auf
einzelne oder sämtliche unternehmenswesentliche Entscheidungsbereiche erhält.
Entscheidungszuständigkeiten werden bei einer Stimm- oder Bestellungsrechtsmehrheit faktisch, auf der Grundlage von Verträgen mit Organisationswirkung vertraglich auf ein anderes (kontrollierendes) Unternehmens verlagert (Strukturveränderung).
In die Formulierung des Abhängigkeitsbegriffs sollen die Merkmale einfließen,
die sich aus der Art der Strukturveränderung ergeben. Kennzeichnend für die hier
untersuchten Strukturveränderungen ist die Umgestaltung des gesellschaftsinternen
Entscheidungsprozesses zu Gunsten einer Beeinflussungsmöglichkeit des Mehrheitsgesellschafters, des Inhabers von Bestellungs- oder Vetorechten oder eines Vertragspartners. Die unternehmenswesentlichen Entscheidungsbereiche hinsichtlich
derer sich die Entscheidungszuständigkeiten faktisch oder vertraglich auf die zuvor
Genannten verlagert haben, werden damit fremdorganisiert.
Auf der Grundlage einer Stimm- oder Bestellungsrechtsmehrheit kann eine Einflussnahme und Fremdorganisation, bis auf das Weisungsrecht des (Mehrheits-) Gesellschafters der GmbH (§ 37 I GmbHG), nur indirekt erfolgen. Auf der Basis von
Verträgen mit Organisationswirkung kann sie dagegen direkt erfolgen und ist damit
weniger störanfällig gegenüber dem Versagen des eingesetzten Druckmittels und
verschafft damit eine wesentlich stärkere Position. Die direkte Einflussnahmemöglichkeit wirkt stärker; basiert sie auf einer vertraglichen Grundlage, wirkt sie
von „außen“, gesellschaftsextern.
Der bisherige aus dem Konzerngesellschaftsrecht bekannte Begriff der gesellschaftsrechtlich vermittelten Abhängigkeit bildet solche Kontroll- und Beherrschungsbeziehungen nicht oder nur unzureichend ab. Er ist daher um die Verlagerung der Entscheidungszuständigkeiten und Beeinflussungsmöglichkeiten auf vertraglicher Basis zu erweitern.
Grundlage der Konfiguration des Abhängigkeitsbegriffs soll ein charakteristisches Merkmal sein, welches beiden Arten der Strukturveränderung inhärent ist: die
Fremdorganisationswirkung der Einflussnahme aus der Verlagerung von Entscheidungszuständigkeiten. Der Begriff der organisationsvermittelten Abhängigkeit hat
den Vorteil, dass er die Fremdorganisation und Verlagerung von Entscheidungszuständigkeiten auf Mehrheitsgesellschafter und Vertragspartner aus Verträgen mit
Organisationswirkung gleichermaßen erfasst. Hierzu zähle ich: Organisationsverträge, Verträge mit Organisationscharakter sowie Verträge mit Kooperationscharakter,884 die im Wirtschaftsleben eine immer größer werdende Bedeutung erfahren885
884 Zu dieser Klassifizierung siehe unten B.
302
und die aufgrund ihrer Fremdorganisationswirkung erhebliche Auswirkungen auf
die Arbeitnehmer haben können. Die Fremdorganisationswirkung entsteht dadurch,
dass diese Verträge in den vertraglich vereinbarten Bereichen zu einer Umgestaltung
des Entscheidungsfindungsprozesses führen, die einem – aus Sicht der kontrollierten
Gesellschaft – Externen, dem Vertragspartner, ein Entscheidungsrecht in einzelnen
unternehmenswesentlichen Bereichen gewähren.
Im Rahmen des aktienrechtlichen Abhängigkeitsbegriffs wurden wegen der Vermutungswirkung des § 18 I S. 2 AktG die Organisationsverträge des § 291 I AktG886
als Beherrschungsmittel anerkannt, Verträge mit Organisations- und Kooperationswirkung werden nicht erfasst, so dass es auch von Standpunkt des deutschen Aktienkonzernrechts nur stringent wäre, auch den konzerngesellschaftsrechtlichen Abhängigkeitsbegriff des § 17 I AktG im Sinne einer organisationsvermittelten Abhängigkeit auszulegen.887 Durch die Anerkennung von Bestellungsrechten (Bestellungsrechtsmehrheit), personellen Verflechtungen sowie des Weisungsrechts aus Beherrschungsverträgen im Rahmen des aktienrechtlichen Abhängigkeitsbegriffs wurde
der Begriff der gesellschaftsrechtlich vermittelten Abhängigkeit ohnehin bereits aufgeweicht.
II. Prüfung der Beherrschungs- und Kontrollmittel
Nunmehr sollen die in den Kapiteln 4 und 5 betrachteten Beherrschungs- und Kontrollmittel auf ihre Eignung zur Ausfüllung des Abhängigkeitsbegriffes der Generalklausel in § 6 I EBRG und Art. 3 I EBR-Richtlinie überprüft werden. Hierzu müssen
sie sich an den zuvor aufgestellten Kriterien messen lassen.
885 Vom Ansatz der Transaktionskostenanalyse her (vgl. Williamson, Die ökonomischen Institutionen des Kapitalismus, deutsche Ausgabe, 1990, S. 324, 342) stellt die Minimierung
der Transaktionskosten ein wichtige Triebfeder für die Kreation von Verträgen dar, die eine Einflussnahme zum Zwecke der Durchsetzung eigener unternehmerischer Interessen
gestatten, aber nicht den finanziellen Aufwand einer Mehrheitsbeteiligung erfordern.
886 Die Einflussnahmemöglichkeit auf der Grundlage der Organisationsverträge des § 291 I
AktG (Beherrschungsvertrag, Gewinnabführungsvertrag) ist nach allgemeiner Meinung
mittlerweile anerkannt; vgl. Hüffer, Aktiengesetz, 7. A. 2006, § 17 Rn. 12.
887 Einen Ansatz in dieser Art unternahm auch Kohte, Betrieb und Unternehmen unter dem
Leitbild des Organisationsvertrages, S. 119, 241 ff., 402 ff.
303
1. Einfache Abhängigkeit – alleinige Kontrolle
a) Beherrschungs- und Kontrollmittel entsprechend der Regelbeispiele § 6 II EBRG,
Art. 3 II EBR-Richtlinie
Eine Auslegung der Stimmrechtsmehrheit ergab, dass auch eine sog. Hauptversammlungspräsenzmehrheit hierfür ausreichend ist. Ebenso kann die Stimmrechtsmehrheit aufgrund von Stimmbindungsverträgen erreicht werden.
b) Beherrschungs- und Kontrollmittel nach § 6 I EBRG, Art. 3 I EBR-Richtlinie
Neben den gesetzlichen Regelbeispielen ließen sich noch eine Reihe anderer Beherrschungs- und Kontrollmittel finden, die auf ihre Eignung zur Ausfüllung der Generalklausel zu prüfen sind.
aa) Verträge: Organisationsverträge, Verträge mit Organisationscharakter
Innerhalb der vertragsbasierten Beherrschungs- und Kontrollmittel gewähren Organisationsverträge und Verträge mit Organisationscharakter die Möglichkeit einer direkten Einflussnahme. Organisationsverträge sind dadurch gekennzeichnet, dass die
Entscheidungszuständigkeit und der Entscheidungsprozess hinsichtlich sämtlicher
unternehmenswesentlicher Entscheidungsbereiche888 auf das herrschende Unternehmen verlagert werden. Die im Vertragswege bewirkte Zuständigkeitsänderung
ermöglicht eine Fremdbestimmung der abhängigen Gesellschaft.
Hierzu zählen auch die im deutschen Recht als Beherrschungsverträge nach § 291
I 1. Alt. AktG bekannten Verträge. Die durch diese Verträge bewirkte Zuständigkeitsverlagerung, verändert gleichzeitig die innergesellschaftliche Struktur der abhängigen Gesellschaft, da deren Organen eine bestimmte Entscheidungsalternative
vorgegeben wird. Die Strukturänderung liegt nicht wie bei der Mehrheit der Stimmoder Bestellungsrechte im Bereich der Zusammensetzung der Organmitglieder in
der abhängigen Gesellschaft, sondern hierdurch werden die Organisations- und Entscheidungsstrukturen verändert. Beispielhaft für Verträge mit Organisationscharakter sind die Just-in-Time-Zulieferverträge in Form der Gruppen III und IV.889 Hierbei verlagert sich der Entscheidungsprozess hinsichtlich einzelner unternehmenswesentlicher Entscheidungsbereiche auf den Hersteller im Wege einer einseitigen Anpassung des Zulieferers an die Unternehmensorganisation des Herstellers auf der
Grundlage des Zuliefervertrages. Üblich sind Vertragsklauseln über die Verpflichtung des Lieferanten zu bestimmten produkt- und vertragsspezifischen Investitionen,
888 Sofern vertraglich keine Einschränkung erfolgt.
889 Zur Einteilung der Just-in-Time-Verträge, siehe Kapitel 5.
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zu sequenzgenauer Fertigung und Anlieferung sowie Vorgaben zur Produktionsorganisation und die Beteiligung des Lieferanten an der Produktentwicklung. Damit
werden die unternehmerischen Entscheidungsbereiche Investitionen/Finanzen, Produktionsorganisation, Produktentwicklung und Absatz per Vertrag einer Fremdorganisation durch den Hersteller geöffnet. Der Vertrag schafft in diesen Bereichen eine
direkte Einwirkungsmöglichkeit zu Gunsten des Herstellers, verbunden mit einer
Fremdbestimmung des Lieferanten. Enthält der Just-in-Time-Liefervertrag Anpassungsklauseln, kann über diese u. U. Rationalisierungsdruck ausgeübt werden, mit
der Folge einer indirekten Beeinflussung im Finanz- und Personalbereich. Als
Druckmittel zur Durchsetzung der Wünsche des Herstellers dienen vertragliche
Schadensersatzansprüche sowie die Drohung mit der Beendigung des für den Zulieferer meist existentiell notwendigen Vertrages. Hierbei liegt die Strukturänderung
ebenfalls im Bereich der Organisations- und Entscheidungsstrukturen.
bb) Satzungs- oder vertragsbasierte Zustimmungserfordernisse
Während die zuvor genannten Verträge es dem herrschenden Unternehmen ermöglichen, dem abhängigen Unternehmen Vorgaben oder Weisungen zu erteilen, ergab
die empirische Untersuchung auch Formen, bei denen satzungsmäßig oder vertraglich Zustimmungserfordernisse oder Vetorechte vereinbart wurden, bei denen das
herrschende Unternehmen im Wege einer Negativauslese Entscheidungen blockieren kann.890 Dies ermöglicht ebenso eine Reduktion der Entscheidungsalternativen
und ebenfalls eine direkte Steuerung unternehmenswesentlicher Entscheidungen im
abhängigen Unternehmen. Welche unternehmenswesentlichen Entscheidungsbereiche (Produktion, Organisation, Beschaffung, Absatz, Finanzierung, Investitionen
und Personal) dabei betroffen werden, hängt vom Inhalt der Vereinbarung ab. Die
faktische Verlagerung von (Mit-)Entscheidungszuständigkeiten auf den Zustimmungsberechtigten führt zu einer Fremdbestimmung und bewirkt eine Änderung der
Entscheidungsstruktur.
cc) Liefer- und Kreditbeziehungen auf austausch- bzw. relationalvertraglicher Basis
Untersucht wurden auch Liefer- und Kreditbeziehungen, die gekennzeichnet sind
durch überdurchschnittliche und atypische Leistungspflichten, wie z.B. eine Exklusivbelieferung oder ein Investitionsverzicht zugunsten einer Belieferung ausschließlich durch den Vertragspartner verbunden mit sehr hohen Liefer- oder Kreditvolumina und einer überdurchschnittlich langen Laufzeit. Solche Verträge sind für das
890 Die Möglichkeit, Aktionen und Entscheidungen in einem anderen Unternehmen blockieren
zu können, stellt nach Ansicht der Kommission eine Kontrolle über dieses Unternehmen
dar; vgl. Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO
(EWG) Nr. 4064/89, ABl. (EG) 1998 Nr. C 66/05, Tz. 19.
305
betroffene Unternehmen oft von existentieller Bedeutung, da die Ausweichmöglichkeiten auf andere Abnehmer, Lieferanten oder Kreditgeber meist sehr gering sind.
Die Entscheidungszuständigkeiten sind in den vertraglich fixierten Bereichen auf
das andere (das herrschende) Unternehmen verlagert. Diesem wird eine indirekte
Einwirkungsmöglichkeit gewährt. Diese ist mit einem sehr effizienten Druckmittel
gekoppelt, der Drohung mit der Beendigung des für den „schwächeren“ Vertragspartner existentiellen Vertrages. Das Druckmittel zeigt eine unternehmensbezogene
Wirkung und schafft die Möglichkeit einer Fremdbestimmung.
Bei Lieferbeziehungen mit atypischen und überdurchschnittlichen Leistungspflichten, die für einen Vertragspartner existentiell sind, kann der „marktmächtigere“ Vertragspartner auf der Grundlage des Vertrages das Absatzverhalten beim
„schwächeren“ Vertragspartner bestimmen. Der Absatz stellt einen unternehmenswesentlichen Entscheidungsbereich dar. Liegt die Beeinflussungsmöglichkeit einzig
im Bereich Absatz/Beschaffung, tritt das Problem der Abgrenzung zur marktbedingten Abhängigkeit nach § 20 II GWB auf.
Das EBRG ist von seinem Ansatz her kein marktregulierendes Gesetz. Es erhebt
daher nicht den Anspruch, Unternehmen vor einer marktbedingten Abhängigkeit zu
schützen. Das EBRG will Schutz bieten vor Informationsasymmetrien aus einer
Fremdbestimmung in den unternehmenswesentlichen Entscheidungsbereichen, die
Auswirkungen auf die Arbeitnehmer haben. Es kann daher keinen weiter gehenderen
Schutz vor marktbedingter Abhängigkeit gewähren als § 20 GWB. Somit muss zur
Beeinflussungsmöglichkeit im Absatzbereich eine Verdichtung der Einflussnahme
und Fremdbestimmung hinzukommen, die dem einwirkungsprivilegierten Unternehmen Einflussnahmemöglichkeiten in einem weiteren unternehmenswesentlichen
Entscheidungsbereich gewährt. Dies kann beispielsweise geschehen durch eine
Ausweitung der vertraglichen Beziehungen hin zu einer Verpflichtung zu besonderen Investitionen, z.B. zur Herstellung hochspezifizierter Teile (wie z.B. bei Just-in-
Time-Lieferbeziehungen der Gruppen III und IV891) oder durch Bestellungsrechte
hinsichtlich einzelner Aufsichtsratsmitglieder (personelle Verflechtungen möglich)
oder durch Einräumung einer Minderheitsbeteiligung. Diese institutionalisierte Verdichtung entspricht einer „strukturellen Verflechtung“, die die Kommmission für die
Annahme eines Kontrollerwerbs im Zusammenhang mit Liefer- und Kreditverträgen
fordert.892
Kreditbeziehungen sind für eine Betrachtung unter dem Aspekt einer Fremdbestimmung und Beeinflussung wesentlicher unternehmerischer Entscheidungsbereiche nur dann interessant, wenn es sich um große Kreditvolumina handelt, die im
Verhältnis zum durchschnittlichen Jahresbetriebsergebnis, einen mehr als 10jährigen Tilgungszeitraum erfordern und der Kredit für dieses Unternehmen existentiell ist.
891 Zur Typisierung wird auf Kapitel 5 verwiesen.
892 Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) Nr.
4064/89, ABl. (EG) 1998 Nr. C 66/05, Tz. 9.
306
Druckmittel zur Einflussnahme auf den unternehmenswesentlichen Finanzbereich
ist die Drohung mit der Aufkündigung des Darlehens, welches dem kreditnehmenden Unternehmen den Hauptteil seines Fremdkapitals entziehen würde.
Hier liefert das EBRG selbst in § 6 IV EBRG (Art. 3 IV EBR-Richtlinie) in Verbindung mit Art. 3 V lit. a) und c) FKVO eine Beurteilungsgrundlage. § 6 IV EBRG
vermutet zugunsten von Investment- und Beteiligungsgesellschaften im Sinne des
Art. 3 V lit. a) und c) FKVO, dass sie nicht als herrschende Unternehmen im Sinne
des EBRG gelten, wenn sie an einem anderen Unternehmen zwar stimmberechtigte
Anteile halten, aber an dessen Leitung nicht beteiligt sind und sofern sie ihre Stimmrechte nicht dazu nutzen, das Wettbewerbsverhalten dieses Unternehmens zu
bestimmen. Dies gilt also nur, wenn keine Bestellungsrechte zugunsten dieser Kreditinstitute, Versicherungs-, Investment- und Beteiligungsgesellschaften bestehen
und diese Unternehmen ihre Position aus den Stimmrechten nicht zu einer Einflussnahme im Hinblick auf die unternehmenswesentlichen Entscheidungsbereiche – hier
insbesondere dem Finanzbereich – ausnutzen. Hintergrund dieser Regelung ist, dass
Kredit- und sonstige Finanzinstitute oft keine eigenen industriellen Interessen in den
Gesellschaften verfolgen, an denen sie beteiligt sind, sondern Kapitalanlageinteressen oder bei Kreditierungen, das Interesse an einer optimalen Vertragsdurchführung
– Darlehensrück- und Zinszahlungen – im Vordergrund stehen.
Wenn diese Annahme der Nichtverfolgung eigener industrieller Interessen für das
Halten von stimmberechtigten Anteilen gilt, ist sie auch anwendbar auf rein kreditvertragliche Beziehungen, ggf. in Kombination mit einer Minderheitsbeteiligung.
Abgrenzungskriterium ist somit die Verfolgung eigener industrieller Interessen
durch die kreditgewährenden Unternehmen. Neben Kredit- und sonstigen Finanzinstituten können auch Industrieunternehmen Kredite gewähren, für die wiederum die
Annahme der Verfolgung eigener industrieller Interessen und eine Absicht zur Kontrolle und Beeinflussung des kreditierten Unternehmens nahe liegt. Da ihre Hauptgeschäftstätigkeit gerade nicht in der Vergabe von Krediten oder der Kapitalanlage
besteht, dient die Kreditierung eines (Konkurrenz-)Unternehmens dem Zweck der
Beobachtung und Kontrolle des Wettbewerbers. Die bestehende Kreditbeziehung
wird häufig ausgebaut, um die Einflussnahmemöglichkeiten auf andere unternehmenswesentliche Entscheidungsbereiche auszuweiten. Wird die Anbindung verstärkt z.B. durch die Einräumung einer (Minderheits-)Beteiligung oder von Zustimmungs- oder Vetorechten im Hinblick auf bestimmte wesentliche Entscheidungen,
die Gewährung von Aufsichtsratsmandaten (ermöglicht personelle Verflechtungen)
oder organisatorische Verflechtungen, wie z.B. Exklusivlieferverträge mit Investitionsverpflichtungen oder Investitionsverzicht,893 wird das Spektrum der Einfluss-
893 So wurden beispielsweise in der Entscheidung Warner-Lambert/Gillette (Kommissionsentscheidungen IV/33.440 und IV/33.486 vom 10.11.1992, ABl. 1993 L 116/21) die bestehenden Kreditbeziehungen – mehrere Darlehen von insges. 96,3 Mio. USD von Gillette an
seinen Mitwettbewerber Eemland – verstärkt durch eine Exklusivbelieferung Eemlands an
Gillette sowie eine 22 %ige Kapitalbeteiligung Gillettes an Eemland. Den Gegensatz hierzu bildet die BuM-Entscheidung des BGH (BGHZ 90, 381), bei der die kreditgebende
307
nahmemöglichkeiten auf andere unternehmenswesentliche Entscheidungsbereiche
ausgeweitet, die eine Kontrolle und Fremdbestimmung des Wettbewerbers ermöglichen. Das kontrollierende Unternehmen kann sich das andere Unternehmen über die
ausgeübte Beeinflussung seinen eigenen industriellen Interessen dienstbar machen.
Hieraus entsteht für das kontrollierte Unternehmen die Gefahr einer Fremdorganisation.
Für den Abhängigkeitsbegriff war als Merkmal die Möglichkeit der Einflussnahme auf unternehmenswesentliche Entscheidungsbereiche auf der Basis der Verlagerung von Entscheidungszuständigkeiten und in der Struktur des Entscheidungsprozesses im abhängigen bzw. kontrollierten Unternehmen zu Grunde gelegt worden.
Das EBRG hat hierbei den Schutz vor Informationsdefiziten im Hinblick auf unternehmerische Entscheidungen mit Auswirkungen auf die Arbeitnehmer im Auge.
Die Gefahren liegen hierbei in einer Fremdbestimmung und Fremdorganisation
durch ein Einfluss ausübendes Unternehmen. Diese Fremdorganisationswirkung
kann im Abhängigkeitsbegriff erfasst und abgebildet werden, wenn man nicht nur
Unternehmensverbindungen mit Veränderungen in der Beteiligungs- und Personalstruktur als Grundlage für die Einflussnahmemöglichkeit anerkennt, sondern auch
solche miteinbezieht, denen Strukturveränderungen im Bereich der Organisation des
Entscheidungsfindungsprozesses zu Grunde liegen.
Werden Liefer- oder Kreditbeziehungen in der zuvor beschriebenen Weise zum
Zwecke der Erweiterung des Einflussnahmespektrums ausgebaut, lassen sich folgende strukturelle Veränderungen feststellen: Die Einräumung von Aufsichtsratsmandaten verändert die Personalstruktur in den Organen des kontrollierten Unternehmens, eine Minderheitsbeteiligung verändert die Gesellschafterstruktur. Die
Vereinbarung von Zustimmungs- oder Vetorechten verändert die Struktur des Entscheidungsfindungsprozesses und die innergesellschaftliche Organisationsstruktur.
Exklusivlieferpflichten mit Investitionsverpflichtungen oder Investitionsverzicht begünstigen eine organisatorische Anbindung an das kontrollierende Unternehmen894
und bringen Veränderungen in der Organisations- und Entscheidungsstruktur mit
sich. Dem Argument fehlender Dauerhaftigkeit der Liefer- oder Kreditbeziehung
aufgrund der Kündbarkeit solcher Verträge kann entgegengetreten werden, da auch
Mehrheitsbeteiligungen veräußerbar sind und die Einräumung von Bestellungsrechten aufhebbar ist. Zudem wurden hier die Vertragsbeziehungen fokussiert, die atypische und überdurchschnittliche Leistungspflichten sowie eine überdurchschnittliche
Vertragslaufzeit (Knebelungseffekt) beinhalteten.
Fazit: Für die abhängigkeits- bzw. kontrollbegründende Wirkung extensiver Liefer- und Kreditverträge mit überdurchschnittlichen Pflichten und Laufzeit und der
existentiellen Bedeutung für einen Vertragspartner kann Folgendes zusammenge-
Bank keine industriellen Interessen verfolgt und auch nicht auf eine Ausweitung des
Einflussnahmespektrums bedacht war.
894 Wie z.B. bei Just-in-Time-Lieferbeziehungen, hierzu in Kapitel 5.
308
fasst werden: Lieferverträge können abhängigkeitsbegründend wirken, wenn – in
Abgrenzung zur marktbedingten Abhängigkeit – die vertragliche Beziehung eine
Verdichtung erfährt, so dass neben dem Absatzbereich Einflussnahmemöglichkeiten
in einem weiteren unternehmenswesentlichen Entscheidungsbereich geschaffen
werden. Bei Kreditbeziehungen ist zu prüfen, ob das kreditierende Unternehmen eigene industrielle Interessen verfolgt. Ein Indiz bildet die Kreditierung durch Konkurrenzunternehmen, die auf demselben Markt tätig sind, wie das kreditierte Unternehmen. Die Verfolgung eigener industrieller Interessen ist häufig manifestiert
durch eine Ausweitung der Einflussnahmefelder, die eine Fremdbestimmung und
Kontrolle ermöglicht, die den eigenen Wettbewerbsinteressen nützt. Die Einflussnahmemöglichkeiten auf die wesentlichen unternehmerischen Entscheidungsbereiche müssen auf einer Veränderung der internen Entscheidungsstrukturen basieren.
Eine Ausweitung der Einflussnahmefelder kann z.B. durch eine Verknüpfung mit
einer Minderheitsbeteiligung,895 personellen Verflechtungen896 (einzelne Organbestellungsrechte) oder organisatorischen Verflechtungen897 erfolgen. Personelle Verflechtungen oder einzelne Bestellungsrechte verändern die Personalstruktur, eine
Minderheitsbeteiligung die Gesellschafterstruktur und organisatorische Verflechtungen die Organisations- und Entscheidungsstruktur. Hierüber wird eine Fremdorganisationswirkung hergestellt. Durch die organisationsvermittelte Prägung des Abhängigkeitsbegriffs von EBR-Richtlinie und EBRG kann eine vertragsbasierte Fremdbeeinflussung erfasst werden. Enge Liefer- und Kreditbeziehungen sind somit unternehmensgruppenrelevant, wenn sie eine Fremdbeeinflussungsmöglichkeit in unternehmenswesentliche Entscheidungsbereiche eröffnen, die auf einer Veränderung der
Personalstruktur in den Organen oder einer Änderung der Entscheidungsstrukturen
basieren.
dd) Personelle Verflechtungen
Personelle Verflechtungen meint die Besetzung einzelner Aufsichts- oder Leitungsorganmandate mit Organmitgliedern aus der kontrollierenden, herrschenden Gesellschaft oder anderen Personen unterhalb der Schwelle der Mehrheit der Bestellungsrechte (§ 6 II Nr. 1 EBRG). Diese Bestellungsrechte schaffen zwar keine Personalhoheit in den Organen der kontrollierten, abhängigen Gesellschaft, vermitteln aber
dennoch eine wichtige Einflussnahmeposition. Die bestellten Organmitglieder können auf Entscheidungen hinwirken, die den Interessen des kontrollierenden Unternehmens entsprechen. Dabei ist die Beeinflussungsmöglichkeit nicht auf einzelne
895 Vgl. Entscheidung der Europäischen Wettbewerbskommission RVI/VBC/Heuliez, Kommissionsentscheidung IV/M.092 v. 03.06.1991, Tz. 4, zu finden: www.europa.eu.int/
comm/dg04/merger/cases.
896 Vgl. Entscheidung der Hohen Behörde Hoesch/Hoogovens, 15. Gesamtbericht über die
Tätigkeiten der Europäischen Gemeinschaften 1966/67, Tz. 226f.
897 Siehe hierzu Kapitel 4.
309
Gegenstandsbereiche der unternehmenswesentlichen Entscheidungen beschränkt.
Die Einräumung der Bestellungsrechte bewirkt eine Änderung in der Personalstruktur innerhalb der Organe.
ee) Kombinierte Beherrschungs- und Kontrollmittel
Die eben betrachteten personellen Verflechtungen bzw. Bestellungsrechte unterhalb
der Bestellungsrechtsmehrheit sind häufig kombiniert mit anderen Einflussnahmemitteln.
Kombinierte Beherrschungs- und Kontrollformen sind solche, bei denen einzelnen Faktoren, die für sich allein nicht für eine Kontrolle bzw. Beherrschung ausreichen, im Zusammenwirken mit anderen Mitteln kontroll- bzw. abhängigkeitsbegründend wirken können. Untersucht wurden hier insbesondere extensive Lieferbzw. Kreditverträge898 in Kombination mit personellen Verflechtungen,899 Minderheitsbeteiligungen900 oder organisatorischen Verflechtungen.901 Sofern die Vertragsbeziehungen hierdurch eine organisatorische Verdichtung erfahren, basierend auf
einer strukturellen Veränderung, mit der Einflussnahmemöglichkeiten auf einen
weiteren unternehmenswesentlichen Entscheidungsbereich eröffnet werden, kann
eine abhängigkeits- bzw. kontrollbegründende Wirkung dieser kombinierten Formen
gegeben sein.
2. Mehrfache Abhängigkeit – gemeinsame Kontrolle – joint control
a) Beherrschungs- und Kontrollmittel entsprechend der Regelbeispiele § 6 II EBRG,
Art. 3 II EBR-Richtlinie
Die Stimmrechtsmehrheit und die Mehrheit der Bestellungsrechte kann durch Addition der Stimm- oder Bestellungsrechte zweier (oder mehr) Unternehmen erreicht
werden, wenn deren gemeinschaftliches Handeln bzw. die Mitkontrollmöglichkeit
jedes einzelnen Unternehmens in Bezug auf die Beeinflussung eines dritten Unternehmens sichergestellt ist. Dies kann z.B. geschehen durch eine paritätische Beteiligung, eine disparitätische Beteiligung mit Vetorechten oder Stimmbindungs- bzw.
Stimmenpoolverträge. Das gemeinschaftliche Vorgehen im Hinblick auf die Beeinflussung des kontrollierten Unternehmens führt zu einer gemeinschaftlichen Aus-
898 Siehe zuvor 1 b cc).
899 Vgl. Entscheidung der Hohen Behörde Hoesch/Hoogovens, 15. Gesamtbericht über die
Tätigkeiten der Europäischen Gemeinschaften 1966/67, Tz. 226f.
900 Vgl. Entscheidung der Europäischen Wettbewerbskommission RVI/VBC/Heuliez, Kommissionsentscheidung, IV/M.092 v. 03.06.1991, Tz. 4, zu finden: www.europa.eu.int/
comm/dg04/merger/cases.
901 Siehe hierzu Kapitel 4.
310
übung der Stimmrechts- oder Bestellungsrechtsmehrheit. Deren Wirkungen auf das
kontrollierte, abhängige Unternehmen sind dieselben wie bei einer einfachen Abhängigkeit bzw. alleinigen Kontrolle nur mit dem Unterschied des Einigungszwanges zwischen den herrschenden (kontrollierenden) Unternehmen im Hinblick auf die
Willensbildung zur Einflussnahme im abhängigen, kontrollierten Unternehmen.
Gegenstand der Einflussnahme können sämtliche unternehmenswesentliche Entscheidungsbereiche (Produktion, Organisation, Beschaffung, Absatz, Finanzierung,
Investitionen und Personal) sein, da die herrschenden, kontrollierenden Unternehmen über ihre Personalhoheit in den Organen der kontrollierten Gesellschaft diese
beeinflussen und steuern können. Bei disparitätischen Beteiligungen mit Vetorechten ist die Mitkontrollmöglichkeit für den Inhaber des Vetorechts auf dessen vertraglich ausgehandelten Umfang begrenzt. Die Personalhoheit gestattet nur eine indirekte Einflussnahme, Druckmittel ist die Androhung persönlicher Nachteile für die Organsmitglieder. Es entfaltet daher eine personenbezogene Wirkung. Stimm- und Bestellungsrechtsmehrheit basieren auf einer Änderung der Personalstruktur in den Gesellschaftsorganen der abhängigen, kontrollierten Gesellschaft.
b) Beherrschungs- und Kontrollmittel nach § 6 I EBRG, Art. 3 I EBR-Richtlinie
aa) Verträge oder Satzungsbestimmungen über die Errichtung gemeinsamer Gremien
Die Mutterunternehmen gründen einzelne Geschäftszweige aus und übertragen sie
auf ein (oder mehrere) Gemeinschaftsunternehmen. Häufig per Satzungsbestimmung, aber auch vertraglich, werden einzelne oder sämtliche unternehmenswesentlichen Entscheidungsbereiche (Produktion, Organisation, Beschaffung, Absatz, Finanzierung, Investitionen und Personal) der Entscheidungsgewalt eines gemeinsam
besetzten Gremiums übertragen. Hierin liegt eine Zuständigkeitsverlagerung im
Hinblick auf einzelne unternehmenswesentliche Entscheidungen - nicht die Organe
des Gemeinschaftsunternehmens, sondern ein Gremium entscheidet über sie. Aus
der Sicht des Gemeinschaftsunternehmens stellt sich dies als Abweichung vom Leitbild der unabhängigen Gesellschaft dar mit einer Fremdorganisation in diesen Bereichen. Hinsichtlich der in die Entscheidungsgewalt des Gremiums übertragenen Bereiche haben die Mutterunternehmen wegen der gemeinschaftlichen Willensbildung
im Gremium eine direkte Einflussnahmemöglichkeit auf die unternehmenswesentlichen Entscheidungen im kontrollierten Gemeinschaftsunternehmen. Die Einflussnahmemöglichkeiten stehen ihnen jedoch nur gemeinschaftlich zu. Der Vertrag, der
die Übertragung von Entscheidungszuständigkeiten auf das Gremium konstituiert,
kann als Organisationsvertrag klassifiziert werden, sofern er die Zuständigkeit für
sämtliche unternehmenswesentliche Entscheidungsbereiche dem Gremium zuschreibt oder als Vertrag mit Organisationscharakter, sofern er die Zuständigkeit nur
311
für einzelne unternehmenswesentliche Entscheidungsbereiche überträgt.902 Verträge,
die eine Verlagerung von Entscheidungszuständigkeiten auf Gesellschafts-Externe
statuieren, können als Verträge mit Organisationswirkung zusammengefasst werden.
Sie bewirken strukturelle Veränderungen im innergesellschaftlichen Prozess der
Entscheidungsfindung, basierend auf einer Auslagerung von Entscheidungszuständigkeiten auf ein gesellschaftsexternes Gremium. Hierdurch wird eine organisationsvermittelte Abhängigkeit im Sinne von EBR-Richtlinie und EBRG begründet.
bb) Verträge, die Vetorechte gewähren
Verträge über Vetorechte sind Verträge zwischen den Mutterunternehmen, die einem Vertragspartner ein Mitentscheidungsrecht einräumen hinsichtlich bestimmter
unternehmenswesentlicher Entscheidungen im gemeinsam kontrollierten Unternehmen. Dabei kann der das Vetorecht gewährende Vertragspartner ein Mitentscheidungsrecht nur hinsichtlich der Einflussnahmepositionen übertragen, die er selbst
innehat. Wenn er beispielsweise auf der Grundlage einer Stimm- oder Bestellungsrechtsmehrheit über die Personalhoheit in den Organen des Gemeinschaftsunternehmens lediglich eine indirekte Einflussnahmemöglichkeit besitzt, kann der Vetoberechtigte nur hieran partizipieren. Das Mitentscheidungsrecht des Vetoberechtigten ist somit auf die Art der dem Vertragspartner zustehenden Einflussnahmemöglichkeit begrenzt; es ist damit akzessorisch. Das vertraglich eingeräumte Mitentscheidungsrecht splittet die auf den Inhaber der Einflussnahmemöglichkeit verlagerte Entscheidungszuständigkeit und Fremdbestimmung im Gemeinschaftsunternehmen unter den Vertragspartnern auf. Eine organisationsvermittelte Abhängigkeit im
Sinne von EBR-Richtlinie und EBRG wird somit durch den Vetoberechtigten und
dessen Vertragspartner begründet.
cc) Sonderfall: faktisches Vetorecht durch Exklusivliefervertrag
Die Untersuchung der Entscheidungen der Wettbewerbskommission hat eine Besonderheit hervorgebracht: in der Entscheidung RVI/VBC/Heuliez903 hielt die Holding Henri Heuliez eine 51 %ige Mehrheitsbeteiligung an Heuliez Bus. Ein 10jähriger Exklusivliefervertrag zwischen Heuliez Bus und RVI, einer Renault-
Tochter, sowie Renault’s mittelbare Beteiligung wirken wie ein faktisches Vetorecht
zugunsten RVI’s. Um den Exklusivliefervertrag mit RVI nicht zu gefährden, werden
Heuliez Bus und die Holding Henri Heuliez eine Einigung hinsichtlich der unternehmenswesentlichen Entscheidungen bei Heuliez Bus suchen, insbesondere weil
902 Siehe unten B.
903 Kommissionsentscheidung IV/M.092 v. 03.06.1991, Tz. 4, zu finden: www.europa.eu.int/
comm/dg04/ merger/cases; näher in Kapitel 4 C.
312
der Exklusivliefervertrag für Heuliez Bus von existentieller Bedeutung ist. RVI partizipiert damit faktisch an der indirekten Einflussnahmemöglichkeit der Holding
Henri Heuliez auf unternehmenswesentliche Entscheidungen bei Heuliez Bus. Eine
organisationsvermittelte Abhängigkeit im Sinne von EBR-Richtlinie und EBRG
wird somit für die Holding Henri Heuliez und RVI gemeinsam begründet.
3. Wechselseitige Abhängigkeit – wechselseitige Kontrolle
a) Beherrschungs- und Kontrollmittel entsprechend der Regelbeispiele § 6 II EBRG,
Art. 3 II EBR-Richtlinie
Für eine wechselseitige Mehrheitsbeteiligung (Überkreuzverflechtung) bestimmt
§ 19 III AktG, dass beide Unternehmen jeweils als herrschend und abhängig gelten.
In der Entscheidung Volvo/Renault904 waren die Unternehmen mit je 45 % aneinander beteiligt. Da kein anderer Gesellschafter mehrheitlich beteiligt ist, kann angenommen werden, dass beide Unternehmen jeweils über eine Hauptversammlungspräsenzmehrheit verfügen. Neben der gegenseitigen Beteiligung liegt ein Vertrag
über die Schaffung gemeinsamer Gremien („Komitees“) vor, in dem die Unternehmen einzelne unternehmenswesentliche Entscheidungsbereiche (Forschung und
Entwicklung, Produktionsorganisation und Absatz) der Entscheidungsgewalt der
Gremien unterstellen (Vertrag mit Kooperationscharakter). Die Verträge mit Kooperationscharakter können kontroll- bzw. abhängigkeitsbegründend wirken, da durch
sie Entscheidungszuständigkeiten verlagert werden von den Gesellschaftsorganen
auf gesellschaftsexterne Gremien.
b) Beherrschungs- und Kontrollmittel nach § 6 I EBRG, Art. 3 I EBR-Richtlinie
Allen untersuchten Fallgestaltungen lag ein Vertragsverhältnis zugrunde. In der Entscheidung RTZ/CRA905 unterstellten die Vertragspartner sämtliche unternehmenswesentliche Entscheidungsbereiche der Entscheidungsgewalt der gemeinsam gebildeten Gremien. Ebenso im Fall AG/Amev,906 in dem die Vertragsparteien zwei Tochtergesellschaften ausgründeten und auf diese ihr gesamtes operatives Geschäft übertrugen. Die Steuerung der Gemeinschaftsunternehmen erfolgt über gemeinsam errichtete Gremien, denen sämtliche unternehmenswesentliche Entscheidungen übertragen sind. Die Verträge ermöglichen eine direkte Einflussnahme hinsichtlich sämt-
904 Kommissionsentscheidung IV/M.004 v. 07.11.1990, zu finden: Abl. (EG) C 281/001 und
www.europa. eu.int/comm/dg04/merger/cases.
905 Kommissionsentscheidung IV/M.660 v. 07.12.1995, zu finden: www.europa.eu.int/
comm/dg04/merger/cases.
906 Kommissionsentscheidung IV/M.018 v. 21.11.1990, zu finden: www.europa.eu.int/
comm/dg04/merger/cases.
313
licher unternehmenswesentlicher Entscheidungen. Sie verlagern die Entscheidungszuständigkeiten auf gesellschaftsexterne Entscheidungsgremien und sind daher als
Organisationsverträge zu klassifizieren.
In der Entscheidung Volvo/Renault907 übertrugen die Vertragsparteien einzelne
unternehmenswesentliche Entscheidungsbereiche (Forschung und Entwicklung,
Produktionsorganisation und Absatz) in die Entscheidungsgewalt gesellschaftsexterner Gremien. Im Fall Hoesch/Hoogovens908 wurde die gegenseitige Belieferung mit
Vormaterial vereinbart und zum Gegenstand gemeinsamer, regelmäßiger kaufmännischer und technischer Besprechungen (als quasi-institutionalisiertes Gremium)
gemacht. Das betrifft die Bereiche: Beschaffung/Absatz, Produktion.
Das Besondere der wechselseitigen Kontrolle und Abhängigkeit (reciprocal
control), im Gegensatz zur alleinigen und gemeinsamen Kontrolle (sole und joint
control), liegt in der wechselseitigen Wirkungsrichtung der Einflussnahme: Die beteiligten Unternehmen bilden in den Gremien gemeinschaftliche Entscheidungen,
die ihre eigene Unternehmenstätigkeit wechselseitig beeinflussen. Die Verträge bewirken eine Umorganisation des gesellschaftsinternen Entscheidungsprozesses zugunsten einer Mitentscheidungsmöglichkeit des Vertragspartners. Die unternehmenswesentlichen Entscheidungsbereiche hinsichtlich derer die Entscheidungszuständigkeiten vertraglich auf die gemeinsamen Gremien verlagert wurden, werden
damit durch die beteiligten Unternehmen gemeinsam organisiert, welches im Vergleich zu den autonomen Entscheidungen in einer unabhängigen Gesellschaft aufgrund der Mitentscheidungsmöglichkeit des jeweils anderen Vertragspartners eine
Fremdbestimmung darstellt. Die strukturelle Veränderung liegt in der Änderung der
Organisations- und Entscheidungsstrukturen. Damit stellen auch Organisationsverträge auf der Basis gleichberechtigter Beziehungen sowie Verträge mit Kooperationscharakter taugliche Beherrschungs- und Kontrollinstrumente im Rahmen eines
organisationsvermittelten Abhängigkeitsbegriffs dar.
III. Ergebnis: Beherrschungs- und Kontrollmittel im Sinne eines organisationsvermittelten Abhängigkeitsbegriffs
Nicht nur der Inhaber der Stimm- oder Bestellungsrechtsmehrheit, sondern auch auf
der Grundlage bestimmter Verträge mit Organisationswirkung kann ein Gesellschaftsexterner – der Vertragspartner – beherrschenden Einfluss auf die unternehmenswesentlichen Entscheidungen eines anderen Unternehmens ausüben.
Es wurde festgestellt, dass eine dauerhafte Einflussnahmemöglichkeit auf einer
Umorganisation des gesellschaftsinternen Entscheidungsprozesses zugunsten einer
Beeinflussungsmöglichkeit des Inhabers der Stimm- oder Bestellungsrechtsmehrheit
907 Kommissionsentscheidung IV/M.004 v. 07.11.1990, zu finden: ABl. (EG) C 281/001 und
www.europa.eu.int/comm/dg04/merger/cases.
908 Hohe Behörde, 15. Gesamtbericht über die Tätigkeiten der Europäischen Gemeinschaften
1966/67, Tz. 226f.
314
oder auch zugunsten eines Vertragspartners beruhen kann. Die Stimm- oder Bestellungsrechtsmehrheit gewährt nur eine indirekte Einflussnahmemöglichkeit, basierend auf einer Personalhoheit in den Organen.
Verträge mit Organisationswirkung hingegen gewähren eine direkte Einflussnahmemöglichkeit. Das verschafft dem Vertragspartner eine stärkere Position, da er
nicht auf die „Gefolgschaft“ der Organmitglieder angewiesen ist. Zu den Verträgen
mit Organisationswirkung zählen: Organisationsverträge (als Subordinations- oder
gleichgeordnete Beziehungen), Verträge mit Organisationscharakter (z.B. Just-in-
Time-Lieferbeziehungen der Gruppen III und IV) sowie Verträge mit Kooperationscharakter (Beispiel: Verträge aus der reciprocal control auf der Basis gleichgeordneter Beziehungen). Die direkte Einwirkungsmöglichkeit hinsichtlich sämtlicher oder
einzelner unternehmenswesentlicher Entscheidungsbereiche basiert auf einer Verlagerung von Entscheidungszuständigkeiten auf einen Vertragspartner (Alleinentscheidungsmöglichkeit) oder auf gemeinsam geschaffene Gremien (Mitentscheidungsmöglichkeit). Die Schaffung einer dauerhaften Einflussnahmemöglichkeit
durch Umorganisation des gesellschaftsinternen Entscheidungsprozesses stellt eine
strukturelle Veränderung dar. Der Inhaber der Stimm- oder Bestellungsrechtsmehrheit ist in der Position, die Personalstruktur in den Organen zu ändern; Verträge mit
Organisationswirkung verändern die gesellschaftsinterne Organisations- und Entscheidungsstruktur.
Die Fremdorganisationswirkung aus der Verlagerung von Entscheidungszuständigkeiten ist das Kennzeichen des organisationsvermittelten Abhängigkeits- und
Kontrollbegriffs für Unternehmensgruppen im Sinne des Art. 3 I EBR-Richtlinie
und § 6 I EBRG. Dieser hat den Vorteil sowohl die innergesellschaftliche – auf der
Auswahl von Organpersonen und deren Beeinflussung beruhende – Fremdbeeinflussung als auch die Fremdorganisation durch einen gesellschaftsexternen Vertragspartner über die Verlagerung von Entscheidungszuständigkeiten auf vertraglicher
Basis zu erfassen.
Unternehmensgruppenrelevant sind daher neben den Beherrschungs- und Kontrollmitteln der Regelbeispiele im Sinne der Generalklausel des Art. 3 I EBR-
Richtlinie, § 6 I EBRG auch:
(1) im Rahmen der alleinigen Kontrolle (sole control):
- Organisationsverträge: Kennzeichen: Übertragung sämtlicher unternehmenswesentlicher Entscheidungsbereiche zur Entscheidung auf das herrschende, kontrollierende Unternehmen, Subordinationsverhältnis – Alleinentscheidungsposition
- Verträge mit Organisationscharakter: Beispiel: Just-in-Time-Lieferverträge der
Gruppen III und IV,909 Kennzeichen: Übertragung einzelner unternehmenswesentlicher Entscheidungsbereiche zur Entscheidung auf das herrschende, kontrollierende
Unternehmen, Subordinationsverhältnis – Alleinentscheidungsposition und Einbindung in die Unternehmensorganisation des herrschenden, kontrollierenden Unternehmens unter besonderen Voraussetzungen
909 Siehe Kapitel 5.
315
- atypische, enge Liefer- oder Kreditbeziehungen: gesondert zu prüfen sind dabei
die Einflussnahmemöglichkeiten (direkt/indirekt) auf unternehmenswesentliche Entscheidungsbereiche, insbesondere die über eine Absatz-/Beschaffungsabhängigkeit
hinausgehenden Bereiche; bei Kreditbeziehungen: eigene industrielle Interessen sowie deren Dauerhaftigkeit (Vertragslaufzeit von mehr als 10 Jahren).
(2) im Rahmen der gemeinsamen Kontrolle (joint control):
- Organisationsverträge: Kennzeichen: Übertragung sämtlicher unternehmenswesentlicher Entscheidungsbereiche zur Entscheidung auf gemeinsame Gremien,
gleichberechtigtes Verhältnis – gemeinsame Einigung notwendig
- Verträge über Vetorechte: Verträge zwischen den Mutterunternehmen gerichtet auf
ein Mitentscheidungsrecht, Partizipation an der bestehenden Einflussnahmemöglichkeit des Vertragspartners gegenüber einem dritten, kontrollierten Unternehmen
- unter besonderen Voraussetzungen: Einflussnahmepositionen, insbesondere Vetorechte, auf faktischer Grundlage: Einflussnahmemöglichkeiten auf unternehmenswesentliche Entscheidungsbereiche.
(3) im Rahmen der wechselseitigen Kontrolle (reciprocal control):
- Verträge mit Kooperationscharakter: Beispiel: Formen der wechselseitigen Kontrolle und Abhängigkeit, reciprocal control; Kennzeichen: Übertragung einzelner
unternehmenswesentlicher Entscheidungsbereiche zur Entscheidung auf gemeinsame Gremien, gleichberechtigtes Verhältnis – gemeinsame Einigung notwendig.
- Organisationsverträge, Verträge mit Organisationscharakter sowie Verträge mit
Kooperationscharakter können unter dem Begriff Verträge mit Organisationswirkung zusammengefasst werden. Gemeinsames Merkmal dieser Verträge mit Organisationswirkung ist die Verlagerung von Entscheidungszuständigkeiten auf vertraglicher Grundlage.
B. Typisierung der Verträge als Beherrschungs- und Kontrollmittel im Sinne des § 6
I EBRG, Art. 3 I EBR-Richtlinie
Die wichtigste Gruppe der nicht in den Regelbeispielen typisierten Beherrschungsund Kontrollmittel stellen Verträge dar, die, wenn sie die Anforderungen an taugliche Beherrschungs- und Kontrollmittel im Sinne eines organisationsvermittelten
Abhängigkeitsbegriffs erfüllen, aufgrund ihrer Bedeutung im Wirtschaftsleben mit
zu den wichtigsten Beherrschungs- und Kontrollmitteln innerhalb des Art. 3 I EBR-
Richtlinie, § 6 I EBRG gehören.
Die zuvor dargestellten Verträge mit Organisationswirkung verschaffen direkte
Einwirkungsmöglichkeiten auf unternehmenswesentliche Entscheidungen in den
vertraglich abgesteckten Bereichen. Die direkte Einwirkungsmöglichkeit ist ein
Mehr gegenüber der indirekten Einflussnahmemöglichkeit, die die gesetzlich typisierten Regelbeispiele gewähren können. Hinzu kommt, dass sie einem Gesellschafts-Externen, dem Vertragspartner, (Mit-)Entscheidungszuständigkeiten im
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Europaweit agierende Unternehmen bevorzugen zunehmend Formen der Einflussnahme auf andere Gesellschaften, die sich nicht mehr nur über die Kategorien Austauschvertrag und Konzern erfassen lassen. Um diese einer rechtlichen Regelung zuführen zu können, müssen sie strukturell erfasst und einem Rechtsbegriff zugeordnet werden.
Ausgehend von dem in der EBR-Richtlinie verwendeten Begriff der Unternehmensgruppe werden in dieser Studie vielfältige Abhängigkeitsbeziehungen untersucht. Über die bisher vom deutschen Konzernrecht betrachteten gesellschaftsrechtlich vermittelten Beherrschungsgrundlagen hinausgehend, gelingt die strukturelle Erfassung von organisationsvertraglichen Einflussnahmeformen. Die entwickelten Strukturelemente von Unternehmensgruppen sind auch für andere Bereiche des europäischen Rechts der Unternehmensverbindungen von größtem Interesse.