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rungsmaßnahmen gedrängt. Das hat weit reichende Konsequenzen für die Mitwirkungsrechte und Interessen der Arbeitnehmer.
Im Folgenden sollen die Zulieferbeziehungen zwischen Automobilherstellern und
deren Lieferanten im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Arbeitnehmer analysiert und der Frage nach einer Einbeziehung solcher Unternehmensverbindungen in
den Gruppenbegriff des § 6 I EBRG nachgegangen werden.
Die Auswahl von Zulieferverträgen aus dem Automobilsektor erfolgte vor dem
Hintergrund, dass der Fahrzeugbau in Deutschland großen Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung hat und ihm eine Vorreiterrolle für Ausgestaltung und
Fortentwicklung von Zulieferbeziehungen zukommt.679 Determiniert wurde dies
durch die Herausbildung unternehmensübergreifender Rationalisierungsstrategien
und informationstechnologisch-organisatorischer Verknüpfungen zwischen Herstellern und Zulieferern in Japan und den USA, was einen ungeheuren Wettbewerbsdruck auf dem Automobilmarkt erzeugte.
B. Ökonomischer Hintergrund für die Herausbildung von Hybridformen
Bei den hier zu betrachtenden Zulieferbeziehungen zwischen Automobilherstellern
und ihren Zulieferern bildet die Beschaffungsentscheidung des Herstellers den Ausgangspunkt. Prinzipiell bieten sich ihm verschiedene ökonomische Möglichkeiten:
neben der Eigenfertigung sind die Kapitalbeteiligung an Lieferanten oder Gründung
von Gemeinschaftsunternehmen680 (u. a. zur Forschungs- und Entwicklungskooperation) oder Lieferverträge auf austauschvertraglicher Basis, ggf. als Dauerschuldverhältnis (Langzeitliefervertrag681) denkbar. Der zunehmende Konkurrenzdruck
zwingt ihn auf individuelle Kundenwünsche mit verschiedenen Produkt- und Farbvarianten bei höchster Qualität einzugehen und die effizienteste und kostengünstigste Beschaffungsform auszuwählen. Bei der unternehmensstrategischen Entscheidung
über Eigenfertigung oder Fremdbezug („Make-or-Buy“-Entscheidung) sind die
Transaktionskosten682 des Fremdbezugs den Aufwendungen für die unternehmensinterne Organisation der Leistungserstellung683 gegenüber zu stellen. Der Fremdbezug
ermöglicht die Ausnutzung von Marktchancen, birgt aber bei abnehmerspezifischen
Produkten, für deren Produktion ein Know-how-Transfer notwendig wird, die Ge-
679 Wellenhofer-Klein, Zulieferverträge, S. 54.
680 Wellenhofer-Klein, Zulieferverträge, S. 6.
681 Ebenda.
682 Das meint die Kosten der Nutzung des Marktes, vgl. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 522, 527. Dazu gehören Vereinbarungs-, Abwicklungs-,
Kontroll- und Anpassungskosten, vgl. Wellenhofer-Klein, Zulieferverträge, S. 12.
683 Sog. Agency-Kosten, Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.
528; Schmidt, R., Unternehmensfinanzierung und Kapitalmarkt, in: Schäfer/Ott (Hrsg.),
Ökonomische Analyse des Unternehmensrechts, 1993, S. 170 f.; Wellenhofer-Klein, Zulieferverträge, S. 12.
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fahr der Veruntreuung des Know-hows. Des Weiteren entstehen Kosten für Eingangs- und Qualitätskontrollen.
Bei der Eigenfertigung besteht diese Gefahr nicht, auch der Kontrollaufwand ist
wesentlich geringer. Auch lässt sich die Fertigung in hierarchischen Organisationen
per Anweisung umsetzen, aber nachteilig wirkt sich z.B. aus, dass der Hersteller bei
der Forschung und Weiterentwicklung von Teilen das Kosten- und Entwicklungsrisiko allein zu tragen hat und eine Kosteneffiziensierung als Folge des Konkurrenzdrucks bei Eigenfertigung ausscheidet. Andererseits hängt die Höhe der Transaktionskosten von der Art der zu erbringenden Leistung ab. Markante Eigenschaften
sind Spezifität der Leistung, strategische Bedeutung und Unsicherheit; entscheidend
ist die Spezifität der Leistung.684 Produkte, die abnehmerspezifische Eigenschaften
haben sollen, erfordern vom Vertragspartner vertragsspezifische Investitionen, solche, die für den Vertragszweck, der Schaffung dieses speziellen Produktes, getätigt
werden und deren Wert vom Fortbestehen des Vertrags abhängt.685 Das heißt, bei
Vertragsbeendigung kann der Vertragspartner diese Investitionen nicht mehr nutzen
(vertragsspezifisches Kapital). Strategische Bedeutung meint die Bedeutung des
Leistungsteils für das Ansehen des Gesamtprodukts,686 wichtiger Aspekt dabei ist
die Sicherstellung der Geheimhaltung des verwendeten Know-hows. Unsicherheit
meint qualitative, quantitative, terminliche und technische Änderungen der vertraglichen Leistungen,687 die ein flexibles Reagieren auf Kundenwünsche und Marktlage
ermöglichen soll. Das erfordert die vertragliche Schaffung von Vertragsanpassungsmechanismen. Das vom Hersteller zu ermittelnde Optimum liegt an der
Schnittstelle zwischen Nutzung der Marktmechanismen und dem durch Spezifität
verursachten Kontroll- und Anpassungsaufwand. Bei unspezifischen Produkten
(Standard-, Massenprodukte) entstehen nur geringe Transaktionskosten, so dass ein
Austausch des Vertragspartners unkompliziert ist. Bei solchen Produkten überwiegen die Vorteile aus den Markt- und Wettbewerbsmechanismen. Damit verbleibt es
bei diesen Produkten bei austauschvertraglichen Kooperationen.
Für die Produkte mit abnehmerspezifischen Eigenschaften müssen vertragsspezifische Investitionen getätigt werden, die bei Vertragsbeendigung ihren Nutzen für
den Zulieferer verlieren. Das verlangt nach Sicherheit. Dem Sicherheitsbedürfnis des
Zulieferers wird mit längerfristigen Verträgen, die eine Amortisation der Investitionen ermöglichen, entsprochen. Die Einbindung in Forschungs- und Entwicklungsaufgaben ermöglicht eine Streuung der Entwicklungs- und Kostenrisiken. Informationspflichten schaffen Vertrauen und entschärfen Interessengegensätze.688 689 Ver-
684 Williamson, Die ökonomischen Institutionen des Kapitalismus, S. 59 ff., 64; Wellenhofer-
Klein, Zulieferverträge, S. 13.
685 Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 523.
686 Vgl. Wellenhofer-Klein, Zulieferverträge, S. 14.
687 Williamson, Die ökonomischen Institutionen des Kapitalismus, S. 64, 67 f.; Wellenhofer-
Klein, Zulieferverträge, S. 14.
688 Wellenhofer-Klein, Zulieferverträge, S. 14.
689 Weiter gehender: Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 522
Fn.1, die eine Ausrichtung der Vertragspartner auf ein gemeinsames Ziel annehmen. Das
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tragsanpassungsklauseln erhalten die Flexibilität der Kooperationsbeziehung. Eine
EDV-Vernetzung ermöglicht flexibles Reagieren auf Kundenwünsche und schafft
damit eine organisatorische Einbindung in die Arbeitsorganisation des Herstellers
sowie Kontrollmöglichkeiten. Solche Vereinbarungen ermöglichen den Spagat der
Nutzung von Marktmechanismen und der organisatorischen Einbindung auf der
Schwelle zum Organisationsvertrag; sie werden als symbiotische Verträge bezeichnet.690 Ihre Kennzeichen sind: vertragsspezifische Investitionen (vertragsspezifisches
Kapital691), Anpassungsklauseln sowie eine organisatorische, technologische Integration in die (Produktions-)Organisation eines Vertragspartners.
Der zunehmende Kostendruck auf dem Automobilmarkt zwingt die Hersteller zur
Optimierung der Beschaffungsformen für sämtliche Teile. Wo die Vorteile aus der
Nutzung von Marktmechanismen und der organisatorischen Einbindung der Zulieferer über die soeben beschriebenen symbiotischen Verträge gezogen werden können,
wird dies als optimierte Beschaffungsform genutzt. Das hat zu einer Reduzierung
der Fertigungstiefe, zu einem vermehrten Zukauf von Teilen, durch die Hersteller
geführt:692 Durchschnittlich werden in der Automobilbranche nur noch ca. 30% der
Teile eigengefertigt.693 Weitere Kosteneinsparungen erreichen die Hersteller durch
eine auf einer EDV-Vernetzung basierenden Synchronisierung der Fertigung und
sequenzgenaue Belieferung, die die Kosten für die Lagerhaltung minimiert. Eine
Vorverlagerung der Qualitätskontrollen auf den Zulieferer soll Zeit und Lagerraum
sparen und die sequenzgenaue Anlieferung unterstützen. Um die Transaktionskosten
niedrig zu halten, wird die Anzahl der Lieferanten komplexer und abnehmerspezifischer Teile gering gehalten, indem das spezielle Teil nur bei einem, maximal zwei
Lieferanten eingekauft wird.694
C. Just-in-Time-Belieferung
Die sog. Just-in-Time-Belieferung stellt eine umfassende, die Unternehmensgrenzen
überschreitende Rationalisierungsstrategie sowie ein unternehmensübergreifendes
Logistikkonzept dar.695 Ziel ist die produktionssynchrone Verfügbarkeit der für die
Herstellung eines Produkts (z.B. Automobil) notwendigen Teile (Komponenten) in
kann m.E. nur bei weitest gehender technologisch organisatorischer Integration mit einem
sehr hohen Integrationsgrad angenommen werden, z.B. bei einer Synchronisierung der Fertigungsprozesse bei Hersteller und Zulieferer. Gemeinsames Ziel ist dann das Funktionieren des Gesamtproduktionsprozesses.
690 Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 522, 525 f.; Teubner,
KritV 1993 S. 367 ff.
691 Begriff von: Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 523 f.
692 Wellenhofer-Klein, Zulieferverträge, S. 17.
693 Wellenhofer-Klein, Zulieferverträge, S. 17, Fn. 99 m.w.N.
694 Vgl. Wellenhofer-Klein, Zulieferverträge, S. 22 f..
695 Gebhard, Der Zuliefervertrag, S. 19; Nagel/Riess/Theis, DB 1989, S. 1505, 1506, 1508 f.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Europaweit agierende Unternehmen bevorzugen zunehmend Formen der Einflussnahme auf andere Gesellschaften, die sich nicht mehr nur über die Kategorien Austauschvertrag und Konzern erfassen lassen. Um diese einer rechtlichen Regelung zuführen zu können, müssen sie strukturell erfasst und einem Rechtsbegriff zugeordnet werden.
Ausgehend von dem in der EBR-Richtlinie verwendeten Begriff der Unternehmensgruppe werden in dieser Studie vielfältige Abhängigkeitsbeziehungen untersucht. Über die bisher vom deutschen Konzernrecht betrachteten gesellschaftsrechtlich vermittelten Beherrschungsgrundlagen hinausgehend, gelingt die strukturelle Erfassung von organisationsvertraglichen Einflussnahmeformen. Die entwickelten Strukturelemente von Unternehmensgruppen sind auch für andere Bereiche des europäischen Rechts der Unternehmensverbindungen von größtem Interesse.