182
C. Beherrschungsmittel Teil II: Joint Control – gemeinsame Beherrschung
Die Erscheinungsformen der gemeinsamen Kontrolle sind dadurch gekennzeichnet,
dass eine Einflussnahmemöglichkeit nur durch Bündelung und Nutzung der gemeinsamen Macht- und Einflusspotentiale besteht.
I. Kennzeichen der Gemeinschaftsunternehmen – mehrfache Abhängigkeit
Wirtschaftliche Sachverhalte mit Unternehmenskooperationen sind außerordentlich
vielgestaltig. Die von § 6 I EBRG, Art. 3 I EBR-Richtlinie beschriebene Abhängigkeitsbeziehung zwischen einem herrschenden und einem abhängigen Unternehmen
ist nur die erste Ebene. Die wirtschaftlichen und gesellschaftsrechtlichen Verflechtungen der Unternehmen sind oft viel komplexer: Ein Unternehmen beherrscht mehrere (abhängige) Unternehmen, die abhängigen Unternehmen beherrschen wiederum
eigene Tochtergesellschaften oder zwei (oder mehr) Unternehmen üben gemeinsam
einen beherrschenden Einfluss über ein abhängiges Unternehmen aus. § 6 I EBRG
bezieht in den Begriff der Unternehmensgruppe auch mehrstufige Abhängigkeitsverhältnisse unter Verweis auf die Möglichkeit mittelbarer beherrschender Einflussnahme ein. Es ist davon auszugehen, dass die EBR-Richtlinie Joint Ventures oder
Gemeinschaftsunternehmen555 aufgrund der Nennung in Erwägungsgrund (9) einbeziehen möchte. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass zwei (oder mehr) Unternehmen gemeinsam über ein oder mehrere abhängige Unternehmen einen beherrschenden Einfluss ausüben.556
1. Rechtlich selbständige durch Abhängigkeitsbeziehungen verflochtene Unternehmen – Mehrfachabhängigkeit
Gemeinschaftsunternehmen sind Tochterunternehmen zweier (oder mehr) Mutterunternehmen, die zum Zwecke der Kooperation der Mütter gegründet oder deren Anteile erworben werden. Sie dienen dazu, Aufgaben bzw. Unternehmensteilfunktionen zum gemeinsamen Nutzen der Mütter zu erfüllen, so werden z.B. Gemeinschaftsunternehmen zu Forschungszwecken oder zur Entwicklung neuer Produkte
oder als Vertriebsorganisation gegründet.
Kennzeichen des Gemeinschaftsunternehmens ist, dass die beiden Muttergesellschaften das Gemeinschaftsunternehmen ihren Interessen im Hinblick auf die von
555 Synonym ist die Bezeichnung Joint Venture; da aber in der deutschsprachigen Literatur die
Bezeichnung Gemeinschaftsunternehmen bekannter ist, wird dieser Begriff hier verwendet.
556 Beispiele aus der Praxis der EU-Wettbewerbskommission: 2 Gemeinschaftsunternehmen in
den Kommissionsentscheidungen IV M 0072 Sanofi/Sterling Drug v. 10.06.91(Presciption
Ventures) sowie IV M 318 Thomson/Shorts v. 14.04.93, zu finden unter:
www.europa.eu.int/comm/dg04/merger/cases; näher dazu in Kapitel 4 C III.
183
ihnen verfolgten Zwecke dienstbar machen. Das heißt, zwei oder mehr Unternehmen
nutzen die Unternehmensorganisation und Wertschöpfung des Gemeinschaftsunternehmens. Sie verständigen sich auf die Interessen, die sie mit dem Gemeinschaftsunternehmen realisieren wollen und nehmen gemeinsam Einfluss auf die geschäftspolitischen Entscheidungen im Gemeinschaftsunternehmen.
Die Mütter treten bei der Bestimmung der Geschäftspolitik gegenüber dem Gemeinschaftsunternehmen als Einheit auf. Sie bündeln die sich aus der Beteiligung
ergebenden Einflusspotentiale, indem sie ihre Willensbildung im Hinblick auf die
Vorgabe der unternehmenspolitischen Entscheidungen in der gemeinsamen Tochtergesellschaft koordinieren. Das ermöglicht ein einheitliches Vorgehen und eine
gemeinsame beherrschende Einflussnahme gegenüber dem Gemeinschaftsunternehmen, obwohl jedes der Mutterunternehmen für sich genommen nicht über das
aus einer Mehrheitsbeteiligung folgende Einflusspotential verfügt. Aus der Sicht des
Gemeinschaftsunternehmens ist es gleichgültig, ob der fremde Unternehmerwille,
dem es unterworfen ist, von einem oder mehreren anderen Unternehmen gebildet
wird. Die Gefahr, zum eigenen Nachteil fremden Interessen dienstbar gemacht zu
werden, besteht in beiden Fällen.557
Die Bündelung der aus der Beteiligung folgenden Einflusspotentiale durch die
abgestimmte gemeinschaftliche Einflussnahme im Hinblick auf die geschäftlichen
Entscheidungen in der gemeinsamen Tochtergesellschaft führt dazu, dass aus Sicht
des Gemeinschaftsunternehmens die Willensbildung in Bezug auf die unternehmenswesentlichen Entscheidungen fremdbestimmt durch die Mütter erfolgt, welches
eine Abhängigkeit des Gemeinschaftsunternehmens von seinen Müttern indiziert.
Die Beeinflussung der wesentlichen unternehmenspolitischen Entscheidungen in einem Unternehmen stellt eine beherrschende Einflussnahme im Sinne des § 6 I
EBRG dar. Das Gesetz knüpft bereits an die Möglichkeit beherrschender Einflussnahme den Tatbestand der Abhängigkeit des untergebenen Unternehmens von dem
bzw. den herrschenden Unternehmen. Es besteht ein Abhängigkeitsverhältnis zu jeder seiner Mütter; es ist gleichzeitig von mehreren Unternehmen mit unmittelbarer
Einflussnahmemöglichkeit abhängig (Mehrfachabhängigkeit).
Fazit: Besonderes Kennzeichen der Gemeinschaftsunternehmen ist, dass die Mütter gemeinsam Einfluss nehmen auf die geschäftspolitischen Entscheidungen im
Gemeinschaftsunternehmen. Folge des Zusammenwirkens der Mütter ist, dass sich
das Gemeinschaftsunternehmen zu jeder seiner Mütter in einem Abhängigkeitsverhältnis befindet. Dies stellt eine Mehrfachabhängigkeit des Gemeinschaftsunternehmens dar. Die Mehrfachabhängigkeit bezeichnet die gleichzeitige Abhängigkeit eines Unternehmens von mehreren herrschenden Unternehmen.
557 Vgl. BAG v. 30.10.1986, AP Nr. 1 zu § 55 BetrVG 72 = SAE 1988, S. 178, 180.
184
2. Zusammenwirken der Mütter
a) Gemeinsame beherrschende Einflussnahme durch die Mütter
Für die Umsetzung der Interessen der Mütter im Gemeinschaftsunternehmen sind
zwei Elemente notwendig: Zum einen müssen die Mütter ihre Willensbildung im
Hinblick auf unternehmerische Entscheidungen im Gemeinschaftsunternehmen koordinieren. Sie müssen festlegen, welche unternehmerischen Zwecke sie mit dem
Gemeinschaftsunternehmen verfolgen wollen. Zum anderen müssen sie eine von einem gemeinsamen Willen getragene Einflussnahme auf die Geschäftsführungsorgane des Gemeinschaftsunternehmens sicherstellen, damit sie ihre Interessen und
Zwecke in der gemeinsamen Tochtergesellschaft verfolgen können. Das Problem
liegt hier darin, dass kein Mutterunternehmen allein die Mehrheitsbeteiligung halten
kann. Die jeweilige Beteiligung einer Mutter kann höchstens 50 % betragen; die
Mutterunternehmen können nur zusammen eine Mehrheitsbeteiligung halten. Jedoch
aus der unter den Müttern vereinbarten Einheitlichkeit der Einflussnahme ergibt sich
eine Addition des aus der eigenen Beteiligung folgenden Einflusspotentials. Sie ist
das Instrument mit der sie die Einflussnahme auf das Gemeinschaftsunternehmen
sicherstellen können. Die Einheitlichkeit der Einflussnahme muss jedoch beständig
garantiert sein und auf einer ausreichend sicheren Grundlage stehen. Das heißt zum
einen, auszuschließen sind die sog. Zufallsmehrheiten, bei denen sich die Mehrheit
in der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung von Fall zu Fall neu bilden muss.
Und zum anderen muss eine ausreichend sichere Grundlage für die Einheitlichkeit
der Einflussnahme durch die Mütter bestehen.
b) Koordinierung der Willensbildung durch die Mütter – Formen des Zusammenwirkens
Das Gemeinschaftsunternehmen soll nach dem Willen der Mütter in deren Interesse
tätig werden. Die Mütter behalten sich daher vor, die wesentlichen Unternehmensentscheidungen zu bestimmen. Sie können aber nur gemeinsam das aus einer Mehrheitsbeteiligung resultierende Einflusspotential aufbringen. Daher müssen sie ihre
Einflusspotentiale bündeln und gegenüber dem Gemeinschaftsunternehmen als Einheit auftreten,558 um so gemeinsam einen beherrschenden Einfluss ausüben zu können. Die gemeinsame Machtausübung muss kontinuierlich gewährleistet sein.559
Bei einer paritätischen Beteiligung der Mütter am Gemeinschaftsunternehmen
(z.B. 50:50560 561) kann das Mitentscheidungsrecht jedes Mutterunternehmens bei-
558 Vgl. dazu BGH NJW 1974, 855, 856.
559 Vgl. Emmerich/Gansweid, JuS 1975, 294, 297.
560 AEG und Siemens AG bei der Kraftwerke-Union AG, BKartA, WuW 1974, 91 oder der
Sachverhalt, der der Entscheidung BAG, AP Nr. 1 zu § 55 BetrVG 1972 = SAE 1988, S.
178 zu Grunde lag.
185
spielsweise über einen Konsortialvertrag,562 einen Vertrag zur Zusammenarbeit oder
über ein vereinbartes Stimmenpooling563 (einheitlichen Stimmrechtsausübung) sichergestellt werden. Die Verträge enthalten meist eine Verpflichtung zu gemeinsamer Geschäftspolitik.564 Möglich sind auch eine Beteiligung und die Einrichtung eines gemeinsamen Leitungsgremiums, z. B. ein gemeinsames Komitee.565 Paritätische Beteiligungen der Mütter sind nicht zwingend, möglich sind auch disparitätische Beteiligungen.566 Hierbei muss zugunsten der geringer beteiligten Mutter deren
Partizipation an der Willensbildung im Hinblick auf die zu beeinflussenden – und
aus der Sicht des Gemeinschaftsunternehmens fremdbestimmten – Entscheidungen
sichergestellt werden. Hierzu können beispielsweise ein von der kapitalmäßigen Beteiligung abweichendes Stimmgewicht567 oder besondere Vetorechte568 oder beson-
561 Aber auch ?:?:? oder 25:25:25:25 sind möglich.
562 Dieser stellt eine BGB-Innengesellschaft dar. Aus der Praxis: LAG Hamm, DB 1977, 2052
f.; Kommissionsentscheidung IV M 152 Volvo/Atlas v. 14.01.92, zu finden:
www.europa.eu.int/comm/dg04/merger/cases.
563 Vgl. BAG v. 18.6.70, DB 1970, 1595 ff. = AP Nr. 20 zu § 76 BetrVG 1952.
564 Vgl. BAG v. 18.6.70, AP Nr. 20 zu § 76 BetrVG 52 = DB 1970, S. 1595 sowie BAG v.
30.10.86, AP Nr.1 zu § 55 BetrVG 72 = SAE 1988, S. 178.
565 Kommissionsentscheidung IV M 0004 Volvo/Renault v. 7.11.90, Tz. 3,5 für ihre gemeinsame LKW-Produktion durch ein Gemeinschaftsunternehmen, zu finden:
www.europa.eu.int/comm/dg04/merger/cases.
566 Vgl. die Mannesmann-Röhren-AG, an der die Mannesmann AG zu ? und die August-
Thyssen-Hütte AG (ATH) zu ? beteiligt waren. Die ATH musste jedoch aufgrund der Entscheidungen der Europäischen Kommission v. 20.03.73, ABl. Nr. L 84, S. 36 veräußern.
Anderer Fall: an der ARAL AG waren die VEBA AG, die Gelsenberg AG und die Mobil
Oil zu je 28 %, die Wintershall AG zu 15 % beteiligt. Noch ein Beispiel: die geplante, aber
gescheiterte „Gewürzehe“: McComrick und die CPC sollten je 47 %, die Rabobank 6 % an
Ostmann halten, vgl. Kommissionsentscheidung McComrick/CPC/Rabobank/Ostmann v.
29.10.93, Tz. 14f. sowie folgende Beispiele aus der Entscheidungspraxis der Wettbewerbskommission: Kommissionsentscheidung IV M 229 Thomas Cook/LTU/WestLB v.
14.07.92: Kapitalbeteiligung an Thomas Cook 90:10; Kommissionsentscheidung IV M 489
Bertelsmann/News International/Vox v. 06.09.94: Kapitalbeteiligung an Vox ¼ zu ½ und
Kommissionsentscheidung IV M 353 British Telecom/MCI v. 13.09.93: Kapitalbeteiligung
am Gemeinschaftsunternehmen Newco ¾ zu ¼; konzernrechtliche Entscheidungen des
BGH: BGHZ 62, 193 = NJW 1974, S. 855 (Seitz): Beteiligungsverhältnisse am Gemeinschaftsunternehmen: 25:25:5, wobei an den drei Mutterunternehmen zwei Familienstämme
jeweils paritätisch beteiligt sind; BGHZ 80, 69 = NJW 1981, S. 1512 (Süssen): Beteiligungsverhältnisse der beherrschenden Gesellschafter: 25: 3x2,5:40; Kommissionsentscheidungen zu finden unter: www.europa.eu.int/comm/ dg04/merger/cases.
567 Kommissionsentscheidung McComrick/CPC/Rabobank/Ostmann v. 29.10.93, die Kapitalanteile waren 47:47:6, aber das Stimmgewicht war 37,5:37,5:25 verteilt. Kommissionsentscheidungen zu finden unter: www.europa.eu.int/comm/dg04/merger/cases.
568 Kommissionsentscheidung IV M 363 Continental/Kaliko/DG Bank/Benecke v. 29.11.93,
Tz. 7ff.: Kaliko ist mit 50,1 %, die DG Bank mit 48,1 % an Benecke beteiligt. Kaliko verfügt auch über die Mehrheit der Stimmrechte (50,1 %). Es besteht ein Konsortialvertrag
zwischen Kaliko und der DG Bank, nach welchem die Bestellung und Abberufung von
Mitgliedern des Aufsichtsrates der Benecke der Abstimmung zwischen DG Bank und Kaliko bedarf. Dabei schlägt Kaliko die Mehrheit, die DG Bank die übrigen Mitglieder vor.
Ebenso werden die Vorschläge der Kaliko zur Bestellung der Vorstandsmitglieder im Auf-
186
dere Bestellungsrechte in die Organe der gemeinsamen Tochtergesellschaft569 vereinbart werden. Eine sichere Grundlage für eine einheitliche Willensbildung und zur
Sicherung der Mitentscheidungsmöglichkeit im Hinblick auf die Steuerung der Geschäftspolitik im Gemeinschaftsunternehmen sind auch personelle Verflechtungen.
Diese können vielfältig sein und zum Beispiel sowohl zwischen den Müttern – die
zudem paritätisch am Gemeinschaftsunternehmen beteiligt sind,570 aber auch im
Verhältnis der Mütter zum Gemeinschaftsunternehmen bestehen, wenn dieselben
Personen in den Organen der Mütter und in denen des Gemeinschaftsunternehmens
vertreten sind oder dieselben Mütter mit denselben Beteiligungsquoten Gesellschafter in mehreren Gemeinschaftsunternehmen sind.571 Die einheitliche Willensbildung
basiert dann auf der Erkenntnis, dass dieselben Personen in den gleichen Angelegenheiten nicht unterschiedlich entscheiden werden. Liegt lediglich eine paritätische
Beteiligung der Mütter vor, ohne dass eine vertragliche Vereinbarung zur einheitlichen Stimmrechtsausübung und gemeinsamer Geschäftspolitik ersichtlich ist,572 entscheidet die Rechtsprechung im Einzelfall, ob und woraus sich eine gemeinsame
Willensbildung ergibt. So sah der BGH573 im Gleichklang der Interessen der Mütter
und deren Unternehmenspolitik durch Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens,
mit dem sie ein einheitliches Unternehmenskonzept verwirklichen wollen, eine gesicherte gemeinsame Willensbildung. In einer anderen Entscheidung sah der BGH574
sichtsrat mit der DG Bank abgestimmt. Die strategischen Entscheidungen wie Investitionsplanung, Produkt- und Prozessentwicklung, Finanzplanung, Personalmaßnahmen, Strukturmaßnahmen, Standortfragen und unternehmenspolitische Neuausrichtung des Gemeinschaftsunternehmens (Benecke) bedürfen eines einstimmigen Zustimmungsbeschlusses des
Aufsichtsrates. Bei mangelnder Einstimmigkeit im Aufsichtsrat erfolgt die Beschlussfassung über die vorgenannten Maßnahmen in der Hauptversammlung. Diese kann jedoch nur
mit einer ¾ Mehrheit erfolgen, demnach wiederum nur mit Zustimmung der DG Bank.
Kommissionsentscheidung zu finden unter: www.europa.eu.int/comm/dg04/merger/cases.
569 Kommissionsentscheidung IV M 229 Thomas Cook/LTU/WestLB v. 14.07.92, Tz. 8: LTU
ist über eine Tochter zu 90 %, die WestLB zu 10 % an Thomas Cook beteiligt. Die
WestLB darf aber 5 Vorstandsmitglieder bestimmen, darunter den Vorsitzenden, der zwei
Stimmen erhält. LTU bestimmt 2 Vorstandsmitglieder, die restlichen 3 werden von LTU
und WestLB gemeinsam bestimmt. Zu finden unter: www.europa.eu.int/comm/dg04/merger/cases.
570 BAG v. 18.6.70, DB 1970, 1595 ff. = AP Nr. 20 zu § 76 BetrVG 1952; BGHZ 74, 359 =
NJW 1979, 2401 (WAZ). In der Entscheidung BGHZ 62, 193 (Seitz) waren zwei Familienstämme paritätisch an den drei Müttern des Gemeinschaftsunternehmens beteiligt. Im
Hinblick auf das Gemeinschaftsunternehmen liegt hierin eine mittelbare paritätische Beteiligung und daraus resultierende mittelbare Abhängigkeit von den Familienstämmen.
571 BGHZ 74, 359 = NJW 1979, 2401 (WAZ): zwei Familienstämme sind jeweils paritätisch
an zwei Gemeinschaftsunternehmen in der Rechtsform der GmbH & Co KG als Gesellschafter sowohl in der KG als auch in der Komplementär-GmbH beteiligt; BGHZ 62, 193
(Seitz): zwei Familienstämme sind an drei (Gemeinschafts-)Unternehmen paritätisch beteiligt, diese wiederum sind Mutterunternehmen eines vierten Gemeinschaftsunternehmens,
das zu den beiden Familienstämmen in mittelbarer Abhängigkeit steht.
572 Z.B. BAG AP Nr. 1 zu § 55 BetrVG 72.
573 BGHZ 74, 359 (WAZ).
574 BGH DB 1987, 1628 f.
187
die paritätische Beteiligung und Einräumung eines Geschäftsführerbestellungsrechts
für jede der beiden Mütter sowie deren gleichgerichteten Interessen als ausreichend
an.
Ebenso sah der 6. Senat des BAG575 die paritätische Beteiligung verbunden mit
dem Recht, je einen der beiden Geschäftsführer in der gemeinsamen Tochtergesellschaft zu bestellen, als ausreichende Grundlage an, da jede der Mütter in der Lage
sei, die Geschäfts- und Unternehmenspolitik im Gemeinschaftsunternehmen zu
bestimmen und ihre unternehmerischen Interessen durchzusetzen. Teilweise wird
bereits bei einer 50:50 Beteiligung der faktische Einigungszwang der Mütter als ausreichende Grundlage angesehen.576 Dabei sollte allerdings nicht das Wesen der Gemeinschaftsunternehmen aus den Augen verloren werden, das ein Tätigwerden des
Gemeinschaftsunternehmens im Interesse der Mütter und eine dahin gehende Bestimmung der Geschäftspolitik durch die Mütter gerade impliziert. Daher ist für den
Tatbestand des Gemeinschaftsunternehmens zu fordern, dass objektive Kriterien für
die Bildung eines gemeinsamen Beherrschungswillens feststellbar sind. Dazu genügt
ein einheitliches Unternehmenskonzept, was die Mütter mit dem Gemeinschaftsunternehmen realisieren wollen oder wenn jeder Mutter neben ihrer Beteiligung ein
Geschäftsführerbestellungsrecht zukommt, da somit eine Einflussnahme auf die Geschäftsführung des Gemeinschaftsunternehmens sichergestellt werden kann.
Fazit: Eine Beeinflussung der unternehmenswesentlichen Entscheidungen kann
daher nur in zwei Schritten ausgeübt werden. Zunächst muss unter den Müttern eine
Willensbildung im Hinblick auf die durchzusetzenden Interessen sowie die Art und
Mittel der Einflussnahme erfolgen. Nur soweit hier für das einzelne Unternehmen
eine Mitentscheidungsmöglichkeit besteht, partizipiert es an der gemeinsamen Kontrolle. Eine Mitentscheidungsmöglichkeit besteht nach Ansicht der Kommission bereits dann, wenn das einzelne Unternehmen das Recht hat, Aktionen blockieren zu
können, die das strategische Wirtschaftsverhalten eines Unternehmens bestimmen.577 Bei der Willensbildung zur Durchsetzung eigener Interessen im abhängigen
(kontrollierten) Unternehmen entsteht für die gemeinsam die Kontrolle ausübenden
Unternehmen die Notwendigkeit zur Einigung. Der zweite Schritt ist dann die Umsetzung des gemeinsam gebildeten Willens durch Einwirkung auf das gemeinsam
beherrschte (kontrollierte) Unternehmen. Somit ist zu trennen zwischen den Formen
der Willensbildung unter den gemeinschaftlich kontrollierenden Unternehmen (Mutterunternehmen) und der Anwendung verschiedener Beherrschungs- und Kontrollmittel gegenüber dem kontrollierten Unternehmen.
575 BAG AP Nr. 1 zu § 55 BetrVG 72; vgl. auch die Vorinstanz LAG Hamm DB 1985, 871.
576 Fitting/Wlotzke/Wißmann, Mitbestimmungsgesetz, 2. A. 1978, § 5 Rn. 41; Säcker, NJW
190, 801, 804.
577 Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) Nr.
4064/89, ABl. (EG) 1998 C 66/5,Tz. 19.
188
Die Darstellung der Formen gemeinsamer Kontrolle erfolgt so, dass die einzelnen
von der Kommission an Art. 3 II FKVO geprüften Kontrollmittel ihrer Entsprechung
innerhalb des Abhängigkeitsbegriffs des § 6 EBRG zugeordnet werden.
Diesen werden die Instrumente der Willensbildung zwischen den kontrollierenden (Mutter-)Unternehmen zugeordnet. Diese sind auf Mitentscheidungs- bzw. Mitkontrollmöglichkeiten zu untersuchen.
II. Beherrschungs- und Kontrollmittel entsprechend der Regelbeispiele des § 6 II
EBRG
1. Stimmrechtsmehrheit
Zunächst werden die Instrumente gemeinsamer Kontrolle betrachtet, bei denen die
Beeinflussung der geschäfts- und unternehmenswichtigen Entscheidungen auf der
Grundlage der Addition des Stimmgewichts der Mütter, welches eine Mehrheit der
Stimmrechte gewährt, erfolgt.
a) Paritätische Beteiligung am gemeinsam kontrollierten Unternehmen578
Ein klassisches Gemeinschaftsunternehmen mit einer paritätischen 50:50 Beteiligung der Mütter Volvo Flygmotor AB (VFA) und Atlas Copco (Atlas) ist die VO-
AC Hydraulic AB (VOAC) (Entscheidung Volvo/Atlas579). VFA ist eine 100 %ige
Tochter der AB Volvo. Atlas ist eine Konzernobergesellschaft der Atlas Copco
Group, die noch über weitere Tochterunternehmen verfügt. Beide Mütter überführen
vollständig ihren Geschäftszweig der Hydraulikausstattung, darin eingeschlossen
Betriebsvermögen, Goodwill, Patente, Lizenzen, Logos, Copyrights, Modellvorschläge, Patentanwendungen auf das Gemeinschaftsunternehmen. Zudem haben die
Mütter vereinbart, Beschlüsse über strategische Entscheidungen in der Hauptversammlung einstimmig zu fassen. Jede der beiden Mütter bestimmt 2 der 4 Aufsichtsratsmitglieder. Der geschäftsführende Direktor wird ebenfalls von beiden Partnern
bestimmt. Hierin begründet sich die gemeinsame Kontrolle von VFA und Atlas über
VOAC. Die paritätische Beteiligung sowie die paritätisch verteilten Bestellungsrechte in den Aufsichtsrat führen zu einem aufeinander Angewiesensein der Mutterunternehmen bei Abstimmungen. Daneben besteht ein Einstimmigkeitserfordernis
für strategische Entscheidungen in der Hauptversammlung der VOAC. Dies gewährt
jeder Muttergesellschaft eine Mitentscheidungsmöglichkeit.
578 Zur richtlinienkonformen Auslegung in Bezug auf eine paritätische Beteiligung der Mutterunternehmen am Gemeinschaftsunternehmen, siehe Kapitel 6.
579 Kommissionsentscheidung v. 14.01.1992, Tz. 3, 6, 9; zu finden: www.europa.eu.int/
comm/dg04/merger/cases.
189
Eine 50:50 Beteiligung der Mutterunternehmen findet sich auch in der Entscheidung
Akzo Nobel/Monsanto.580 Die Bestellungsrechte für das Aufsichtorgan („Board“) im
gemeinsam kontrollierten Unternehmen RCJV sind ebenfalls paritätisch verteilt. Jedes Mutterunternehmen darf 3 der 6 Mitglieder bestimmen. Zudem ist vereinbart,
dass bei Abstimmungen im Board mindestens zwei von der anderen Mutter benannte Mitglieder zustimmen müssen. Dies entspricht einem besonderen Mehrheitserfordernis.
Am Gemeinschaftsunternehmen MIBRAG B.V. sind drei Muttergesellschaften
(PowerGen plc., NRG Energy, Morrison Knudsen) zu je ? beteiligt (Entscheidung
PowerGen/NRG Energy/Morrison Knudsen/MIBRAG581 582). Um wechselnde Mehrheiten bei Abstimmungen zu vermeiden, haben die Mutterunternehmen für unternehmenswichtige Entscheidungen wie Geschäftsplan und Finanzbudget ein Einstimmigkeitserfordernis vereinbart. Damit erhält jedes Mutterunternehmen eine
Mitentscheidungs- und Mitkontrollmöglichkeit.
Die Entscheidung Sunrise583 zeigt, dass fünf fast paritätisch beteiligte Mutterunternehmen (Walt Disney 25 %, The Guardian 15 %, Scottish, LWT, Carlton je
20 %), die zudem jeweils 1 Mitglied ins Leitungsorgan des Gemeinschaftsunternehmens (Sunrise) entsenden, gemeinsam ein Unternehmen kontrollieren können.
Um wechselnde Mehrheiten zu vermeiden, haben die Gesellschafter in einem Shareholder Agreement ein Einstimmigkeitserfordernis für unternehmenswesentliche Entscheidungen, wie z.B. der jährliche Geschäftsplan, vereinbart, welches jedem Gesellschafter die Möglichkeit zum Blockieren von Entscheidungen und damit ein
Mitentscheidungsrecht gibt.
Ergebnis: Bei einer 50:50 Beteiligung der Mütter sichert das aufeinander Angewiesensein bei Abstimmungen die Mitentscheidungsmöglichkeit, da jedes Mutterunternehmen die Entscheidungen in der Gesellschafterversammlung blockieren kann.
Werden zudem zwischen den Müttern Einstimmigkeit oder besondere Mehrheiten584
in Abstimmungen vereinbart, kann die Bildung wechselnder Mehrheiten verhindert
werden (Entscheidungen PowerGen/NRG Energy/Morrison Knudsen/MIBRAG und
Sunrise). Im Vereinbarungswege ergibt sich auch die Möglichkeit, sowohl strategische Grundsatzentscheidungen als auch solche des Tagesgeschäfts der Mitgestaltung
der Mutterunternehmen zu unterlegen. Paritätische Beteiligungen, die paritätische
580 Kommissionsentscheidung v. 19.01.1995, Tz. 5, zu finden: www.europa.eu.int/comm/
dg04/merger/cases.
581 Kommissionsentscheidung v. 27.06.1994, Tz. 5, zu finden: www.europa.eu.int/comm/
dg04/merger/cases.
582 Die MIBRAG B.V. kontrolliert ihrerseits die MIBRAG mbH. Damit kontrollieren die 3
Mütter diese mittelbar.
583 Kommissionsentscheidung IV/M.176 v. 13.01.1992, zu finden: www.europa.eu.int/
comm/dg04/merger/cases.
584 Z.B. ¾ Mehrheit.
190
Besetzung von Organen sowie das vereinbarte Einstimmigkeitsprinzip sind Instrumente der Willensbildung unter den Müttern. Instrument der Einflussnahme auf das
kontrollierte Unternehmen sind die über die gemeinschaftliche Willensbildung gebündelten Stimmrechte aus den Beteiligungen. Die Beeinflussung der unternehmenswesentlichen Entscheidungen erfolgt über eine Beeinflussung der Organmitglieder mit Hilfe des Druckmittels der Abberufung aus dem Organamt, wenn das
Organmitglied nicht im Sinne der „Empfehlungen“ der Mütter entscheidet. Da dieses Druckmittel auf der Basis der Androhung persönlicher Nachteile wirkt, kommt
ihm eine personenbezogene Wirkung zu.
Für die Stimmrechtsmehrheit als Kontroll- bzw. Einflussnahmemittel genügt ebenso wie bei einfachen Abhängigkeits- bzw. Kontrollverhältnissen die Inhaberschaft einer Präsenzmehrheit in der Hauptversammlung.
b) Disparitätische Beteiligung und Ausgleichsinstrumente (Vetorechte)
Sind die Mutterunternehmen nicht in gleicher Höhe am Gemeinschaftsunternehmen
beteiligt, muss die Mitentscheidung und Mitkontrolle durch Hinzutreten anderer Instrumente sichergestellt werden. Häufig wird eine geringere Beteiligung durch Vetorechte, zusätzliche Organbestellungsrechte, ein abweichend vereinbartes Stimmgewicht oder Einstimmigkeits- oder besondere Mehrheitserfordernisse ausgeglichen.
In der Entscheidung Thomas Cook/LTU/WestLB585 wird die unterparitätische Beteiligung der WestLB dadurch ausgeglichen, dass ihr überproportional viele Bestellungsrechte in den Vorstand der Thomas Cook (5 von insgesamt 10) eingeräumt
wurden sowie ein Zustimmungserfordernis aller Muttergesellschaften hinsichtlich
wichtiger strategischer Entscheidungen vereinbart wurde. Dies verschafft jedem
Mutterunternehmen ein Mitkontrollrecht. Im Einzelnen: „Thomas Cook“ besteht aus
der Thomas Cook Group Ltd. (mit Sitz in Großbritannien) und ihrer US-Tochter
Thomas Cook Inc. Die britische Thomas Cook Group ist eine 100 %ige Tochter der
Midland Bank plc, die Thomas Cook Inc. ist eine 100 %ige Tochter der Midland
Montagu Inc., die wiederum eine 100 %ige Tochter der Midland Bank plc ist. Die
Unternehmenskonzentration besteht im Erwerb der gemeinsamen Kontrolle von
LTU und WestLB über Thomas Cook. Die Midland Bank Group veräußerte ihre gesamten Kapitalanteile an Thomas Cook an die LTU und die WestLB in der Weise,
dass nunmehr die LTU über ihre Tochter TBG 90 % und die WestLB 10 % der Anteile an Thomas Cook hält. Für den Anteilserwerb durch die TBG wird die WestLB
einen Fond zur Verfügung stellen, mit dem es der TBG ermöglicht wird, einen Kapitalanteil von 76 % der Thomas Cook-Anteile zu erwerben. Die restlichen 14 % sollen über einen Fond der LTU erworben werden. Das finanzielle Engagement der
WestLB soll ihr bei der Bestimmung der Vorstandsmitglieder zugute kommen. So
585 Kommissionsentscheidung IV/M.229 v. 14.07.1992, Tz. 8, zu finden: www.europa.eu.int/
comm/dg04/merger/cases.
191
darf die WestLB fünf Vorstandsmitglieder bestimmen, darunter den Vorsitzenden,
der zwei Stimmen erhält. LTU bestimmt zwei Vorstandsmitglieder, die restlichen
drei werden von LTU und WestLB gemeinsam bestimmt. Bei allen wichtigen strategischen Entscheidungen ist die Zustimmung der Anteilseigner erforderlich, so muss
z.B. der jährliche Geschäftsplan, der Fünf-Jahres-Unternehmensplan, Vorschläge
zur Finanzierung, Ankäufe und Veräußerungen, jede Änderung der Geschäftsfelder
von Thomas Cook, Arbeitnehmerentlassungen sowie Dividendenauszahlungen von
TBG, LTU und der WestLB gemeinsam genehmigt werden.
Beispielsweise kann eine paritätische Verteilung von Bestellungsrechten in das
Leitungsorgan die disparitätische Beteiligung an dem oder den Gemeinschaftsunternehmen ausgleichen: Entscheidung Knorr-Bremse/Allied Signal.586 An den beiden
Gemeinschaftsunternehmen (European Joint Venture und American Joint Venture)
sind die beiden Gründerunternehmen Knorr-Bremse und Allied Signal im Verhältnis
65:35 und 35:65 beteiligt. Die jeweils paritätische Besetzung (3:3) des Leitungsorgans (management body) jedes Gemeinschaftsunternehmens sichert eine gleichgewichtige Einflussnahme- und Kontrollmöglichkeit.
Der geplante, aber letztlich gescheiterte Verbund McComrick/CPC/Rabobank/
Ostmann587gibt ein Beispiel für ein abweichend vereinbartes Stimmgewicht. Daneben sichern Bestellungsrechte und Vetorechte in Form eines Einstimmigkeitserfordernisses die Mitkontrolle und verhindern wechselnde Mehrheiten. Die beiden
US-amerikanischen Gewürzhersteller McComrick & Company (McComrick) und
CPC International (CPC) wollten über eine Holding-Gesellschaft das deutsche Gewürzunternehmen Ostmann erwerben. Partner der Holding sollten McComrick, CPC
sowie die niederländische Rabo Merchant Bank NV (Rabobank) sein. Die Kapitalanteile dieser Holding sollten auf 47 %:47 %:6 % gestellt werden; die Stimmrechte
sollten sich hingegen auf 37,5 %:37,5 %:25 % verteilen. Wichtige Entscheidungen
waren in der Hauptversammlung einstimmig zu treffen. Vorstand und Geschäftsführung waren einstimmig zu wählen. Der Aufsichtsrat, der aus fünf Mitgliedern bestehen sollte (eines davon von der Rabobank bestimmt; Aufsichtsrat 2:2:1), sollte einstimmig über Geschäftsplan, Jahresbudget, Beteiligungskäufe und -verkäufe, Strategie- und Investitionsprogramme, Gemeinschaftsunternehmen mit Dritten und andere
wichtige Angelegenheiten entscheiden. Damit war vereinbart, dass für Entscheidungen über das Management, die Geschäftspolitik und wettbewerbliche Strategie des
Gemeinschaftsunternehmens die Zustimmung aller drei Partner erforderlich ist.
Nach Ansicht der Kommission ging das über die üblichen Rechte von Minderheitsgesellschaftern hinaus und begründet für die Rabobank die Möglichkeit der Aus-
übung mitbestimmenden Einflusses. Auch reiche die Möglichkeit der mitbestim-
586 Kommissionsentscheidung IV/M.337 v. 15.10.1993, Tz. 5-7, zu finden:
www.europa.eu.int/comm/dg04/ merger/cases.
587 Kommissionsentscheidung v. 29.10.1993, Tz. 14f., zu finden: www.europa.eu.int/
comm/dg04/merger/cases; Kurzfassung in: WuW 1994, 227.
192
menden Einflussnahme aus, die hier über die rechtliche Qualität der Vereinbarungen
der Holding-Partner manifestiert wird. Unerheblich ist nach Ansicht der Kommission, ob die durch die vorgenannten Vereinbarungen gewährten Rechte vom begünstigten Minderheitsgesellschafter tatsächlich ausgeschöpft werden. Die Kommission
bejahte die Frage, ob eine aktive Teilnahme der Rabobank an wichtigen Unternehmensentscheidungen des Gemeinschaftsunternehmens zu erwarten ist. Aus dem
niedrigen Kapitalanteil der Rabobank sowie der Vereinbarung fester Verzinsung allein könne noch nicht geschlossen werden, dass die Rabobank die ihr gewährte
rechtliche Möglichkeit mitbestimmender Einflussnahme nicht ausüben würde. Die
bloße Möglichkeit eines mitbestimmenden Einflusses reicht aus, sofern nicht Tatsachen vorliegen, die das Gegenteil belegen. Die Kommission ging davon aus, dass
die nicht unerhebliche Einlage von 25 Mio. Gulden und die Vereinbarung eines Sitzes der Rabobank im Aufsichtsrat in Verbindung mit dem Einstimmigkeitserfordernis im Aufsichtsrat die Rabobank veranlasst, ihre Beteiligung mit aktivem unternehmerischen Interesse und nicht als bloße Finanzbeteiligung zu verwalten. Das Interesse der Rabobank an dem eingeräumten Mitentscheidungsrecht über die unternehmerischen Aktivitäten lässt auf unternehmerische und nicht reine Anlageinteressen schließen.
In der Entscheidung Sappi/DLJMB/UBS/Warren588 sind Sappi zu 87 %, DLJMB
zu 10,8 % und UBS zu 2,2 % an der SDW Holding beteiligt. Die Warren Corp. ist
eine 100 %ige Tochter der SDW Holding. Von den 9 Mitgliedern des Leitungsorgans („board of directors“) darf Sappi 5, DLJMB 2 und UBS 1 zu bestellen. In einem Shareholders Agreement haben die Mütter vereinbart, dass bei allen unternehmenswesentlichen Entscheidungen, wie der jährliche Geschäftsplan, Finanzbudget,
Unternehmenszusammenschlüsse, Bestimmung des Verwaltungs- und des Finanzdirektors, mindestens ein von jeder Mutter bestelltes Board-Mitglied zustimmt. Dies
ist eine Abweichung von Grundsatz der einfachen Mehrheit und stellt damit die
Vereinbarung eines besonderen Mehrheitserfordernisses dar. Zwar hat Sappi die
Stimmrechtsmehrheit und die Mehrheit der Organbestellungsrechte, aber durch das
besondere Mehrheitserfordernis wird für die geringer beteiligten Mutterunternehmen
die Mitkontrollmöglichkeit gesichert. Die Kommission nahm an, dass das Mehrheitserfordernis, ein Vetorecht, weit über einen Minderheitenschutz hinausgehe und
eine Mitentscheidungsmöglichkeit für DLJMB und UBS eröffne.
Im Fall Continental/Kaliko/DG Bank/Benecke589 wurden abweichend vom
Grundsatz der einfachen Mehrheit das Erfordernis der Einstimmigkeit bzw. einer ¾
Mehrheit vertraglich vereinbart. Die Goeppinger Kaliko AG (Kaliko), eine Tochter
der Continental AG, hält 50,1 % des Grundkapitals der Benecke AG. Die restlichen
588 Kommissionsentscheidung v. 28.11.1994, Tz. 7-11, zu finden: www.europa.eu.int/
comm/dg04/merger/cases.
589 Kommissionsentscheidung IV/M.363 v. 29.11.1993, Tz. 7 ff., zu finden:
www.europa.eu.int/comm/dg04/ merger/cases.
193
49,9 % des Kapitals werden von der DG Bank (48,1 %) und der Silo- und Verwaltungsgesellschaft (1,8 %) gehalten. Damit verfügt Kaliko über die Mehrheit der
Stimmrechte (50,1 %), jedoch haben Kaliko und die DG Bank einen Konsortialvertrag geschlossen, der der DG Bank Rechte gewährt, die weit über die einem Minderheitsgesellschafter üblicher Weise zustehenden Rechte hinausgehen und aufgrund
der Art der der DG Bank eingeräumten Rechte eine gemeinsame Kontrolle der
Benecke AG durch Kaliko und die DG Bank begründen. Nach dem Konsortialvertrag bedarf die Bestellung und Abberufung von Mitgliedern des Aufsichtsrates der
Benecke AG der Abstimmung zwischen der DG Bank und Kaliko, dabei schlägt Kaliko die Mehrheit, die DG Bank die übrigen Mitglieder vor. Ebenso werden die Vorschläge der Kaliko zur Bestellung der Vorstandsmitglieder im Aufsichtsrat mit der
DG Bank abgestimmt. Kaliko übernimmt die unternehmerische Führung der
Benecke AG. Die strategischen Entscheidungen wie Investitionsplanung, Produktund Prozessentwicklung, Finanzplanung, Personal- und Strukturmaßnahmen, Standortfragen sowie die unternehmenspolitische Neuausrichtung des Gemeinschaftsunternehmens (Benecke) bedürfen eines einstimmigen Zustimmungsbeschlusses des
Aufsichtsrates. Bei mangelnder Einstimmigkeit im Aufsichtsrat erfolgt die Beschlussfassung über die genannten Maßnahmen in der Hauptversammlung. Diese
kann jedoch nur mit einer ¾ Mehrheit erfolgen, demnach wiederum nur mit Zustimmung der DG Bank. Die Kommission betont, dass die volle Konsolidierung des
Gemeinschaftsunternehmens durch die Continental die Annahme eines mitkontrollierenden Einflusses des anderen Partners nicht ausschließt. Damit wird deutlich,
dass die Ausübung der Kontrolle über ein Unternehmen jeweils nach dem Zweck
des Gesetzes, welches den Kontrolltatbestand umschreibt, zu beurteilen ist.
Die Entscheidung Kelt/American Express590 unterscheidet sich von den zuvor
Genannten durch den Zweck des Gemeinschaftsunternehmens. War zuvor überwiegend der Zweck des Gemeinschaftsunternehmens die Erfüllung von Produktionsbzw. Hilfsfunktionen für die Mütter, stand hier der Sanierungszweck im Vordergrund. Die 8 beteiligten Banken gründeten eine 100 %ige Tochtergesellschaft (Purbeck). Diese hält sämtliche Anteile an der zu Sanierungszwecken gegründeten Auffanggesellschaft (Keltex). Damit finanzierten sie die Sanierung. Die Banken haben
im Hinblick auf strategische Entscheidungen bei Purbeck ein Einstimmigkeitserfordernis vereinbart. Über dieses wird die Mitkontrolle aller beteiligten Banken sichergestellt und fungiert somit als Instrument zur Willensbildung unter den Müttern. Die
Ausübung der Kontrolle über Keltex erfolgt aufgrund der Inhaberschaft sämtlicher
Stimmrechte durch Purbeck und mittelbar durch die beteiligten Banken.
Zwischenergebnis: Eine disparitätische Beteiligung kann durch die vertragliche
Vereinbarung von Vetorechten, Einstimmigkeits-, besondere Mehrheits- sowie Zustimmungserfordernissen, die Vereinbarung abweichenden Stimmgewichts oder
590 Kommissionsentscheidung IV/M.116 v. 28.08.1991, zu finden: www.europa.eu.int/comm/
dg04/merger/cases.
194
durch Bestellungsrechte ausgeglichen werden. Grundlage all dieser Ausgleichsinstrumente ist ein Vertrag zwischen den Müttern, in dem sie Art und Gegenstand der
(Mit-)Kontrolle regeln. Werden die Bestellungsrechte und das abweichende Stimmgewicht (Fall McComrick/CPC/Rabobank/Ostmann) paritätisch verteilt, ergibt sich
die Mitkontrolle aus dem aufeinander Angewiesensein bei Abstimmungen. Sind es
mehr als zwei Mutterunternehmen, entsteht das Problem wechselnder Mehrheiten
(Fall McComrick/CPC/Rabobank/Ostmann). Diese können durch Vereinbarung eines Vetorechts in Form eines Einstimmigkeits- oder Zustimmungserfordernisses
verhindert werden. Aber auch ein Vetorecht oder Bestellungsrechte können eine
disparitätische Beteiligung ausgleichen (z. B. Entscheidung Thomas Cook/LTU/
WestLB591) und so die Mitkontrolle sichern. Auch wenn die Bestellungsrechte nicht
paritätisch verteilt sind, können sie auch dann eine Blockierposition verschaffen,
wenn die Mütter Einstimmigkeit vereinbart haben (Entscheidung McComrick/CPC/Rabobank/Ostmann) oder vereinbart haben, dass bei allen wesentlichen
Entscheidungen die Zustimmung je eines von jeder Mutter bestimmten Organmitglieds erforderlich ist (Entscheidung Sappi/DLJMB/UBS/Warren). Die gemeinsame
Willensbildung zwischen den Müttern erfolgt bezogen auf die von der Vereinbarung
umfassten Gegenstände. Diese müssen wesentliche unternehmerische Entscheidungsbereiche wie z.B. Finanzen oder das strategisches Wirtschaftsverhalten,592 im
kontrollierten Unternehmen betreffen. Ein Vetorecht, welches die Mitentscheidung
über den Geschäftsplan, das Budget, die Investitionspolitik oder die Besetzung der
Unternehmensleitung sichert, ist geeignet, eine Mitkontrolle zu begründen.593 Instrument der Willensbildung ist der das Vetorecht konstituierende Vertrag.594 595 Der
gebildete Wille der Mütter muss im kontrollierten Unternehmen durch Einflussnahmemittel umgesetzt werden. Die Mütter verfügen aufgrund ihrer Beteiligungen über
die Stimmrechtsmehrheit im kontrollierten Unternehmen. Sind Bestellungsrechte
vereinbart, kommt die Mehrheit der Bestellungsrechte hinzu. Die gemeinschaftliche
Willensbildung ermöglicht die Bündelung der Einflusspotentiale, so dass bei Stimmund Bestellungsrechten die Mehrheit erreicht werden kann. Bestehen gesetzlich gegenüber der kontrollierten Gesellschaft Weisungsrechte596 kann die Einflussnahme
direkt erfolgen. Falls nicht, werden die Mutterunternehmen die von ihnen bestellten
Leitungs- oder Aufsichtsorganmitglieder instruieren, ihre Vorschläge hinsichtlich
591 Kommissionsentscheidung IV/M.229 v. 14.07.1992, Tz. 8, zu finden: www.europa.eu.int/
comm/dg04/merger/cases.
592 Dazu zählen Beschaffung/Absatz, Produktion, Personalpolitik.
593 Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) Nr.
4064/89, ABl. (EG) 1998 C 66/5,Tz. 23.
594 Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) Nr.
4064/89, ABl. (EG) 1998 C 66/5,Tz. 26, 27, 29 .
595 Vetorechte können per Vertrag zwischen den Müttern vereinbart aber auch, insbes. bei
Neugründung des Gemeinschaftsunternehmens, in der Satzung verankert sein, s. Mitteilung
der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) Nr. 4064/89,
ABl. (EG) 1998 C 66/5,Tz. 21.
596 Wie z.B. bei der GmbH nach deutschem Recht, § 37 I GmbHG.
195
unternehmenswichtiger Entscheidungen z.B. über den Geschäftsplan, das Budget
oder Personalmaßnahmen zu beachten und umzusetzen. Druckmittel ist ebenfalls die
Androhung persönlicher Nachteile. Damit kann die Einflussnahme aufgrund einer
Stimmrechts- und/oder Bestellungsrechtsmehrheit als personenbezogen qualifiziert
werden.
c) Stimmbindungsverträge, Stimmenpoolverträge
Stimmbindungs- oder Stimmenpoolverträge sind Vereinbarungen, in denen sich die
Mutterunternehmen verpflichten, ihre Stimmrechte im Gemeinschaftsunternehmen
in der gleichen Weise auszuüben. Damit wird das Stimmgewicht der Beteiligten gebündelt und kann von ihnen zur Einflussnahme auf das gemeinsam beherrschte Unternehmen genutzt werden. Im Verhältnis der Mütter untereinander vermögen
Stimmbindungsvereinbarungen eine gemeinsame Kontrolle sicherzustellen und
wechselnde Mehrheiten zu verhindern.
Im Fall Newspaper Publishing597 wird Newspaper Publishing (NP) gemeinsam
kontrolliert durch Promota de Informationes S.A. (PRISA), Editionale l’Espresso
S.p.A. (Espresso) sowie Mirror Group Newspapers plc (MGN), die zusammen die
Mehrheit der Anteile (Stimmenmehrheit) halten. Jeder der drei kontrollierenden Unternehmen hat das Recht, zwei Vorstandsmitglieder zu bestimmen, insgesamt sechs
der sieben Vorstandsmitglieder. Die Vorstandsbeschlüsse werden mit einfacher
Mehrheit getroffen. PRISA und Espresso haben eine gesonderte Vereinbarung, nach
der beide Partner bei Vorstandsentscheidungen ihr Stimmrecht in gleicher Weise
ausüben (Stimmenbindungsvertrag). Das gibt ihnen die gemeinsame Kontrolle über
NP. Mit Hinblick auf Entscheidungen zum Geschäftsplan sowie der Finanzausstattung der NP hat MGN ein Vetorecht für den Fall, dass MGN im Vorstand von PRI-
SA und Espresso überstimmt wird. Damit nimmt auch MGN an der gemeinsamen
Kontrolle von NP teil.
Ein signifikantes Beispiel für ein Stimmenpooling in einer Block- bzw. Stimmgemeinschaft bildet Costa Crociere/Chargeurs/Accor.598 Nach Umgestaltung der
Anteilseignerstruktur bei Costa Crociere (CC) halten Il Ponte 32,2 %, Chargeurs und
Accor je 11,8 % an CC, insgesamt 55,8%. Nach den Regeln des neuen Gesellschaftsvertrages der CC können die Aktionäre Gruppen bilden. Eine Aktionärsgruppe, die mehr als 53,3 % aller Aktien von CC besitzt, bildet eine Block- und Stimmgemeinschaft innerhalb der Hauptversammlung. Die Mitglieder dieser Aktionärsgemeinschaft entscheiden gemeinsam über das Jahresbudget, den Geschäfts- und Akti-
597 Kommissionsentscheidung IV/M.423v. 14.03.1994, Tz. 9, zu finden: www.europa.eu.int/
comm/dg04/merger/cases.
598 Kommissionsentscheidung IV/M.334 v. 19.07.1993, Tz. 6, zu finden: www.europa.eu.int/
comm/dg04/merger/cases.
196
onsplan, die Geschäftsstrategie, die Investitionspolitik, Kapitalerhöhungen, Anteils-
übertragungen sowie die Ernennung der Mitglieder des Aufsichtsrates bei CC. Il
Ponte, Chargeurs und Accor haben sich zu einer Stimmgemeinschaft zusammengeschlossen, die ein Aktienvolumen von 53,3 % hat. Von diesen in die Stimmgemeinschaft „eingebrachten“ Aktien hält Il Ponte 27 %, Chargeurs und Accor halten zusammen 19,8 %. Nach dem Gesellschaftsvertrag ist die Stimmgemeinschaft nur bei
einer Anwesenheit einer Mehrheit von 80 % der in die Stimmgemeinschaft eingebrachten Aktien intern beschlussfähig. So wird sicher gestellt, dass obwohl Il Ponte
27 % und Chargeurs und Accor, die zusammen 19,8 % in der Stimmgemeinschaft
halten, sämtliche strategische Entscheidungen nur gemeinsam getroffen werden
können. Daraus folgt die gemeinsame Kontrolle der CC durch Il Ponte, Chargeurs
und Accor.
2. Mehrheit der Bestellungsrechte
Hier sind Konstellationen zu betrachten, bei denen Bestellungsrechte vereinbart sind
und bei disparitätischer Verteilung oder zur Vermeidung wechselnder Mehrheiten
ergänzend eine Vereinbarung besonderer Mehrheitserfordernisse oder Vetorechte
hinzukommt. Dies führt zu einer Bündelung der Einflusspotentiale aus den Bestellungsrechten, die eine Einflussnahme auf die Zusammensetzung der Leitungs- oder
Aufsichtorgane gewähren. Die Art der Verteilung der Bestellungsrechte (paritätisch/disparitätisch und Vetorechte) zeigt, auf welche Weise eine gemeinsame Willensbildung unter den Müttern erreicht wird (Instrumente der Willensbildung). Die
Addition der Bestellungsrechte führt aufgrund der Notwendigkeit gemeinsamer Willensbildung zu einer Mehrheit der Bestellungsrechte, welches das Einflussnahmemittel gegenüber dem Gemeinschaftsunternehmen darstellt.
Ein klassisches Gemeinschaftsunternehmen mit einer paritätischen 50:50 Beteiligung der Mütter Volvo Flygmotor AB (VFA) und Atlas Copco (Atlas) ist VOAC
Hydraulic AB (VOAC) (Entscheidung Volvo/Atlas599). VFA ist eine 100 %ige Tochter der AB Volvo; Atlas ist eine Konzernobergesellschaft der Atlas Copco Group,
die noch über weitere Tochterunternehmen verfügt. Beide Mütter übertragen vollständig ihren Geschäftszweig der Hydraulikausstattung, darin eingeschlossen Betriebsvermögen, Goodwill, Patente, Lizenzen, Logos, Copyrights, Modellvorschläge, Patentanwendungen auf das Gemeinschaftsunternehmen. Zudem haben die Mütter vereinbart, Beschlüsse über strategische Entscheidungen in der Hauptversammlung einstimmig zu fassen. Jede der beiden Mütter bestimmt zwei der vier Aufsichtsratsmitglieder. Der geschäftsführende Direktor wird von beiden Partnern bestimmt. Hierin begründet sich die gemeinsame Kontrolle von VFA und Atlas über
VOAC.
599 Kommissionsentscheidung v. 14.01.1992, Tz. 3, 6, 9, zu finden: www.europa.eu.int/
comm/dg04/merger/cases.
197
In der Entscheidung Akzo Nobel/Monsanto600 sind die beiden Mutterunternehmen
paritätisch am Gemeinschaftsunternehmen beteiligt (50:50) und auch die Bestellungsrechte in das Aufsichtsorgan (supervisory body) sind paritätisch (je 3 von 6
Mitgliedern insgesamt) verteilt. Hier hat jede der Mütter eine Blockierposition, die
ihr eine Mitentscheidung und Mitkontrolle sichert.601
In dem Sachverhalt, der der Entscheidung MSG Media Service602 zugrunde liegt,
sind 3 Mutterunternehmen (Bertelsmann AG, Telekom, Taurus Beteiligungs-GmbH)
paritätisch zu je ? am zu gründenden Gemeinschaftsunternehmen MSG Media Service GmbH beteiligt. Auch die Bestellungsrechte in den Aufsichtsrat sind paritätisch
verteilt; jede bestimmt 2 der 6 Mitglieder. Da hier 3 Mutterunternehmen paritätisch
beteiligt sind, tritt das Problem wechselnder Mehrheiten auf. Um eine gleichmäßige
Partizipation aller drei Mutterunternehmen an den unternehmenswesentlichen Entscheidungen sicher zu stellen, ist die Zustimmung des Aufsichtsrates mit einer ¾
Mehrheit für die Entscheidungen über die Bestellung der Geschäftsführer, das Jahresbudget, der Aufnahme neuer Tätigkeitsbereiche, das Management, die Geschäftspolitik und die Wettbewerbsstrategie vertraglich vereinbart worden.
Hierher gehören auch die Sachverhalte mit einer disparitätischen Beteiligung der
Mütter, aber paritätisch verteilten Bestellungsrechten in die Leitungs- oder
Aufsichtsorgane des Gemeinschaftsunternehmens (Entscheidungen Knorr-
Bremse/Allied Signal603 und Thomson/Shorts604).
III. Beherrschungs- und Kontrollmittel auf der Grundlage von § 6 I EBRG
Bisher wurde versucht, die Instrumente der Kontrolle wie sie in den hier betrachteten Fallbeispielen der Wettbewerbskommission nach Art. 3 II FKVO vorliegen, in
Beziehung zu setzen zu den Regelbeispielen für Beherrschungsmittel nach § 6 II
EBRG. Aufgrund des offenen, generalklauselartigen Abhängigkeitsbegriffs in § 6 I
EBRG, sind neben den Regelbeispielen, wie Stimmrechtsmehrheit und Mehrheit der
Bestellungsrechte, auch andersartige Beherrschungsmittel zu finden. Dies können
u.a. auch Verträge, personelle oder organisatorische Verflechtungen, Kombinations-
600 Kommissionsentscheidung v. 19.01.1995, Tz. 4, 5, zu finden: www.europa.eu.int/
comm/dg04/merger/cases.
601 S. dazu Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO
(EWG) Nr. 4064/89, ABl. (EG) 1998 C 66/5,Tz. 19.
602 Kommissionsentscheidung v. 09.09.1994, Tz. 9, zu finden: www.europa.eu.int/comm/
dg04/merger/cases.
603 Kommissionsentscheidung IV/M.337 v. 15.10.1993, Tz. 5-7, zu finden:
www.europa.eu.int/comm/dg04/merger/cases.
604 Kommissionsentscheidung IV/M.318 v. 14.04.1993, Tz. 5-12, zu finden:
www.europa.eu.int/comm/dg04/ merger/cases.
198
formen oder aber speziell bei Sachverhalten der Joint Control gemeinsame Gremien
sein.
1. Gemeinsame Gremien
Kennzeichnend für die Entscheidung Shell Chimie/ELF Atochem605 606 ist die Einrichtung eines gemeinsamen Gremiums (Conseil de gérance), über welches die Mütter (Shell Chimie und ELF Atochem) ihre Willensbildung im Hinblick auf die Steuerung der unternehmenswesentlichen Entscheidungen im Gemeinschaftsunternehmen
(DORYL) koordinieren und dessen Entscheidungen DORYL unterliegt. Beide Mütter sind paritätisch (50:50) an DORYL beteiligt und sind in gleichem Maße berechtigt, Mitglieder in den Conseil de gérance zu entsenden (jede 3 der 6 Mitglieder).
Der Conseil entscheidet über das Jahresbudget, Investitionen sowie die Geschäftspolitik bei DORYL. Das Gemeinschaftsunternehmen ist eine Neugründung, so dass es
sich anbot, in der Satzung die Unterstellung DORYL‘s unter die Entscheidungen
und die Weisungen des Conseil‘s festzuschreiben. Über das Gremium wird den Müttern eine direkte Einwirkungsmöglichkeit auf die unternehmenswesentlichen Entscheidungen im Gemeinschaftsunternehmen geschaffen. Die Mutterunternehmen
haben jeweils nur einen Teilbereich ihres operativen Geschäfts, den Bereich
Polyvinylchloridverbindungen (PVC) für Lebensmittelverpackungen, ausgegründet
und auf die gemeinsame Tochtergesellschaft DORYL übertragen.607 Ihre
Hauptgeschäftsfelder behielten sie: das sind bei Shell Chimie Mineralölverarbeitung
und Petrolchemie und bei ELF Atochem Chlor und Polyvinylchlorid, basische
Chemie und Feinchemie.
Ebenfalls ein gemeinsam gebildetes Gremium (das Steering Committee) stellt in
der Entscheidung ELF Atochem/Rohm&Haas608 die Einwirkungs- und Kontrollmöglichkeit über das Gemeinschaftsunternehmen ATOHAAS sicher. Beide Mütter sind
paritätisch (49,5:49,5) beteiligt und besetzen paritätisch (3:3) das Steering Committee. Dieses entscheidet über Budget, Investitionen, Mehrjahresplan, Wettbewerbsstrategien, Forschungsprogramme und deren Finanzierung, Änderungen im Unternehmensgegenstand sowie die Verteilung der Dividenden auf die Gesellschafter.
Das Komitee ist das Willenbildungsinstrument der Mütter und dient der Einflussnahme auf das Gemeinschaftsunternehmen. Aufgrund der satzungsmäßig festgelegten Unterstellung der ATOHAAS unter die Entscheidungen des Komitees ist eine
605 Kommissionsentscheidung IV/M.475 v. 22.12.1994, Tz.8, zu finden: www.europa.eu.int/
comm/dg04/merger/cases.
606 Aufgrund des Zusammenschlusses ELF Aquitaine mit TotalFina firmiert Atochem nun
unter Atofina.
607 Anders zu bewerten ist die Übertragung des gesamten operativen Geschäfts auf die Tochtergesellschaft; siehe unten Kapitel 4 D II.
608 Kommissionsentscheidung IV/M.160 v. 28.07.1992, Tz. 5-7; www.europa.eu.int/
comm/dg04/merger/cases.
199
direkte Steuerung der unternehmenswesentlichen Entscheidungen bei ATOHAAS
möglich. Auch hier haben die Mutterunternehmen nur einen Teilbereich ihres
operativen Geschäfts, den Bereich PMMA, d.h. Polymetacrylate, Methylverbindungen und Acrylglas, ausgegründet und auf die gemeinsame Tochtergesellschaft
ATOHAAS übertragen. Die beiden Mutterunternehmen behielten ebenfalls ihre
Hauptgeschäftsfelder: ELF Atochem basische Chemie und Feinchemie, Chlor und
Polyvinylchlorid und Rohm&Haas Polymere, Monomere, Kunststoffe (Plastik),
Trennprodukte, Zusatzstoffe für Mineralölprodukte, agrochemische Produkte.609
Häufig finden sich auch Konstellationen, bei denen zwei Gemeinschaftsunternehmen ausgegründet werden, die Mütter an diesen jeweils paritätisch beteiligt sind
und sie die Leitung der Gemeinschaftsunternehmen gemeinsamen Komitees unterstellen. Auch hier ist die Funktion der Komitees die Willensbildung unter den
Müttern und die direkte Einflussnahme und Steuerung der unternehmenswesentlichen Entscheidungen im Gemeinschaftsunternehmen. Bei neu gegründeten Gemeinschaftsunternehmen wird die Unterstellung unter die Leitung durch die gemeinsam
gebildeten Komitees (Gremien) meist in der Satzung verankert. Bei bereits bestehenden Joint Ventures bleibt – neben einer Satzungsänderung – die Möglichkeit, das
Gemeinschaftsunternehmen vertraglich den Entscheidungen des Gremiums zu unterstellen. Dieser Vertrag kann als Organisationsvertrag klassifiziert werden, da er
die innergesellschaftliche Zuständigkeitsverteilung zugunsten der Entscheidungsmacht des Gremiums verändert. Beispiele hierfür bieten die Entscheidungen
AG/Amev,610 Thomson/Shorts611 und Sanofi/Sterling Drug.612
In der Entscheidung AG/Amev legen AG und Amev ihr operatives Geschäft zusammen in zwei - neu gegründete - Tochtergesellschaften (BMAV und AmevVSB).
Die AG und Amev halten an den Tochtergesellschaften jeweils 50 % der Anteile
(Überkreuzbeteiligungen); AG und Amev existieren als Holdinggesellschaften weiter. Beide Töchter arbeiten als eine Gruppe unter einem gemeinsamen Management.
Die neue Gruppe hat drei Entscheidungsgremien: das Supervisory Committee (Aufsichtsorgan), das Management-Committee und das Coordinating-Committee. Deren
Mitglieder werden zu gleichen Teilen durch die AG und die Amev bestimmt. Die
Kommission nahm hier den Tatbestand des Erwerbs der gemeinsamen Kontrolle
nach Art. 3 I lit. b) FKVO an.
Im Fall Thomson/Shorts beteiligten sich die beiden Partner Thomson-CSF S.A.
(Thomson) und Short Brothers plc (Shorts) gegenseitig an zwei Gemeinschaftsun-
609 Zur Bewertung des Sachverhalts, wenn das gesamte operative Geschäft auf eine Tochtergesellschaft in Kapitel 4 D II.
610 Kommissionsentscheidung IV/M.018 v. 21.11.1990, Tz. 2, 3, zu finden:
www.europa.eu.int/comm/dg04/merger/cases; siehe auch Kapitel 4 D II.
611 Kommissionsentscheidung IV/M.318 v. 14.04.1993, Tz. 5-12, zu finden:
www.europa.eu.int/comm/ dg04/merger/cases.
612 Kommissionsentscheidung IV/M.072 v. 10.06.1991, Tz. 7, zu finden: www.europa.eu.int/
comm/dg04/merger/cases.
200
ternehmen, die Shorts Missile Systems Limited (SMS) und die Thomson Shorts
Systéme S.A. (TSS). Die SMS war eine 100 %ige Tochter von Shorts, von der
Thomson 49 % der Anteile an SMS erwarb; Shorts behält 51 % der SMS-Anteile.
Thomson gründete die TSS als Tochter; Shorts erwarb 43,75 % der TSS-Anteile; die
restlichen 56,25 % blieben in Thomsons Hand. In den Vorständen beider Gemeinschaftsunternehmen sind die Partner in gleicher Weise vertreten; jeder bestimmt vier
der acht Mitglieder. Der Vorsitzende bei SMS wird von Shorts unter Zustimmung
von Thomson bestellt; beim Vorsitzenden der TSS erfolgt dies spiegelbildlich,
Thomson schlägt vor, Shorts muss zustimmen. Das Tagesgeschäft in den beiden
Gemeinschaftsunternehmen übernimmt jeweils ein von beiden Partnern eingesetztes
Komitee. Darin liegt eine gemeinsame Kontrolle über beide Gemeinschaftsunternehmen. In einem zweiten Schritt soll TSS eine 100%ige Tochter der SMS werden,
an der die Partner dann zu gleichen Teilen (50:50) beteiligt sind.
In der Entscheidung Sanofi/Sterling Drug (Presciption Ventures) gründeten die
Partner für ihren Geschäftsbereich der verschreibungspflichtigen Arzneimittel zwei
Gemeinschaftsunternehmen, die verschiedene territoriale Märkte abdecken sollen:
Prescription Venture A für die Märkte Europa, Afrika, Mittlerer Osten, China, Taiwan und Prescription Venture B für die Märkte Nord- und Südamerika, Ozeanien,
Südostasien. In diesen Gemeinschaftsunternehmen wollen die Partner Produktion,
Verwaltung, Marketing, Verkauf und Absatz sowie die Entwicklung neuer Produkte
verbinden. Am Prescription Venture A hält Sanofi 50,055 % der Anteile, Sterling
Drug 49,945 %. Am Presciption Venture B sind die Partner im umgekehrten Verhältnis beteiligt (Sanofi 49,945 %, Sterling Drug 50,055 %). Beide Partner übertragen ihre Vertragsbeziehungen, staatliche Erlaubnisse und Lizenzen auf die Gemeinschaftsunternehmen. Die Produkte werden unter einem gemeinsamen Handelsnamen
vertrieben. Die Forschungsaktivitäten erfolgen im Anfangsstadium getrennt, die
Partner können aber gegenseitig von den Forschungsergebnissen partizipieren. Erreichen die Forschungen die Entwicklungsphase, in der die klinischen Tests durchgeführt werden, wird die Weiterentwicklung gemeinsam durchgeführt. Hierfür wurde ein Entwicklungskomitee gebildet. Jedes Gemeinschaftsunternehmen wird
ein eigenes Management mit einem „strategic management committee“ haben, welches strategische Entscheidungen trifft, die Finanz- und Operatingmanager bestimmt
und Pläne zur Rationalisierung der Produktion und den Jahresetat festlegt. Sanofi ist
im Prescription Venture A verantwortlich für das Tagesgeschäft; Sterling Drug für
das Tagesgeschäft im Presciption Venture B.613 In den Vorstand des Presciption
Venture A bestellt Sanofi fünf und Sterling Drug drei der insgesamt acht Mitglieder.
Der Vorstand des Prescription Venture B ist spiegelbildlich besetzt (Sanofi drei,
613 Die industrielle Führerschaft eines der beteiligten Unternehmen schließt nach Ansicht der
Kommission gemeinsame Kontrolle nicht aus, wenn der andere Partner die Mitentscheidungsbefugnis über strategische Unternehmensentscheidungen behält; s. dazu Mitteilung
der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) Nr. 4064/89,
ABl. (EG) 1998 C 66/5,Tz. 36.
201
Sterling Drug fünf Mitglieder). Für wesentliche Entscheidungen wird eine qualifizierte Mehrheit verlangt, bei der mindestens 2 Stimmen jedes Partners erforderlich
sind. Wesentliche Entscheidungen sind: die jährliche Annahme des strategischen
Fünf-Jahres-Plans, Bestimmung der Mitglieder eines Nominierungskomitees, das
die Operations-Manager bestimmt. Die Kommission sieht in der Spiegelbildlichkeit
der Besetzung und Organisation der Gemeinschaftsunternehmen eine gleich starke
Einflussmöglichkeit beider Partner gesichert und leitet daraus die gemeinsame Kontrolle über beide Gemeinschaftsunternehmen ab.
2. Verträge
Innerhalb der Tatbestände der gemeinsamen Kontrolle können Verträge zweierlei
Funktion haben. Einerseits können es Vereinbarungen zwischen den Mutterunternehmen sein, mit denen sie ihre Willensbildung im Hinblick auf die Steuerung und
Leitung des gemeinsam kontrollierten Unternehmens koordinieren (Instrumente der
Willenbildung). Andererseits können sie im Verhältnis zum Gemeinschaftsunternehmen die Einflussnahme auf dessen unternehmenswesentliche Entscheidungsbereiche direkt oder indirekt regeln (Beherrschungs- und Kontrollmittel).
a) Verträge als Instrumente der Willensbildung
Verträge als Instrumente der Willensbildung dienen der Einigung und Bildung eines
gemeinschaftlichen Willens unter den Müttern und stellen somit die Mitkontrollmöglichkeit der einzelnen Mutterunternehmen sicher. Sie bewirken damit eine Bündelung ihrer Einflusspotentiale, was zu einer Addition der Stimm- oder Bestellungsrechte oder anderer Einflussnahmemittel führt.
aa) Verträge über Bestellungsrechte
Verträge, in denen Bestellungsrechte für die einzelnen Mutterunternehmen vereinbart werden, können disparitätische Beteiligungen ausgleichen oder die paritätische
Beteiligung auch in den Leitungsorganen abbilden (z. B. Entscheidungen Thomas
Cook/LTU/WestLB, Knorr-Bremse/Allied Signal, Thomson/Shorts, Akzo Nobel/Monsanto und Volvo/Atlas).
bb) Verträge mit Vetorechten
Über vereinbarte Vetorechte kann ebenfalls eine Mitkontrolle sichergestellt werden.
Solche Vetorechte kommen vor in Form von Einstimmigkeitserfordernissen, der
202
Verabredung besonderer Mehrheiten (¾ oder 80%) oder Zustimmungserfordernissen
eines von jeder Partei bestellten Organmitglieds (z.B. Entscheidungen Thomas
Cook/LTU/WestLB, McComrick/CPC/Rabobank/Ostmann zzgl. eines vereinbarten
Stimmgewichts und Sappi/DLJMB/UBS/Warren).
cc) Stimmbindungsverträge, Stimmenpoolverträge
Gegenstand von Stimmbindungs- oder Stimmenpoolverträgen ist die Ausübung von
Stimmrechten in gleicher Weise wie der Vertragspartner, was zu einer Addition des
Stimmgewichts führt. Zur Absicherung der Mitkontrollmöglichkeit werden oft Vetorechte bzw. besondere Mehrheitserfordernisse vereinbart (z. B. Entscheidung Costa
Crociere/Chargeurs/Accor).
dd) Verträge über die Errichtung von Gremien
Die Errichtung von Gremien wirkt zweifach: zwischen den Müttern als Ort der gemeinschaftlichen Willensbildung und im Verhältnis zum Gemeinschaftsunternehmen als Instrument direkter Einflussnahme auf unternehmenswesentliche Entscheidungen im gemeinsam kontrollierten Unternehmen.
ee) Verträge über eine Zusammenarbeit
In der Entscheidung der Hohen Behörde Hoesch/Hoogovens614 haben sich die beiden Unternehmen vertraglich zur Zusammenarbeit verpflichtet, in der Weise, dass
Hoesch zugunsten eines Exklusivliefervertrages für Hoogovens auf den Ausbau seiner Rohstahlkapazitäten verzichtet (Investitionsverzicht) und beide Unternehmen
sich gegenseitig mit Vorprodukten beliefern.615
b) Verträge als Kontrollmittel
Hier soll betrachtet werden, in welcher Weise Verträge als Kontroll- und Beherrschungsmittel gegenüber dem gemeinsam kontrollierten Unternehmen wirken können.
614 Hohe Behörde, 15. Gesamtbericht über die Tätigkeiten der Europäischen Gemeinschaften
1966/67, Tz. 226f; siehe auch Kapitel 4 D II.
615 Zur wechselseitigen Abhängigkeit siehe in Kapitel 4 D.
203
aa) Verträge, die eine direkte Einflussnahmemöglichkeit gewähren
Hierzu zählen Verträge, die die Unterstellung unter die Entscheidungen eines Gremiums (Komitees) vorsehen. Sie haben die Wirkung von Organisationsverträgen.
Deren Kennzeichen ist es, die innergesellschaftliche Zuständigkeitsverteilung zu
verändern, hier durch Verlagerung auf das Gremium. Die Einflussnahme auf das
Gemeinschaftsunternehmen kann direkt erfolgen, ohne die Vermittlung über den
Einsatz eines Druckmittels, welches die Entscheidungsträger in eine Entscheidungszwangslage versetzt.
Innerhalb der Tatbestände der Sole Control wurde in der Entscheidung
CCIE/GTE 616 die Kontrollmöglichkeit von CCIE durch ein Zustimmungserfordernis
seitens des Vorstandes der CCIE hinsichtlich unternehmenswesentlicher Entscheidungen617 im kontrollierten Unternehmen EDIL neben einer 19 %igen Minderheitsbeteiligung und einem Bestellungsrecht in den Vorstand begründet. Das Zustimmungserfordernis gewährt eine direkte Einflussnahmemöglichkeit. In Tatbeständen
der gemeinsamen Kontrolle (Joint Control) ist eine Einigung der Mütter im Hinblick
auf die zu beeinflussenden Entscheidungen notwendig. Hierfür bietet sich die Schaffung gemeinsamer Gremien an, die sowohl als Instrument gemeinsamer Willensbildung als auch als Kontrollmittel zur Weitergabe der Entscheidungsinhalte fungieren
können.
Des Weiteren wurden im Bereich der alleinigen Kontrolle Just-in-Time-
Lieferverträge betrachtet.618 Diese Verträge können Klauseln enthalten, die es dem
Hersteller erlauben, bestimmte Investitionen, bestimmte Produktionsverfahren und
eine bestimmte Art der Anlieferung, eine EDV-Vernetzung sowie ggf. Rationalisierungsmaßnahmen vom Lieferanten zu verlangen. Diese können als Verträge mit Organisationscharakter klassifiziert werden.619 Hier gewährt der Vertrag u. U. eine direkte Einflussnahme auf unternehmenswesentliche Entscheidungsbereiche wie Investitionen/Finanzen, Produktion und Absatz.
bb) Verträge, die eine indirekte Einflussnahmemöglichkeit gewähren
Indirekte Einflussnahmemöglichkeit meint hier, dass ein Vertrag unterhalb der
Schwelle der Organisationsverträge und Verträge mit Organisationscharakter (Just-
616 Kommissionsentscheidung IV/M.258 v. 25.09.1992, zu finden: www.europa.eu.int/
comm/dg04/merger/cases.
617 Diese sind im Einzelnen: Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern, Vorruhestandsvereinbarungen für die Belegschaft, Kapitalausgaben, Veräußerung wesentlicher Teile des Betriebsvermögens sowie der Jahreshaushalt. Die Vertragsparteien (CCIE und die
anderen Investoren) haben sich darauf verständigt, dass dieses Vetorecht auch in den
Hauptversammlungen anzuwenden ist.
618 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit Just-in-Time-Lieferverträgen erfolgt in Kapitel
5.
619 Näher dazu in Kapitel 5 und 7 B.
204
in-Time-Lieferverträge der Gruppe III und IV) in Kombination mit anderen Mitteln
zu einer Entscheidungszwangslage der Organmitglieder führt, die dann in der Regel
zugunsten des Einfluss Ausübenden gelöst wird. Als Druckmittel dient die Androhung der Auflösung des für eine Partei oft existentiell wichtigen Vertrages.620
cc) Verträge, die in Kombination mit anderen Mitteln eine Einflussnahme ermöglichen
Hierunter können Fallgestaltungen gefasst werden, bei denen das Zusammenspiel
von Verträgen mit anderen beeinflussungsgeeigneten Mitteln eine, in der Regel indirekte, Einflussnahmemöglichkeit auf die unternehmenswesentlichen Entscheidungen
im gemeinsam kontrollierten Unternehmen gewährt.621
3. Tatsächliche Einflussgrundlagen – faktische Kontrolle
Bei den Formen der faktischen Kontrolle ergibt sich die Kontrollmöglichkeit nicht
aus einem Vertrag oder einer Beteiligung sondern aus den – besonderen – tatsächlichen Umständen. Im Abschnitt über die alleinige Kontrolle wurden personelle Verflechtungen, organisatorische Verflechtungen sowie Tatbestände der wirtschaftlichen Abhängigkeit als Kontrollmittel betrachtet.
a) Personelle Verflechtungen
Das meint, dass die Leitungs- und/oder Aufsichtorgane im gemeinsam kontrollierten
Unternehmen mit Personen besetzt werden, die ihrerseits Mitglied in den Leitungsoder Aufsichtsorganen der Mutterunternehmen sind. Voraussetzung für die Besetzung der Organe im Gemeinschaftsunternehmen sind Bestellungsrechte.622
b) Organisatorische Verflechtungen
Als organisatorische Verflechtung wäre denkbar, dass zwischen Müttern und Gemeinschaftsunternehmen gemeinsame kaufmännische und technische Besprechungen stattfinden. Ein Beispiel bietet die Entscheidung der Hohen Behörde
620 Siehe auch Kapitel 4 B II.
621 Siehe in Kapitel 4 B II.
622 Diesbezüglich sei auf die Ausführungen und Beispiele in Kapitel 4 B II. 3 verwiesen.
205
Hoesch/Hoogovens.623 Die beteiligten Unternehmen haben sich zur Zusammenarbeit
verpflichtet, in der Weise, dass Hoesch zugunsten eines Exklusivliefervertrages für
Hoogovens auf den Ausbau seiner Rohstahlkapazitäten verzichtet (Investitionsverzicht) und beide Unternehmen Vorprodukte voneinander beziehen. Das führt faktisch zu gemeinsamen Besprechungen und beständiger Abstimmung der Geschäftspolitik zwischen den Unternehmen. Hieraus hat sich eine wechselseitige Abhängigkeitsbeziehung zwischen den Unternehmen entwickelt. Die Kommission sieht diese
als Form der gemeinsamen Kontrolle, Joint Control, an. M.E. sollten wechselseitige
Abhängigkeitsbeziehungen eine eigenständige Kategorie bilden.624
c) Wirtschaftliche Abhängigkeitsbeziehungen: atypische Liefer- und Kreditbeziehungen
Im Abschnitt Sole Control wurden wirtschaftliche Abhängigkeitsbeziehungen auf
der Grundlage atypischer Liefer- oder Kreditverträge auf ihre Eignung zur Einflussnahme auf unternehmenswesentliche Entscheidungen betrachtet.625
Nach Ansicht der Hohen Behörde erfüllt bereits das Bestehen einer sehr engen
Liefer- oder Kreditbeziehung, die über das übliche Maß bei Volumen oder Laufzeit
hinausgeht, einen Zusammenschlusstatbestand (Art. 1 Nr. 5 Entscheidung der Hohen
Behörde 24/54).626 Die Kommission verlangt für den Zusammenschluss- und Kontrolltatbestand des Art. 3 II FKVO hingegen, dass neben der atypischen Liefer- oder
Kreditbeziehung noch eine strukturelle Verflechtung besteht.627 Strukturelle Verflechtungen können personeller oder organisatorischer Art sein oder in Form einer
Beteiligung bestehen. Durch die Hinzunahme dieser Supplemente struktureller Art
entstehen Formen der kombinierten Beherrschung.628
d) Kombinierte Kontrollformen
In einigen Fällen ergibt sich die Einflussnahme- und Kontrollmöglichkeit aus dem
Zusammenspiel zweier oder mehrerer beeinflussungsgeeigneter Mittel. In der Praxis
der EU-Wettbewerbskommission ließen sich folgende Kombinationen finden:
623 Hohe Behörde, 15. Gesamtbericht über die Tätigkeiten der Europäischen Gemeinschaften
1966/67, Tz. 226f.
624 Diese wird gesondert behandelt in Kapitel 4 D.
625 Siehe oben in Kapitel 4 B II. 3.
626 EGKS, Hohe Behörde, Entscheidung Nr. 24/54 vom 6.5.1954 betreffend die Tatbestandsmerkmale der Kontrolle eines Unternehmens aufgrund des Artikels 66 § 1 des Vertrages
vom 6.5.1954, ABl. EG Nr. 009 vom 11.05.1954, S. 0345-0346.
627 Ebenda.
628 Siehe oben in Kapitel 4 B II. 4.
206
Minderheitsbeteiligung mit Exklusivliefervertrag, als eine Form der wirtschaftlichen Abhängigkeit, verbunden mit dem strukturellen Supplement der Beteiligung
(Entscheidung RVI/VBC/Heuliez) und
die vertragliche Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit personellen und organisatorischen Verflechtungen (Entscheidung der Hohen Behörde zu Art. 66 EGKS-
Vertrag Hoesch/Hoogovens)
aa) Minderheitsbeteiligung und Exklusivliefervertrag
Ein Beispiel gibt die Entscheidung RVI/VBC/Heuliez.629 Die Kommission nahm eine
gemeinsame Kontrolle der Holding Henri Heuliez und Renault S.A. über Heuliez
Bus an, die sich aus der Kombination einer Beteiligung mit einem Exklusivliefervertrag zwischen Heuliez Bus und einer Tochtergesellschaft von Renault, RVI, ergibt.
Im Einzelnen: An Heuliez Bus sind die Holding Henri Heuliez (HHH) zu 51 %
und die La Charolaise zu 49 % beteiligt. La Charolaise ist eine Mantelgesellschaft,
an der Renault S.A. zu 9 % und verschiedene Banken, die keine industriellen Interessen verfolgen, zu 91 % beteiligt sind. Zwischen Heuliez Bus und Renault Véhicules Industriels (RVI), einer Tochter der Renault S.A., besteht ein 10-jähriger Liefervertrag über den Heuliez verpflichtet ist, ausschließlich RVI mit Karosserien für
Busse zu beliefern. Zwar war Renault an La Charolaise nur zu 9 % beteiligt, kontrollierte La Charolaise aber dadurch, dass sie als Einzige industrielle Interessen in La
Charolaise verfolgte. Über die Kontrolle von La Charolaise ist Renault mittelbar zu
49 % an Heuliez Bus beteiligt. Diese mittelbare Beteiligung in Verbindung mit dem
Exklusiv-Liefervertrag zwischen RVI und Heuliez Bus verschafft Renault eine
kombinierte Mitkontrollmöglichkeit neben der Holding Henri Heuliez an Heuliez
Bus. Da der Liefervertrag für Heuliez Bus von existentieller Bedeutung ist, wird die
Holding Henri Heuliez keine unternehmerischen Entscheidungen bei Heuliez Bus
durchsetzen, die den Interessen Renaults zuwiderlaufen. Dies wirkt faktisch wie ein
Vetorecht gegenüber der Holding Henri Heuliez und erzeugt eine Notwendigkeit zur
Einigung. Der Einigungszwang ist Kennzeichen eines Instrumentes zur Willensbildung unter den Müttern. Das heißt, das Willensbildungsmittel entsteht hier aus dem
Zusammentreffen von mittelbarer Beteiligung (49 %) Renaults an Heuliez Bus über
La Charolaise und dem Exklusivliefervertrag zwischen Heuliez Bus und der Renault-Tochter RVI. Auch die Ausübung der Einflussnahme auf die unternehmenswesentlichen Entscheidungen bei Heuliez Bus kann kombiniert erfolgen: Zum einen
können über eine Einigung Renaults mit der Holding Henri Heuliez die Stimmrechte
gebündelt werden; das ergibt eine Stimmrechtsmehrheit. Damit wird eine direkte
Einflussnahme auf die Zusammensetzung der Organe und eine indirekte Einwirkung
auf die Beschlüsse dieser im kontrollierten Unternehmen Heuliez Bus ermöglicht.
Zum anderen kann aber auch die Aufkündigung des existentiell wichtigen Lieferver-
629 Kommissionsentscheidung IV/M.092 v. 03.06.1991, Tz. 4, zu finden: www.europa.eu.int/
comm/dg04/merger/cases.
207
trages Druck auf Heuliez Bus ausüben, welches Renault zusätzlich eine indirekte
Einflussnahmemöglichkeit auf die Organbeschlüsse im kontrollierten Unternehmen
verschafft.
bb) Minderheitsbeteiligung, personelle und organisatorische Verflechtungen
In der Entscheidung der Hohen Behörde Hoesch/Hoogovens630 trafen folgende Faktoren aufeinander: Hoogovens hält eine Beteiligung i. H. v. 15 % an Hoesch. Zwei
Aufsichtsratssitze bei Hoesch werden vom Vorstandsvorsitzenden und einem weiteren Vorstandsmitglied von Hoogovens eingenommen; hierin liegt eine personelle
Verflechtung. Vertraglich haben sich die Unternehmen zur Zusammenarbeit verpflichtet; Hoesch verzichtet auf den Ausbau seiner Rohstahlkapazitäten (Investitionsverzicht) zugunsten eines Exklusivliefervertrages für Hoogovens. Die vertraglich
vereinbarte Zusammenarbeit führt faktisch zu gemeinsamen Besprechungen und beständiger Abstimmung der Geschäftspolitik zwischen den Unternehmen. Daraus ergibt sich auch eine organisatorische Verflechtung der Unternehmen.
cc) Verträge mit Organisationscharakter in Verbindung mit faktischer Organisationsherrschaft
Neben den dargestellten Formen wäre theoretisch auch eine Anbindung des Gemeinschaftsunternehmens über Just-in-Time-Lieferverträge an seine Abnehmer
denkbar. Vielfach werden aus den Mutterunternehmen bestimmte Geschäftszweige
ausgegliedert und auf ein gemeinsames Unternehmen übertragen,631 welches dann in
dieser Sparte agiert und die Mutterunternehmen mit Produkten aus dieser Sparte
„versorgt“.
Just-in-Time-Lieferverträge können in einer bestimmten Vertragsgestaltung dem
Abnehmer eine direkte Einflussnahmemöglichkeit auf die Produktion und Investitionspolitik des Zulieferers gewähren. Sie geben damit in bestimmten Teilbereichen
unternehmerische Organisationsentscheidungen vor und können daher als Verträge
mit Organisationscharakter klassifiziert werden. Über das Vertragsverhältnis Her-
630 Hohe Behörde, 15. Gesamtbericht über die Tätigkeiten der Europäischen Gemeinschaften
1966/67, Tz. 226f.
631 Beispiele bieten die Entscheidungen Volvo/Atlas (Kommissionsentscheidung v.
14.01.1992); Shell Chimie/ELF Atochem (Kommissionsentscheidung IV/M.475 v.
22.12.1994); ELF Atochem/Rohm&Haas (Kommissionsentscheidung IV/M.160 v.
28.07.1992) und Sanofi/Sterling Drug (Kommissionsentscheidung IV/M.072 v.
10.06.1991; alle Kommissionsentscheidungen zu finden: www.europa.eu.int/
comm/dg04/merger/cases) – wobei in diesen Entscheidungen die mehrheitliche Beteiligung
und in den drei letztgenannten Entscheidungen die gemeinsamen Gremien Einflussnahmemittel mit einem höheren Gewicht als evtl. bestehende Liefer- und Leistungsverträge
zwischen Mutter- und Gemeinschaftsunternehmen darstellen.
208
steller – Zulieferer wird der Zulieferer zum Beispiel verpflichtet zu einer sequenzgenauen Fertigung und Anlieferung auf Abruf und zur Produktion nach einem vom
Hersteller vorgegebenen Verfahren. Das führt zu einer organisatorischen Ausrichtung auf das Herstellerunternehmen, dem somit faktisch eine Organisationsherrschaft zukommt. Das Sonderproblem der Just-in-Time-Lieferbeziehungen wird eingehender in Kapitel 5 behandelt.
Zwischenergebnis: Festzuhalten bleibt, dass bei diesen Kontrollformen sich die
Kontrollmöglichkeit erst aus der Verbindung zweier oder mehrerer beeinflussungsgeeigneter Elemente ergibt, die für sich allein dem fremdbestimmten Verlangen
nicht genügend Nachdruck verleihen können.
IV. Ergebnis
Gemeinsame Kontrolle (joint control) bedeutet die gemeinschaftliche Kontrollaus-
übung durch zwei oder mehrere Unternehmen. Hierzu müssen sich die beherrschenden (kontrollierenden) Unternehmen einigen, in welcher Weise auf das oder die abhängigen (kontrollierten) Unternehmen Einfluss ausgeübt werden soll. Die joint
control erfolgt somit zweistufig: die Einigung der kontrollierenden Unternehmen,
die Bildung eines gemeinschaftlichen Willens im Hinblick auf die Art und die Gegenstände der Einflussnahme einerseits und die Ausübung des Einflusses auf das
bzw. die kontrollierten Unternehmen anderseits. Die gemeinschaftliche Willensbildung erfolgt instrumentalisiert über Elemente der Willensbildung. Durch sie werden
die Einflusspotentiale der kontrollierenden Unternehmen gebündelt, so dass Stimmoder Bestellungsrechte oder Kapitalbeteiligungen addiert werden müssen. Zudem
wurde untersucht, in welcher Weise und mit welchen Beherrschungs- und Kontrollmitteln die Mutterunternehmen auf die unternehmenswesentlichen Entscheidungen
im kontrollierten Gemeinschaftsunternehmen Einfluss nehmen. Die Beherrschungsund Kontrollmittel wurden unterteilt in solche auf der Grundlage der Regelbeispiele
des § 6 II EBRG und solche, die dem offenen Abhängigkeitsbegriff des § 6 I EBRG
zugeordnet werden können.
1. Beherrschungs- und Kontrollmittel entsprechend der Regelbeispiele des § 6 II
EBRG
a) Stimmrechtsmehrheit
Innerhalb der Stimmrechtsmehrheit werden die Stimmrechte der Mütter addiert; die
Einflussnahme auf das Gemeinschaftsunternehmen erfolgt aufgrund der gemeinschaftlichen Inhaberschaft der Mehrheit der Stimmrechte. Die Stimmrechte können
paritätisch oder disparitätisch unter den Müttern verteilt sein. Bei paritätischer 50:50
Verteilung gewährt das aufeinander Angewiesensein bei den Abstimmungen eine
209
Mitkontroll- und Miteinflussnahmemöglichkeit für jede Mutter. Bei mehr als zwei
Müttern (Verteilung z.B. ?:?:?) müssen wechselnde Mehrheiten verhindert werden
und die Mitkontrollmöglichkeit jedes Mutterunternehmens muss vertraglich oder
satzungsmäßig über Vetorechte, Einstimmigkeits-, Zustimmungs- oder besondere
Mehrheitserfordernisse sichergestellt werden. Auf diese Weise muss auch bei disparitätischer Verteilung der Stimmrechte die Mitkontrollmöglichkeit des geringer beteiligten Mutterunternehmens ausgeglichen werden. Daneben kann ein von der Beteiligung abweichendes Stimmgewicht vereinbart (Entscheidung McComrick/CPC/Rabobank/Ostmann) oder es können Bestellungsrechte in die Organe des
Gemeinschaftsunternehmens sein, insbesondere, wenn sie paritätisch verteilt sind.
Des Weiteren kann eine Kumulation der Stimmrechte durch einen Stimmbindungsvertrag unter den Müttern erreicht werden. Dabei muss die Mitkontrollmöglichkeit
des Unternehmens, das sich zur Stimmabgabe nach Vorgabe des anderen Unternehmens verpflichtet hat, über Vetorechte, Zustimmungs- oder besondere Mehrheitserfordernisse gesichert werden. Einwirkungsmedium ist hier die gemeinschaftliche
Stimmrechtsmehrheit, die eine direkte Einflussnahme auf die Zusammensetzung der
Organe im Gemeinschaftsunternehmen und eine indirekte Einflussnahme auf deren
Beschlüsse schafft. Druckmittel zur Einflussnahme auf die Beschlüsse der Entscheidungsorgane ist die Abberufung aus dem Organamt. Diese persönlichen Nachteile
lassen die Stimmrechtsmehrheit personenbezogen – bezogen auf die Personen der
Organmitglieder – wirken.
b) Mehrheit der Bestellungsrechte
Eine Addition der Bestellungsrechte kann erfolgen, wenn den Mutterunternehmen
eine gleichgewichtige Mitkontrollmöglichkeit eingeräumt ist. Das kann über paritätisch verteilte Bestellungsrechte in die Leitungs- und/oder Aufsichtsorgane des Gemeinschaftsunternehmens geschehen. Bei disparitätischer Verteilung der Bestellungsrechte oder mehr als zwei Müttern – hierbei müssen wechselnde Mehrheiten
verhindert werden – muss das Gleichgewicht der Mitkontrolle über Einstimmigkeits-, Zustimmungs- oder besondere Mehrheitserfordernisse bzw. Vetorechte sichergestellt werden. Die Einflussnahme gegenüber dem Gemeinschaftsunternehmen
erfolgt über die Mehrheit der Bestellungsrechte in die Organe des Gemeinschaftsunternehmens. Sie gewährt eine direkte Einflussnahme auf die Zusammensetzung der
Organe im Gemeinschaftsunternehmen und eine indirekte Einflussnahme auf deren
Beschlüsse. Druckmittel zur Einflussnahme auf die Beschlüsse der Entscheidungsorgane ist wie bei der Stimmrechtsmehrheit die Abberufung aus dem Organamt. Sie
wirkt daher ebenfalls personenbezogen.
210
2. Beherrschungs- und Kontrollmittel auf der Grundlage des § 6 I EBRG
a) Verträge oder Satzungsbestimmungen über die Errichtung gemeinsamer Gremien
Es finden sich Fallgestaltungen bei denen ein oder zwei Gemeinschaftsunternehmen
gegründet werden und ein oder mehrere gemeinsame Komitees die Zusammenarbeit
koordinieren. Die Gremienmitglieder werden in der Regel von den Mutterunternehmen paritätisch bestimmt. Die Gremien haben eine doppelte Funktion: Sie dienen
der gemeinschaftlichen Willensbildung der Mutterunternehmen (Instrument der Willensbildung) und als Beherrschungs- und Kontrollmittel zur Umsetzung des Willens
im Gemeinschaftsunternehmen und damit zur Einflussnahme auf die wesentlichen
Unternehmensentscheidungen im gemeinsam kontrollierten Unternehmen. Hinzu
kommt hier, dass die Gemeinschaftsunternehmen per Satzungsbestimmung oder
Vertrag – dieser ist ein Organisationsvertrag632–, der Entscheidungsgewalt der Gremien unterstellt werden. Dies kommt einem Weisungsrecht gleich, woraus sich für
die kontrollierenden Unternehmen die Möglichkeit zur direkten Einflussnahme auf
die Beschlüsse – und falls satzungsmäßig bzw. vertraglich vorgesehen – auch auf
die Zusammensetzung der Organe ergibt. Die rechtliche Durchsetzbarkeit der Gremienvorgaben macht die Organe bei Nichteinhaltung der Vorgaben schadensersatzpflichtig und hat damit eine personenbezogene Wirkung.
b) Verträge
Verträge können doppelfunktional sein. Sie können je nach Ausgestaltung als Instrument der gemeinschaftlichen Willensbildung unter den Müttern dienen, aber
auch als Beherrschungs- und Kontrollmittel gegenüber dem Gemeinschaftsunternehmen. In dieser Funktion können sie eine direkte oder indirekte Einwirkungsmöglichkeit auf unternehmenswesentliche Entscheidungen in den Bereichen Produktion,
Organisation, Beschaffung, Absatz, Finanzierung, Investitionen und Personal geben.
Verträge, die eine direkte Einflussnahme ermöglichen, sind Organisationsverträge, darunter Verträge, die eine Befolgungspflicht der Vorgaben eines Gremiums statuieren, sowie Verträge mit Organisationscharakter, wie z.B. Just-in-Time-Lieferverträge der Gruppen III und IV.633 In den vertraglich abgesteckten Bereichen kann
damit eine direkte Beeinflussung der unternehmenswesentlichen Entscheidungen im
kontrollierten Unternehmen erfolgen. Relationale Verträge, wie z.B. sehr enge und
existentiell wichtige Liefer- oder Kreditbeziehungen mit überdurchschnittlichen
Leistungspflichten gewähren, oft auch in Kombination mit anderen beeinflussungsgeeigneten Mitteln, eine indirekte Einflussnahmemöglichkeit auf unternehmenswesentliche Entscheidungen im kontrollierten Unternehmen. Nach Ansicht der Kom-
632 Näher in Kapitel 7 B.
633 Näher in Kapitel 5.
211
mission vermögen relationale Verträge nur in Kombination mit strukturellen Verflechtungen als Kontrollmittel taugen. Für Letztgenannte wurden folgende Formen
herausgearbeitet: personelle Verflechtungen, organisatorische Verflechtungen sowie
Beteiligungen. Eine indirekte Einflussnahme bedarf der Vermittlung über ein
Druckmittel. Das ist in der Regel die Aufkündigung der für das kontrollierte Unternehmen existentiell wichtigen Vertragsbeziehung.
Organisationsverträgen ist immanent, dass sie die interne Zuständigkeitsordnung
zugunsten des Einfluss Ausübenden verändern. Die Unternehmensorgane entscheiden dann nicht mehr autonom, sondern unterliegen fremdbestimmten Vorgaben, bei
deren Nichterfüllung eine persönliche Schadenersatzhaftung droht. Ebenso liegt es
bei Verträgen, die das Gemeinschaftsunternehmen der Entscheidungsgewalt eines
gemeinsamen Gremiums unterstellen. Organisationsverträge wirken personenbezogen, bezogen auf die Personen der Organmitglieder.
Verträge mit Organisationscharakter wie z.B. Just-in-Time-Lieferverträge der
Gruppe III und IV verlagern Entscheidungszuständigkeiten in den Bereichen Investitionen/Finanzen, Produktionsorganisation und Absatz auf den Hersteller. Die rechtliche Durchsetzbarkeit ergibt sich nicht wie bei den Organisationsverträgen, die bestimmte Entscheidungsbereiche den Gremien unterstellen, aus einer innergesellschaftlichen Haftung der Organmitglieder, sondern aus etwaigen vertraglichen
Schadensersatzansprüchen aus der Nichterfüllung der überdurchschnittlichen und
atypischen Vertragspflichten. Sie wirken somit unternehmensbezogen. Bei den relationalen Verträgen wirkt die Einflussnahme über das Druckmittel der Vertragsbeendigung. Diese betrifft das Unternehmen als Ganzes und wirkt ebenfalls unternehmensbezogen.
Die hinter den Verträgen als Beherrschungsmittel stehenden Instrumente der Willensbildung, die für die gemeinsame Kontrolle elementare Mitentscheidungs- und
Mitbeeinflussungsmöglichkeit sichern, können unterschiedlicher Art sein. Meist
sind es jedoch Verträge, die die Zusammenarbeit der Mütter im Hinblick auf das
gemeinsam kontrollierte Unternehmen regeln. Hierzu gehören auch Verträge, die die
Einrichtung eines oder mehrerer Gremien vorsehen.
c) Tatsächliche Einflussgrundlagen
(1) Mitkontroll- und Einflussnahmemöglichkeiten können über personelle Verflechtungen hergestellt werden. Dabei soll jede Mutter möglichst dieselbe Anzahl ihrer
Organvertreter in die Organe des gemeinsam kontrollierten Unternehmens entsenden. Hierdurch wird die Zusammensetzung der Organe im Gemeinschaftsunternehmen durch die Mütter direkt bestimmt.
(2) Für die organisatorischen Verflechtungen wurden innerhalb der sole control folgende Gruppen gebildet:
- gegenseitige Lieferverträge mit Investitionsverzicht mit der Wirkung gegenseitiger Abhängigkeit beim Bezug von Vormaterial, diese gegenseitige Abhängigkeit
212
sieht die Kommission als gemeinsame Kontrolle an (Entscheidung der Hohen Behörde Hoesch/Hoogovens).
- Nichtbeitreibbarkeit eines Kredites mit der Folge gemeinsamer kaufmännischer
und technischer Besprechungen als faktischer Kontrollerwerb. Ein solcher wäre
im Rahmen der joint control nur denkbar, wenn beide Mütter Kreditverträge mit
dem Gemeinschaftsunternehmen haben.
- Just-in-Time-Lieferbeziehungen: In die joint control fielen allerdings nur solche
Fallkonstellationen bei denen das Gemeinschaftsunternehmen über Just-in-Time-
Lieferverträge mit den Müttern verbunden ist, die Mutterunternehmen sich aber
gleichzeitig im Hinblick auf die Produktions-, Investitions- und Liefermodalitäten
im Gemeinschaftsunternehmen verständigen oder mit dem kontrollierten Unternehmen gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsaufgaben, ggf. koordiniert
über entsprechende gemeinsame Gremien, wahrnehmen.
Bei den zwei erstgenannten Formen kann eine Einflussnahme auf die Beschlüsse im
gemeinsam kontrollierten Unternehmen nur vermittelt über ein Druckmittel, die
Aufkündigung des existentiell wichtigen Vertrages, somit nur auf indirektem Wege
erfolgen. Die Folgen hieraus träfen das kontrollierte Unternehmen als solches. Die
Kontrollmittel wirken damit unternehmensbezogen. Bei Just-in-Time-Lieferbeziehungen kann im vertraglich abgesteckten Bereich (Produktionsorganisation, Investitionen, Forschung und Entwicklung) auf der Basis des Vertrages eine direkte Einflussnahme erfolgen. In den anderen Bereichen kann durch die Drohung der Vertragsbeendigung eine indirekte Einwirkung auf das Unternehmensverhalten erreicht
werden.
(3) wirtschaftliche Abhängigkeitsverhältnisse
Im Rahmen der joint control wäre dies denkbar, wenn das Gemeinschaftsunternehmen über die oben beschriebenen Liefer- oder Kreditverträge mit den Mutterunternehmen verbunden ist. Nach Ansicht der Kommission muss bei relationalen Verträgen eine strukturelle Verflechtung als Supplement hinzukommen. Damit liegen
Formen der kombinierten gemeinsamen Beherrschung vor. Die Androhung der Aufkündigung des existentiell wichtigen Vertrages kann dazu dienen, sich eine indirekte
Einflussnahmemöglichkeit zu verschaffen.
d) Formen kombinierter gemeinsamer Beherrschung
Hier ließen sich vor allem zwei Kombinationen finden:
(1) eine Minderheitsbeteiligung verbunden mit einem Exklusivliefervertrag (Entscheidung RVI/VBC/Heuliez).
Die mittelbare Beteiligung Renaults in Verbindung mit dem Exklusivliefervertrag
zwischen der Renault-Tochter RVI und Heuliez Bus verschafft Renault eine kombinierte Mitkontrollmöglichkeit neben der Holding Henri Heuliez an Heuliez Bus.
Der Liefervertrag ist für Heuliez Bus von existentieller Bedeutung, so dass die Holding Henri Heuliez (HHH) bei unternehmerischen Entscheidungen im kontrollierten
213
Unternehmen Heuliez Bus eine Einigung anstreben wird. Das verschafft Renault ein
faktisches Vetorecht gegenüber der Holding Henri Heuliez und damit eine Mitkontrollmöglichkeit über Heuliez Bus. Das Willensbildungsinstrument zwischen den
kontrollierenden Unternehmen Renault und der Holding Henri Heuliez ist seitens
Renaults ein kombiniertes: die mittelbare Beteiligung über La Charolaise (49 %) an
Heuliez Bus verbunden mit dem Liefervertrag zwischen Heuliez Bus und der Renault-Tochter RVI. Auch die Einflussnahme auf das kontrollierte Unternehmen Heuliez Bus kann über kombinierte Beherrschungs- und Kontrollmittel erfolgen: Zum
einen können über eine Einigung Renault – Holding Henri Heuliez die Stimmrechte
gebündelt werden, das ergibt eine Stimmrechtsmehrheit, so dass eine direkte
Einflussnahmemöglichkeit auf die Zusammensetzung der Organe und eine indirekte
Einwirkungsmöglichkeit auf die Beschlüsse dieser im kontrollierten Unternehmen
Heuliez Bus eröffnet wird. Zum anderen kann aber auch durch die Aufkündigung
des existentiell wichtigen Liefervertrages Druck auf Heuliez Bus ausübt werden,
welches Renault zusätzlich eine indirekte Einflussnahmemöglichkeit auf die Organbeschlüsse im kontrollierten Unternehmen verschafft.
(2) die vertragliche Verpflichtung zur Zusammenarbeit verbunden mit personellen
und organisatorischen Verflechtungen (Entscheidung der Hohen Behörde zu Art. 66
EGKS-Vertrag Hoesch/Hoogovens).
Hinsichtlich der Art der Einflussnahmemöglichkeit ist zu differenzieren. Der Vertrag über die Zusammenarbeit verschafft in den vertraglich bestimmten Bereichen
eine direkte Einwirkungsmöglichkeit auf die Beschlüsse der Organe. Beispielsweise
verzichtete Hoesch auf den Ausbau seiner Rohstahlkapazitäten zugunsten eines Exklusivliefervertrages für Hoogovens. Andererseits hat sich Hoogovens verpflichtet,
seine Vorprodukte größtenteils von Hoesch zu beziehen. Der Vertrag trifft somit
Regelungen, die unternehmenswesentlichen Entscheidungsbereiche Investitionen/Finanzen, Beschaffung und Absatz tangieren. Die organisatorischen Verflechtungen in Form gemeinsamer regelmäßiger Besprechungen, die zu einer stetigen
Abstimmung der Geschäftspolitik führten, erzeugen eine Notwendigkeit zur Einigung auch in Fragen der Produktion und der künftigen Geschäftsplanung und vermögen daher auch diese Geschäftsbereiche zu beeinflussen. Der Vertrag fungiert
hier somit auch als Instrument der Willensbildung. Die gegenseitige Abhängigkeit
beim Produktabsatz und der Belieferung mit Vorprodukten begünstigt ein einigungskonformes Verhalten auch in anderen Bereichen. Die Aufkündigung des Vertrages kann als Druckmittel dienen. In Anbetracht dieser „Fernwirkungen“ des Vertrages werden zumindest indirekte, vermittelt über die Einigungsnotwendigkeit und
das Druckmittel der Vertragsbeendigung, Einflussnahmemöglichkeiten auf andere
unternehmenswesentliche Entscheidungsbereiche geschaffen. Zudem werden zwei
Aufsichtsratssitze bei Hoesch vom Vorstandsvorsitzenden und einem weiteren Vorstandsmitglied bei Hoogovens eingenommen. Diese personelle Verflechtung gestattet partiell eine direkte Einflussnahme auf die Zusammensetzung des Aufsichtsorgans bei Hoesch. Zu den Wirkungen der verschiedenen Kontrollmittel: Soweit vertragliche Pflichten verletzt werden, entsteht eine Schadensersatzpflicht des Unternehmens; die Wirkung der Kontrollmittel aus dem Vertrag ist daher unternehmens-
214
bezogen. Wird zudem aus Einigungsnotwendigkeit oder Drohung mit der Vertragsbeendigung dem abhängigen Unternehmen ein einigungs- bzw. einflusskonformes
Verhalten abverlangt, beruht dies auf dem Interesse, Nachteile für das Unternehmen
abzuwenden und wirkt somit ebenfalls unternehmensbezogen.
3. Instrumente der Willensbildung
Kennzeichen gemeinsamer Kontrolle ist die Bündelung der Einflusspotentiale
zwecks gemeinschaftlicher Einflussnahme auf das gemeinsam kontrollierte Unternehmen. Die Zusammenlegung und gemeinsame Nutzung der Einflusspotentiale
wird möglich durch einen gemeinschaftlich gebildeten Willen. Die Instrumente der
Willensbildung wirken nur zwischen den herrschenden (kontrollierenden) Unternehmen. Die Außenwirkung, die Einflussnahme auf das gemeinsam kontrollierte
Unternehmen, erfolgt über die oben dargestellten Beherrschungs- und Kontrollmittel. Hier sollen die Instrumente der Willensbildung kurz typisierend zusammengefasst werden.
a) Paritätische Beteiligung
Sind die zwei kontrollierende Unternehmen (Mutterunternehmen) an einem oder
zwei Gemeinschaftsunternehmen beteiligt und stehen ihnen auch paritätisch die mit
der Beteiligung verbundenen Stimmrechte zu (z.B. Entscheidungen Volvo/Atlas; Akzo Nobel/Monsanto), sind sie bei Abstimmungen im kontrollierten Unternehmen
aufeinander angewiesen. Das nötigt sie, sich im Hinblick auf beeinflussungsrelevante Entscheidungen zu einigen. Möglich sind auch Überkreuzbeteiligungen an zwei
Gemeinschaftsunternehmen, etwa im Gemeinschaftsunternehmen A 35:65 und im
Gemeinschaftsunternehmen B 65:35 (z.B. Entscheidung Knorr-Bremse/Allied Signal). Sind mehr als zwei Mütter an einem oder zwei Gemeinschaftsunternehmen beteiligt (Entscheidungen PowerGen/NRGEnergy/Morrison Knudsen/MIBRAG und
MSG Media Service), müssen wechselnde Mehrheiten vermieden werden. Hierzu
können beispielsweise Vetorechte vereinbart werden, die Einstimmigkeit oder besondere Mehrheiten oder die Zustimmung eines jeden Mutterunternehmens verlangen.
b) Disparitätische Beteiligungen und Ausgleichsinstrumente (Vetorechte)
Sind die kontrollierenden Unternehmen nicht paritätisch am Gemeinschaftsunternehmen beteiligt, muss das fehlende Beteiligungsgleichgewicht durch Vetorechte im
weitesten Sinne ausgeglichen werden. Dies können vertraglich oder satzungsmäßig
vereinbarte Einstimmigkeits-, besondere Mehrheits- oder Zustimmungserfordernisse
sein (z.B. Entscheidungen Continental/Kaliko/DG Bank/Benecke und Sappi/DLJMB/
215
UBS/Warren), aber auch die Einräumung paritätisch verteilter Bestellungsrechte
(z.B. Entscheidung Knorr-Bremse/Allied Signal) oder ein von der Beteiligung abweichend vereinbartes Stimmgewicht (Entscheidung McComrick/CPC/Rabobank/
Ostmann).
c) Paritätische Bestellungsrechte in die Organe des kontrollierten Unternehmens
Disparitätische Beteiligungen der kontrollierenden Unternehmen können auch über
die gleichmäßige Verteilung von Bestellungsrechten in das Aufsichts- oder Leitungsorgan des kontrollierten Unternehmens ausgeglichen werden (z.B. Entscheidung Knorr-Bremse/Allied Signal).
d) Gremien, gemeinsame Besprechungen
Gemeinsame Gremien sind Ort und Instrument der gemeinschaftlichen Willensbildung. In die Gremien werden Mitglieder entsandt, die die Willensbildung zwischen
den Mutterunternehmen und deren Umsetzung – ggf. im Einvernehmen mit dem
Gemeinschaftsunternehmen – im gemeinsam kontrollierten Unternehmen festlegen.
Grundlage für die Errichtung der Gremien können Verträge zwischen den Mutterunternehmen oder eine Bestimmung in der Satzung des gemeinsam kontrollierten Unternehmens sein.
Regelmäßige gemeinsame kaufmännische und technische Besprechungen erreichen einen nicht so hohen Institutionalisierungsgrad wie die gemeinsamen Gremien,
sie erfüllen aber auch den Zweck der gemeinschaftlichen Willensbildung und der
Abstimmung der Geschäftspolitik (Entscheidung Capito&Klein/Friedr. Krupp).
e) Verträge
(1) Verträge über Bestellungsrechte für die Mutterunternehmen können disparitätische Beteiligungen ausgleichen oder die paritätische Beteiligung auch in den
Leitungsorganen abbilden.
(2) Verträge mit Vetorechten, Einstimmigkeits-, besonderen Mehrheits- oder Zustimmungserfordernissen dienen dazu, eine Mitentscheidungsmöglichkeit zu sichern, wenn die kontrollierenden Unternehmen beispielsweise in ungleicher
Höhe beteiligt sind oder bei mehr als zwei Mutterunternehmen wechselnde
Mehrheiten verhindert werden sollen.
(3) Stimmbindungsverträge: Deren Gegenstand ist die Ausübung von Stimmrechten
in gleicher Weise wie der Vertragspartner. Um die Mitkontrollmöglichkeit des
anderen Vertragsteils abzusichern, werden oft Vetorechte bzw. besondere Zustimmungserfordernisse vereinbart (Entscheidung Costa Crociere/Chargeurs/
Accor).
216
(4) Verträge über die Errichtung von Gremien regeln die Entsendung der Mitglieder
durch die Mutterunternehmen634 sowie die Entscheidungsbereiche, in denen das
Gemeinschaftsunternehmen der Kontrolle unterliegt. Typischerweise erstrecken
sich die Bereiche der Einflussnahme auf Budget, Investitionen, Finanzen, Mehrjahrespläne, Organisation, Forschungsprogramme, Wettbewerbsstrategien und
Geschäftspolitik im Allgemeinen.
(5) Verträge über eine Zusammenarbeit: Markantestes Beispiel bildete hier die Entscheidung Hoesch/Hoogovens, bei der u. a. ein gegenseitiger Bezug von Vorprodukten und ein Investitionsverzicht in diesem Bereich vereinbart worden ist.
Gegenstand von Zusammenarbeitsverträgen kann auch die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens sein, welches aus den Mutterunternehmen ausgegliederte Funktionsbereiche (wie z.B. Forschung und Entwicklung oder Herstellung
und Belieferung mit Neben-, oder Vorprodukten) übernehmen soll (Entscheidungen Sanofi/Sterling Drug, Shell Chimie/ELF Atochem und ELF Atochem/Rohm&Haas).
f) Einigungszwang auf faktischer Grundlage
(1) faktisches Vetorecht
Eine signifikante Entscheidung bildet RVI/VBC/Heuliez. Trotz der 51:49 Beteiligung der Holding Henri Heuliez und Renaults an Heuliez Bus erlangte Renault
eine effiziente Mitkontrollmöglichkeit aufgrund eines für Heuliez Bus existentiell wichtigen Liefervertrages mit einer Renault-Tochter (RVI), da in Anbetracht der existentiellen Bedeutung dieses Liefervertrags sich die Holding Henri
Heuliez veranlasst sah, ein Einvernehmen mit Renault zu suchen. Dieser Liefervertrag hatte daher faktisch die Wirkung eines Vetorechts zugunsten Renaults.
(2) personelle Verflechtungen
Sind die Organe im kontrollierten Unternehmen mit Organmitgliedern aus den
Mutterunternehmen personenidentisch und in gleicher Anzahl besetzt, ergibt
sich hierdurch eine Notwendigkeit zur Einigung innerhalb des Aufsichts- oder
Leitungsorgans der kontrollierten Gesellschaft.
634 Daneben ist auch die Entsendung von Vertretern des Gemeinschaftsunternehmens in das
Gremium möglich. Diese fungieren meist als Interessenvertreter, deren Einfluss auf die
Entscheidungen jedoch nur begrenzt ist.
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D. Beherrschungsmittel Teil III: Reciprocal Control – wechselseitige Abhängigkeitsverhältnisse
I. Kennzeichen und Abgrenzung
1. Kennzeichen
Charakteristisch für die alleinige und gemeinsame Kontrolle ist die einseitige Wirkungsrichtung der Einflussnahme: von dem bzw. den herrschenden Unternehmen in
Richtung des abhängigen Unternehmens. Das ist bei wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnissen (reciprocal control) anders: Jedes der beteiligten – meist zwei –
Unternehmen nimmt Einfluss auf das jeweils andere Unternehmen. Damit erfolgen
die Einflussnahmen beiderseitig und wechselseitig zwischen den beteiligten Unternehmen. Eine Form wechselseitiger Abhängigkeit ist beispielsweise die wechselseitige Beteiligung der Unternehmen aneinander z. B. in Höhe von 45 % (Entscheidung
Volvo/Renault635). In dieser Konstellation ist jedes Unternehmen bei Abstimmungen
auf die Zustimmung des anderen angewiesen. Die Willensbildung in den wechselseitig abhängigen Unternehmen kann nicht ohne die Zustimmung des jeweils anderen erfolgen. Die Willensbildung hinsichtlich der unternehmenswesentlichen Entscheidungen in den Abhängigkeitsbereichen kann somit nur gemeinschaftlich erfolgen. Es besteht eine Notwendigkeit zur Einigung. Das Merkmal des Einigungszwanges haben wechselseitige Abhängigkeitsverhältnisse mit den Formen gemeinsamer Kontrolle (Mehrfachabhängigkeit; joint control) gemeinsam. Zur gemeinsamen Willensbildung werden oft gemeinsame Gremien eingerichtet. Auch Formen
wechselseitiger Abhängigkeit, die auf einem engen Zusammenarbeitsvertrag basieren, bedürfen zur Vertragsdurchführung einer stetigen Abstimmung der Geschäftspolitik (Entscheidung Hoesch/Hoogovens636) und weisen daher ebenfalls die Notwendigkeit zur Einigung auf. Außer in den Gremien kann ein gemeinsamer Wille
auch in ständigen gemeinsamen Besprechungen gefunden und formuliert werden.
Als Kennzeichen wechselseitiger Abhängigkeitsverhältnisse können somit folgende
Merkmale festgehalten werden:
- eine wechselseitige Einflussnahme und eine wechselseitige Wirkungsrichtung
der Einflussnahme, jeweils in Richtung auf das andere Unternehmen,
- die Notwendigkeit zur Einigung (Einigungszwang) sowie
- gemeinsame Gremien oder stetige gemeinsame Besprechungen zur Abstimmung
der Geschäftspolitik (in bestimmten unternehmenswesentlichen Entscheidungsbereichen) als Instrumentarien der gemeinsamen Willensbildung.
635 Siehe in Kapitel 4 D.
636 Siehe in Kapitel 4 D.
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References
Zusammenfassung
Europaweit agierende Unternehmen bevorzugen zunehmend Formen der Einflussnahme auf andere Gesellschaften, die sich nicht mehr nur über die Kategorien Austauschvertrag und Konzern erfassen lassen. Um diese einer rechtlichen Regelung zuführen zu können, müssen sie strukturell erfasst und einem Rechtsbegriff zugeordnet werden.
Ausgehend von dem in der EBR-Richtlinie verwendeten Begriff der Unternehmensgruppe werden in dieser Studie vielfältige Abhängigkeitsbeziehungen untersucht. Über die bisher vom deutschen Konzernrecht betrachteten gesellschaftsrechtlich vermittelten Beherrschungsgrundlagen hinausgehend, gelingt die strukturelle Erfassung von organisationsvertraglichen Einflussnahmeformen. Die entwickelten Strukturelemente von Unternehmensgruppen sind auch für andere Bereiche des europäischen Rechts der Unternehmensverbindungen von größtem Interesse.