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Teil 3: Analytischer Teil: Beherrschungsmittel und Unter-nehmenswirklichkeit
Kapitel 4: Beherrschungsmittel im Sinne des § 6 I EBRG
A. Vergleichbarkeit der Beherrschungsmittel aus EBRG und FKVO
Bisher wurde der Abhängigkeitsbegriff in § 6 I EBRG im Wege der Auslegung auf
seine konstituierenden Merkmale (Adressat, Gegenstand und Potentialität der beherrschenden Einflussnahme) und die gesetzlichen Beherrschungsmittel in § 6 II
EBRG auf ihre Intensität und Wirkungsweise hin untersucht. Mit den Regelbeispielen § 6 II EBRG ist nur eine sehr begrenzte Anzahl von möglichen Beherrschungsgrundlagen vorgegeben. In der Unternehmenswirklichkeit finden sich weitaus vielfältigere Formen von Beherrschungsmitteln. Um diese zu erfassen wird hier ein
strukturell organisationsrechtlicher Ansatz gewählt.
Unter dem Schutzaspekt des EBRG – (Mindest-)Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer im Hinblick auf Unternehmensentscheidungen mit Auswirkungen auf die
Arbeitnehmer - soll der Abhängigkeitsbegriff offen sein, um eine möglichst große
Anzahl dieser rechtstatsächlich entstandenen Unternehmensverbindungen zu erfassen, die zu einer beherrschenden Einflussnahme und Fremdbestimmung führen können. Dies kann über eine funktionale Begriffsauslegung erreicht werden.
Ziel dieses 3. Teils ist es, die über die Regelbeispiele (Art. 3 II EBR-Richtlinie,
§ 6 II EBRG) hinausgehenden Beherrschungsgrundlagen zu typisieren und sie auf
ihre Eignung zur Ausfüllung des Abhängigkeitsbegriffs des § 6 I EBRG zu überprüfen.
Um die Unternehmenswirklichkeit möglichst genau abzubilden, sollen Unternehmensverbindungen aus der Praxis betrachtet werden, die eine Beeinflussung unternehmenswesentlicher Entscheidungen ermöglichen. Das bedarf eines breiten
Fallmaterials. Judikatur zum EBRG gibt es bislang kaum;453 aber es gibt eine breite
453 Nennenswert sind derzeit drei Urteile des EuGH zum Auskunftsanspruch nach § 5 EBRG:
Rechtssache C-62/99 (bofrost); Rechtssache C-440/00 (Kühne & Nagel) und Rechtssache
C-349/01 (ADS Anker), zu finden unter: www.curia.eu.int. Auf den Auskunftsanspruch
wird in Kapitel 8 näher eingegangen. Die Sachverhaltsdarstellungen sind im Hinblick auf
die Strukturen der Unternehmensgruppen nicht sehr ergiebig. Beispielsweise wird in der
Entscheidung C-440/00 (Kühne & Nagel) der Unternehmensverbund damit umschrieben,
dass die in der Gemeinschaft ansässigen Unternehmen mit der zentralen Leitung, dem herrschenden Unternehmen der Gruppe, mit Sitz in der Schweiz, „im Sinne von § 6 EBRG
verbunden“ sind. In der Entscheidung C-349/01 (ADS Anker) hat die zentrale Leitung (die
Anker Systems GmbH), das herrschende Unternehmen, seinen Sitz ebenfalls in der
Schweiz. Diese ist die „Muttergesellschaft (im Sinne des § 6 EBRG bzw. Art. 3 EBR-
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Entscheidungspraxis der Europäischen Wettbewerbskommission zur europäischen
Zusammenschlusskontrolle.454 Die europäische Fusionskontrolle regelt ebenso wie
EBRG und EBR-Richtlinie europäische, transnationale Sachverhalte.455 Insofern ist
für die Herausarbeitung von Strukturmerkmalen der Unternehmensgruppe eine europäische Sichtweise angezeigt. Die Entscheidungen der Wettbewerbskommission
bieten europäische, transnationale Sachverhalte, die dieselben oder ähnliche Strukturen von Unternehmensverbindungen abbilden, wie sie auch unter dem Blickwinkel
des speziellen Schutzzwecks von EBR-Richtlinie und EBRG interessant sein können. Hinzu kommt, dass die Kommission – ebenso wie es für den Anwendungsbereich von EBR-Richtlinie und EBRG vorausgesetzt wird - in einer die Gepflogenheiten aller Mitgliedstaaten berücksichtigenden europäischen Sichtweise entscheidet.
Zwar haben Fusionskontrolle und Arbeitnehmerbeteiligungsrechte funktional unterschiedliche Aufgaben und Schutzzwecke. Während die Fusionskontrolle die
Auswirkungen von Unternehmensverbindungen auf den Märkten und im Wettbewerb betrachtet und eingreift, um die Entstehung marktbeherrschender Stellungen zu
verhindern, geht es in EBR-Richtlinie und EBRG darum, aufgrund der länderübergreifenden Verlagerung von Entscheidungsprozessen innerhalb von Unternehmensverbindungen, den Arbeitnehmervertretern auf einer supranationalen Ebene Beteiligungsrechte zur Wahrung ihrer Rechte einzuräumen. Beide Regelungswerke betrachten jedoch dieselben oder ähnliche Strukturen von Unternehmensverbindungen.
Beiden liegt eine materielle Begriffsbildung (Generalklausel und Regelbeispiele,
Art. 3 I, II EBR-Richtlinie, Art. 3 I, II FKVO) zu Grunde, die es ermöglicht, die in
der Unternehmenswirklichkeit vorkommenden Unternehmensverbindungen breit
und von ihrer Struktur her zu erfassen. Um Schutzlücken zu vermeiden, sollte Ziel
der Auslegung des Abhängigkeitsbegriffs der Unternehmensgruppe nach EBR-
Richtlinie und EBRG eine strukturell organisationsrechtliche Erfassung der auf
Grund des Schutzzwecks einzubeziehenden Unternehmensverbindungen sowie eine
funktionale Begriffsauslegung sein.
Richtlinie)“ der in den Niederlanden ansässigen Anker B.V., die wiederum sämtliche Anteile der anderen zur Anker-Gruppe gehörenden Unternehmen, darunter die ADS Anker
mit Sitz in Deutschland, hält. Insofern dürften zumindest die in der Gemeinschaft ansässigen Unternehmen mittels Mehrheitsbeteiligung im Sinne einer Stimmrechtsmehrheit nach
§ 6 II Nr. 2 EBRG verbunden sein. Strukturell interessant ist der Sachverhalt, der der Entscheidung „Bofrost“ (Rechtssache C-62/99) zugrunde liegt; hierzu näher in Kapitel 8.
454 Normative Grundlage des Gemeinschaftsrechts bildet die Verordnung 139/2004/EG über
die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen v. 20.01.2004, ABl. EG 2004 L 24/1
vom 29.01.2004 (im Folgenden: FKVO); diese ersetzt die Vorgänger-Verordnung Nr.
4064/89/EWG vom 21.12.1989.
455 Ebenso das SEBG und die Richtlinie 2001/86/EG zur Beteiligung der Arbeitnehmer in der
Societas Europaea.
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Es sollen anhand von Beispielsfällen aus der Praxis der Fusionskontrolle aus den
zu Art. 3 II Fusionskontrollverordnung (FKVO) ergangenen Entscheidungen der Europäischen Wettbewerbskommission die Merkmale der Unternehmensgruppe herausgearbeitet und – soweit die gefundenen Unternehmensverbindungen über die Regelbeispiele des § 6 II EBRG hinausgehen - ein eigenständiger Anwendungsbereich
für die Generalklausel des § 6 I EBRG umrissen werden.456 Art. 3 II FKVO ist in
seiner Formulierung „einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit eines Unternehmens auszuüben“ und dem verfolgten Normzweck der Erfassung von Unternehmensverbindungen, bei denen ein Unternehmen die Geschäftspolitik eines anderen
Unternehmens beeinflussen kann, welches einen Zusammenschluss bzw. eine Unternehmensgruppe darstellt, den über das EBRG zu erfassenden Unternehmensverbindungen ähnlich. Auch Art. 3 II FKVO bedient sich zur Strukturierung der Möglichkeit bestimmender Einflussnahme einer Regelbeispielstechnik, Art. 3 II 2. HS
FKVO. Auch hierbei wird eine Einflussnahmemöglichkeit auf die Zusammensetzung oder Beschlüsse der Gesellschaftsorgane, eben wie bei § 6 EBRG, vorausgesetzt. Daraus ergibt sich die Vergleichbarkeit zwischen den Unternehmensverbindungen, die über § 6 EBRG erfasst werden sollen und denen die unter die europäische Zusammenschlusskontrolle (Art. 3 FKVO) fallen.
Die Vorgänger-Verordnung zur VO 139/2004/EG (FKVO)457 ist bereits 1990 in
Kraft getreten. Somit existiert nunmehr ausreichend Fallmaterial aus der Entscheidungspraxis der Wettbewerbskommission, die eine genaue Untersuchung ermöglicht. In Bezug auf das EBRG sowie der seit dem 01.01.1999 geltenden novellierten
Fassung des GWB ist die Entscheidungsbreite derzeit noch geringer. Die zu § 290
HGB ergangenen Entscheidungen sind für das Abstecken eines eigenständigen Anwendungsbereichs der Generalklausel des § 6 I EBRG ungeeignet, da das Control-
Konzept in § 290 II HGB nur als formalistischer Begriff ausgestaltet ist. Zudem sind
dies häufig Entscheidungen, die von den Finanzbehörden abschließend getroffen
werden, ohne die Obergerichte zu erreichen. Auch die obergerichtlichen Entscheidungen zu § 17 AktG erscheinen zum Abstecken eines eigenständigen Anwendungsbereichs der Generalklausel des § 6 I EBRG und zur Ausfüllung des Begriffs
der Unternehmensgruppe nicht geeignet, da der Begriff der Unternehmensgruppe in
§ 6 EBRG als ein Begriff des supranationalen Rechts eigenständig und im Sinne einer europäischen Sichtweise auszulegen ist.458
Anknüpfungspunkt in der Fusionskontrolle ist innerhalb des Zusammenschlussbegriffs der Erwerb der Kontrolle über ein anderes Unternehmen, Art. 3 I FKVO.459
456 Kapitel 4 B-D.
457 Verordnung Nr. 4064/89/EWG über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen
vom 21.12.1989. Diese wurde ersetzt durch VO 139/2004/EG über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen v. 20.01.2004, ABl. (EG) 2004 L 24/1 vom 29.01.2004.
458 Hierzu in den Kapiteln 1 E, 2 C und 3 B VI.
459 VO 139/2004/EG über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen vom
20.01.2004; ABl. (EG) 2004 L24/1 v. 29.01.2004.
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Abhängigkeitsverhältnisse im Sinne des § 6 EBRG sind gekennzeichnet durch die
Möglichkeit zur beherrschenden Einflussnahme auf wesentliche unternehmerische
Entscheidungsbereiche.460 Kontrolle im Sinne des Art. 3 FKVO wird definiert als
Möglichkeit zur bestimmenden Einflussnahme auf das strategische Wirtschaftsverhalten des kontrollierten Unternehmens.461 462 Ein Zusammenschluss ist gekennzeichnet durch eine dauerhafte Veränderung der Struktur zwischen den beteiligten
Unternehmen,463 dessen Ziel es ist, dem kontrollierenden Unternehmen eine Position
zu verschaffen, in der es Einfluss auf die strategischen Entscheidungen im kontrollierten Unternehmen nehmen kann. Von den Kontrollverhältnissen lässt sich eine
Parallele zu den Abhängigkeitsbeziehungen des § 6 EBRG ziehen: Sowohl Kontrollverhältnisse im Sinne des Art. 3 FKVO als auch Abhängigkeitsbeziehungen im
Sinne des § 6 EBRG sind Folge struktureller Veränderungen zwischen den beteiligten Unternehmen. Anhaltspunkt dafür, dass auch Abhängigkeitsverhältnisse nach
§ 6 EBRG Folge einer strukturellen Veränderung sind, bietet folgende Betrachtung:
Der Erwerb der Einflussnahmepositionen des § 6 II EBRG setzt den Erwerb einer
Mehrheitsbeteiligung voraus. Damit ändert sich die Beteiligungsstruktur im abhängigen Unternehmen.464 Das Merkmal der dauerhaften Strukturveränderung ist für
den Zusammenschluss- und Kontrolltatbestand Art. 3 FKVO durch die Erwägungsgründe465 vorgegeben; die Strukturveränderung ist Grundlage für den Kontrollerwerb. Bei den Beherrschungsmitteln aus § 6 II EBRG ist sie Merkmal des Beteiligungserwerbs.466 Die dauerhafte Strukturveränderung ist somit ein Merkmal, welches Unternehmensverbindungen nach der FKVO und dem EBRG gemeinsam ha-
460 Dazu siehe oben Kapitel 3 B.
461 Aufgrund des Zentralbegriffs der Kontrolle, wird im Bereich der Zusammenschlusskontrolle das Begriffspaar kontrollierendes/kontrolliertes Unternehmen (controlled/controlling undertaking) verwendet. Auch die EBR-Richtlinie 94/45/EG (v. 22.09.1994, ABl. EG Nr. L
254/64 v. 30.09.1994) in ihrer englischen Originalfassung verwendet das Begriffspaar
„controlled and controlling undertaking“.
462 Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) Nr.
4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. (EG)
1998 C 66/5, Tz. 19.
463 Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) Nr.
4064/89, ABl. (EG) 1998 C 66/5, Tz. 3; Erwägungsgrund (23) der VO Nr. 4064/89 über
die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen vom 21.12.1998, ABl. (EG) L 395/1.
464 Für die in § 6 II Nr. 1 EBRG beschriebene Mehrheit der Bestellungsrechte, wird dem Inhaber dieses Beherrschungsmittels zudem die Position eingeräumt, die personelle Struktur im
Leitungsorgan zu verändern.
465 Erwägungsgrund (23) der VO Nr. 4064/89 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen vom 21.12.1998, ABl. (EG) L 395/1; s. a. Mitteilung der Kommission über
den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) Nr. 4064/89, ABl. (EG) 1998 C 66/5,
Tz. 3.
466 Der Erwerb der Stimmrechtsmehrheit oder von Bestellungsrechten macht nur Sinn, wenn
dies für einen längeren Zeitraum erfolgt, z.B. bei der Aktiengesellschaft das Intervall einer
Wahlperiode zum Aufsichtsrat von 4 Jahren (§ 102 I AktG).
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ben. Daraus ergibt sich eine zu einem großen Teil kongruente Schnittmenge der von
der FKVO und dem EBRG behandelten Sachverhalte.467
Da die Definitionen von § 6 EBRG und Art. 3 FKVO unterschiedlich gefasst
sind, aber sich inhaltlich zum großen Teil überschneiden, folgende Gegenüberstellung:
§ 6 II EBRG Regelbeispiele: Nr.1: Mehrheit der Bestellungsrechte; Nr.2: Stimmrechtsmehrheit; Nr.3: Kapitalmehrheit; § 6 I EBRG: Generalklausel: herrschendes
Unternehmen ist, wer unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss auf
unternehmenswesentliche Entscheidungsbereiche ausüben kann.
Art. 3 I lit. b) FKVO Kontrollerwerb als Zusammenschlusstatbestand; Art. 3 II
FKVO Generalklausel: Kontrolle wird begründet durch Rechte, Verträge oder sonstige Mittel, die die Möglichkeit gewähren, einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit eines Unternehmens auszuüben; das liegt insbesondere vor, wenn folgende
Regelbeispiele gegeben sind: Eigentumsrechte am Vermögen des Unternehmens468
oder Rechte oder Verträge bestehen, die einen bestimmenden Einfluss auf die Zusammensetzung, die Beratungen und Beschlüsse der Organe des kontrollierten Unternehmens gewähren.
Die in Art. 3 II FKVO genannten Regelbeispiele „Rechte, Verträge oder andere
Mittel“ sind angelehnt an die Entscheidung der Hohen Behörde Nr. 24/54 zu Art. 66
§ 1 EGKS-Vertrag,469 deren Ziel es war, möglichst viele Arten des Kontrollerwerbs
über ein Unternehmen zu erfassen.470
Das heißt bezogen auf die Regelbeispiele des § 6 II EBRG:
Die Mehrheit der Bestellungsrechte gewährt eine direkte Einwirkungsmöglichkeit
auf die Zusammensetzung der Organe und eine indirekte Einwirkungsmöglichkeit
auf die Beschlüsse der Organe im kontrollierten (abhängigen) Unternehmen.
Die Stimmrechtsmehrheit gewährt ebenfalls eine direkte Einwirkungsmöglichkeit
auf die Zusammensetzung und eine indirekte Einwirkungsmöglichkeit auf die Beschlüsse der Organe im kontrollierten Unternehmen.
Die Mitglieder des Aufsichts- und des Leitungsorgans werden vom Inhaber der Bestellungsrechtsmehrheit bzw. dem Inhaber der Stimmrechtsmehrheit ausgewählt.
Diese können per Empfehlung instruiert werden, bestimmte Entscheidungen als Organmitglieder zu beschließen. Druckmittel ist die Abberufung aus dem Organamt
467 Lediglich die Rechtsfolgen, die die beiden Gesetze an die Erfüllung des Kontroll- bzw.
Abhängigkeitstatbestandes knüpfen, sind unter dem Blickwinkel des jeweiligen Gesetzeszwecks andersartig ausgestaltet.
468 Der Vermögenserwerb kann hier vernachlässigt werden.
469 EGKS, Hohe Behörde, Entscheidung Nr. 24/54 vom 6.5.1954 betreffend eine Verordnung
über die Tatbestandsmerkmale der Kontrolle eines Unternehmens aufgrund des Artikels 66
§ 1 des Vertrages vom 6.5.1954, ABl. EG Nr. 009 vom 11/05/1954, S. 0345-0346.
470 Miersch, Kommentar zur EG-Verordnung Nr. 4064/89 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, S. 68.
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und damit das in Aussicht stellen persönlicher Nachteile. Die Beherrschungsmittel
Bestellungsrechts- und Stimmrechtsmehrheit wirken somit personenbezogen.471
Die Kapitalmehrheit ermöglicht eine indirekte Einwirkungsmöglichkeit auf die Organbeschlüsse.472
Eine indirekte Einwirkungsmöglichkeit schafft keine aktive (Mit-)Entscheidungsmöglichkeit im Organ, versetzt aber deren Inhaber in die Position, Druck
auf die Organmitglieder ausüben zu können, um seine Interessen durchzusetzen.
Druckmittel des Inhabers der Kapitalmehrheit ist der Abzug seiner Beteiligung verbunden mit dem Entzug von Eigenkapital für das Unternehmen.
Ziel ist es nunmehr, Beherrschungs- und Kontrollmittel zu finden, die zur Ausfüllung der Generalklausel des § 6 I EBRG geeignet sind. Sie müssen den von § 6 I
EBRG vorgegebenen Rahmen - Potentialität und als Gegenstand der Einflussnahme
wesentliche unternehmerische Entscheidungsbereiche - einhalten und in Intensität
und Wirkungsweise den Beherrschungsmitteln aus den Regelbeispielen § 6 II EBRG
vergleichbar sein. Das heißt, sie müssen eine direkte oder indirekte Einwirkungsmöglichkeit auf die Zusammensetzung oder Beschlüsse der Organe im kontrollierten
bzw. abhängigen Unternehmen gewähren.
Die in Betracht kommenden Beherrschungs- bzw. Kontrollmittel werden unterteilt in solche der sole control (alleinige Kontrolle, B.), der joint control (gemeinsame Kontrolle, C.)473 und der reciprocal control (wechselseitige Kontrolle, D).474 475
Sie werden auf ihre Wirkungsweise hin untersucht und die der Einflussnahmemöglichkeit zugrunde liegende Strukturveränderung betrachtet.
B. Beherrschungsmittel Teil I: Sole Control – alleinige Beherrschung
Alleinige Kontrolle ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Unternehmen die Möglichkeit hat, die strategischen Entscheidungen des kontrollierten (abhängigen) Unternehmens zu bestimmen.476 Aus der Sicht des kontrollierten Unternehmens kann die
Willensbildung nicht mehr vollumfänglich autonom erfolgen.477 Die Kommission
hat in ihren Entscheidungen den Rahmen für die hierunter fallenden strategischen
Entscheidungen abgesteckt. Das sind z.B. Entscheidungen über die Besetzung der
471 Dazu schon im Kapitel 3 C I, II.
472 Siehe auch Kapitel 3 C III.
473 Die Begriffe sole control und joint control sind der Entscheidungspraxis der EU-
Wettbewerbskommission entnommen.
474 Zu diesem Begriff siehe unten D.
475 Just-in-Time-Zulieferbeziehungen, als Sonderfall der alleinigen Kontrolle, werden wegen
ihrer besonderen Bedeutung für das EBRG in Kapitel 5 gesondert behandelt.
476 S. A. Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG)
Nr. 4064/89, ABl. (EG) 1998 C 66/5, Tz. 19.
477 Miersch, Kommentar zur EG-Verordnung Nr. 4064/89 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, S. 69.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Europaweit agierende Unternehmen bevorzugen zunehmend Formen der Einflussnahme auf andere Gesellschaften, die sich nicht mehr nur über die Kategorien Austauschvertrag und Konzern erfassen lassen. Um diese einer rechtlichen Regelung zuführen zu können, müssen sie strukturell erfasst und einem Rechtsbegriff zugeordnet werden.
Ausgehend von dem in der EBR-Richtlinie verwendeten Begriff der Unternehmensgruppe werden in dieser Studie vielfältige Abhängigkeitsbeziehungen untersucht. Über die bisher vom deutschen Konzernrecht betrachteten gesellschaftsrechtlich vermittelten Beherrschungsgrundlagen hinausgehend, gelingt die strukturelle Erfassung von organisationsvertraglichen Einflussnahmeformen. Die entwickelten Strukturelemente von Unternehmensgruppen sind auch für andere Bereiche des europäischen Rechts der Unternehmensverbindungen von größtem Interesse.