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hungen fortsetzen, liegt ein Umsetzungsverhalten indes dann vor, wenn das
Unterlassen von Parallelausfuhren kausal auf das Verbot zurückzuführen ist, was
von der zuständigen Kartellbehörde nachgewiesen werden muss.
II. Abstimmung zwischen Unternehmen
Problematischer noch zu beantworten als die Frage nach dem Umsetzungsverhalten
ist bei einseitigen Maßnahmen im Vertikalverhältnis, auf welche die Gegenpartei
schweigt und die Geschäftsbeziehungen fortsetzt, indessen die Frage nach der erforderlichen Abstimmung zwischen den Unternehmen. Hierfür ist zunächst zu erörtern,
welche rechtlichen Anforderungen an eine derartige vertikale Abstimmung zu
stellen sind.
1. Anforderungen an die Vertikalabstimmung
a) Gemeinsamer Plan als Voraussetzung einer Vertikalabstimmung?
Eine Abstimmung stellt gegenüber dem Koordinierungstatbestand Vereinbarung
aufgrund des fehlenden Rechtsbindungswillens715 der Parteien ein Minus dar716. Sie
verbleibt unterhalb der Schwelle rechtlicher Bindung und liegt im „Vorfeld“ einer
Willensübereinkunft bzw. eines kartellrechtlichen Konsenses717.
Ein gemeinsamer, ausgearbeiteter Plan der beteiligten Unternehmen ist richtigerweise keine Voraussetzung einer Abstimmung718. Die Gegenposition719 engt den
Anwendungsbereich des Verbots abgestimmter Verhaltensweisen zu sehr ein, da sie
insbesondere vertikale Abstimmungen, die häufig auf der einseitig konzipierten Vertriebspolitik des Herstellers beruhen, ausklammert720. Ausreichend und gerade im
715 Zum Erfordernis des Rechtsbindungswillens für eine Vereinbarung s.o. 1. Kap. A. III. 2.
716 Vgl. Belke, ZHR 139 (1975), 51, 70.
717 Vgl. Roth/Ackermann, in: Frankfurter Kommentar, Bd. II, Grundfragen Art. 81 I Rn 114;
Belke, ZHR 139 (1975), 51, 59.
718 EuGH v. 16.12.1975, Suiker Unie, Rs. 40-48, 50, 54-56, 111, 113 u. 114/73, Slg. 1975, 1663,
Rn 173; Daig, EuR 1976, 213, 224 f., insb. Fn. 24; Bunte, in: Langen/Bunte, Kartellrecht,
Bd. 2, Art. 81 Gen. Prinz. Rn 29 f.; Roth/Ackermann, in: Frankfurter Kommentar, Bd. II,
Grundfragen Art. 81 I Rn 115; Emmerich, Kartellrecht, § 4 Rn 25; ders., in:
Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, EG/Teil 1, Art. 81 Abs. 1 Rn 109; Weiß, in:
Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 81 Rn 59; Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, EUV/EGV,
Bd. 2, Art. 81 Rn 107, 109.
719 Für das Erfordernis eines gemeinsamen Planes etwa Bahntje, Gentlemen’s agreement,
S. 79 f.; vgl. auch E. Diekmann, Abgestimmte Verhaltensweisen, S. 75-77.
720 Belke, ZHR 139 (1975), 51, 64.
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Vertikalverhältnis relevant ist daher die bloße Teilnahme der Händler an einem bereits konzipierten, wettbewerbswidrigen Plan des Herstellers721.
b) Künstliche Risikominderung als Voraussetzung einer Vertikalabstimmung?
Fraglich ist indes, ob als Abgrenzungsmerkmal zwischen vertikalen einseitigen
Maßnahmen und gegenseitiger Abstimmung die künstliche Risikominderung dienen
kann, d. h. ob eine Abstimmung nur dann vorliegt, wenn das zu prüfende Unternehmensverhalten das Risiko des Einsatzes von Wettbewerbsmitteln für die beteiligten
Unternehmen vermindert und damit die natürlichen Marktbedingungen stört. Dieses
Kriterium ist vom EuGH zur Abgrenzung abgestimmter Verhaltensweisen von
zulässigem bewusstem Parallelverhalten im Oligopol und damit im
Horizontalverhältnis herangezogen worden722. So werden beispielsweise die
Risiken, die mit einer Preiserhöhung im Oligopol verbunden sind, entscheidend
vermindert, wenn sich der Preisführer im Voraus mit seinen Wettbewerbern über die
Erhöhung abstimmt; eine derartige Abstimmung ist daher kartellrechtswidrig723.
Für eine Anwendung dieses Kriteriums der künstlichen Risikominderung auch im
Vertikalverhältnis wird angeführt, dass es dem Hersteller bei Vertikalabstimmungen
darum ginge, das eigene Wettbewerbsrisiko, etwa durch Beschränkung der freien
Preisbildung, zu vermindern724. Diese Argumentation überzeugt indes nicht, da sie
die Händlerseite im Vertikalverhältnis außer Acht lässt. Denn abgestimmte Verhaltensweisen führen für die Händlerseite im Vertikalverhältnis oftmals nicht zu einer
Risikominderung, sondern vielmehr zu einer Erhöhung des Risikos des Einsatzes
von Wettbewerbsmitteln725. Ein Verzicht auf wirtschaftlich lukrative Parallelausfuhren, um einem Ausfuhrverbot des Herstellers nachzukommen, mindert
beispielsweise die Gewinnspanne der Vertriebshändler.
Daraus folgt, dass eine Vertikalabstimmung nicht lediglich dann vorliegt, wenn
das Unternehmensverhalten das Risiko des Einsatzes von Wettbewerbsmitteln vermindert. Die künstliche Risikominderung ist kein taugliches Abgrenzungsmerkmal
für Vertikalabstimmungen von einseitigem Handeln.
c) Vorhergehende Koordinierung als Voraussetzung einer Vertikalabstimmung
Ebenso wie für Abstimmungen im Horizontalverhältnis bedarf es auch für Vertikalabstimmungen unzweifelhaft einer vorhergehenden Willensübereinstimmung
bzw. Koordinierung zwischen den Unternehmen; die Abstimmung muss sich somit
721 Belke, ZHR 139 (1975), 51, 75.
722 EuGH v. 14.07.1972, ICI, Rs. 48/69, Slg. 1972, 619, Rn 119; zustimmend Ulmer,
Abgestimmte Verhaltensweisen, S. 14 f.
723 Vgl. Sandrock, BB 1973, 101, 102.
724 Lübbert, Das Verbot abgestimmten Verhaltens, S. 70.
725 Belke, ZHR 139 (1975), 51, 69.
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auf ein künftiges Marktverhalten beziehen726. Auch im Vertikalbereich genügt für
das Vorliegen einer Abstimmung indes die wechselseitige Fühlungnahme bzw.
Kontaktnahme der Unternehmen zwecks Einflussnahme auf das Verhalten der Gegenpartei727, etwa wenn die beteiligten Unternehmen Absichtserklärungen oder
Wunschvorstellungen ausgetauscht haben, bevor sie sich zum (gemeinsamen) Handeln entschließen728. Im Fall Sandoz PF729 lag zumindest eine Kontaktnahme vom
Lieferanten zu den Absatzmittlern vor, indem Sandoz PF Rechnungen versandte, die
das Ausfuhrverbot enthielten.
Gleichwohl ist für eine Abstimmung eine Eigenbeteiligung auch der Gegenpartei
erforderlich730, und sei es ebenfalls nur in Form einer Kontaktnahme. Die
Voraussetzungen eines Abstimmungsangebots und einer Abstimmungsannahme731
bestehen auch für Vertikalabstimmungen.
Ein bloßer Abstimmungsversuch im Sinne einer bloßen Aufforderung einer Partei
zur Zusammenarbeit wird von Art. 81 I EG hingegen nicht erfasst; erforderlich ist
vielmehr die erfolgreiche Einflussnahme auf die Gegenpartei732. Dies folgt bereits
aus dem Wortlaut des Aufeinander-Abstimmens, welcher enger ist als der Begriff
des bloßen Abstimmens und unterstreicht, dass bei aufeinander abgestimmten
Verhaltensweisen eine willentliche Verständigung der Parteien erfolgen muss733.
Durch den Wortlaut „aufeinander“ wird das wechsel- oder gegenseitige abgestimmte
Verhalten vom einseitig abgestimmten Verhalten abgegrenzt734. Die einseitige
Anpassung, insbesondere die Nachahmung von Unternehmensverhalten ist somit
nicht tatbestandsmäßig735.
Folglich bedarf es der Zustimmung der Gegenpartei zur einseitigen Maßnahme,
mithin eines objektiven Erklärungstatbestandes auch bei der Gegenpartei736, damit
eine Abstimmung bejaht werden kann. Ausreichend ist jedoch eine konkludente Zustimmung; dies zeigt die systematisch-teleologische Auslegung des Abstimmungsmerkmals in Art. 81 I EG: Denn wenn für Vereinbarungen anerkannt ist, dass sie
durch schlüssiges Verhalten zustande kommen können, so muss dies auch für abge-
726 Insoweit zutreffend Lübbert, Das Verbot abgestimmten Verhaltens, S. 70; ebenso Bunte, in:
Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 2, Art. 81 Gen. Prinz. Rn 30; Roth/Ackermann, in:
Frankfurter Kommentar, Bd. II, Grundfragen Art. 81 I Rn 118.
727 Vgl. Kommission v. 02.12.1981, Hasselblad, Abl. L 161 v. 12.06.1982, 18, Rn 50; vgl. allg.
auch EuGH v. 16.12.1975, Suiker Unie, Rs. 40-48, 50, 54-56, 111, 113 u. 114/73, Slg. 1975,
1663, Rn 174 f.; Müller-Graff, in: Handkom. EUV/EGV, Art. 85 Rn 56; Eilmansberger, in:
Streinz, EUV/EGV, Art. 81 Rn 17.
728 Vgl. Belke, ZHR 139 (1975), 51, 65.
729 S.o. 2. Kap. A. II.
730 Vgl. Ulmer/Wiedemann, in: Cox/Jens/Markert (Hrsg.), Handbuch, 271, 286.
731 S. bereits o. 1. Kap. A. II. 1.; s. auch Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren,
S. 378 f.; Belke, ZHR 139 (1975), 51, 96; Zimmer, in: Immenga/Mestmäcker,
Wettbewerbsrecht, GWB, § 1 Rn 95 f.
732 Daig, EuR 1976, 213, 226 f.; Roth/Ackermann, in: Frankfurter Kommentar, Bd. II,
Grundfragen Art. 81 I Rn 116.
733 Vgl. Belke, ZHR 139 (1975), 51, 60; Bahntje, Gentlemen’s agreement, S. 88.
734 Höfer, Abgestimmtes Verhalten, S. 52.
735 Vgl. Höfer, Abgestimmtes Verhalten, S. 54.
736 Vgl. Steindorff, ZHR 137 (1973), 203, 232.
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stimmte Verhaltensweisen gelten, da nichts dafür spricht, bei diesen förmlicher zu
sein als bei jenen737.
Ein Beispiel für eine verbotene Vertikalabstimmung stellt der Austausch von
Markt- und Geschäftsdaten zwischen Hersteller und Absatzmittler mit dem Zweck
dar, Parallelausfuhren gemeinsam zu unterbinden738. Ein nur einseitiges Zur-Verfügung-Stellen von Informationen durch ein Unternehmen genügt hingegen für sich
allein genommen nicht739, zumal im Vertikalverhältnis ein Informationsaustausch
auch zur Durchführung des Vertriebsvertrages erforderlich sein kann und dann keinen wettbewerbsrechtlichen Bedenken begegnet.
Eine Vertikalabstimmung mittels konkludenter Zustimmung der Absatzmittler
liegt beispielsweise beim Unterlassen von Parallelausfuhren im Widerspruch zu
wirtschaftlichen Eigeninteressen vor, um damit einem Ausfuhrverbot des Herstellers
nachzukommen740. Das Unterlassen von Parallelausfuhren beinhaltet somit in diesen
Fällen die konkludente Zustimmung zum Ausfuhrverbot und stellt sogleich das erforderliche Umsetzungsverhalten der abgestimmten Verhaltensweise dar741.
Im Fall Sandoz PF wurde die Frage, ob die Abnehmer Parallelausfuhren der Pharmaprodukte unterlassen hatten, indes nicht geklärt742.
2. Vertikalabstimmung bei Schweigen und Fortsetzung der Geschäftsbeziehungen?
Zu prüfen ist, ob nach einer einseitigen Maßnahme eines Herstellers bzw. Lieferanten die konkludente Zustimmung zu einer Vertikalabstimmung auch in der
Fortsetzung der Geschäftsbeziehungen durch die Abnehmer, ohne der einseitigen
Maßnahme zu widersprechen, liegen kann.
Ausgangspunkt dieser Prüfung hat die anerkannte Definition aufeinander abgestimmter Verhaltensweisen zu sein, welche auch dieser Untersuchung zugrunde
liegt. Danach liegen aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen in jeder Form der
Koordinierung zwischen Unternehmen, die zwar noch nicht bis zum Abschluss eines
Vertrages im eigentlichen Sinne gediehen ist, jedoch bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lässt
und zu Wettbewerbsbedingungen führt, die nicht den normalen Marktbedingungen
737 Ähnlich Steindorff, ZHR 137 (1973), 203, 228, 231; vgl. auch Belke, ZHR 139 (1975), 51, 75.
738 Vgl. Kommission v. 02.12.1981, Hasselblad, Abl. L 161 v. 12.06.1982, 18, Rn 49; bestätigt
durch EuGH v. 21.02.1984, Hasselblad, Rs. 86/82, Slg. 1984, 883, Rn 24-29; vgl. auch Belke,
ZHR 139 (1975), 51, 79.
739 Roth/Ackermann, in: Frankfurter Kommentar, Bd. II, Grundfragen Art. 81 I Rn 119.
740 Vgl. Bunte, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 2, Art. 81 Gen. Prinz. Rn 33 a. E. (dort aber
in einem beweisrechtlichen Zusammenhang).
741 Zum Umsetzungsverhalten s.o. 3. Kap. C. I. – Zur Abgrenzung aufeinander abgestimmter
Verhaltensweisen zur Vertikalvereinbarung in derartigen Fällen s.u. 3. Kap. E. II.
742 S. Kommission, Entscheidung vom 13.07.1987, Sandoz PF, Abl. L 222 v. 10.08.1987, 28,
Rn 17; EuGH v. 11.01.1990, Sandoz PF, Rs. 277/87, Rn 18.
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entsprechen743. Die bloße widerspruchslose Fortsetzung der laufenden Geschäftsverbindung führt indes nicht zu derartigen verfälschten Wettbewerbsbedingungen.
Vielmehr kommt es hierdurch lediglich zum Abschluss von Austauschverträgen
zwischen den Parteien des Vertikalverhältnisses. Wettbewerbsbedingungen, die
nicht den normalen Marktbedingungen entsprächen, lägen nur dann vor, wenn die
Abnehmer auf die einseitige Maßnahme des Herstellers bzw. Lieferanten reagierten,
im Fall Sandoz PF744 etwa durch Unterlassen von Parallelausfuhren.
Bei der Untersuchung des Grenzbereichs aufeinander abgestimmter Verhaltensweisen zu einseitigen Maßnahmen ist zudem zu berücksichtigen, dass unternehmerischem Verhalten häufig eine gewisse Ambivalenz innewohnt: Dieses kann oft
ebenso gut Ausdruck von Wettbewerb wie von wettbewerbswidrigen Strategien
sein745. Im Zweifel ist daher Vorsicht bei der Annahme einer konkludenten Zustimmung zu einer Verhaltensabstimmung geboten. Bei ambivalentem Verhalten, das
mehrere Deutungen zulässt, ist von der wettbewerbskonformen Deutungsvariante
auszugehen und die konkludente Zustimmung zu verneinen. Dies ist allein schon aus
rechtsgemeinschaftlichen Gründen geboten, da Art. 81 I EG bußgeldbewehrt ist.
Austauschverträge aber, die in einer laufenden Geschäftsverbindung wie im Fall
Sandoz PF abgeschlossen werden, stellen einen normalen wirtschaftlichen Vorgang
dar und sind grundsätzlich kartellrechtlich unbedenklich. Beim Abschluss derartiger
Verträge handelt es sich um typisches, wettbewerbliches Verhalten in einer laufenden Geschäftsverbindung. Die milde „Wettbewerbsbeschränkung“, die durch einen
Austauschvertrag stets bewirkt wird (durch Bindung von Angebot und Entzug von
Nachfrage), kann für sich genommen gemeinschaftskartellrechtlich nicht unterbunden werden746. Dies spricht dagegen, die Fortsetzung der Geschäftsverbindung durch
Abschluss derartiger Austauschverträge, ohne der einseitigen Maßnahme zu widersprechen, als konkludente Zustimmung zu einem Abstimmungsangebot zu werten.
Ein Vergleich der Vertikalabstimmung mit aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen auf horizontaler Ebene zeigt zudem, dass ebendort sogar bewusstes
Parallelverhalten für sich genommen kartellrechtmäßig ist. Dieses kann lediglich
unter gewissen Voraussetzungen ein Indiz für eine zuvor erfolgte Abstimmung darstellen747. Wenn aber sogar bewusstes Parallelverhalten zulässig ist, so muss dies
erst recht für die bloße Fortsetzung der Geschäftsbeziehungen zu einem Hersteller
oder Lieferanten, der sich einseitig wettbewerbswidrig verhält, gelten. Denn in
diesen Fällen passen sich die Abnehmer nicht einmal an das wettbewerbswidrige
743 S. bereits o. 1. Kap. A. II. 1., dort mit Nachweisen.
744 S.o. 2. Kap. A. II.
745 Vgl. dazu Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, EG/Teil 1, Art. 81 Abs. 1
Rn 122; Gleiss/Hirsch, Kartellrecht, Bd. 1, Art. 85 Rn 106 f.
746 Vgl. Bunte, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 2, Art. 81 Gen. Prinz. Rn 25 d.
747 S. hierzu bereits o. 1. Kap. A. II. 6. sowie Bülow, Gleichförmiges Unternehmensverhalten,
S. 53; Daig, EuR 1976, 213, 220, 228 f.; Belke, ZHR 139 (1975), 51, 60 f.; Ulmer,
Abgestimmte Verhaltensweisen, S. 11-13; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker,
Wettbewerbsrecht, EG/Teil 1, Art. 81 Abs. 1 Rn 102; Roth/Ackermann, in: Frankfurter
Kommentar, Bd. II, Grundfragen Art. 81 I Rn 120, 139 ff.; Müller-Graff, in: Handkom.
EUV/EGV, Art. 85 Rn 57.
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Verhalten der Gegenpartei an, wie dies bei bewusstem Parallelverhalten der Fall ist.
Die Fortsetzung der Geschäftsbeziehungen ist folglich als kartellrechtlich noch
unbedenklicher zu bewerten als bewusstes Parallelverhalten.
Auch die teleologische Auslegung des Art. 81 I EG spricht dagegen, das Schweigen und die Fortsetzung der Geschäftsverbindung durch die Abnehmer als konkludente Zustimmung zu qualifizieren. Denn diese handeln auf diese Weise nicht dem
Selbständigkeitspostulat, das Art. 81 I EG zugrunde liegt748, zuwider. Die Entscheidung der Abnehmer, die Geschäftsbeziehungen zu einem Hersteller oder Lieferanten, welcher eine einseitige Maßnahme vornimmt, fortzusetzen, entspringt vielmehr
einer selbständigen Einstellung – so wie allgemein die Beibehaltung einer laufenden
vertikalen Geschäftsverbindung häufig auf unabhängigen Risikoüberlegungen
beruht und daher keine vertikale abgestimmte Verhaltensweise darstellt749. Den
Abnehmern hingegen den Abbruch der Geschäftsverbindung vorzuschreiben, um
einem Verstoß gegen Art. 81 I EG zu entgehen, wäre ein Eingriff in Marktvorgänge.
Ein derartiger Eingriff aber widerspräche auch der wettbewerbstheoretischen
Grundauffassung dieser Arbeit, derzufolge es entscheidend auf die Ermöglichung
von Wettbewerbsfreiheit ankommt750; denn die Fortsetzung der Geschäftsverbindung durch die Abnehmer ist als Ausübung ihrer Wettbewerbsfreiheit zu qualifizieren.
Folglich ist zu konstatieren, dass die Fortsetzung der Geschäftsbeziehungen nach
einseitigen wettbewerbswidrigen Maßnahmen der Gegenpartei, ohne diesen zu widersprechen, nicht als Annahme eines Angebots zur Vertikalabstimmung gewertet
werden kann. Daher kommt in derartigen Fällen keine Vertikalabstimmung
zustande, der Koordinierungstatbestand aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen
des Art. 81 I EG ist nicht einschlägig.
Bezogen auf den Fall Sandoz PF liegen somit bloße Abstimmungsversuche von
Sandoz PF gegenüber ihren Abnehmern vor, welche von Art. 81 I EG nicht erfasst
werden. Diese Abstimmungsversuche sind im Versenden von Rechnungen mit dem
Aufdruck „Ausfuhr verboten“ zu erblicken751. Weder eine Abstimmungsannahme
durch die Abnehmer noch ein Umsetzungsverhalten wurden jedoch dargetan. Daher
lagen keine aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen vor752; das Ausfuhrverbot
stellt vielmehr eine einseitige wettbewerbswidrige Maßnahme von Sandoz PF dar,
die nicht Art. 81 I EG unterfällt.
748 S. zum Inhalt des Selbständigkeitspostulats bereits o. 1. Kap. A. II. 1. sowie Daig, EuR 1976,
213, 225; Müller-Graff, in: Handkom. EUV/EGV, Art. 85 Rn 55; Roth/Ackermann, in:
Frankfurter Kommentar, Bd. II, Grundfragen Art. 81 I Rn 114.
749 Vgl. Kantzenbach, Funktionsfähigkeit, S. 106 f.
750 S.o. 1. Kap. B. V. 5. u. VII.
751 Hinsichtlich des Sachverhalts s.o. 2. Kap. A. II. 1.
752 Im Ergebnis ebenso Schroeder, EWiR Art. 85 EWGV 4/90 = EWiR 1990, 259, 260; Bunte,
Kartellrecht, S. 128 f.
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D. Abgestimmte Verhaltensweisen bei Umgehungsverhalten der Gegenpartei?
Eine weitere Konstellation im Grenzbereich des Anwendungsbereichs des Art. 81 I
EG ist, dass eine Partei des Vertikalverhältnisses nach einseitigen wettbewerbswidrigen Maßnahmen der Gegenpartei diese zu umgehen versucht. Hierbei wird sie
oftmals zum Schein auf die einseitigen Maßnahmen eingehen, aber heimliche
Ausweichstrategien entwickeln. Diese Situation betrifft auch Fälle, in denen die
einseitigen wettbewerbswidrigen Maßnahmen von ihrem Urheber ohne Unterstützung der Gegenseite durchgeführt werden können, wie dies beispielsweise bei
Rabattkürzungen oder Lieferkontingentierungen eines Herstellers gegenüber seinen
Absatzmittlern zur Verhinderung von Parallelausfuhren der Fall ist.
Dass in diesen Fällen keine Vereinbarung vorliegt, wurde bereits ermittelt753.
Reagieren die Absatzmittler auf einseitige Maßnahmen mit Umgehungsverhalten, so
ist indes fraglich, ob dies zu aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen gemäß
Art. 81 I EG führt.
Dies wird von Heinemann bejaht754. Dieser hebt bezüglich des Bayer Adalat-Falles755 den Strafcharakter hervor, welchen die Lieferkontingentierungen durch Bayer
seiner Meinung nach aufwiesen. Denn als einer der Großhändler von Bayer als Parallelexporteur entlarvt wurde, senkte Bayer diesem zur Strafe die Liefermengen
noch zusätzlich756. Damit aber wurde Heinemann zufolge eine bewusste
Reaktionsverbundenheit zwischen den (zumindest drohenden) Lieferkürzungen im
Falle von Parallelausfuhren einerseits und der Unterlassung bzw. Verheimlichung
von Parallelausfuhren durch die Großhändler andererseits hergestellt. Folglich lägen
aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen vor. Die Ausweichstrategien der Händler änderten hieran nichts, denn bei ihnen handele es sich um die „typische Instabilität wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen“. Auch bei klassischen Preiskartellen entfiele Art. 81 I EG nicht deshalb, weil sich die Beteiligten insgeheim nicht
an die Absprache hielten757.
Gegen diese Argumentation spricht, dass die Lieferkontingentierungen im Fall
Bayer Adalat in Wirklichkeit nur in sehr begrenztem Maße Strafcharakter
aufwiesen. Als einer der Großhändler als Parallelexporteur entlarvt wurde, senkte
Bayer die Liefermengen zur Strafe nur zusätzlich; die Liefermengen waren jedoch
bereits zuvor kontingentiert worden758. Im Vordergrund stand hinsichtlich der
Lieferkontingentierungen kein etwaiger Sanktionszweck, sondern vielmehr die
Tatsache, dass Bayer aufgrund der bestehenden gesetzlichen Verpflichtung für
Pharmagroßhändler, bestimmte Mindestmengen an Adalat ständig vorrätig zu hal-
753 S.o. 2. Kap. E. III. 3.
754 - in: FS Schricker, 53, 65.
755 S.o. 2. Kap. A. IV.
756 S. Kommission, XXVI. Wettbewerbsbericht 1996, Rn 58.
757 Heinemann, in: FS Schricker, 53, 65.
758 Kommission, XXVI. Wettbewerbsbericht 1996, Rn 58.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Unter welchen rechtlichen Voraussetzungen fällt scheinbar einseitiges Handeln eines Unternehmens, das den Wettbewerb beschränkt (z. B. Maßnahmen eines Herstellers gegen Parallelimporte), noch unter das Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag? Die Antwort auf diese Frage klärt die Weite des Anwendungsbereichs des Kartellverbots und betrifft damit die Grundlagen des Kartellrechts.
Hierzu entwickelt der Autor rechtliche Kriterien für die praxisrelevante und oft schwierige Abgrenzung zwischen einseitigen Maßnahmen im Vertikalverhältnis einerseits und den Handlungsformen des Kartellverbots (Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen) andererseits. Zu dieser Thematik ist eine Reihe von Entscheidungen der Europäischen Kommission und des EuGH ergangen, die vom Autor aufgearbeitet und kritisch hinterfragt werden.
Die Arbeit macht zudem deutlich, unter welchen Voraussetzungen insbesondere in laufenden Geschäftsverbindungen zwischen Unternehmen wettbewerbswidrige Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisen zustande kommen, die gegen das Kartellverbot verstoßen. Dabei finden die rechtlichen Besonderheiten selektiver Vertriebssysteme besondere Berücksichtigung.