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Maßnahme als einseitig zu qualifizieren. Eine Vereinbarung im Sinne des Art. 81 I
EG kommt zwischen den Parteien in diesem Fall somit nicht zustande.
E. Vereinbarung und einseitige Maßnahmen – Kriterien der Abgrenzung
I. Vorbemerkung
In den vorangegangenen Unterkapiteln wurden Gesichtspunkte aufgezeigt, aufgrund
derer einseitige wettbewerbswidrige Maßnahmen, nicht aber Vereinbarungen im
Sinne des Art. 81 I EG zu bejahen sind. Dabei wurde bereits deutlich, dass die
Gemeinschaftsorgane das Vereinbarungsmerkmal in der Vergangenheit zu weit ausgelegt haben. Diese bereits gewonnenen Erkenntnisse führen nun zu der allgemeinen
Frage, unter welchen Voraussetzungen der Konsens zwischen zwei Parteien eines
Vertikalverhältnisses über eine wettbewerbswidrige Maßnahme bejaht werden kann,
und wann hingegen lediglich einseitiges Handeln gegeben ist. Zu untersuchen ist der
Randbereich des Vereinbarungsmerkmals, zu erörtern sind somit nunmehr in allgemeiner Form die Kriterien der Abgrenzung einseitiger Maßnahmen von
Vereinbarungen in Zweifelsfällen. Hierbei wird vom bereits dargelegten Grundverständnis der Vereinbarung557 ausgegangen werden.
II. Ausdrückliche Zustimmung des Partners
1. Allgemeines
Als „Normalfall“ des Konsenses lässt sich die ausdrückliche Zustimmung des Partners einer vertikalen laufenden Geschäftsverbindung zur wettbewerbswidrigen
Maßnahme des Anderen bezeichnen. Jene kann etwa erfolgen, indem Händler ein
Rundschreiben des Herstellers, das wettbewerbswidrige Maßnahmen enthält, zum
Zeichen ihres Einverständnisses unterzeichnen und zurücksenden.
Ein Beispiel hierfür stellen die Kommissionsentscheidung und das EuGH-Urteil
im Fall BMW Belgium dar, in dem belgische BMW-Vertragshändler ein
Rundschreiben, das ein wettbewerbswidriges Ausfuhrverbot enthielt, zum Zeichen
ihres Einverständnisses unterzeichneten558. Die Gemeinschaftsorgane sahen
aufgrund dieser Unterzeichnung einen Konsens zu Recht als gegeben an559.
557 S.o. 1. Kap. A. I. 1. und III.
558 Vgl. Kommission, Entscheidung v. 23.12.1977, BMW Belgium, Abl. L 46 v. 17.02.1978, 33,
Rn 4; EuGH v. 12.07.1979, BMW Belgium, Rs. 32/78 u. 36-82/78, Slg. 1979, 2435, Rn 9 f.
559 Kommission, Entscheidung v. 23.12.1977, BMW Belgium, Abl. L 46 v. 17.02.1978, 33,
Rn 18; EuGH v. 12.07.1979, BMW Belgium, Rs. 32/78 u. 36-82/78, Slg. 1979, 2435, Rn 29 f.;
zustimmend Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 9 Rn 6; Bunte, in:
Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 2, Art. 81 Gen. Prinz. Rn 25.
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References
Zusammenfassung
Unter welchen rechtlichen Voraussetzungen fällt scheinbar einseitiges Handeln eines Unternehmens, das den Wettbewerb beschränkt (z. B. Maßnahmen eines Herstellers gegen Parallelimporte), noch unter das Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag? Die Antwort auf diese Frage klärt die Weite des Anwendungsbereichs des Kartellverbots und betrifft damit die Grundlagen des Kartellrechts.
Hierzu entwickelt der Autor rechtliche Kriterien für die praxisrelevante und oft schwierige Abgrenzung zwischen einseitigen Maßnahmen im Vertikalverhältnis einerseits und den Handlungsformen des Kartellverbots (Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen) andererseits. Zu dieser Thematik ist eine Reihe von Entscheidungen der Europäischen Kommission und des EuGH ergangen, die vom Autor aufgearbeitet und kritisch hinterfragt werden.
Die Arbeit macht zudem deutlich, unter welchen Voraussetzungen insbesondere in laufenden Geschäftsverbindungen zwischen Unternehmen wettbewerbswidrige Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisen zustande kommen, die gegen das Kartellverbot verstoßen. Dabei finden die rechtlichen Besonderheiten selektiver Vertriebssysteme besondere Berücksichtigung.