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im Sinne von Art. 81 I EG werten, wenn zwischen den Partnern ein dahingehender
Geschäftsverbindungsbrauch besteht.
V. Zwischenergebnis
Mittels Heranziehung eines internationalen Handelsbrauchs lässt sich, wie aufgezeigt, im Regelfall Schweigen nicht als Zustimmung zu einer Vereinbarung im
Sinne von Art. 81 I EG werten. Hinsichtlich eines etwaigen nationalen
Handelsbrauchs konnte für das deutsche Recht ebenfalls dargelegt werden, dass
Schweigen nicht zu einer Vereinbarung nach Art. 81 I EG führt. Die
Kommissionsentscheidung Konica, in der die Kommission Schweigen auf ein
wettbewerbswidriges Rundschreiben aufgrund eines angeblichen Handelsbrauchs als
Zustimmung wertete, überzeugt daher insoweit nicht.
Zu einer Vereinbarung kommt es lediglich bei Bestehen eines Geschäftsverbindungsbrauchs, demzufolge zwischen den Partnern einer laufenden Geschäftsverbindung Schweigen auf ein Rundschreiben selbst dann als Zustimmung zu werten ist,
wenn dieses wettbewerbswidrige Maßnahmen enthält.
Daraus folgt, dass ein Rundschreiben, in dem ein Hersteller einseitige wettbewerbswidrige Maßnahmen gegenüber seinen Vertriebshändlern ergreift, regelmäßig
nicht dem gemeinschaftsrechtlichen Kartellverbot unterfällt, wenn die Händler
schweigen und lediglich die Geschäftsbeziehungen fortsetzen533; das Rundschreiben
stellt dann vielmehr eine einseitige Maßnahme dar. Diese Erkenntnis ist von praktischer Relevanz für recht häufig vorkommende Anwendungsfälle des Vertriebskartellrechts.
D. Kein Zustandekommen einer Vereinbarung bei Dissens
I. Vorbemerkung
Eine einseitige wettbewerbswidrige Maßnahme eines Unternehmens im Vertikalverhältnis, auf die die Gegenpartei mit Schweigen und der bloßen Fortsetzung der
Geschäftsbeziehungen reagiert, lässt sich mithin aufgrund rechtsgemeinschaftlicher
Grundsätze nicht in das Vereinbarungsmerkmal des Art. 81 I EG einbeziehen; hier-
über hilft regelmäßig auch kein (internationaler oder nationaler) Handelsbrauch
hinweg. Damit aber stellt sich die Frage, ob in derartigen Konstellationen nicht ein
Dissens zwischen den Parteien hinsichtlich der einseitigen wettbewerbswidrigen
Maßnahme vorliegt. Wäre dies der Fall, so hätte der Dissens eine spezifisch gemeinschaftskartellrechtliche Bedeutung, die von Rechtsanwendern berücksichtigt werden
müsste. Ein Dissens wäre eine weitere Ursache dafür, dass in derartigen Fällen einseitige Maßnahmen und keine Vereinbarungen im Sinne des Art. 81 I EG vorlägen.
533 Unzutreffend daher Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 2, Rn 415.
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References
Zusammenfassung
Unter welchen rechtlichen Voraussetzungen fällt scheinbar einseitiges Handeln eines Unternehmens, das den Wettbewerb beschränkt (z. B. Maßnahmen eines Herstellers gegen Parallelimporte), noch unter das Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag? Die Antwort auf diese Frage klärt die Weite des Anwendungsbereichs des Kartellverbots und betrifft damit die Grundlagen des Kartellrechts.
Hierzu entwickelt der Autor rechtliche Kriterien für die praxisrelevante und oft schwierige Abgrenzung zwischen einseitigen Maßnahmen im Vertikalverhältnis einerseits und den Handlungsformen des Kartellverbots (Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen) andererseits. Zu dieser Thematik ist eine Reihe von Entscheidungen der Europäischen Kommission und des EuGH ergangen, die vom Autor aufgearbeitet und kritisch hinterfragt werden.
Die Arbeit macht zudem deutlich, unter welchen Voraussetzungen insbesondere in laufenden Geschäftsverbindungen zwischen Unternehmen wettbewerbswidrige Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisen zustande kommen, die gegen das Kartellverbot verstoßen. Dabei finden die rechtlichen Besonderheiten selektiver Vertriebssysteme besondere Berücksichtigung.