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seits nicht. Auch hier hatte die Kommission nämlich die bloße Fortsetzung der
Geschäftsbeziehungen durch die Händler, nachdem Tipp-Ex an diese wettbewerbswidrige Rundschreiben versandt hatte, als Zustimmung gewertet449.
C. Zustandekommen einer Vereinbarung durch Handelsbrauch?
I. Vorbemerkung
Das vorangegangene Unterkapitel hat gezeigt, dass einseitige Maßnahmen nicht im
Wege einer erweiternden Auslegung des Vereinbarungsmerkmals in dessen Anwendungsbereich einbezogen werden können; dargelegt wurde, dass
rechtsgemeinschaftliche Grundsätze es erfordern, Schweigen und die bloße Fortsetzung der Geschäftsbeziehungen nicht als Zustimmung zu einer Vereinbarung zu
werten.
Fraglich aber ist, ob nicht zumindest in gewissen, speziellen Fallkonstellationen a
priori einseitige Maßnahmen unter Berufung auf einen Handelsbrauch zu einer Vertikalvereinbarung im Sinne des Art. 81 I EG führen können. Dies wäre dann der
Fall, wenn ein etwaiger Handelsbrauch zum Tragen käme, demzufolge Schweigen
und die Fortsetzung der Geschäftsbeziehungen durch eine Partei als Zustimmung zu
einer einseitigen wettbewerbswidrigen Maßnahme der Gegenpartei zu werten wäre.
Auf einen derartigen Handelsbrauch berief sich die Kommission in ihrer
Entscheidung Konica450. Diese Kommissionsentscheidung ist daher im Folgenden
als Ausgangspunkt zunächst darzustellen, woraufhin die aus ihr folgenden
Rechtsfragen in einer ersten Stellungnahme aufzuzeigen sind.
II. Ausgangspunkt: Die Kommissionsentscheidung Konica
1. Sachverhalt
Konica UK und Konica Europe, zwei rechtlich selbständige Tochtergesellschaften
des japanischen Konishiroku-Konzerns, die unter anderem Farbfilme der Marke
„Konica“ vertrieben, ergriffen gegenüber ihren Abnehmern mehrere (scheinbar) einseitige Maßnahmen zur Verhinderung von Parallelein- bzw. -ausfuhren. Hintergrund
dessen war die Tatsache, dass im Zeitraum von Oktober 1984 bis Juli 1985 bei Konica-Farbfilmen erhebliche Preisunterschiede zwischen dem Vereinigten Königreich
und Deutschland bestanden. Dies hing damit zusammen, dass Konica Europe in
Deutschland lediglich Fotofachhändler belieferte451. Es kam zu Parallelausfuhren
449 S. Kommission, Entscheidung v. 10.07.1987, Tipp-Ex, Abl. L 222 v. 10.08.1987, 1, Rn 52
a. E.
450 Kommission, Entscheidung v. 18.12.1987, Konica, Abl. L 78 v. 23.03.1988, 34.
451 Es wurde jedoch grundsätzlich jeder Fotofachhändler beliefert, und bis auf
Bonusvereinbarungen existierten keine Vertriebsverträge (vgl. Kommission, Entscheidung v.
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References
Zusammenfassung
Unter welchen rechtlichen Voraussetzungen fällt scheinbar einseitiges Handeln eines Unternehmens, das den Wettbewerb beschränkt (z. B. Maßnahmen eines Herstellers gegen Parallelimporte), noch unter das Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag? Die Antwort auf diese Frage klärt die Weite des Anwendungsbereichs des Kartellverbots und betrifft damit die Grundlagen des Kartellrechts.
Hierzu entwickelt der Autor rechtliche Kriterien für die praxisrelevante und oft schwierige Abgrenzung zwischen einseitigen Maßnahmen im Vertikalverhältnis einerseits und den Handlungsformen des Kartellverbots (Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen) andererseits. Zu dieser Thematik ist eine Reihe von Entscheidungen der Europäischen Kommission und des EuGH ergangen, die vom Autor aufgearbeitet und kritisch hinterfragt werden.
Die Arbeit macht zudem deutlich, unter welchen Voraussetzungen insbesondere in laufenden Geschäftsverbindungen zwischen Unternehmen wettbewerbswidrige Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisen zustande kommen, die gegen das Kartellverbot verstoßen. Dabei finden die rechtlichen Besonderheiten selektiver Vertriebssysteme besondere Berücksichtigung.