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III. Das Konzept des funktionsfähigen Wettbewerbs
1. Grundzüge des Konzeptes
Das wohlfahrtsökonomische Konzept des funktionsfähigen Wettbewerbs („workable“ bzw. „effective competition“) geht vor allem auf den amerikanischen
Wettbewerbstheoretiker John Maurice Clark zurück174. Dieser wandte sich, einen
Erkenntnisprozess in mehreren Schritten durchlaufend175, gegen das statische Leitbild der vollkommenen Konkurrenz. Stattdessen trat er, anknüpfend an die Theorie
der wirtschaftlichen Entwicklung Joseph A. Schumpeters176, für eine dynamische
Betrachtungsweise des Wettbewerbs ein. Wettbewerb ist demnach charakterisiert
durch eine Abfolge von Vorstößen durch Pionierunternehmen und Anpassungsmaßnahmen der Konkurrenten, d.h. durch eine Folge von Ungleichgewichtszuständen177.
Zur Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs setzt Clark Marktstruktur,
Marktverhalten und Marktergebnisse kausal zueinander in Beziehung. Anders als im
Modell der vollkommenen Konkurrenz werden dabei Marktunvollkommenheiten,
wie z.B. Anpassungsverzögerungen oder mangelnde Transparenz zwischen den
Wettbewerbssubjekten, grundsätzlich positiv bewertet; sie sind für den wirtschaftlichen Fortschritt unabdingbar178. Ein Beispiel hierfür bilden Patente: Sie gewähren
eine zeitlich begrenzte Monopolstellung und stellen daher Marktunvollkommenheiten dar; da sie jedoch einen Leistungs- und Innovationsanreiz schaffen, sind sie
dennoch grundsätzlich wünschenswert179.
In Deutschland wurde das Konzept des funktionsfähigen Wettbewerbs vor allem
von Erhard Kantzenbach aufgegriffen und zu einem Konzept der optimalen Wettbewerbsintensität weiterentwickelt180. Kantzenbach übte auf diese Weise wesentlichen
Einfluss auf die 2. GWB-Novelle im Jahre 1973 aus181. Wie Clark geht er von
ökonomischen Funktionen aus, die der Wettbewerb zu erfüllen habe und die er teils
174 Andere wichtige Vertreter dieser so genannten Harvard-Schule des Wettbewerbs sind Joe S.
Bain, Edward S. Mason oder auch Frederic M. Scherer.
175 S. vor allem Clark, AER 30 (1940), 241, in deutscher Übersetzung abgedruckt in: Barnikel
(Hrsg.), Wettbewerb und Monopol, S. 148 ff.; Clark, Competition (1961).
176 Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung (1912).
177 Clark, Competition, S. 471-476; Kantzenbach/Kallfass, in: Cox/Jens/Markert (Hrsg.),
Handbuch, 103, 108; Emmerich, Kartellrecht, § 1 Rn 21; vgl. auch Kilian, Europäisches
Wirtschaftsrecht, Rn 405; Büttner, Vertriebsbindungen, Rn 118-124 (der jedoch
fälschlicherweise davon ausgeht, die Chicago-Schule würde dem Konzept des
funktionsfähigen Wettbewerbs anhängen).
178 Kantzenbach/Kallfass, in: Cox/Jens/Markert (Hrsg.), Handbuch, 103, 108; I. Schmidt,
Wettbewerbspolitik, S. 10 f.
179 Vgl. Clark, Competition, S. 432.
180 – dies in seiner Habilitationsschrift „Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs“ (2. Aufl. 1967,
im Folgenden: Funktionsfähigkeit).
181 Vgl. hierzu etwa den Vermerk der „Arbeitsgruppe Wettbewerbspolitik“ im
Bundesministerium für Wirtschaft über das Ergebnis ihrer Diskussion über das
wettbewerbspolitische Leitbild v. 29.01.1968, Ziffer 4, 6 (abgedruckt in: Kartte, Leitbild,
S. 93, 96 f., 98 f.); s. hierzu auch Kirchhoff, Vertikale Vertriebsverträge, S. 134 ff.
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als statisch, teils als dynamisch ansieht182. Im weiteren Fortgang der Untersuchung
leitet er her, dass der Wettbewerb in einem weiten Oligopol eine optimale Intensität
aufweise. Die Zielfunktionen des Wettbewerbs ließen sich dann bestmöglich
realisieren, der Wettbewerb sei am funktionsfähigsten183, 184.
2. Die Bewertung vertikalen Unternehmensverhaltens
a) Vertikale Marktstruktur- und Marktverhaltenskriterien
Die wettbewerbstheoretische Bewertung vertikalen Unternehmensverhaltens steht
nicht im Zentrum der Betrachtung, die im Konzept des funktionsfähigen Wettbewerbs vorgenommen wird. Zwar finden sich unter den Faktoren, mit denen der
funktionsfähige Wettbewerb charakterisiert wird, auch vertikale Kriterien. Als relevantes Marktstrukturkriterium gilt etwa die Absatz- und Marktorganisation von
Unternehmen; als Marktverhaltenskriterien, die die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs beeinflussen, werden z.B. Absatzrestriktionen oder Absatzausdehnungen
angesehen185. Jedoch besteht unter den Vertretern des Konzepts des funktionsfähigen Wettbewerbs zwar Einigkeit, dass sich mit empirisch nachweisbaren Zusammenhängen zwischen Marktstruktur, Marktverhalten und Marktergebnis die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs beurteilen lässt. Es bestehen aber Differenzen hinsichtlich der Frage, welcher Kriteriengruppe Vorrang einzuräumen ist, in welchem
Verhältnis die Merkmalsgruppen zueinander stehen und wie die Einzelkriterien zu
bewerten und zu berücksichtigen sind186. Aus der Betrachtung der zugrunde gelegten
Kriterien – und seien diese Kriterien auch vertikaler Natur – lassen sich folglich
keine allgemeinen Aussagen hinsichtlich der wettbewerbstheoretischen Bewertung
vertikalen Unternehmensverhaltens ableiten.
b) John Maurice Clark
Auch John Maurice Clark räumt der Bewertung vertikalen Unternehmensverhaltens
in seinem Hauptwerk „Competition as a dynamic process“ keinen breiten Raum ein.
Zum einen behandelt er Fragen des Vertriebs (durch unternehmenseigene Vertriebshändler oder mittels Alleinvertriebs- bzw. Alleinbezugsvereinbarungen) im
182 Vgl. Kantzenbach, Funktionsfähigkeit, S. 15-19; s. auch I.Schmidt/A.Schmidt, Europäische
Wettbewerbspolitik, S. 13.
183 Kantzenbach, Funktionsfähigkeit, S. 87-93, insbesondere S. 92; ders./Kallfass, in:
Cox/Jens/Markert (Hrsg.), Handbuch, 103, 109 f.; I. Schmidt, Wettbewerbspolitik, S. 12.
184 Kritisch dazu Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Bd. II, S. 194 Fn. 193: Das weite Oligopol weise
als Leitbild der Wettbewerbspolitik unbegründbare wettbewerbsbeschränkende Tendenzen
auf.
185 Vgl. Poeche, in: FIW (Hrsg.), Workable Competition, 9, 17 f.
186 Poeche, in: FIW (Hrsg.), Workable Competition, 9, 19; Emmerich, Kartellrecht, § 1 Rn 27 f.
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Zusammenhang mit der Frage, wie sich die Unternehmensgröße auf die Wettbewerbsfähigkeit und auf mögliche Kostenvorteile eines Unternehmens auswirkt. Ihm
zufolge haben Großunternehmen Vorteile beim Aufbau eines Vertriebsnetzes gegen-
über kleineren Wettbewerbern; diese Tatsache wirkt sich negativ auf den
funktionsfähigen Wettbewerb aus187.
Zum anderen sieht Clark die verschiedenen Arten des Vertriebs, welche auf
unterschiedlichen Typen von Vertikalvereinbarungen beruhen, als Möglichkeiten
der Produktdifferenzierung an. Produktdifferenzierung stellt – gemessen am überkommenen Leitbild vollkommener Konkurrenz, demzufolge die angebotenen Produkte homogen sind – eine Marktunvollkommenheit dar; sie ist eines der Bewertungskriterien für die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs. Diese Marktunvollkommenheit kann, Clark zufolge, im Falle von Alleinbezugs- und
Alleinvertriebsvereinbarungen sowie im Falle des selektiven Vertriebs den Wettbewerb beeinträchtigen. Denn derartige Vertriebsvereinbarungen erschweren jungen,
kleinen Unternehmen den Markteintritt mit einer neuen Marke. Für den Aufbau
eines eigenen Vertriebssystems fallen für ein neu in den Markt eintretendes Unternehmen beträchtliche Anschubkosten an; bereits tätige Vertriebshändler hingegen
sind oftmals bereits an die Konkurrenz gebunden und bieten sich nicht für den Vertrieb der neuen Marke an188.
Clark zeigt damit in einleuchtender Weise auf, was von der Chicago-Schule der
Antitrust-Analyse verkannt wird189: Produktdifferenzierung sowie vertikale Bindungen können Marktzutrittsschranken darstellen. Dies hat zur Folge, dass neue
Wettbewerber vom Markt ferngehalten werden und damit Marktschließungseffekte
ausgelöst werden können. Vertikalvereinbarungen beschränken daher in derartigen
Fällen den Wettbewerb. Ein aktuelles Beispiel für diese Problematik stellen
langfristige Gaslieferverträge zwischen Gasimporteuren (wie etwa EON Ruhrgas)
und Stadtwerken dar190.
c) Erhard Kantzenbach
In noch grundsätzlicherer Form als Clark äußert sich Kantzenbach zur wettbewerbstheoretischen Bewertung vertikalen Unternehmensverhaltens. Er legt dar, dass
auch im Vertikalverhältnis wechselseitige Abhängigkeiten („Interdependenzen“)
zwischen den Marktpartnern bestehen191. Daraus erwächst bei beiden Marktpartnern
ein Interesse, die im Wettbewerb bestehenden Unsicherheiten durch eine längerfristig orientierte Kooperation zu verringern. Derartige längerfristige Kooperationen
187 Clark, Competition, S. 145-147.
188 Vgl. Clark, Competition, S. 221 f.
189 S.o. 1. Kap. B. II. 3.
190 S. hierzu z.B. Handelsblatt v. 18.01.06, S. 2; dass. v. 02.02.06, S. 16.
191 Kantzenbach, Funktionsfähigkeit, S. 94.
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führen jedoch, gesamtwirtschaftlich gesehen, zu einer Verringerung der Strukturflexibilität192.
Kantzenbach zufolge haben horizontale und vertikale wechselseitige Abhängigkeiten zwischen Unternehmen in vielerlei Hinsicht die gleichen Folgen;
insbesondere resultieren aus ihnen Verhaltensabstimmungen und Kooperationen.
Auch vertikale Handlungsformen beeinflussen daher in derartigen Fällen die
Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs. Aus diesem Grunde sind sie, obwohl sie
anders als horizontale Handlungsformen nicht unmittelbar zu einer Verringerung der
Wettbewerbsintensität führen, als Wettbewerbsbeschränkungen anzusehen193.
Aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen existieren Kantzenbach zufolge auch
im Vertikalverhältnis, in Form von Geschäftsgepflogenheiten und gegenseitigen
Rücksichtnahmen insbesondere zwischen langjährigen Geschäftspartnern. Diese
sind – im strengsten Fall und dies auch nicht zwingend – lediglich als eine milde
Form der Wettbewerbsbeschränkung zu werten194.
Bei langfristigen vertikalen Leistungs- und Lieferverträgen konstatiert Kantzenbach hingegen, diese übten einen reduzierenden Einfluss auf die Wirksamkeit des
Marktautomatismus aus. Die wettbewerbsbeschränkende Wirkung langfristiger Lieferverträge bestehe in der Verengung des Marktes, da die Vertragspartner als
Anbieter und Nachfrager ausfielen. Bei langfristiger Betrachtung werde das Ausmaß
der Wettbewerbsbeschränkung jedoch dadurch abgemildert, dass bei wesentlichen
Änderungen der Marktdaten die Lieferverträge gekündigt oder angepasst werden
könnten195.
Ein Versuch, Kantzenbachs Konzept der optimalen Wettbewerbsintensität im
weiten Oligopol auf vertikale Vertriebssysteme zu übertragen, kommt zu folgendem
Ergebnis: Bis zur Oligopolisierung des Zwischenmarktes und/oder des Endverbrauchermarktes müssen vertikale Vertriebssysteme gefördert, darüber hinaus jedoch
bekämpft werden196. Gegen ein derartiges wettbewerbspolitisches Postulat spricht
jedoch, dass Kantzenbachs Argumentation auf die Herstellerebene zugeschnitten ist;
seine Überlegungen lassen sich nicht ohne Weiteres auf die Wettbewerbsebene der
Wiederverkäufer übertragen197.
d) Zusammenfassung
Zusammenfassend lässt sich somit konstatieren: John Maurice Clark fokussiert
seine wettbewerbstheoretische Betrachtung nicht auf vertikales Unternehmensverhalten. Dieses behandelt er vielmehr lediglich im Zusammenhang mit anderen
Einzelaspekten des Wettbewerbs (Unternehmensgröße, Produktdifferenzierung).
192 Kantzenbach, Funktionsfähigkeit, S. 98.
193 Kantzenbach, Funktionsfähigkeit, S. 98-100.
194 Kantzenbach, Funktionsfähigkeit, S. 100, 106 f.
195 Kantzenbach, Funktionsfähigkeit, S. 114 f.
196 Vgl. Martinek, Franchising, S. 479; Kirchhoff, Vertikale Vertriebsverträge, S. 136.
197 Vgl. Kirchhoff, Vertikale Vertriebsverträge, S. 136; s. zur untergeordneten Bedeutung der
Absatzmittlerebene in Kantzenbachs Konzept auch Lademann, DB 1985, 2661, 2664 f.
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Kantzenbach hingegen äußert sich grundsätzlicher; er zählt langfristige vertikale
Bindungen zu den Wettbewerbsbeschränkungen. Hierbei hält er langfristige
Leistungs- und Lieferverträge für problematischer als aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Vertikalverhältnis.
Darüber hinaus lassen sich jedoch auf der Grundlage des Konzepts des funktionsfähigen Wettbewerbs kaum allgemeingültige Regeln für die Bewertung vertikalen
Unternehmensverhaltens aufstellen198. Festzuhalten bleibt jedoch, dass im Konzept
des funktionsfähigen Wettbewerbs vertikale Bindungen grundsätzlich deutlich negativer bewertet werden als im wettbewerbstheoretischen Modell der Chicago-Schule.
Sie werden häufig als Instrument zur Erlangung und Absicherung von Marktmacht
angesehen199.
3. Stellungnahme
Die eher kritische Bewertung vertikaler Bindungen ist gegenüber der Chicago-
Schule aus den bereits genannten Gründen200 vorzugswürdig.
Gegen das Konzept des funktionsfähigen Wettbewerbs spricht gleichwohl, dass
ihm zufolge Marktstruktur, Marktverhalten und Marktergebnisse kausal zueinander
in Beziehung zu setzen sind. Derartige Kausalzusammenhänge lassen sich jedoch in
der Realität häufig nicht eindeutig nachweisen201. Zudem wird Wettbewerbsfreiheit
insbesondere von Kantzenbach nicht als Ziel, sondern als Mittel zur Erreichung vorher festgelegter, überindividueller Ziele verstanden. Dagegen spricht jedoch, dass
man Freiheitspositionen aufhebt, wenn man ihre Inhalte vorweg definiert202. Zudem
bewirkt ein derartiges Wettbewerbsverständnis, dass jede Umformulierung der Zielfunktionen dem Wettbewerbsbegriff einen neuen Inhalt gibt203.
Aufgrund dieser überzeugenden Einwände ist das Konzept des funktionsfähigen
Wettbewerbs dieser Untersuchung nicht als wettbewerbstheoretisches Leitbild
zugrunde zu legen.
198 So auch Kirchhoff, Vertikale Vertriebsverträge, S. 136; bezogen auf Franchising als
speziellen Vertikalvereinbarungstypus ebenso Martinek, Franchising, S. 483 f.
199 So auch Kerber, Wettbewerbskonzeption der EG, S. 209 f.
200 S.o. 1. Kap. B. II. 3.
201 Clapham, in: Cox/Jens/Markert (Hrsg.), Handbuch, 129, 140; Emmerich, Kartellrecht, § 1
Rn 28.
202 Möschel, in: FS Pfeiffer, 707, 715.
203 Clapham, in: Cox/Jens/Markert (Hrsg.), Handbuch, 129, 135.
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IV. Das Konzept der Wettbewerbsfreiheit
1. Grundzüge des Konzeptes
Die Thesen Kantzenbachs zum funktionsfähigen Wettbewerb lösten in Deutschland
eine heftige wettbewerbspolitische Kontroverse aus. Hauptkritiker war Erich Hoppmann, der für ein Konzept der Wettbewerbsfreiheit eintrat. Er griff insbesondere
Kantzenbachs Ansatz an, demzufolge Wettbewerbsfreiheit kein Ziel an sich,
sondern lediglich ein Mittel zur Erreichung ökonomischer Zielfunktionen
darstellt204. Dem Konzept der Wettbewerbsfreiheit zufolge ist Wettbewerbsfreiheit
hingegen einer der zwei Zielkomplexe, deren Erfüllung durch Wettbewerbspolitik
angestrebt wird. Als weiterer Zielkomplex wird „ökonomische Vorteilhaftigkeit“
angesehen205.
Das systemtheoretische Konzept der Wettbewerbsfreiheit, auch als Neuklassik
bezeichnet206, hat seine Wurzeln bei Adam Smith. Es wurde durch die
Österreichische Schule des Wettbewerbs (Ludwig von Mises; Friedrich A. von
Hayek) begründet und in Deutschland vor allem durch Hoppmann weiterentwickelt.
Dem Konzept liegt die Auffassung zugrunde, dass es sich bei Marktprozessen um
komplexe Vorgänge handelt, die sich nicht auf einfache Gesetze reduzieren lassen.
Deshalb wird die Normativierung „optimaler Marktstrukturen“ (wie z.B. durch
Kantzenbach hinsichtlich des weiten Oligopols) abgelehnt. Aufgrund der
Komplexität des Marktes lassen sich zudem keine konkreten Voraussagen über das
Ergebnis einzelner wettbewerblicher Vorgänge treffen. Lediglich allgemeine
„Muster-Voraussagen“ über die Eigenschaften des Wettbewerbssystems bzw. über
typische Prozesse und Ergebnisse sind möglich207. Eine derartige Muster-
Voraussage ist z.B., dass Wettbewerb zu wechselseitigen individuellen Vorteilen
und zu ökonomischer Vorteilhaftigkeit führt208.
Die Unmöglichkeit, konkrete Einzelvoraussagen zu treffen, ergibt sich auch
daraus, dass Wettbewerb, im Sinne v. Hayeks, ein Entdeckungsverfahren darstellt. V.
Hayek versteht Wettbewerb als eine spontane Ordnung209 sowie als ein Verfahren
zur Entdeckung von Tatsachen, „die ohne sein Bestehen entweder unbekannt
204 Vgl. dazu Mestmäcker, Europäisches Wettbewerbsrecht (1. Aufl.), S. 175;
Kantzenbach/Kallfass, in: Cox/Jens/Markert (Hrsg.), Handbuch, 103, 110.
205 Hoppmann, in: Schneider (Hrsg.), Wettbewerbspolitik, 9, 14 f.; Clapham, in:
Cox/Jens/Markert (Hrsg.), Handbuch, 129, 132.
206 – nicht zu verwechseln mit der neoklassischen Preistheorie, die etwa den Thesen der
Chicago-Schule zugrunde liegt (s.o. 1. Kap. B. II. 1.); vgl. Clapham, in: Cox/Jens/Markert
(Hrsg.), Handbuch, 129, 136 –
207 Vgl. Hoppmann, in: ders./Mestmäcker, Normenzwecke und Systemfunktionen, 5, 7; v.
Hayek, Die Theorie komplexer Phänomene, S. 25-29, insbesondere S. 27; Clapham, in:
Cox/Jens/Markert (Hrsg.), Handbuch, 129, 131 f., 145 f. Fn. 6; I. Schmidt,
Wettbewerbspolitik, S. 14, 25.
208 Möschel, Wettbewerbsbeschränkungen, Rn 67.
209 Vgl. dazu die grundsätzlichen Überlegungen bei v. Hayek, ORDO Bd. 14, 3 ff.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Unter welchen rechtlichen Voraussetzungen fällt scheinbar einseitiges Handeln eines Unternehmens, das den Wettbewerb beschränkt (z. B. Maßnahmen eines Herstellers gegen Parallelimporte), noch unter das Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag? Die Antwort auf diese Frage klärt die Weite des Anwendungsbereichs des Kartellverbots und betrifft damit die Grundlagen des Kartellrechts.
Hierzu entwickelt der Autor rechtliche Kriterien für die praxisrelevante und oft schwierige Abgrenzung zwischen einseitigen Maßnahmen im Vertikalverhältnis einerseits und den Handlungsformen des Kartellverbots (Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen) andererseits. Zu dieser Thematik ist eine Reihe von Entscheidungen der Europäischen Kommission und des EuGH ergangen, die vom Autor aufgearbeitet und kritisch hinterfragt werden.
Die Arbeit macht zudem deutlich, unter welchen Voraussetzungen insbesondere in laufenden Geschäftsverbindungen zwischen Unternehmen wettbewerbswidrige Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisen zustande kommen, die gegen das Kartellverbot verstoßen. Dabei finden die rechtlichen Besonderheiten selektiver Vertriebssysteme besondere Berücksichtigung.