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des Patentrechts, wie ein zu breiter Schutzbereich und die Gefahr von Trivialpatenten lassen sich durch seine Neugestaltung in der vorgeschlagenen Form1792 beseitigen. Bisher dagegen gerichtete Darlegungen stellen sich als Scheinargumente heraus, die in Wahrheit nur die tasächlich vorhandene Ungenauigkeit in Bezug auf
Computerprogramme betreffen. Im Gegensatz dazu würde eine entsprechende Modifikation des Urheberrechts dazu führen, dass sein Sinn und Zweck ausgehöhlt würde.1793 Nicht zuletzt entsteht durch das Programm-Urheberrecht in seiner jetzigen
Form ein Funktionenschutz, der seinem Wesen nach dem Urheberrecht fremd ist.
Nur das Patentrecht kennt die notwendigen Ausgleichsmechanismen im Sinne der
im Dritten Kapitel unter A. aufgestellten Prämissen für einen solch umfassenden
Schutz. Es ermöglicht damit einen besseren Ausgleich zwischen den Allgemeininteressen und den Interessen der Programmentwickler und erscheint aus diesem
Grunde im Vergleich zum Urheberrecht vorzugswürdig.
2. Abschaffung des Urheberrechts?
Dass der urheberrechtliche Schutz der Computerprogramme demgegenüber de lege
lata nicht ohne Weiteres abgeschafft werden kann, steht angesichts seiner mittlerweile weltweiten Anerkennung außer Frage. Nichts desto trotz sollte de lege ferenda
vor dem Hintergrund der im Dritten Kapitel unter A. IV. ermittelten Aspekte darüber ernsthaft nachgedacht werden. Einstweilen ergibt sich aus dem Vorstehenden
folgende Konsequenz: Wenn das Patentrecht die Offenlegung der Komplexalgorithmen verlangt und den Quellcode als solchen gerade nicht schützt, so bleibt für
das Urheberrecht der bereits bestehende Schutz des Quellcodes. Dies geht einher mit
einer Verpflichtung des Rechtsinhabers, Komplexalgorithmen spätestens auf Verlangen einsehbar zu machen, so dass der Widerspruch zum Patentrecht ausgeräumt
werden kann. Alternativ besteht die Möglichkeit, das Dekompilierungsrecht dahingehend zu erweitern, dass es auch zur Ermittlung der Ideen und Grundsätze eines
Programms eingesetzt werden kann. Dass dadurch der beabsichtigte Know-How-
Schutz der §§ 69a ff. UrhG ad absurdum geführt wird, spricht eher für die Verlagerung in das Patentrecht.1794
C. Zwischenfazit 3
Die eingehende Analyse des Patentschutzes von Computerprogrammen hat gezeigt,
dass er seinem schlechten Ruf nicht gerecht wird. Die derzeit gegen ihn vorgebrachten Argumente, wie beispielsweise die drohende Hemmung der Innovationsge-
1792 Vgl. oben A. VI.
1793 S. o. Drittes Kapitel, C. IV, Zwischenfazit 1.
1794 S. o. Zwischenfazit 1.
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schwindigkeit, die Erteilung von wettbewerbshindernden Trivialpatenten und eine
generelle Verstärkung wettbewerbswidriger Effekte sind substanzlos und erweisen
sich weit überwiegend als nicht gegen den Patentschutz als solchen, sondern nur gegen die bisherige Ausgestaltung der die Computerprogramme betreffenden Regelung gerichtet. Im vorigen Kapitel wurde deutlich, dass diese in der Tat kritikwürdig
ist, vgl. Zwischenfazit 2. Folglich lassen sich bestehende Unklarheiten durch eine
Präzisierung der gesetzlichen Regelungen ausräumen.
Diese muss in erster Linie den Schutzbereich des Programmpatents begrenzen,
um zu breite Ausschließlichkeitsrechte zu verhindern und Innovations- und Substitionswettbewerb zu ermöglichen. Zur Vermeidung von Trivial- und Massenpatenten
sind außerdem erhöhte Anforderungen an die erfinderische Tätigkeit zu stellen, was
der insgesamt auch häufig geforderten Verbesserung der Prüfungsqualität bei den
Patentämtern entspricht.1795 Daraus ergibt sich der besprochene Gesetzgebungsvorschlag.1796 Während so die gegen das Patentrecht eingewandten Argumente relativ
leicht ausgeräumt werden können, lassen sich insbesondere diejenigen, die auf drohende Wettbewerbsverzerrungen hinweisen, stattdessen gegen das Urheberrecht anführen, vgl. Zwischenfazit 1. Eine entsprechende Modifikation des Urheberrechts ist
ohne eine Aushöhlung des Schutzes in seiner jetzigen Gestalt demgegenüber nicht
möglich.
Das Ergebnis der Abwägung ist zu Beginn1797 aufgestellten Prämissen daher eindeutig. Es entsteht ein klares Bild zugunsten des Patentrechts.1798 Dieses erweist sich
als dasjenige Schutzsystem, welches bereits seinem Wesen nach für die in Frage
stehende Leistung – die Lösung eines funktionellen, die Maschinensteuerung betreffenden Problems – gedacht ist. Aus diesem Grunde kann es den beteiligten Interessen und den tatsächlichen Bedingungen der Programmentwicklung besser gerecht
werden. Insbesondere aus der Offenbarungspflicht des Erfinders ergeben sich erhebliche Argumente für einen derartigen Schutz im Vergleich zum Urheberrecht.1799
Dies gilt erst recht, wenn der Schutz von Computerprogrammen in der angesprochenen Form präzisiert wird.
Über eine Abschaffung des urheberrechtlichen Schutzes und eine Hinwendung
zum Patentrecht in der vorgeschlagenen Form sollte also ernsthaft nachgedacht werden, wenngleich dies angesichts der internationalen Anerkennung des urheberrechtlichen Schutzes erheblichen Aufwand bedeutet. Einstweilen muss zumindest eine
verpflichtende Klausel zur Offenlegung auch der Komplexalgorithmen in das Urhe-
1795 Zur allgemeinen Beanstandung der Prüfungsqualität vgl. BMWi, Patentschutz und Innovation, 2007.
1796 Vgl. oben A. VI.
1797 Drittes Kapitel, Abschnitt A.
1798 Vgl. a. die Gegenüberstellung und das praktische Beispiel soeben unter B. III.
1799 Vgl. insb. B. II. Die Offenlegung trägt aufgrund der besseren Überprüfbarkeit auch zu einer
verbesserten IT-Sicherheit bei. Vgl. zum Bereich Open Source Lutterbeck/Gehring/Horns,
Sicherheit in der Informationstechnologie und Patentschutz für Softwareprodukte, 2000,
S. 111ff.
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berrecht aufgenommen werden, um seine negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb weitestmöglich zu begrenzen.
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References
Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit will langjährige Missverständnisse und Schwierigkeiten des immaterialgüterrechtlichen Schutzes von Computerprogrammen endgültig ausräumen. Die Betrachtung aus wettbewerbsorientiertem Blickwinkel auf der Grundlage der technischen und ökonomischen Besonderheiten ist – soweit ersichtlich – die erste Untersuchung, die sowohl das Urheber- als auch das Patentrecht einbezieht und dabei eine umfassende Neuregelung vorschlägt.
Dr. Lina Barbara Böcker befasst sich im Rahmen ihrer Tätigkeit am Institut für Wirtschafts-, Wettbewerbs- und Regulierungsrecht an der Freien Universität Berlin in erster Linie mit wettbewerbsrechtlichen Problemen des Immaterialgüterrechtsschutzes und allgemeinem Zivilrecht.