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Computerprogramme sind demnach in der Regel als Erzeugnispatente im Sinne
von § 9 Nr. 1 PatG anzusehen.1762 Zusätzlich ist in die PatV bzw. in die AO-EPÜ
folgende Regelung bezüglich der Erfindungsbeschreibung aufzunehmen:
Regel XY/§ XY Beschreibung von Computerprogrammen
Ist ein Computerprogramm Gegenstand der beanspruchten Erfindung, so ist dieses in Form des
unmittelbar in eine Programmiersprache umsetzbaren Algorithmus einschließlich der Schnittstellenspezifikationen zu beschreiben (Komplexalgorithmus).
Um die aus Wettbewerbsförderungsgründen notwendige Herstellung von Interoperabilität sicherzustellen, ist – neben der Aufnahme der Schnittstellenspezifikationen in die Erfindungsbeschreibung – folgende Schrankenregelung in Betracht zu
ziehen:
§ 11
Die Wirkung des Patents erstreckt sich nicht auf
…
x. die Verwendung von Schnittstelleninformationen zur Herstellung eines interoperablen Produkts.
B. Das Patentrecht als vorzugswürdiges Schutzinstrument
Die vorstehenden Überlegungen haben gezeigt, dass der vor dem Hintergrund der
Überlegungen im Dritten Kapitel unter A gravierendste Nachteil des Urheberrechts,
nämlich die umfangreichen Geheimhaltungsmöglichkeiten, im Patentrecht ohne
Weiteres ausgeglichen werden kann. Der Hauptvorteil der patentrechtlichen Lösung,
die Offenbarung der Erfindung, steht somit im Widerspruch zur bestehenden Ausgestaltung des urheberrechtlichen Schutzes, dessen Wesen gerade in der Geheimhaltung besteht. Bereits aus diesem Grunde ist ein paralleles Fortbestehen der beiden
Schutzinstrumente auf Dauer nicht möglich, auch wenn dies unter anderem in
TRIPS vorausgesetzt wird. Auch die in Abschnitt. A IV. im Dritten Kapitel aufgrund wettbewerblicher Überlegungen aufgestellten Prämisse, dass der Schutz auf
das notwendige Minimum zu reduzieren ist, verlangt nach Möglichkeit die Reduktion auf ein Schutzsystem. Hierfür ist de lege ferenda grundsätzlich das Patentrecht
vorzuziehen, wie sich aus der nachstehenden Abwägung ergibt.
1762 Dazu auch schon BGHZ 159, 142, 146ff. – Signalfolge.
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I. Zusammengefasst: Die Kritik am Urheberrecht
Wie festgestellt, bestehen vor dem Hintergrund der im Dritten Kapitel, A. IV. aufgestellten Leitlinien erhebliche Kritikpunkte an den §§ 69a ff. UrhG.1763 Diese seien
hier zum Zwecke der Gegenüberstellung noch einmal kurz zusammengefasst.
1. Funktionsschutz im Urheberrecht
Schon systematisch bestehen erhebliche Zweifel an der Einordnung der Computerprogramme in das Urheberrecht.1764 Die Leistung des Entwicklers liegt in der Erstellung des Komplexalgorithmus als technischer Problemlösung, nicht aber in der
sprachlichen Gestaltung des Quellcodes. Code und Algorithmus können zudem nicht
voneinander isoliert betrachtet werden. Codeschutz ohne Funktionenschutz ist daher
faktisch nicht möglich. Die Entwicklung technischer Problemlösungen ist jedoch
eine Leistung, die zu schützen das Patentrecht bestimmt ist.
Das Urheberrecht erfasst demgegenüber nur den Ausdruck einer Idee, ist also
hinsichtlich des Schutzumfangs das „kleinere“ Recht. Entsprechend kennt es auch
nur Ausgleichsregeln, die für einen geringeren Schutzumfang geschaffen sind, d. h.
Allgemeininteressen werden insbesondere in den §§ 69a ff. UrhG in geringerem
Maße berücksichtigt als im Patentrecht. Da dieses seiner Leitidee nach bereits auf
einen Funktionenschutz angelegt ist, kennt es Schrankenregelungen und Auflagen
wie insbesondere die Offenbarung, die den breiten Funktionenschutz aus Sicht der
Allgemeinheit rechtfertigen. Ein entsprechender Schutzumfang im Urheberrecht bedeutet demnach, dass zu starker Schutz des Rechtsinhabers besteht und dadurch insbesondere die Gefahr von Wettbewerbsbehinderungen entsteht.
2. Umfassender Ideenschutz
Die Unterscheidung zwischen Idee und Ausdruck ist ein wesentliches Einfallstor
wettbewerblicher Überlegungen im Urheberrecht.1765 § 69a Abs. 2 UrhG regelt dies
für Computerprogramme. Allein kann hier die Unterscheidung aufgrund der technischen Natur von Computerprogrammen nicht vollzogen werden. Algorithmen sind
Ideen und wie angesprochen nicht vom Code als Ausdruck trennbar. Zwar wurde
zur Unterscheidung die Formel aufgestellt, Algorithmen seien nur in ihrer „konkreten Implementierung“ als Ausdruck schützbar. Die Unmöglichkeit einer eindeutigen
1763 S. o. Drittes Kapitel, C. IV., insb. 5.
1764 S. Drittes Kapitel, C. IV. 1.
1765 Vgl. aaO., C. IV. 2.
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Abgrenzung zwischen Basisalgorithmus und Programm macht diesen Ansatz aber
praktisch wirkungslos.1766
Das Urheberrecht ermöglicht also nicht nur einen Funktionen- sondern auch einen
Ideenschutz, der durch die umfassende Geheimhaltungsmöglichkeit des Quellcodes
noch verstärkt wird.1767 Zwar unterliegen die Verwertungsbefugnisse des Urheber
den Schranken der §§ 69d und e UrhG, allerdings können diese in Bezug auf die
Geheimhaltung keine effektive Abhilfe schaffen. § 69d Abs. 3 UrhG wurde zwar
zum Zwecke der Ermittlung von Ideen geschaffen, ist jedoch wegen der fehlenden
Dekompilierungsmöglichkeit nur eingeschränkt wirksam, während § 69e UrhG, die
Vorschrift, die die Dekompilierung regelt, nur zur Herstellung von Interoperabilität
anwendbar ist. Die so entstehende, innovationshemmende Blockade freihaltebedürftiger Inhalte ist innerhalb des Urheberrechts allenfalls durch eine verpflichtende Offenlegung des Quellcodes lösbar. Dies jedoch würde den auf umfassenden Know
How-Schutz gerichteten Sinn und Zweck der urheberrechtlichen Vorschriften leerlaufen lassen.1768
a) Die Geheimhaltung von Schnittstellen
Die aus Sicht der Allgemeinheit bedenklichen Geheimhaltungsmöglichkeiten des
Computerprogramm-Urheberrechts betreffen auch die Schnittstellenspezifikationen
des Programms, deren Kenntnis für die Schaffung kompatibler Programme und damit für den Zugang zu vor- und nachgelagerten Märkten erforderlich ist.1769 Zwar
greift das in § 69e UrhG geregelte Dekompilierungsrecht hier ein. Die Praxis hat jedoch gezeigt, dass dieses Recht wenig effektiv ist und nur in Ausnahmefällen tatsächlich dazu führt, dass Schnittstellen in brauchbarer Form einsehbar werden. Der
Rechtsinhaber erlangt also die Kontrolle über alle mit seinem Produkt verbundenen
Märkte. Dass darin gerade bei „Netzwerkmärkten“ ein erhebliches wettbewerbshinderndes Potential liegt, ist unübersehbar.
b) Open Source und Geheimhaltung
Der Urheberrechtsschutz ist häufig damit gerechtfertigt worden, dass eine umfassende Geheimhaltung notwendig sei, um den Schutzbedürfnissen des Urhebers und
damit der Anreizfunktion des Urheberrechts gerecht werden zu können. Hiergegen
ist das nun schon mehrfach besprochene Open Source-Konzept anzuführen, das die
1766 S. aaO. C. III. 1. und dort IV. 2.
1767 Zu den Verwertungsbefugnissen ausführlich aO. C. III. 3.
1768 Zum Sinn und Zweck vgl. BT-Drs. 12/2044, S. 13.
1769 Dazu ausführlich v. Westernhagen, Zugang zu geistigem Eigentum nach europäischem Kartellrecht, 2005; Bartmann, Grenzen der Monopolisierung durch Urheberrechte, 2005,
S. 122ff.
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Geheimhaltungsmöglichkeit des Urheberrechts in ihr Gegenteil verkehrt und die
Einräumung urheberrechtlicher Nutzungsrechte dazu verwendet, die Offenlegung
des Quellcodes zu sichern.1770 Dennoch gelten Open Source-Programme als kostengünstiger und oft stabiler, und die Innovationsgeschwindigkeit innerhalb dieses
Entwicklungs- und Vertriebsmodells ist wenn nicht höher, so doch wenigstens nicht
geringer als im proprietären Bereich.
3. Die automatische Entstehung
Eine Innovationsförderung durch das Urheberrecht kann schon deshalb nicht stattfinden, weil seine Entstehung intransparent ist. Urheberrecht entsteht automatisch,
ohne Anmeldung oder Registrierung des geschützten Werkes. Auf diese Weise werden zeit- und ressourcenaufwändige Doppelentwicklungen veranlasst, die die Innovationsgeschwindigkeit verlangsamen. Das Patentrecht entsteht demgegenüber nur
nach einer kostenpflichtigen Anmeldung, die geschützten Ansprüche werden allgemein einsehbar registriert. Unter der Prämisse eines Minimalschutzes1771 sind solche
formalen Voraussetzungen des Schutzes, die zudem die Transparenz erhöhen, zu
begrüßen.
II. Gegenübergestellt: Das „neue“ Softwarepatentrecht
Im Gegensatz dazu besitzt das Patentrecht schon grundsätzlich, erst Recht aber bei
der hier vorgeschlagenen Ausgestaltung längst nicht so viele Nachteile wie oft behauptet, sondern weist im Gegenteil erhebliche Vorteile auf und wirkt sich vor allem
auf die Förderung technischen Fortschritts günstiger aus.1772 Außerdem kann das Patentrecht auch den bislang durch das Urheberrecht bereitgestellten Funktionenschutz
adäquater gewährleisten.
1. Offenlegung und klar begrenzter Schutzbereich
Hauptvorteil des Patentrechts in Bezug auf seine innovationsfördernde Funktion ist
– wie nun schon mehrfach betont – die verpflichtende Offenbarung des geschützten
Anspruchs.1773 Gemäß § 34 Abs. 4 PatG, Art. 83 EPÜ ist eine Erfindung zur Erlangung des Schutzes so offen zu legen, dass sie von jedem Fachmann nachvollzogen
werden kann. Für Computerprogramme bedeutet das, dass der Komplexalgorithmus
1770 Vgl. oben Zweites Kapitel, B. II und Drittes Kapitel, C. V. 1.
1771 Vgl. oben Drittes Kapitel, A. IV. 1.
1772 S. oben A. I. 2.
1773 Guellec/van Pottelsberghe de la Potterie, The Economics of the European Patent System,
2007, S. 40 bezeichnen die Offenlegung insgesamt als „key factor“ des Patentwesens.
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References
Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit will langjährige Missverständnisse und Schwierigkeiten des immaterialgüterrechtlichen Schutzes von Computerprogrammen endgültig ausräumen. Die Betrachtung aus wettbewerbsorientiertem Blickwinkel auf der Grundlage der technischen und ökonomischen Besonderheiten ist – soweit ersichtlich – die erste Untersuchung, die sowohl das Urheber- als auch das Patentrecht einbezieht und dabei eine umfassende Neuregelung vorschlägt.
Dr. Lina Barbara Böcker befasst sich im Rahmen ihrer Tätigkeit am Institut für Wirtschafts-, Wettbewerbs- und Regulierungsrecht an der Freien Universität Berlin in erster Linie mit wettbewerbsrechtlichen Problemen des Immaterialgüterrechtsschutzes und allgemeinem Zivilrecht.