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einerseits den Schutzbereich klar definiert, und bei der andererseits die Anforderungen an die Offenbarung eindeutig festgelegt sind.1639
2. Anforderungen an die Prüfungspraxis
Massenhafte, innovationshemmende Trivialpatente sind vermeidbar, indem die Anforderungen an die Erteilung eines Patentschutzes eindeutig gesetzlich festgelegt
werden. Dies betrifft in erster Linie die erfinderische Tätigkeit, deren Anwendung in
Bezug auf Computerprogramme konkretisiert werden muss, aber auch die Schaffung
eines Umfelds, in dem die unabhängige und kritische Überprüfung einer Patentanmeldung gewährleistet ist.1640 Alles in allem ist also auch eine klare Regelung zu
formulieren, die die genannten Aspekte im Sinne der Überlegungen unter A. IV. 1.
im Dritten Kapitel berücksichtigt.
III. Zwischenergebnis: Streichung der Ausschlussregel und Suche nach
Alternativen
Bei vernünftiger Ausgestaltung spricht alles für den grundsätzlichen Patentschutz
von Computerprogrammen. Die Frage nach der Streichung des Ausschlusstatbestandes ist also zu bejahen, wenn man eine Ersatzregelung findet, die die angesprochenen Gesichtspunkte berücksichtigt (dazu sogleich IV.). Allerdings hat die grundsätzliche Patentierung von Computerprogrammen weitergehende Konsequenzen, die aus
der Ubiquität dieses technischen Mittels resultieren. Die Entscheidung, die an dieser
Stelle zu treffen ist, ist daher weniger rechtspraktischer als rechtspolitischer Natur:
Will man über die Patentierbarkeit von Computerprogrammen zulassen, dass auch
solche Verfahren, über deren Ausschluss vom Patentschutz bislang Einigkeit bestand, patentiert werden können, oder führt das einer zu großen Ausweitung des Patentrechts auf Bereiche, für die es nicht gedacht ist?1641
Nimmt man die Förderung technischen Fortschritts und den Belohnungsgedanken
des Patentrechts ebenso ernst wie die Kritik an der bestehenden Schutzsituation, so
muss man die Frage nach der Erweiterung patentrechtlich schutzfähiger Gegenstände und Verfahren bejahen. In der heutigen Dienstleistungsgesellschaft, in der die
Rolle des produzierenden Gewerbes kontinuierlich kleiner wird, verdienen grund-
1639 Vgl. sogleich IV. 2. und 3.
1640 Vgl. dazu BMWi, Patentschutz und Innovation, 2007, S. 11ff. Zu den Motivationen im EPA
vgl. die Studie von Friebel et al., Objectives and Incentives at the European Patent Office,
2006. Insoweit ist Melullis, in: FS König, 2003, S 341, 357 zuzustimmen.
1641 Vgl. insbesondere die Beiträge von Jänich, GRUR 2003, 483ff für Geschäftsmethoden;
Schölch, GRUR 2006, 969ff. für computergestützte Entwurfsmethoden; und grundsätzlich
Kiesewetter-Köbinger, GRUR 2001, 185. Dem Leser wird nicht entgangen sein, dass das o.g.
Beispiel gerade aus einem solchen Bereich stammt.
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sätzlich auch solche Erfindungen patentrechtlichen Schutz, wenn sie in einer erfindungstauglichen, technischen Form, d. h. in Form eines Computerprogramms, auftreten.1642 Alles andere wäre willkürliche Ungleichbehandlung mittlerweile mindestens gleichbedeutender Industriezweige und schon aus diesem Grunde bedenklich.1643
Darüber hinaus kann Programmierung ebenso wie die Entwicklung einer komplizierten Maschine eine patentrechtlich schützenswerte Leistung sein. Durch sie wird
technischer Fortschritt in Form der Informationstechnologie vorangetrieben. „HI-
TACHI“1644 zeigt somit bereits den richtigen Weg, wenn dort auch eine andere Begründung herangezogen wurde. Es geht darum, die grundsätzliche technische Leistung des Programmierers anzuerkennen, egal mit welcher Art von Verfahren er sich
befasst. Sein Beitrag zum Stand der Technik ist nicht kleiner, nur weil er eine umfassende Geschäftsmethode oder eine CAD/CAM-Maßnahme implementiert, anstelle eines Antiblockiersystems für Kraftfahrzeuge.
Dies gilt allerdings wie beschrieben nur dann, wenn eine ausreichende Qualität
und Transparenz hinsichtlich des Schutzbereichs der erteilten Patente und der Eingangsprüfung in den Patentämtern sichergestellt ist. Eine einfache Streichung der
Ausschlussregelung genügt daher nicht. Das Entstehen von „Patentdickichten“ zum
Beispiel durch die Patentierung bloß marginaler Neuerungen muss verhindert werden.1645 Es muss also eine ausdrückliche Regelung des Schutzbereichs eines Programmpatents geben und es muss – dies gilt für das gesamte Patentrecht – eine hohe
Qualität der Prüfung sichergestellt sein, so dass es nicht zu massenhaften „schwachen“ Patenten kommt, die die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs gefährden.1646
IV. Gesetzgeberische Maßnahmen zur Sicherung eines angemessenen
Patentschutzes
Im Folgenden gilt es daher, eine solche einschränkende „Ersatzregelung“ zu finden,
die beschriebenen Interessenabwägung gerecht wird.1647 Die Bedrohung für Innovation und Wettbewerb erstreckt sich wie gezeigt auf zwei Ebenen: Den Schutzbereich
(materiell) und die Prüfungsqualität (formell).
1642 Anders wohl Melullis, in: FS König, 2003, S. 341, 356f., der übersieht, dass bei der Programmierung gerade technische Probleme gelöst werden. Zur Notwendigkeit der Technizität
abermals Keukenschrijver, aaO., S. 255ff..
1643 Wie hier Kinne, Rechtsschutz für Software, 2007, S. 358; zu den Geschäftsmethoden Jänich,
GRUR 2003, 483ff.
1644 EPA, T 258/03, GRUR Int. 2005, 332 – Auktionsverfahren/HITACHI.
1645 Zu den wettbewerblichen Gefahren vgl. a. Scherer, Industrial Market Structure and Economic
Performance, 1980, S. 173.
1646 S. a. BMWi, Patentschutz und Innovation, 2007, S. 12f.; FTC, To Promote Innovation, 2003,
Kap. 5, Abschn. II C, III B, wo ausdrücklich eine Verschärfung der Prüfungspraxis gefordert
wird.
1647 Drittes Kapitel, A. IV. 1.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit will langjährige Missverständnisse und Schwierigkeiten des immaterialgüterrechtlichen Schutzes von Computerprogrammen endgültig ausräumen. Die Betrachtung aus wettbewerbsorientiertem Blickwinkel auf der Grundlage der technischen und ökonomischen Besonderheiten ist – soweit ersichtlich – die erste Untersuchung, die sowohl das Urheber- als auch das Patentrecht einbezieht und dabei eine umfassende Neuregelung vorschlägt.
Dr. Lina Barbara Böcker befasst sich im Rahmen ihrer Tätigkeit am Institut für Wirtschafts-, Wettbewerbs- und Regulierungsrecht an der Freien Universität Berlin in erster Linie mit wettbewerbsrechtlichen Problemen des Immaterialgüterrechtsschutzes und allgemeinem Zivilrecht.