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lizenzierung, geht also davon aus, dass ein patentrechtlicher Schutz zumindest möglich ist.1009
VI. Zwischenfazit 1
Die Analyse des Computerprogramm-Urheberrechts hat gezeigt, dass es vor dem
Hintergrund der Überlegungen in Abschnitt A. grundsätzlich in Frage gestellt werden muss. Zunächst ergibt sich schon aus der Tatsache, dass die anerkennungswürdige Leistung des Programmierers in der Entwicklung des Algorithmus liegt dessen
notwendiger Schutz. Unabhängig von dem Problem der Differenzierung zwischen
Idee und Ausdruck in Bezug auf Algorithmus und Code ist dieser seinem Wesen
nach jedoch eine technische Funktionsbeschreibung und gerade nicht der über das
Urheberrecht schützbare linguistische Aspekt des Computerprogramms. Technische
Funktionsbeschreibungen sollten grundsätzlich schon deshalb nicht dem Urheberrecht unterstellt werden, da dieses keine hinreichenden Ausgleichsregelungen im
tentrecht darstellt. In diesem Zusammenhang ist das Patentrecht als milderes Mittel
anzusehen. Die Verhältnismäßigkeit des Urheberrechts für Computerprogramme unter dem Blickwinkel der unter A. IV. angestellten Überlegungen ist damit allenfalls
eingeschränkt gewährleistet.
Auch im Hinblick auf die in § 69a Abs. 2 UrhG explizit angeordnete Unterscheidung zwischen Idee und Ausdruck sind im Sinne der Sicherung von Innovationswettbewerb Bedenken anzumelden. Zwar lässt sich einfach postulieren, dass allgemeine Algorithmen freibleiben müssen und daher nur in ihrer konkreten Implementierung geschützt werden können.1010 Dass eine derartige Differenzierung praktisch
nahezu unmöglich ist, ergibt sich jedoch daraus, dass die Übergänge vom Basisalgorithmus bis zur konkreten Codierung des Programms fließend sind. Daher kommt es
zwangsläufig zu einem Ideenschutz, den § 69a Abs. 2 UrhG gerade verhindern will.
Die Option zur Weitergabe des Programms im Maschinencode bei gleichzeitigem
Verbot der Dekompilierung ermöglicht es im Zusammenhang mit den umfangreichen, in § 69c UrhG geregelten Verwertungsbefugnissen des Urhebers diese Ideen
und Funktionen der Programme vollständig geheimzuhalten. Im schlimmsten Fall
blockiert dies ganze Märkte, jedenfalls ist jedoch Innovationswettbewerb beeinträchtigt. Das in § 69d Abs. 3 UrhG geregelte Recht zur Ermittlung zugrundeliegender Ideen und Grundsätze ist wegen der fehlenden Dekompilierungserlaubnis diesbezüglich unzureichend. Die in § 69e UrhG geregelte Ausnahme führt zwar dazu,
dass Ideen und Grundsätze im Quellcode aufgedeckt werden können. Zu diesem
Zwecke erlaubt § 69e UrhG die Rückwärtsentwicklung jedoch nicht, sondern nur
1009 Dazu Jaeger/Metzger, Open Source Software, 2. Aufl. 2006, S. 44; dies., GRUR 2008, 130;
Böcker, in: Lutterbeck/Bärwolff/Gehring, Open Source Jahrbuch 2007, S. 511ff.
1010 Vgl. nur Hoeren, in: Möhring/Nicolini, UrhG, 2. Aufl. 2000, § 69a RdNr. 12; Grützmacher,
in: Wandtke/Bullinger, UrhG, 3. Aufl. 2009, § 69a RdNr. 28; Loewenheim, in: Schricker,
UrhG, 3. Aufl. 2006, § 69a RdNr. 12; Lehmann, NJW 1991, 2112, 2113.
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zur Ermittlung der Schnittstellen, um interoperable Produkte herstellen zu können.
Aus Wettbewerbsaspekten ist diese Berücksichtigung der Notwendigkeit der Herstellung von Interoperabilität auf Netzwerkmärkten zwar grundsätzlich zu begrüßen,
da damit Marktzutrittsschranken vermindert und eine Abschottung nachgelagerter
Märkte durch den Rechtsinhaber verhindert werden sollte. Die Praxis hat jedoch die
annähernde Wirkungslosigkeit der Vorschrift bewiesen, weil eine Dekompilierung
nur selten tatsächlich brauchbare Schnittstelleninformationen preisgibt und davon
abgesehen teuer und zeitaufwändig ist. Diese Unzulänglichkeit des § 69e UrhG erlaubt es Urhebern daher, selbst ungeschützte Schnittstellenspezifikationen geheim
zu halten und so den Zutritt zu nachgelagerten Märkten zu verhindern.
Begründet wird diese Geheimhaltung des Quellcodes und der in ihm enthaltenen
Informationen oft damit, sie sei notwendig, um ausreichende Innovationsanreize auf
den Softwaremärkten sicherzustellen. Das Open Source-Modell, dass auf offenen
Quellcodes und umfassenden Nutzungsrechten für Dritte basiert, widerlegt dieses
Argument.1011 Sein wirtschaftlicher Erfolg1012 und die häufig als technisch besser
angesehenen Ergebnisse der Entwicklung in der „Community“ unterstreichen die
bereits unter A. IV. aufgestellte Prämisse, dass Geheimhaltungsmöglichkeiten bei
Computerprogrammen volkswirtschaftlich nicht förderlich sind.1013
Es eröffnen sich daher zwei Alternativen: Entweder eine Modifikation des Urheberrechts dahingehend, dass Quellcodes oder zumindest Programmstrukturen offengelegt werden müssen; oder die Suche nach einem anderen Schutzrecht, dass diese
Offenlegung ermöglicht und die Leistung des Entwicklers auf anderem Wege
schützt. Einsehbarkeit von Algorithmen, Quellcodes, Ideen und Schnittstellen ist indessen mit Hilfe des Computerurheberrechts in seiner jetzigen Form nicht erreichbar. Der Geheimhaltungsgedanke macht dieses Recht gerade aus, eine Offenlegungspflicht würde den Schutz aushöhlen. Da Computerprogramme ihrem Wesen
nach ohnehin an der Schnittstelle zwischen Urheber- und Patentrecht liegen, und das
Patentrecht seinem Wesen nach zum Funktionenschutz bestimmt ist, drängt es sich
daher als Alternative auf.
D. Das Patentrecht als Alternative
Faktisch stellt Patentschutz schon jetzt das zweite Hauptschutzinstrument dar,1014
obwohl Patentrechtler in Deutschland und Europa mit der Informationstechnologie
1011 S. o. V. I.
1012 S. o. Zweites Kapitel, B. II. 4.
1013 Darüber hinaus kann die vollständige Geheimhaltung Sicherheitsrisiken nach sich ziehen.
Lutterbeck/Gehring/Horns, Sicherheit in der Informationstechnologie und Patentschutz für
Softwareprodukte, 2000, S. 111ff.
1014 Vgl. Wimmer-Leonhardt, WRP 2007, 273, die die Debatte in Bezug auf das Europäische
Gemeinschaftspatent treffend als „chronische Diskussion“ bezeichnete. Vgl. a. Zypries,
Haushaltsrede im Bundestag am 21. November 2006, abrufbar unter http://www.bmj.bund.de
/enid/0,869e0b706d635f6964092d0933333036093a0979656172092d0932303036093a096d6f
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References
Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit will langjährige Missverständnisse und Schwierigkeiten des immaterialgüterrechtlichen Schutzes von Computerprogrammen endgültig ausräumen. Die Betrachtung aus wettbewerbsorientiertem Blickwinkel auf der Grundlage der technischen und ökonomischen Besonderheiten ist – soweit ersichtlich – die erste Untersuchung, die sowohl das Urheber- als auch das Patentrecht einbezieht und dabei eine umfassende Neuregelung vorschlägt.
Dr. Lina Barbara Böcker befasst sich im Rahmen ihrer Tätigkeit am Institut für Wirtschafts-, Wettbewerbs- und Regulierungsrecht an der Freien Universität Berlin in erster Linie mit wettbewerbsrechtlichen Problemen des Immaterialgüterrechtsschutzes und allgemeinem Zivilrecht.