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Aus den vorstehenden Überlegungen ergibt sich die notwendige Reduktion des
immaterialgüterrechtlichen Schutzes von Computerprogrammen auf das unabdingbare Minimum.446 Dabei ist zu berücksichtigen, dass bereits die ökonomischen Bedingungen auf den Softwaremärkten Innovationsanreize setzen, die eher ein niedriges Maß an Schutz, verbunden mit einer umfassenden Pflicht zur Offenlegung, nahelegen. Die Untersuchung der Angemessenheit des Programmschutzes beinhaltet
notwendigerweise auch die Frage, ob Computerprogramme dem richtigen Schutzinstitut zugeordnet wurden, da das Maß der Einbeziehung von Allgemeininteressen
nach der geschützten Leistung und dem damit zusammenhängenden Umfang des
Schutzes variiert. Die einzelnen Schutzrechte stellen dafür Maßnahmen bereit, wie
etwa die im Urheberrecht fehlende Offenbarungspflicht des Patentrechts. Es ist also
festzustellen, worin die zu schützende Leistung liegt.
2. Funktion des Kartellrechts
So weit wie möglich, gilt es die beschriebenen Aspekte bereits bei der Ausgestaltung der Schutzrechte zu berücksichtigen.447 Nicht durch die Grenzen des Rechts an
sich verhindert werden kann aber die missbräuchliche Ausübung solcher Schutzrechte, die der Interessenabwägung entsprechen. In solchen Fällen können die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags angewendet werden, wenn sich herausstellt, das
durch die Ausübung tatsächlich eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne der Art.
81, 82 EG entsteht. Allein die Innehabung und Ausübung eines der Abwägung entsprechenden Schutzrechts kann demgegenüber schon deshalb nicht als missbräuchlich bzw. kartellrechtswidrig angesehen werden, weil das Immaterialgüterrecht wesentlicher Bestandteil funktionierenden Wettbewerbs ist.448
B. Überblick über den Status quo des immaterialgüterrechtlichen Schutzes
Immaterialgüterrechtlicher Schutz von Computerprogrammen erfolgt derzeit auf
mehreren Ebenen. Wesentlich für folgende Untersuchung sind insbesondere das Patent- und das Urheberrecht, dennoch seien die übrigen Schutzrechte der Vollständigkeit halber kurz angesprochen.
446 Vgl. dazu ausführlicher v. Westernhagen, Zugang zu geistigem Eigentum nach europäischem
Kartellrecht, 2005, S. 152ff. Dies kann letztlich im Extremfall auch zu einer Innovationsverhinderung führen.
447 Bartmann, Grenzen der Monopolisierung durch Urheberrechte, 2005, S. 387.
448 Die Anwendung des gemeinschaftlichen Kartellrechts auf Immaterialgüterrechte ist nicht Gegenstand dieser Arbeit und kann deshalb nur sehr knapp dargestellt werden.
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I. Urheber- und Patentrecht als Hauptschutzinstrumente
Bereits in der Einleitung449 wurde erläutert, dass als Ergebnis der langanhaltenden
und intensiven Diskussion um den Programmschutz in den 80er Jahren ein urheberrechtlicher Schutz für sinnvoll erachtet wurde.450 Dies war damals unter anderem auf
zwei Argumente zurückzuführen: Einmal auf den damaligen § 1 Abs. 2 Nr 3, Abs. 3
PatG bzw. Art. 52 Abs. 2 lit. c, Abs. 3 EPÜ, die zu diesem Zeitpunkt bereits Computerprogramme „als solche“ vom Schutz ausnahmen,451 andererseits auf bereits bestehende internationale Abkommen und hier insbesondere die RBÜ, deren erneuten
Abschluss für ein Sonderschutzrecht man als zu aufwändig und daher überflüssig
ansah.452 Erst in jüngerer Zeit erlangt auch der Patentschutz trotz intensiver Kritik
wieder größere Akzeptanz. Ziel dieser Arbeit ist es unter anderem, die erheblichen
wettbewerblichen Vorteile, die ein solches Schutzrecht im Hinblick auf die vorstehenden Überlegungen unter A. mit sich bringen kann, in den Vordergrund zu rücken
und gleichzeitig den „Hype“ um das Urheberrecht zu relativieren.
II. Gebrauchs- und Geschmacksmusterschutz
Praktisch werden sowohl der Gebrauchs- als auch der Geschmacksmusterschutz in
Bezug auf Computerprogramme als problematisch und –angesichts der Dominanz
von Urheber- und Patentrecht- von untergeordneter Bedeutung angesehen.453 Dargestellt werden sollen sie der Vollständigkeit halber dennoch.
1. Gebrauchsmusterrecht
Das Gebrauchsmuster wird oftmals als „kleines Patent“ bezeichnet, d. h. es gelten
ähnliche, aber nicht identische Schutzvoraussetzungen.454 Der sachliche Anwen-
449 S. o. Erstes Kapitel. A.
450 In den Katalog der geschützten Werke wurden Computerprogramme mit der Novelle von
1985 aufgenommen, die derzeit gültigen Regeln der § 69a ff. wurden im Jahre 1993 (2. Urh-
GÄndG v. 9. Juni 1993, BGBl. I, S. 910) in das Gesetz aufgenommen.
451 Loewenheim, in: Schricker, UrhG, 3. Aufl. 2006, Vor § 69a ff., RdNr. 1, 8; Kraßer, PatR, 5.
Aufl. 2004, S. 146ff.
452 Auch die WIPO, deren Mustervorschriften (abgedruckt in GRUR Int 1978, 266) zunächst
einen Sonderrechtsschutz nach dem Vorbild des Urheberrechtsschutzes vorsahen, lehnte am
Ende einen Sonderrechtsschutz ab. Dazu Loewenheim, in: Schricker, UrhG, 3. Aufl. 2006,
vor § 69a ff., RdNr. 1.
453 Grützmacher, in: Wandtke/Bullinger, UrhG, 3. Aufl. 2009, § 69g RdNr. 17. Vgl. a. Loewenheim, in: Schricker, UrhG, 3. Aufl. 2006, Vor §§ 69aff. RdNr. 10; v. Falckenstein, in: Lehmann, Rechtsschutz und Verwertung von Computerprogrammen, 1993, Kap. VI RdNr. 1;
Wiebe, GRUR Int. 1990, 21, 34.
454 Mes, in: ders., PatG/GebrMG, § 1 GebrMG, RdNr. 1; Loth, GebrMG, 2001, Vorb. RdNr. 15.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit will langjährige Missverständnisse und Schwierigkeiten des immaterialgüterrechtlichen Schutzes von Computerprogrammen endgültig ausräumen. Die Betrachtung aus wettbewerbsorientiertem Blickwinkel auf der Grundlage der technischen und ökonomischen Besonderheiten ist – soweit ersichtlich – die erste Untersuchung, die sowohl das Urheber- als auch das Patentrecht einbezieht und dabei eine umfassende Neuregelung vorschlägt.
Dr. Lina Barbara Böcker befasst sich im Rahmen ihrer Tätigkeit am Institut für Wirtschafts-, Wettbewerbs- und Regulierungsrecht an der Freien Universität Berlin in erster Linie mit wettbewerbsrechtlichen Problemen des Immaterialgüterrechtsschutzes und allgemeinem Zivilrecht.