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sichts des ausdrücklich geregelten Urheberrechtsschutzes überhaupt bedarf, ob (2)
Computerprogramme schon aufgrund ihres notwendigen Zusammenwirkens mit der
Maschine „Computer“ als technische Erfindung im Sinne des Patentrechts anzusehen sind und (3) die Reichweite der Ausschlussregelungen der § 1 Abs. 3 Nr. 3,
Abs. 4 PatG und Art. 52 Abs. 2 lit. c, Abs. 3 EPÜ. Eine Intensivierung der Debatte
ist daher auch von juristischer Seite dringend geboten, da eine substantielle Reform
mit Vorteilen für alle Seiten unwahrscheinlicher wird, je länger sich der Prozess
hinzieht.44 So forderte zuletzt auch die EU-Kommission in ihrer am 3. April 2007
veröffentlichen „Mitteilung über die Patentstrategie“ eine Wiederbelebung der Debatte und eine „Vertiefung des Patentsystems in Europa“.45
B. Der Wunsch nach einer auf Dauer tragfähigen Lösung – Is Copyright Law
totally out of date?46
Bei der Betrachtung der aktuellen Situation wird deutlich, dass eine für alle Seiten
befriedigende Lösung bislang trotz der urheberrechtlichen Regelungen nicht gefunden ist, und zwar entgegen einer – mehr als zehn Jahre alten – Behauptung von Marly47 weder auf dem Gebiet des Urheberrechts noch im Bereich des Patentrechts. Die
im Laufe der vergangenen 40 Jahre vorgebrachten Argumente für und gegen Urheber- und Patentrecht sind auf keiner Seite endgültig ausgeräumt worden. Der
Wunsch nach einem Schutzinstrument, das den Interessen aller Beteiligten gerecht
wird und bei dem nicht ein Großteil der Adressaten existentielle Bedrohungen vermutet, ist also weiterhin unerfüllt. Das mag auch damit zusammen hängen, dass
Computerprogramme einer hohen Entwicklungsdynamik unterliegen. Schneller
technischer Fortschritt führt dazu, dass vergleichsweise langsamen Gesetzgebungsprozessen immer wieder neue tatsächliche Umstände gegenüber stehen, die es adäquat zu erfassen gilt.
Die Aufgabe des Rechts ist hier nicht rein akademischer Natur, sondern dient
auch einem Ausgleich der aus dem Gleichgewicht geratenen Interessen aller betroffenen, vgl. Drittes Kapitel, A.. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit darf dabei
weder außer Acht gelassen, noch zu stark in den Vordergrund gerückt werden, wie
dies bisher der Fall ist. Erforderlich ist vielmehr eine Interessenabwägung zwischen
allen beteiligten Parteien. Ein Computerprogramm-Rechtsschutz muss einerseits die
Möglichkeit bieten, dass derjenige, der Kapital und Arbeitskraft in die Entwicklung
eines Programms steckt, auch in den Genuss der Früchte seiner Arbeit kommt. An-
44 „Die Bereitschaft wird größer, sich mit dem bestehenden System zufrieden zu geben.“ Vgl.
http://www.heise.de/newsticker/suche/ergebnis?rm=result;words=Gemeinschaftspatent;q=Ge
meinschaftspatent;url=/newsticker/meldung/91774/.
45 http://ec.europa.eu/internal_market/indprop/docs/patent/strategy_de. pdf.; dazu GRUR Int.
2007, 457; Weiden, GRUR 2007, 491f.
46 Nach Negroponte, Being Digital, 1995, S. 58.
47 Marly, Urheberrechtsschutz, 1995, S. 72, geht davon aus, dass die Debatte „erledigt“ ist.
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sonsten würde es an jeglichem Anreiz, dies zu tun, fehlen und es käme zu einer
Stagnation des technischen Fortschritts.48 Andererseits dürfen marktbeherrschende
Stellungen zum Nachteil der Verbraucherwohlfahrt durch den Schutz weder begründet oder verstärkt werden,49 oder KMU benachteiligt werden.50
Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden unter besonderer Berücksichtigung
der freien Entwicklungsmodelle untersucht, ob der urheberrechtliche Schutz Bestand
haben kann oder ob das Patentrecht nicht die sinnvollere Alternative darstellt. Dies
muss nicht gleich zu der Aussage Negropontes führen: „copyright law is totally out
of date“51, geht aber angesichts des unbefriedigenden Status Quo notwendigerweise
mit Veränderungen einher.52
48 Vgl. Drittes Kapitel, A., insb. I.
49 Ausführlicher dazu Drittes Kapitel, A. III. 2.
50 So gefordert beispielhaft auch in der Pressemitt. Nr. 479/2000, der CSU-Landesgruppe v. 20.
September 2000. Hier wird ein „maßgeschneiderter“ Schutz gefordert, der weder dem Patentnoch dem Urheberrecht zu entnehmen sei.
51 Negroponte, Being Digital, 1995, S. 58.
52 So auch Grzeszick, MMR 2004, 412, 417;
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit will langjährige Missverständnisse und Schwierigkeiten des immaterialgüterrechtlichen Schutzes von Computerprogrammen endgültig ausräumen. Die Betrachtung aus wettbewerbsorientiertem Blickwinkel auf der Grundlage der technischen und ökonomischen Besonderheiten ist – soweit ersichtlich – die erste Untersuchung, die sowohl das Urheber- als auch das Patentrecht einbezieht und dabei eine umfassende Neuregelung vorschlägt.
Dr. Lina Barbara Böcker befasst sich im Rahmen ihrer Tätigkeit am Institut für Wirtschafts-, Wettbewerbs- und Regulierungsrecht an der Freien Universität Berlin in erster Linie mit wettbewerbsrechtlichen Problemen des Immaterialgüterrechtsschutzes und allgemeinem Zivilrecht.