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Erstes Kapitel: Einführung – Computerprogramme und ihre Rolle
im Immaterialgüterrecht
Warum ausgerechnet jetzt einen alten Streit, der durch die Einführung der §§ 69a ff.
in das UrhG bereits Anfang der 1990er Jahre endgültig gelöst schien, wieder aufwärmen?5 Die Antwort auf diese Frage ist einfach: Das bestehende System ist nicht
zufriedenstellend und war es auch nie.6 Das gilt heute mehr denn je. Freie Entwicklungs- und Vertriebsmodelle nutzen den bestehenden Urheberrechtsschutz vor allem
dazu, seine Zielsetzungen in ihr Gegenteil zu verkehren. Gleichzeitig erlangen Unternehmen, die den Vertrieb ihrer Produkte auf Immaterialgüterrechte stützen, immer stärkere Marktpositionen. Nicht nur eine Studie auf EU-Ebene aus dem Jahre
2006 über die ökonomischen Auswirkungen freier Software,7 sondern außerdem die
Diskussion um das European Patent Litigation Agreement (EPLA)8 und die unbefriedigende Marktsituation geben daher mehr als einen Anlass, sich erneut mit der
Problematik zu befassen.
A. Die Diskussion über die immaterialgüterrechtliche Schutzfähigkeit von
Computerprogrammen
Allgemeine Akzeptanz und Eindeutigkeit konnte der immaterialgüterrechtliche
Schutz von Computerprogrammen wie bereits angedeutet nie für sich verbuchen.9
Insbesondere im Hinblick auf die wiederaufflammende Patentrechtsdebatte auf europäischer Ebene10 wird das Thema derzeit wieder aufgegriffen,11 wenngleich seine
Ursprünge mehr als 40 Jahre zurückreichen.
5 Insofern ist Marly, Urheberrechtsschutz, 1995, S. 72 nicht zuzustimmen, der den Streit bereits
zu diesem Zeitpunkt als erledigt bezeichnete. Trotz der relativ umfassenden Regelung der
Computerprogramme hat sich diese Hoffnung nicht erfüllt.
6 So erkennt beispielsweise Ohly, CR 2001, 809, dass es sich um eines der umstrittensten Themen des Immaterialgüterrechts handelt. Vgl. auch schon Schulze, GRUR 1985, 997ff.
7 Ghosh u. a., FLOSS-Impact, 2006. Zur Freien Software vgl. unten Zweites Kapitel, B, II und
Drittes Kapitel, C, II, 5.a).
8 Vgl. unten Drittes Kapitel, D III. 1..
9 Gefordert wurde hier vor allem eine ausdrückliche Anerkennung gemeinschaftlicher, offener
Entwicklungsformen, aber auch ein “neutralerer” Rechtsrahmen. Ghosh u. a., FLOSS-Impact,
2006, S. 132f., 223f.
10 Die „neue“ Diskussion stützt sich insbesondere auf die Einführung des Gemeinschaftspatents
und des European Patent Litigation Agreements EPLA. Vgl. Oser, GRUR Int. 2006, 539,
540ff; Weiden, GRUR 2007, 491f; Luginbühl, GRUR Int. 2004, 357; Wimmer-Leonhardt,
WRP 2007, 273ff. Sie wurde jüngst wieder angestoßen durch die Vorlage einer Reihe von
Fragen zum gewerblichen Rechtsschutz von Computerprogrammen an die Große Beschwerdekammer des EPA, die eine Reihe von Eingaben durch Unternehmen zur Folge hatte. Es
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I. Die Urheberrechtsdiskussion
Hauptschutzinstrument für Computerprogramme ist seit Mitte der 1980er Jahre sowohl in den (wirtschaftlich-technologisch oft voranschreitenden) USA als auch in
Europa das Urheberrecht. Die Entscheidung für dieses Schutzsystem ist das Ergebnis einer internationalen Erörterung der immaterialgüterrechtlichen Schutzfähigkeit
von Rechnerprogrammen, die ihren Anfang spätestens 1964 nahm, als das erste
Programm in das US-amerikanische Register of Copyrights aufgenommen wurde.12
Anschließend erkannten hier auch die nationalen Gerichte zunehmend den Urheberrechtsschutz an.13 Schließlich wurde in den USA auch die erste größere wissenschaftliche Untersuchung, der „Final Report of the National Commission on New
Technological Uses of Copyrighted Works“ (CONTU) in Auftrag gegeben. Der Abschlussbericht sprach sich für einen Urheberrechtsschutz aus14 und stieß damit schon
damals auf heftige Kritik. Hersey und Nimmer führten Argumente gegen eine Ausweitung des Copyright auf, die auch in der heutigen Diskussion eine Rolle spielen,
vor allem die technische Natur der Computerprogramme und ökonomische Bedenken.15
Auf europäischer Ebene waren es die Mustervorschriften der World Intellectual
Property Organisation (WIPO), die die Diskussion in Richtung des Urheberrechts
trieben. Sie gingen „im Wesentlichen von einem urheberrechtlichen Ansatz“ aus, da
sich der Schutzgegenstand als sprachliches Werk in dessen Nähe befinde.16 In
Deutschland erreichte die Debatte ihren Höhepunkt Anfang der 1980er Jahre, als
Computerprogramme mit dem neuen § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG in den Katalog der urheberrechtlich geschützten Werke aufgenommen wurden.17 Auch hier wurden
schnell kritische Stimmen laut. König und andere forderten gar die Rückgängigmachung, die ihrer Auffassung nach auch auf Kosten der internationalen Rechtseinheitbleibt zu hoffen, dass dadurch die Grundsatzdebatte erneut angestoßen wird. Vgl.
http://www.heise.de/newsticker/Lobbyschlacht-um-Softwarepatente-geht-in-neue-Runde--
/meldung/138262.
11 Hilty/Geiger, IIC 2005, 615, 617ff; Weyand/Haase, GRUR 2004, 198ff.
12 Copyright Office, GRUR Int. 1964, 635; Marly, Urheberrechtschutz, 1995, S. 90.
13 Dreier, in: Lehmann, Rechtsschutz und Verwertung von Computerprogrammen, 1993, Kap. I
B RdNr. 3.
14 CONTU-Report, 1979, Kap. 3 S. 12; Dazu Dreier, in: Lehmann, Rechtsschutz und Verwertung von Computerprogrammen, 1993, Kap. I B RdNr. 3.
15 Concurring Opinion of Commissioner Nimmer, CONTU-Report Kap. 3 S. 26; und Dissent of
Commissioner Hersey, CONTU-Report Kap. 3 S. 27, 35.
16 Abgedruckt in GRUR Int. 1978, 286ff.
17 Zur internationalen Entwicklung vgl. etwa Loewenheim, in: Schricker, UrhG, 3. Aufl. 2006,
vor § 69a ff., RdNr. 3, Grützmacher, in: Wandtke/Bullinger, UrhG, 3. Aufl. 2009, Vor §§ 69a
ff. UrhG, RdNr. 1ff., Dreier, in: Lehmann, Rechtsschutz und Verwertung von Computerprogrammen, 1993, Kap. I B RdNr 2; ders., GRUR Int. 1988, 476.
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lichkeit gehen sollte.18 Hauptkritikpunkt war hier ebenfalls die Zuordnung als
Sprachwerk, die nicht mit dem Wesen der Computerprogramme vereinbar sei.
Eines der wesentliche Argumente für die Aufnahme von Computerprogrammen
in das UrhG war damals die Tatsache, dass patentrechtlicher Schutz (scheinbar)
weitgehend verbaut war, da § 1 Abs. 2 Nr. 3 PatG ebenso wie das EPÜ (Art. 52 Abs.
2 lit. c) „Programme für Datenverarbeitungsanlagen“ als solche vom Patentschutz
ausnahm.19 Es bedurfte jedoch eines Instrumentes, das stetig an wirtschaftlicher Bedeutung gewinnende Wirtschaftsgut „Computerprogramm“ wirksam zu schützen,
um Investitionen in den wirtschaftlichen Fortschritt zu fördern.
Bemerkenswert ist diesbezüglich, dass das erste durch die WIPO vorgeschlagene
Schutzinstrument ein –zwar durch das Urheberrecht inspiriertes, aber dennoch eigenständiges- „sui-generis“-Recht sein sollte.20 Seine Einführung wurde mit der (aus
heutigem Blickwinkel schwachen) Begründung abgelehnt, dass man im Bereich des
Urheberrechts bereits auf bestehende internationale Konventionen zurückgreifen
könne und darüber hinaus die weltweite Tendenz zum Urheberrechtsschutz gehe.21
Insbesondere die RBÜ22 wurde zur Rechtfertigung des Schutzes herangezogen,
ebenso wie die bereits flächendeckende grundsätzliche Anerkennung dieses Systems
in der Rechtsprechung.23
Die Kritik an der Zuordnung der Computerprogramme zum Urheberrecht und der
Ausgestaltung der §§ 69a ff. UrhG ist bis heute nicht verstummt. Überwiegend richtet sie sich gegen die Einordnung als Sprachwerk, die in dem als Kulturförderungsinstrument gedachten System des Urheberrechts als fremd angesehen wird. So bezeichneten Hilty und Geiger die Zuordnung von Software zu den Sprachwerken als
„willkürlich“24 und auch Weyand und Haase betrachten die Kategorisierung als
zweifelhaft.25 Daneben werden die EG-rechtlich vorgegebenen geringen Anforde-
18 König, jur-PC 1991, 1122, 1127; Jersch, Ergänzender Leistungsschutz und Computersoftware, 1993, S. 192.
19 Dreier, in: Lehmann, Rechtsschutz und Verwertung von Computerprogrammen, 1993, Kap. I
B RdNr. 4. Dazu aber Horns, GRUR 2001, 1, 8, der diesen Satz für eine „begriffliche Missgeburt“ des Gesetzgebers hält.
20 Vgl. die WIPO-Mustervorschriften 1977, abgedruckt in GRUR Int 1978, 286ff; dazu Hilty/Geiger, IIC 2005, 615, 619.
21 Auch die WIPO lehnte nach langen Diskussionen schließlich einen Sonderrechtsschutz ab,
vgl. Copyright 1985, 146ff.; dazu Loewenheim, in: Schricker, UrhG, 3. Aufl. 2006, vor § 69a
ff., RdNr. 1.
22 Ausführlich zur RBÜ unten Drittes Kapitel, C. I. 3. c).
23 Dagegen noch LG Mannheim, BB 1981, 1543; dann aber dafür OLG Frankfurt/M., GRUR
1983, 753 – Pengo; OLG Frankfurt/M, GRUR 1983, 757 – Donkey Kong Junior I; OLG
Karlsruhe, GRUR 1983, 300 – Inkassoprogramm; OLG Koblenz, BB 1983, 992 – Nutzungsrecht des Arbeitnehmers an Computerprogrammen des Arbeitgebers; BAG GRUR 1984, 429
– Statikprogramme; OLG Frankfurt/M, WRP 1984, 79 – Donkey Kong Junior II; OLG Nürnberg, BB 1984, 1252 – Glasverschnittprogramm; OLG Frankfurt/M, GRUR 1985 – Baustatikprogramm u.v.m. Vgl. zur Rechtsprechungsentwicklung Loewenheim, in: Schricker, UrhG,
3. Aufl. 2006, vor § 69a ff., RdNr. 1 m. w. N.
24 Hilty/Geiger, IIC 2005, 615, 616f.
25 Weyand/Haase, GRUR 2004, 298ff.
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rungen an die Schöpfungshöhe bemängelt.26 Dass es darüber hinaus wesentlich gravierende Kritikpunkte gibt, die insbesondere mit der Wettbewerbssituation und der
umfassenden Geheimhaltungsmöglichkeit zusammen hängen, wird bislang weitgehend übersehen.27
II. Die Patentrechtsdiskussion
Patentschutz für Computerprogramme wird aktuell noch intensiver diskutiert als der
Urheberrechtsschutz.28 Die aktuelle Gesetzeslage schließt in Art. 52 Abs. 2 lit. c,
Abs. 3 EPÜ ebenso wie § 1 Abs. 3 Nr. 3 iVm. Abs. 4 PatG Computerprogramme
„als solche“ gemeinsam mit wissenschaftlichen Theorien, mathematischen Methoden und anderen Gegenständen und Tätigkeiten pauschal von der Patentierbarkeit
aus. Sowohl die deutsche29 als auch die europäische30 Praxis haben trotzdem in den
vergangenen 30 Jahren immer wieder Patente für computerbezogene Erfindungen
erteilt. Insbesondere von der sog. Open Source-Community wird das kritisch gesehen,31 was letztlich zu der kaum noch überschaubaren Debatte über computerimplementierte Erfindungen geführt hat. Sie gipfelte zuletzt in der Diskussion der „Richtlinie über die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen“,32 angesichts
jüngster Entwicklungen ist aber davon auszugehen, dass sie nun erneut ins Rollen
gerät.33 Der Richtlinienvorschlag wurde am 6. Juli 2005 vom Europäischen Parlament mehrheitlich abgelehnt.34 Sein Hauptzweck war es, über das EPÜ hinaus ein-
26 Bei Computerprogrammen ist gemäß § 69a Abs. 3 UrhG stets die „Kleine Münze“ geschützt.
27 S. ausführlich unten Drittes Kapitel, C. IV.
28 Kreutzer, Geistiges Eigentum, 2007, S. 22. Zu den jüngsten Ansätzen http://www.heise.de/
newsticker/Lobbyschlacht-um-Softwarepatente-geht-in-neue-Runde--/meldung/138262.
Es scheint, als würde die Debatte nun erneut ins Rollen geraten.
29 Vgl. z. B. BGHZ 159, 197ff. – Elektronischer Zahlungsverkehr; BGH GRUR 2002, 323ff. –
Suche fehlerhafter Zeichenketten; BGH GRUR 2000, 498ff. – Logikverifikation; BGH
GRUR 1992, 430ff. – Tauchcomputer; BGHZ 115, 11 – Seitenpuffer; BGH GRUR 1980,
949ff. – Antiblockiersystem.
30 Z. B. EPA T 208/84, GRUR Int. 1987, 173, 175 – Computerbezogene Erfindung/VICOM;
EPA T 769/93, GRUR Int. 1995, 909 – Computer Management System/SOHEI; T 1173/92,
GRUR Int. 1999, 1053 und T 935/97 (nicht in der amtlichen Sammlung) – Computerprogrammprodukt IBM I und II; T 931/95, GRUR Int. 2002, 87 - Steuerung eines Pensionssystems/PBS PARTNERSHIP (Pension Benefit); EPA T 258/03, GRUR Int. 2005, 332 – Auktionsverfahren/HITACHI.
31 Vgl. u. a. die Mittelstandsinitiative www.patentfrei.de.
32 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen, Abl. Nr. C 151E vom 25. Juni 2002, S. 129ff.
Dazu u. a. Schölch, GRUR 2006, 969ff.; Hilty/Geiger, IIC 2005, 615ff.; Vgl. außerdem die
Nachrichtensammlung bei heise online, http://www.heise.de/ct/hintergrund/meldung/61230.
Dieser Überblick dürfte einer der vollständigsten sein, die derzeit im Netz zu finden sind.
33 http://www.heise.de/newsticker/Lobbyschlacht-um-Softwarepatente-geht-in-neue-Runde--
/meldung/138262 vom 22. Mai 2009.
34 Dazu http://www.heise.de/newsticker/meldung/61446.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit will langjährige Missverständnisse und Schwierigkeiten des immaterialgüterrechtlichen Schutzes von Computerprogrammen endgültig ausräumen. Die Betrachtung aus wettbewerbsorientiertem Blickwinkel auf der Grundlage der technischen und ökonomischen Besonderheiten ist – soweit ersichtlich – die erste Untersuchung, die sowohl das Urheber- als auch das Patentrecht einbezieht und dabei eine umfassende Neuregelung vorschlägt.
Dr. Lina Barbara Böcker befasst sich im Rahmen ihrer Tätigkeit am Institut für Wirtschafts-, Wettbewerbs- und Regulierungsrecht an der Freien Universität Berlin in erster Linie mit wettbewerbsrechtlichen Problemen des Immaterialgüterrechtsschutzes und allgemeinem Zivilrecht.