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Einleitung und Gang der Untersuchung
A. Einleitung
Computerprogramme sind allgegenwärtig. Mit ihrer Hilfe werden Texte geschrieben, Ampeln gesteuert und Einkäufe erledigt. Kurzum: Sie sind aus dem täglichen
Leben nicht mehr wegzudenken. Umso wichtiger ist es, den Entwicklern ein adäquates Schutzinstrument zur Verfügung zu stellen, welches ihnen erlaubt, die Früchte
ihrer Arbeit zu ernten und das gleichzeitig die Teilhabe der Allgemeinheit an der
Schöpfung ermöglicht. Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich daher mit den
Möglichkeiten, die das geistige Eigentum zu diesem Zweck bereitstellt und untersucht, wie sich Computerprogramme als gleichzeitig technische und sprachliche
Werke zwischen Urheber- und Patentrecht bewegen. Ziel ist es, zu ermitteln, welches Schutzinstrument aus wohlfahrtsökonomischen Aspekten das bessere ist.
Derzeit enthält das Urheberrecht mit den auf die RL 91/250/EWG zurückgehenden §§ 69a ff. UrhG ausführliche Regelungen, die Computerprogramme als Sprachwerke einordnen und als solche schützen. Die Praxis zeigt jedoch, dass dieser urheberrechtliche Schutz unzureichend ist. Immer häufiger kommt es zu Patentanmeldungen, die Computerprogramme betreffen, und immer öfter werden diese Patente
auch erteilt, wenngleich Art. 52 Abs. 2 lit. c EPÜ und § 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG „Computerprogramme als solche“ vom Patentschutz ausnehmen.1 Die Erteilung des Ausschließlichkeitsrechts wird in der Regel mit einem Verweis auf Art. 27 Abs. 1
TRIPS begründet, wonach die TRIPS-Mitgliedstaaten Patente für alle technischen
Erfindungen zu gewähren haben.2
Gleichzeitig stand die Kategorisierung der Computerprogramme als Sprachwerke
von Beginn an unter Kritik. Beanstandet wurde und wird in erster Linie, dass Computerprogramme urheberrechtlich mit Werken der Weltliteratur gleichgesetzt werden, sowie die konkrete Ausgestaltung der §§ 69a ff. UrhG. Die Herabsetzung der
Schöpfungshöhe auf die „kleine Münze“ und die damit einhergehende Betonung des
investitionsschützenden Aspekts werden als systemfremde Elemente im Urheberrecht angesehen.3
1 Vgl. nur z. B. EPA, T 208/84, GRUR Int. 1987, 173 – Computerbezogene Erfindung/VICOM; EPA, T 258/03, GRUR Int. 2005, 332 – Auktionsverfahren/HITACHI; BGHZ
143, 255 – Logikverifikation; BGH GRUR 2000, 1007 – Sprachanalyseeinrichtung.
2 EPA, T 1173/97, GRUR Int. 1999, 1053 – computerbezogene Erfindung/IBM. Vgl. Ohly, CR
2001, 809, 812.
3 Vgl. u. a. Hilty/Geiger, IIC 2005, 615, 616f.; Weyand/Haase, GRUR 2004, 298ff.; König, jur-
PC 1991, 1122, 1127; Jersch, Ergänzender Leistungsschutz und Computersoftware, 1993,
S. 192. Zum US-amerikanischen Recht Concurring Opinion of Commissioner Nimmer,
CONTU-Report Kap. 3 S. 26; und Dissent of Commissioner Hersey, CONTU-Report Kap. 3
S. 27, 35.
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Bisherige Untersuchungen des Schutzes von Computerprogrammen konzentrieren
sich in der Regel auf ein mögliches Schutzinstrument. Häufig werden dabei Wechselwirkungen zwischen den Rechtsinstituten und deren „Rollenverteilung“ in Bezug
auf unterschiedliche Schutzgegenstände außer acht gelassen. Ebenso oft geraten
auch zentrale Zielsetzungen des geistigen Eigentums insgesamt und seine Rolle in
einer wohlfahrtsökonomisch orientierten Wirtschaftsordnung ins Hintertreffen. Aufgabe der vorliegenden Analyse ist es, die Funktion von Urheber- und Patentrecht im
Hinblick auf Computerprogramme zu erörtern und vor dem Hintergrund der wettbewerbspolitischen Zielsetzungen des EG-Vertrags die optimale Ausgestaltung des
Schutzes herauszuarbeiten. Dies lässt sich nicht anhand der isolierten Betrachtung
eines einzelnen Schutzrechts klären, sondern erfordert eine Gesamtbetrachtung unter
Einbeziehung der Auswirkungen auf den Gemeinsamen Markt und damit die Gesamtwohlfahrt.4 Dabei muss es in erster Linie darum gehen, anstatt derjenigen Aspekte eines Computerprogramms, die am besten in das „gewünschte“ Schutzrecht
passen, die tatsächliche Leistung des Programmierers zu schützen.
Eine beträchtliche Rolle in der vorliegenden Untersuchung spielen auch die so
genannten „freien“ Programme, d. h. Open Source-Software, die den bisherigen Ansatz, vor allem auf Geheimhaltung des dem Programm zugrundeliegenden Know
Hows zu setzen, ins Gegenteil verkehrt, indem für jedermann freier Zugriff auf den
Quellcode ermöglicht wird. Der große wirtschaftliche Erfolg dieser Modelle zeigt,
dass Geheimhaltung – anders als oft behauptet – nicht notwendig ist, um hinreichende Innovationsanreize und einen angemessenen Schutz des Entwicklers zu gewährleisten.
B. Gang der Untersuchung
Vorab sind einige begriffliche Fragen zu klären, da die bisherige Diskussion von
zahlreichen Unklarheiten in diesem Bereich geprägt ist (Erstes Kapitel, A). Insbesondere ist es mangels Legaldefinition erforderlich, eine eigene Begriffsbestimmung
des Computerprogramms aufzustellen, die im Gegensatz zu den bisherigen Ansätzen
nicht nur die urheberrechtlich schützbaren Elemente des Programms einbezieht,
sondern auch technische Aspekte berücksichtigt.
Im Anschluss daran wird die Rolle der Immaterialgüterrechte in der europäischen
Wirtschaftsordnung erörtert (Drittes Kapitel, A) Aus ihr ergeben sich wesentliche
Kriterien für eine optimale Ausgestaltung des Programmschutzes, da dieser Bestandteil eines europäischen Schutzrechtssystems ist. Hauptpunkt ist hier die Feststellung,
dass Computerprogramm-Schutz aufgrund der ökonomischen Besonderheiten dieses
Produktes (Zweites Kapitel, C.) auf das notwendige Minimum reduziert werden
muss (Zweites Kapitel, C, VI.).
4 Dabei ist, wie von Ohly bemerkt, der zunehmenden „Getrenntbetrachtung“ der einzelnen Gebiete des „geistigen Eigentums“ grundsätzlich entgegen zu wirken. Vgl. Ohly, JZ 2003, 545,
550.
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References
Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit will langjährige Missverständnisse und Schwierigkeiten des immaterialgüterrechtlichen Schutzes von Computerprogrammen endgültig ausräumen. Die Betrachtung aus wettbewerbsorientiertem Blickwinkel auf der Grundlage der technischen und ökonomischen Besonderheiten ist – soweit ersichtlich – die erste Untersuchung, die sowohl das Urheber- als auch das Patentrecht einbezieht und dabei eine umfassende Neuregelung vorschlägt.
Dr. Lina Barbara Böcker befasst sich im Rahmen ihrer Tätigkeit am Institut für Wirtschafts-, Wettbewerbs- und Regulierungsrecht an der Freien Universität Berlin in erster Linie mit wettbewerbsrechtlichen Problemen des Immaterialgüterrechtsschutzes und allgemeinem Zivilrecht.