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Kapitel 6 - Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung
Die wesentlichen Ergebnisse dieser Untersuchung lassen sich in folgende Leitgedanken zusammenfassen:
1. Bei der in § 36 I 1 EnWG normierten Grundversorgungspflicht handelt es sich
um einen Kontrahierungszwang, welcher den Zweck verfolgt, die Versorgungssicherheit der als besonders schutzwürdig erachteten Haushaltskunden zu gewährleisten.
2. Zur Grundversorgungspflicht nach § 36 I 1 EnWG gehört, dass das verpflichtete Unternehmen nicht nur den aktuellen, sondern auch den möglichen Leistungsbedarf potentiell neuer Kunden bereithält. Insoweit folgt aus § 36 I 1 EnWG eine mittelbare Investitionspflicht des Grundversorgers. Die mittelbare Investitionspflicht
wird durch das Fortschreiten des Wettbewerbs im jeweiligen Netzgebiet der allgemeinen Versorgung nicht eingeschränkt und ist unabhängig von der gesamtwirtschaftlichen Lage des Grundversorgers. Eine Möglichkeit des Grundversorgers, sich
auf eine schlechte gesamtwirtschaftliche Lage zu berufen und damit einen Ausschluss von der Grundversorgungspflicht gem. § 36 I 2 EnWG zu erreichen, ist zu
verneinen.
3. Eine Einstellung der Geschäftstätigkeit i.S.d. § 36 II 4 EnWG liegt vor, wenn
der Grundversorger die werbende Tätigkeit der Belieferung der Haushaltskunden in
dem Netzgebiet, in welchem er als Grundversorger festgestellt wurde, einstellt. Dies
ist nicht bereits dann anzunehmen, wenn die Voraussetzungen, derer es bedarf, um
die Entnahmen der Haushaltskunden den Einspeisungen des Grundversorgers zuzuordnen, insbesondere die für die Wahrnehmung der Belieferungstätigkeit unabdingbaren Schuldverhältnisse, kurzfristig fehlen und der Grund hierfür in der Sphäre des
Grundversorgers liegt. Zwar ist in diesem Fall eine Belieferungsunfähigkeit und
damit eine Belieferungseinstellung des Grundversorgers zu bejahen. Eine Einstellung der Geschäftstätigkeit i.S.d. § 36 II 4 EnWG folgt daraus allerdings nur dann,
wenn die Belieferungsunfähigkeit irreparabel ist, der Grundversorger den Willen zur
Belieferung von Haushaltskunden in dem jeweiligen Netzgebiet der allgemeinen
Versorgung aufgrund einer autonomen Entscheidung aufgegeben hat, oder es ihm
trotz des entsprechenden Willens nicht gelingt, die grundsätzlich reparable Belieferungsunfähigkeit innerhalb einer angemessenen Zeit zu beseitigen.
4. Der Grundversorger kann seine Geschäftstätigkeit grundsätzlich aufgrund einer
autonomen Entscheidung i.S.d. § 36 II 4 EnWG einstellen. Dies gilt selbst dann,
wenn er der einzige Lieferant ist, der in dem Netzgebiet der allgemeinen Versor-
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gung, in welchem er als Grundversorger festgestellt wurde, Haushaltskunden beliefert und ein Nachfolger nicht feststellbar ist.
5. In dem Fall, dass in einem Netzgebiet der allgemeinen Versorgung kein
Grundversorger feststellbar ist, wandelt sich die im Sozialstaatsprinzip des Art. 20 I
GG verankerte Gewährleistungsverantwortung des Staates zur Schaffung normativer
Rahmenbedingungen für die Energieversorgung zu einer Rechtspflicht des Staates
zur tatsächlichen Gewährleistung der Elektrizitätsversorgung. Diejenigen Grundversorger, die von der öffentlichen Hand beherrscht werden können, sind an das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 I GG gebunden. Dementsprechend dürfen sie ihre Geschäftstätigkeit nur dann aufgrund einer autonomen Entscheidung i.S.d. § 36 II 4
EnWG einstellen, wenn die Energieversorgung in dem jeweiligen Netzgebiet der
allgemeinen Versorgung durch ein anderes EVU sichergestellt ist.
6. Die in § 38 I 1 EnWG normierte Ersatzversorgungspflicht verfolgt in erster Linie das Ziel der Gewährleistung der Versorgungssicherheit von Letztverbrauchern,
die an das Niederspannungsnetz der allgemeinen Versorgung angeschlossen sind.
Letztverbraucher, die über das Netz der allgemeinen Versorgung in Niederspannung
Energie beziehen, ohne dass dieser Bezug einer Lieferung oder einem bestimmten
Liefervertrag zugeordnet werden kann, erhalten durch die Regelung des § 38 I 1
EnWG einen – zeitlich auf drei Monate beschränkten – gesetzlichen Anspruch auf
Ersatzversorgung durch den Grundversorger. Dadurch wird einem Ausschluss dieser
Kunden von der Energieversorgung entgegengewirkt.
7. Über das Vermögen von Grundversorgern, die als GmbH oder AG organisiert
sind, kann das Insolvenzverfahren eröffnet werden, da diese – unabhängig davon, ob
sie sich in öffentlicher oder privater Trägerschaft befinden – gem. § 11 I 1 InsO
insolvenzfähig sind. Auch etwaige Insolvenzabwendungspflichten, die gegenüber
einzelnen Grundversorgern bestehen, stehen im Falle des Vorliegens eines Eröffnungsgrundes i.S.d. § 16 InsO einer Insolvenzeröffnung über das Vermögen der
jeweiligen Grundversorger nicht entgegen.
8. Die Insolvenzeröffnung über das Vermögen eines Grundversorgers führt nicht
zum Fortfall seiner Grundversorgerstellung. Die Regelungen der §§ 36 II 2 EnWG
und 36 II 4 EnWG, die die Fälle des Erlöschens der Grund- und Ersatzversorgungspflicht normieren, weisen keinen insolvenzrechtlichen Bezug auf.
9. Eine Untersagung der Belieferung von Haushaltskunden gem. § 5 S. 4 EnWG,
mit welcher regelmäßig eine Geschäftseinstellung des Grundversorgers i.S.d. § 36 II
4 EnWG einhergeht, wird nicht automatisch durch die Insolvenzeröffnung über
dessen Vermögen ausgelöst.
10. Das Ereignis der Insolvenzeröffnung als solches wirkt sich nicht derart auf die
für die Wahrnehmung der Belieferungstätigkeit unabdingbaren Schuldverhältnisse
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aus, dass mit der Insolvenzeröffnung automatisch eine irreparable Belieferungsunfähigkeit des Grundversorgers und damit eine Geschäftseinstellung i.S.d. § 36 II 4
EnWG einherginge.
11. Unabdingbar für die Wahrnehmung der Belieferung der grund- und ersatzversorgten Kunden ist das Vorliegen eines gesetzlichen Netzzugangsschuldverhältnisses i.S.d. § 20 I 1 EnWG zwischen dem Grundversorger und dem im jeweiligen
Netzgebiet der allgemeinen Versorgung tätigen Betreiber des Energieversorgungsnetzes der allgemeinen Versorgung. Weiterhin ist für die Wahrnehmung der Belieferungstätigkeit das Bestehen eines Vertrages unerlässlich, durch welchen der Bilanzausgleich des Grundversorgers i.S.d. § 20 I a 5 EnWG sichergestellt wird. Dies ist in
der Regel ein Bilanzkreisvertrag i.S.d. § 26 StromNZV zwischen dem Grundversorger und dem ÜNB oder ein offener Stromliefervertrag zwischen dem Grundversorger und einem Vorlieferanten.
12. Das gesetzliche Netzzugangsschuldverhältnis i.S.d. § 20 I 1 EnWG besteht
auch nach der Insolvenzeröffnung unverändert fort. Hinsichtlich gesetzlicher
Schuldverhältnisse gilt grundsätzlich, dass diese von der Insolvenzeröffnung unberührt bleiben. Selbst eine angesichts der Ähnlichkeiten des gesetzlichen Netzzugangsschuldverhältnisses zu den vertraglichen Schuldverhältnissen naheliegende
analoge Anwendung der §§ 103 ff. InsO auf das gesetzliche Netzzugangsschuldverhältnis würde jedoch zu der analogen Anwendung des § 108 I InsO führen, der für
Dienstverhältnisse bestimmt, dass diese auch nach der Insolvenzeröffnung fortbestehen. Das gesetzliche Netzzugangsschuldverhältnis ähnelt am ehesten einem gemischten Vertrag, dessen Schwerpunkt in den Dienstleistungsverpflichtungen des
Netzbetreibers liegt.
13. Der Bilanzkreisvertrag i.S.d. § 26 StromNZV erlischt durch die Insolvenzer-
öffnung, denn er ist am ehesten als ein Gesellschaftsvertrag i.S.d. § 705 BGB einzuordnen, durch dessen Abschluss eine Innengesellschaft zwischen dem Bilanzkreisverantwortlichen und dem ÜNB begründet wird. Die Insolvenzeröffnung über das
Vermögen des als Bilanzkreisverantwortlicher fungierenden Grundversorgers bewirkt gem. § 728 II BGB die Beendigung der Mitgliedschaft des Grundversorgers an
der GbR, was den Fortfall eines Mehrpersonenverhältnisses und damit eine automatische Vollbeendigung dieser Gesellschaft bewirkt. Diese wiederum hat das Erlöschen des Gesellschaftsvertrages, in diesem Fall des Bilanzkreisvertrages, zur Folge.
Da das Erlöschen des Bilanzkreisvertrages dazu führt, dass der Anspruch des
Grundversorgers auf die Gewährleistung des Netzzuganges erlischt, bewirkt die
Insolvenzeröffnung eine Belieferungsunfähigkeit des Grundversorgers. Allerdings
handelt es sich hierbei um eine reparable Belieferungsunfähigkeit, denn der Insolvenzverwalter des Grundversorgers kann durch einen auf den Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung rückwirkenden Neuabschluss eines Bilanzkreisvertrages oder eines
offenen Stromliefervertrages rückwirkend die Voraussetzungen nach § 20 I a 5
EnWG erfüllen und dadurch den Netzzugang wiederherstellen.
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14. Die Auswirkungen der Insolvenzeröffnung auf einen den Bilanzausgleich
i.S.d. § 20 I a 5 EnWG gewährleistenden offenen Stromliefervertrag zwischen dem
Grundversorger und seinem Vorlieferanten richten sich nach § 103 I InsO. Dementsprechend werden die aus dem offenen Stromlieferungsvertrag resultierenden Erfüllungsansprüche durch die Insolvenzeröffnung im insolvenzrechtlichen Sinne undurchsetzbar, womit auch der Anspruch des Grundversorgers auf die Gewährleistung des Netzzuganges undurchsetzbar wird. Die damit einhergehende
Belieferungsunfähigkeit des Grundversorgers ist allerdings reparabel, da der Insolvenzverwalter den Netzzugang wiederherstellen kann, indem er rückwirkend die
Erfüllung dieses Vertrages gem. § 103 I InsO verlangt oder die Erfüllung ablehnt
und stattdessen rückwirkend einen anderen offenen Stromliefervertrag oder einen
Bilanzkreisvertrag abschließt.
15. Im Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Grundversorgers ist die Vereinbarkeit des durch die Regelungen der §§ 36, 38 EnWG verfolgten Ziels der Versorgungssicherheit und des durch die InsO verfolgten Ziels der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung aus rechtlicher Sicht zu bejahen.
16. Bei den aus §§ 36 EnWG (i.V.m. StromGVV), 38 EnWG resultierenden Belieferungsansprüchen aus Grundversorgungsverträgen bzw. Ersatzversorgungsverhältnissen sowie bei den Kontrahierungsansprüchen aus § 36 I 1 EnWG handelt es
sich um vermögenswerte Ansprüche, auf welche das insolvenzrechtliche Anspruchssystem zur Gläubigerbefriedigung anwendbar ist.
17. Die Vereinbarkeit des Eingreifens insolvenzrechtlicher Normen mit dem
durch die Regelungen der §§ 36, 38 EnWG verfolgten Ziel der Gewährleistung der
Versorgungssicherheit ist zu bejahen. Das mit der Insolvenzeröffnung eingreifende
insolvenzrechtliche Anspruchssystem zur Gläubigerbefriedigung bewirkt keine
Versorgungsunsicherheit der Gläubiger der aus §§ 36 I 1 EnWG (i.V.m.
StromGVV), 38 EnWG resultierenden Ansprüche. Diese haben gegen den Grundversorger stets einen als Masseforderung zu befriedigenden Anspruch auf tatsächliche Belieferung.
18. Die aus einem Grundversorgungsvertrag folgenden Belieferungsansprüche
werden i.S.d. InsO mit dem Abschluss des jeweiligen Grundversorgungsvertrages
begründet. Der Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Begründung der aus einem Ersatzversorgungsverhältnis resultierenden Belieferungsansprüche liegt im Beginn der
Ersatzversorgung, d.h. in der ersten vertragslosen Energieentnahme durch den
Letztverbraucher. Kontrahierungsansprüche aus § 36 I 1 EnWG werden zu dem
Zeitpunkt i.S.d. InsO begründet, zu welchem die Angebotserklärung des Haushaltskunden auf den Abschluss eines Grundversorgungsvertrages dem Grundversorger
zugeht.
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19. Belieferungsansprüche, die aus nach der Insolvenzeröffnung abgeschlossenen
Grundversorgungsverträgen resultieren, stellen Masseverbindlichkeiten dar, die
gem. § 55 I Nr.1, 1. Alt. InsO durch Handlungen des Insolvenzverwalters begründet
worden sind. Bei Belieferungsansprüchen aus Ersatzversorgungsverhältnissen sowie
Kontrahierungsansprüchen aus § 36 I 1 EnWG, die nach der Insolvenzeröffnung
begründet worden sind, handelt es sich um gem. § 55 I Nr. 1, 2. Alt. InsO in anderer
Weise durch Verwaltung der Masse begründete Masseverbindlichkeiten.
20. Belieferungsansprüche, die aus Grundversorgungsverträgen resultieren, die
vor der Insolvenzeröffnung von einem starken vorläufigen Insolvenzverwalter abgeschlossen wurden, stellen gem. § 55 II 1 InsO Masseverbindlichkeiten dar. Dasselbe
gilt hinsichtlich der im Zusammenhang mit der Fortführung des Grundversorgungsunternehmens durch den starken vorläufigen Insolvenzverwalter kraft Gesetzes
entstandenen Belieferungsansprüche aus Ersatzversorgungsverhältnissen sowie der
Kontrahierungsansprüche aus § 36 I 1 EnWG.
21. Soweit der starke vorläufige Insolvenzverwalter im Vorverfahren eine Vorauszahlung von Kunden in Anspruch genommen hat, mit denen bereits der Schuldner ein Grundversorgungs- bzw. Ersatzversorgungsverhältnis begründet hat, stellen
die der Vorauszahlung entsprechenden und vor der Insolvenzeröffnung noch nicht
erfüllten Belieferungsansprüche dieser Kunden Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 II
2 InsO dar.
22. Die vor der Insolvenzeröffnung vom Schuldner bzw. vom schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter begründeten Belieferungsansprüche aus Grundversorgungsverträgen und Ersatzversorgungsverhältnissen stellen grundsätzlich Insolvenzforderungen i.S.d. § 38 EnWG dar. Dasselbe gilt im Hinblick auf die vor der Insolvenzeröffnung gegenüber dem Schuldner bzw. dem schwachen vorläufigen
Insolvenzverwalter geltend gemachten Kontrahierungsansprüche aus § 36 I 1
EnWG.
23. Auf die vor der Insolvenzeröffnung begründeten Grundversorgungsverträge
ist die Regelung des § 103 InsO anzuwenden, so dass Belieferungsansprüche aus
einem vor der Insolvenzeröffnung abgeschlossenen Grundversorgungsvertrag dann
als Masseverbindlichkeiten zu erfüllen sind, wenn der Insolvenzverwalter Erfüllung
des jeweiligen Grundversorgungsvertrages verlangt (gem. §§ 55 I Nr. 2, 1. Alt.
i.V.m. § 103 I InsO). Auf die durch einen vor der Insolvenzeröffnung geltend gemachten Kontrahierungsanspuch aus § 36 I 1 EnWG entstandenen, auf den Abschluss von Grundversorgungsverträgen gerichteten gesetzlichen Schuldverhältnisse
findet die Regelung des § 103 I InsO analoge Anwendung.
24. Auf die vor der Insolvenzeröffnung begründeten Ersatzversorgungsverhältnisse ist die Regelung des § 103 I InsO nicht analog anwendbar. Der primäre Sinn und
Zweck des Wahlrechts gem. § 103 I InsO ist darin zu sehen, der Insolvenzmasse
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diejenigen noch ausstehenden Leistungen des Vertragspartners zu den bisherigen
Vertragsbedingungen zu verschaffen, auf die der Insolvenzverwalter ohne die Erfüllungswahl einen durchsetzbaren Anspruch nicht hätte. Die tatsächlichen Gegebenheiten der Energieversorgung in Verbindung mit der Norm des § 38 EnWG sprechen
allerdings gegen das Bedürfnis, dem Insolvenzverwalter eine Einziehung von Forderungen der Masse aus einem vor der Insolvenzeröffnung begründeten Ersatzversorgungsverhältnis zu ermöglichen.
25. Grundversorgungsverträge und Kontrahierungsansprüche aus § 36 I 1 EnWG
weisen keine Besonderheiten auf, die dazu führen, dass die vor der Insolvenzeröffnung begründeten Belieferungsansprüche aus Grundversorgungsverträgen bzw.
Kontrahierungsansprüche trotz ihrer Einordnung als Insolvenzforderungen stets als
Masseforderungen zu befriedigen wären. Eine Pflicht des Insolvenzverwalters zur
Erfüllungswahl aller Grundversorgungsverträge bzw. Kontrahierungsansprüche ist
zu verneinen. Vielmehr ist die Ausübung des Ablehnungsrechts durch den Insolvenzverwalter zulässig. Weder § 36 I 1 EnWG noch § 242 BGB stehen der Aus-
übung des Ablehnungsrechts entgegen.
26. Ersatzversorgungsverhältnisse weisen keine Besonderheiten auf, die dazu führen, dass der Insolvenzverwalter die aus § 38 EnWG folgenden Belieferungsansprüche nicht als Insolvenzforderungen behandeln, sondern vollständig als Masseverbindlichkeiten erfüllen müsste. Im Verweisen der ersatzversorgten Kunden auf die
quotale Befriedigung liegt keine gegen § 38 EnWG bzw. § 242 BGB verstoßende
Rechtsausübung vor.
27. Die vor der Insolvenzeröffnung begründeten Belieferungsansprüche aus
Grundversorgungsverträgen sowie Kontrahierungsansprüche, deren Erfüllung der
Insolvenzverwalter gem. § 103 I InsO (analog) wählt, stellen gem. §§ 55 I Nr. 2, 1.
Alt. i.V.m. 103 I InsO (analog) Masseforderungen dar.
28. Diejenigen Kunden, denen gegenüber die Erfüllungsablehnung ihrer vor der
Insolvenzeröffnung begründeten Grundversorgungsverträge bzw. Kontrahierungsansprüche erfolgte, haben einen Kontrahierungsanspruch auf den Abschluss eines
neuen Grundversorgungsvertrages bzw. auf Ersatzversorgung. Dabei sind die nach
der Insolvenzeröffnung geltend gemachten Kontrahierungsansprüche sowie die
Belieferungsansprüche aus nach der Insolvenzeröffnung begründeten Ersatzversorgungsverhältnissen als Masseverbindlichkeiten gem. § 55 I Nr. 1, 2. Alt. InsO zu
befriedigen. Die Befriedigung der nach der Insolvenzeröffnung geltend gemachten
Kontrahierungsansprüche als Masseforderungen führt zum Abschluss neuer Grundversorgungsverträge, wobei die daraus resultierenden Belieferungsansprüche Masseverbindlichkeiten gem. § 55 I Nr. 1, 1. Alt. InsO darstellen.
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29. In der Zeit zwischen der Insolvenzeröffnung und der Wahlrechtsausübung
durch den Insolvenzverwalter werden durch den Strombezug der bis zur Insolvenzeröffnung grundversorgten Kunden bzw. Kunden, die vor der Insolvenzeröffnung
einen Kontrahierungsanspruch gem. § 36 I 1 EnWG geltend gemacht haben, Ersatzversorgungsverhältnisse begründet. Dabei müssen die daraus resultierenden Belieferungsansprüche gem. § 55 I Nr. 1 InsO aus Massemitteln befriedigt werden. Für den
Fall, dass der Insolvenzverwalter die Erfüllung des jeweiligen Grundversorgungsvertrages bzw. Kontrahierungsanspruchs wählt, werden diese Ersatzversorgungsverhältnisse automatisch beendet. Für den Fall der Erfüllungsablehnung hängt es von
der Entscheidung des Kunden ab, ob durch den weiteren Strombezug ein neuer
Grundversorgungsvertrag abgeschlossen wird oder die Ersatzversorgung zunächst
fortbesteht.
30. Diejenigen Kunden, die vor der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des
Grundversorgers im Rahmen eines Ersatzversorgungsverhältnisses beliefert wurden,
schließen mit der ersten nach der Insolvenzeröffnung erfolgenden Stromentnahme
ein neues Belieferungsverhältnis mit dem Grundversorger ab, wobei es sich um ein
Grundversorgungs- oder Ersatzversorgungsverhältnis handelt. Die aus den neuen
Belieferungsverhältnissen folgenden Belieferungsansprüche sind als Masseverbindlichkeiten gem. § 55 I Nr. 1 InsO zu befriedigen.
31. Die Vereinbarkeit der Regelungen der §§ 36, 38 EnWG mit dem durch die InsO verfolgten Ziel der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung ist zu bejahen. Das
Fortbestehen der Grund- und Ersatzversorgungspflicht nach der Insolvenzeröffnung
führt nicht dazu, dass die Erreichbarkeit der durch die InsO bezweckten optimalen
Gläubigerbefriedigung vereitelt wird. Die Grundversorgungs- und Ersatzversorgungspflicht bewirken weder, dass die den Gläubigern im Insolvenzverfahren
grundsätzlich offen stehenden Befriedigungsmöglichkeiten beschnitten werden,
noch wird die bei der Insolvenzeröffnung vorhandene Insolvenzmasse durch die
Befolgung dieser Pflichten geschmälert.
32. Eine Gesetzesänderung, die zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung über das
Vermögen eines Grundversorgers einen generellen Fortfall seiner Grundversorgerstellung und die Feststellung eines neuen Grundversorgers anordnen würde, würde
nicht in jedem Fall zu einer besseren Erreichbarkeit der Ziele der Versorgungssicherheit bzw. der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung führen, als dies nach der
geltenden Gesetzeslage der Fall ist.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Nach der Liberalisierung des Energiemarktes müssen sich die auf der Vertriebsebene tätigen Energieversorgungsunternehmen dem Wettbewerb mit anderen Lieferanten stellen, womit die Wahrscheinlichkeit der Insolvenz dieser Unternehmen steigt.
Die Autorin widmet sich der Untersuchung der mit der Insolvenzeröffnung über das Vermögen eines Grundversorgers zusammenhängenden rechtlichen Fragen. Ausgehend von den veränderten Rahmenbedingungen wird zunächst die Reichweite der den Grundversorger gem. §§ 36, 38 EnWG treffenden Grund- und Ersatzversorgungspflichten erörtert. Einen Kernpunkt der Untersuchung bildet die Frage des Fortbestandes dieser Pflichten auch nach der Insolvenzeröffnung.
Abschließend wird die Vereinbarkeit von Versorgungssicherheit und Gläubigerbefriedigung im Insolvenzverfahren anhand der Auswirkungen der Insolvenzeröffnung auf die Befriedigung der aus §§ 36 (i.V.m. StromGVV), 38 EnWG resultierenden Ansprüche einerseits und der §§ 36, 38 EnWG auf das Ziel der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung andererseits analysiert.