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Bei der übertragenden Sanierung wird das Betriebsvermögen des schuldnerischen
Unternehmens an ein anderes Unternehmen bzw. einen „leeren Firmenmantel“ ver-
äußert.921 Insoweit wird das eigentliche Unternehmen von dem zu liquidierenden
Unternehmensträger getrennt.922 Die Gläubiger werden dabei aus dem Verkaufserlös
oder aus den künftigen Überschüssen des übertragenen Unternehmens befriedigt.923
Im ersten Fall ist die übertragende Sanierung die stärkste Form der Liquidation924,
im zweiten Fall ist sie als eine sanierende Maßnahme anzusehen925. In beiden Fällen
handelt es sich bei der übertragenden Sanierung allerdings um eine Sanierung des
Unternehmens unter Liquidation seines Trägers.926
Zur Unternehmenssanierung sowie übertragenden Sanierung wird in der Regel
ein Insolvenzplan aufgestellt (§§ 217 ff. InsO), in welchem die Gläubiger von der
gesetzlichen Zwangsverwertung der Insolvenzmasse abweichen können.927
Ein Konflikt zwischen den §§ 36, 38 EnWG und § 1 S. 1 InsO wäre dann zu bejahen, wenn die §§ 36, 38 EnWG den von der InsO vorausgesetzten Verwertungsmöglichkeiten der Gläubiger entgegenstünden. Ferner ist angesichts des Umstandes,
dass die Befolgung der Pflichten aus §§ 36, 38 EnWG, wie gesehen928, zur Begründung neuer Masseverbindlichkeiten führt, denkbar, dass durch die Regelungen der
§§ 36, 38 EnWG die Insolvenzmasse geschmälert wird. In diesem Fall würde das
durch die InsO verfolgte Ziel der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung vereitelt, so
dass ein Konfliktfall zwischen den §§ 36, 38 EnWG und § 1 S. 1 InsO anzunehmen
wäre.
II. Konkrete Untersuchung der Auswirkungen der §§ 36, 38 EnWG auf das Ziel der
bestmöglichen Gläubigerbefriedigung
1. Auswirkungen auf die Befriedigungsarten
Fraglich ist, ob die aus §§ 36, 38 EnWG resultierenden Pflichten den Befriedigungsmöglichkeiten, die den Insolvenzgläubigern grundsätzlich offen stehen, entgegenstehen, so dass Konflikte mit dem durch die InsO verfolgten Ziel der Gläubigerbefriedigung entstehen.
Berührungspunkte zwischen der Grundversorgungspflicht bzw. der Ersatzversorgungspflicht mit den Befriedigungsarten der (übertragenden) Sanierung sowie Stilllegung und Liquidation des schuldnerischen Unternehmens entstehen nur im Rah-
921 Hess/Weis, WM 1998, 2349; 2352; Smid, WM 1998, 2489, 2492.
922 Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 159 Rn. 29.
923 Neumann, BuW 2000, 1, 4.
924 Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 401.
925 Neumann, BuW 2000, 1, 4.
926 Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 159 Rn. 29.
927 Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 400 f.
928 Vgl. S. 233.
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men der Wahrnehmung der Belieferungstätigkeit von Haushaltskunden in dem jeweiligen Gebiet der Allgemeinen Versorgung, in welchem das Unternehmen als
Grundversorger festgestellt wurde.
Angesichts der grundsätzlich bestehenden Möglichkeit des Grundversorgers zur
Einstellung oder zur Fortführung der Haushaltskundenbelieferung in dem jeweiligen
Netzgebiet, in welchem er als Grundversorger festgestellt wurde929, wird im Folgenden zwischen Befriedigungsmaßnahmen, mit denen eine Einstellung der Belieferungstätigkeit von Haushaltskunden im jeweiligen Netzgebiet der allgemeinen Versorgung einhergeht und Befriedigungsmaßnahmen, die unter Fortsetzung dieser
Tätigkeit durchgeführt werden, unterschieden. Maßnahmen zur Gläubigerbefriedigung, die die Tätigkeit der Haushaltskundenbelieferung im besagten Gebiet nicht
betreffen, sind im Rahmen dieser Untersuchung hingegen nicht von Interesse.
a) Maßnahmen der Gläubigerbefriedigung, mit denen eine Einstellung der Haushaltskundenbelieferung einhergeht
Wie gezeigt930, ist dem Grundversorger eine Einstellung der Belieferungstätigkeit
von Haushaltskunden in dem Netzgebiet der allgemeinen Versorgung, in welchem
dieser als Grundversorger festgestellt wurde, aufgrund einer autonomen Entscheidung möglich. Dabei führt eine solche zur Einstellung der Geschäftstätigkeit des
Grundversorgers i.S.d. § 36 II 4 EnWG, so dass die Verpflichtungen des Grundversorgers aus §§ 36, 38 EnWG erlöschen. Somit kommt es nicht zu etwaigen Auswirkungen der §§ 36, 38 EnWG auf Maßnahmen der Gläubigerbefriedigung, mit denen
eine Einstellung der Haushaltskundenbelieferung einhergeht.
b) Maßnahmen der Gläubigerbefriedigung unter Fortsetzung der Haushaltskundenbelieferung
Auf die Durchführung von Maßnahmen der Gläubigerbefriedigung unter Fortsetzung der Haushaltskundenbelieferung wirken sich die Pflichten der §§ 36, 38
EnWG (i.V.m. StromGVV) dahingehend aus, dass diese vom Grundversorger zu
beachten sind. So wären dem Grundversorger zum Beispiel solche Rationalisierungsmaßnahmen, die in der Kündigung bestehender Grundversorgungsverträge mit
unlukrativen Haushaltskunden bestehen, nur unter der Voraussetzung einer wirtschaftlichen Unzumutbarkeit i.S.d. § 36 I 2 EnWG möglich (vgl. § 20 I 3
StromGVV), auch die Ablehnung einzelner Kontrahierungsansprüche wäre nur
innerhalb der Grenzen der §§ 36 I 2, 37 EnWG denkbar.
929 Vgl. S. 56, 60.
930 Vgl. S. 60.
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Allerdings finden sich in der InsO keine Anhaltspunkte dafür, dass der Insolvenzverwalter zur Erreichung des Ziels der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung uneingeschränkte Freiheiten genießen soll. Vielmehr ist allgemein anerkannt, dass dieser
bei Insolvenzeröffnung sowohl in die Rechte als auch in die Pflichten des Schuldners einrückt, so dass sein Ermessensspielraum durch die den Schuldner treffenden
gesetzlichen Pflichten eingeschränkt wird.931 Daraus folgt, dass das – durch den
Insolvenzverwalter umzusetzende – Ziel der Gläubigerbefriedigung grundsätzlich
im Rahmen der den Schuldner treffenden gesetzlichen Verpflichtungen zu verfolgen
ist.
Insoweit stellt die Beachtung der Pflichten aus §§ 36, 38 EnWG (i.V.m.
StromGVV) keinen Konflikt mit den Befriedigungsmöglichkeiten dar, die Insolvenzgläubigern grundsätzlich offen stehen.
2. Auswirkungen auf den Bestand der Masse
Eine Vereitelung des Ziels der optimalen Gläubigerbefriedigung durch die Pflichten
aus §§ 36, 38 EnWG könnte ferner angenommen werden, wenn durch die Befolgung
dieser Pflichten eine Schmälerung der bei der Insolvenzeröffnung vorhandenen
Masse bewirkt würde.
Zwar wurde bereits festgestellt, dass die Pflichten aus §§ 36, 38 EnWG dazu führen, dass zusätzliche Masseverbindlichkeiten begründet werden müssen, allerdings
bedarf die Frage, ob dadurch auch eine Schmälerung des Massebestands einhergeht,
einer näheren Untersuchung. Dies ergibt sich daraus, dass dem Grundversorger für
die Erfüllung der aus den §§ 36 EnWG (i.V.m. StromGVV), 38 EnWG resultierenden Belieferungsansprüche entsprechende Zahlungsansprüche gegenüber den belieferten Kunden zustehen. Insoweit erhält die Insolvenzmasse ein Äquivalent zu den
durch die Befolgung der Pflichten aus §§ 36, 38 EnWG entstehenden Masseverbindlichkeiten.
Zu fragen ist jedoch, ob es sich dabei grundsätzlich um ein im Vergleich zu den
durch die Befolgung der Pflichten aus §§ 36, 38 EnWG entstehenden Kosten
gleichwertiges Äquivalent handelt. Dies wäre zu verneinen, wenn die Befolgung der
Pflichten aus §§ 36, 38 EnWG eine Kostenunterdeckung des Grundversorgers bewirken würde.
Dabei ist zu beachten, dass §§ 36, 38 EnWG keine Vorgaben hinsichtlich der
Gestaltung bzw. Kalkulation der Allgemeinen Preise durch den Grundversorger
beinhalten. Auch die BTOElt, nach welcher die Allgemeinen Tarife des einer Anschluss- und Belieferungspflicht unterworfenen EVU einer Genehmigung bedurften
(vgl. § 12 BTO Elt), wobei die Kalkulation der Allgemeinen Tarife von der zuständigen Behörde nachvollzogen und die Allgemeinen Tarife hinsichtlich der Ange-
931 BGH, NJW 1971, 1750; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 80 Rn. 62; MüKo-Ott/Vuia, InsO,
§ 80 Rn. 43; Jaeger-Windel, InsO, § 80 Rn. 245.
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messenheit überprüft wurden932, ist – wie bereits erwähnt933– außer Kraft getreten.
Damit ist der Grundversorger nunmehr bei der Kalkulation seiner Preise frei und
lediglich der kartellrechtlichen Mißbrauchskontrolle unterworfen.934
Die freien Gestaltungs- und Kalkulationsmöglichkeiten der Grund- sowie Ersatzversorgungspreise sprechen dafür, dass dem Grundversorger durch die Befolgung
dieser Pflichten keine Verluste entstehen. Denn dem Grundversorger steht es offen,
bei der Kalkulation seiner Allgemeinen Preise i.S.d. § 36 I 1 EnWG sowie der Ersatzversorgungspreise, sämtliche Kosten, die ihm durch die Befolgung der Pflichten
aus §§ 36, 38 EnWG entstehen, zu berücksichtigen und diese somit an die im Wege
der Grund- bzw. Ersatzversorgung belieferten Haushaltskunden weiterzugeben.935
Dabei ist davon auszugehen, dass der Grundversorger bei der Kalkulation der
Allgemeinen Preise i.S.d. § 36 I 1 EnWG die zur Erfüllung der Grundversorgungspflicht notwendigen Kosten berücksichtigen wird, wobei insbesondere die Kosten,
die durch die mit der Grundversorgungspflicht einhergehende mittelbare Investitionspflicht936 entstehen, in die Kalkulation einbezogen werden. Ebenso können diejenigen Kosten, die dem Grundversorger aus der Belieferung der unter § 37 I 3
EnWG fallenden Kunden937 erwachsen, bei der Kalkulation der Grundversorgungspreise beachtet werden. Aufgrund der Regelung des § 38 I 3 EnWG, nach welcher
die Preise für die Ersatzversorgung der Haushaltskunden die nach § 36 I 1 EnWG
veröffentlichten Preise nicht übersteigen dürfen, ist ferner davon auszugehen, dass
der Grundversorger bei der Kalkulation seiner Allgemeinen Preise nach § 36 I 1
EnWG auch diejenigen Kosten berücksichtigen wird, die ihm die Ersatzversorgung
von Haushaltskunden verursacht.
Auch hinsichtlich der Höhe der Ersatzversorgungspreise für die Belieferung von
Nichthaushaltskunden unterliegt der Grundversorger keinen Vorgaben. Vielmehr
stellt § 38 I 2 EnWG lediglich klar, dass der Grundversorger grundsätzlich berechtigt ist, für diese Energielieferungen gesonderte Allgemeine Preise zu veröffentlichen und für die Energielieferung in Rechnung zu stellen. Insofern wird der Grundversorger die ihm durch die Ersatzversorgung von Nichthaushaltskunden entstehenden Kosten an diese weitergeben können.
Außerdem ist zu beachten, dass die Regelungen der §§ 36 I 2 EnWG938, 37 I 1
EnWG939 einer etwaigen Kostenunterdeckung des Grundversorgers entgegenwirken,
932 Franke, in: Schneider/Theobald, Handbuch zum Recht der Energiewirtschaft (1. Aufl.), § 16
Rn. 23 ff., 39.
933 Vgl. 25.
934 Rottnauer, RdE 2008, 105, 107.
935 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass auch unter Geltung der BTOElt die
zur Kostendeckung bei einer elektrizitätswirtschaftlich rationeller Betriebsführung erforderlichen Tarife zu genehmigen waren (vgl.: Franke, in: Schneider/Theobald, Handbuch zum
Recht der Energiewirtschaft (1. Aufl.), § 16 Rn. 23).
936 Vgl. S. 27.
937 Vgl. S. 49.
938 Vgl. S. 38.
939 Vgl. S. 47.
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indem diese den Grundversorger für die Fälle der untypischen Lieferverhältnisse
von der Pflicht befreien, die jeweiligen Kunden zum allgemeinen Preis i.S.d. § 36 I
1 EnWG zu beliefern.
Diese Sachlage zeigt, dass die Befolgung der Pflichten aus §§ 36, 38 EnWG nicht
zum Entstehen von Verlusten beim Grundversorger führt.940
Im Ergebnis ist daher festzustellen, dass die Pflichten aus §§ 36, 38 EnWG
grundsätzlich keine Masseschmälerung bewirken, so dass das Ziel der optimalen
Gläubigerbefriedigung durch diese Regelungen nicht vereitelt wird.
3. Zusammenfassung: Auswirkungen der §§ 36, 38 EnWG auf das durch die InsO
verfolgte Ziel der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung
Die Grundversorgungs- und Ersatzversorgungspflicht bewirken weder, dass die den
Gläubigern im Insolvenzverfahren grundsätzlich offen stehenden
Befriedigungsmöglichkeiten beschnitten werden, noch wird die Insolvenzmasse
durch die Befolgung dieser Pflichten geschmälert. Somit ist festzustellen, dass die
Pflichten aus §§ 36, 38 EnWG nicht dazu führen, dass die optimale
Gläubigerbefriedigung vereitelt wird. Eine Vereinbarkeit der Regelungen der §§ 36,
38 EnWG mit dem durch die InsO verfolgten Ziel der bestmöglichen
Gläubigerbefriedigung ist daher zu bejahen.
D. Gesamtergebnis zur Frage nach Vereinbarkeit der durch die Regelungen der §
36, 38 EnWG und der durch die InsO verfolgten Ziele
Die Vereinbarkeit des durch die Regelungen der §§ 36, 38 EnWG verfolgten Ziels
der Versorgungssicherheit und des durch die InsO verfolgten Ziels der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung im Insolvenzverfahren über das Vermögen eines
Grundversorgers ist aus rechtlicher Sicht zu bejahen, da sich sowohl das Ziel der
Versorgungssicherheit unter Beachtung der insolvenzrechtlichen Vorschriften als
auch das Ziel der Gläubigerbefriedigung unter Beachtung der §§ 36, 38 EnWG
grundsätzlich erreichen lassen.
940 Dass der Gebietsversorger bzw. Allgemeine Versorger durch die Anschluss- und Verorgungspflicht nicht zu verlustbringenden Geschäften gezwungen wird, war übrigens selbst unter Geltung der BTOElt allgemeine Meinung. Vgl. nur: Büdenbender, EnWG, § 11 Rn. 29;
Schweitzer, Daseinsvorsorge, S. 347.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Nach der Liberalisierung des Energiemarktes müssen sich die auf der Vertriebsebene tätigen Energieversorgungsunternehmen dem Wettbewerb mit anderen Lieferanten stellen, womit die Wahrscheinlichkeit der Insolvenz dieser Unternehmen steigt.
Die Autorin widmet sich der Untersuchung der mit der Insolvenzeröffnung über das Vermögen eines Grundversorgers zusammenhängenden rechtlichen Fragen. Ausgehend von den veränderten Rahmenbedingungen wird zunächst die Reichweite der den Grundversorger gem. §§ 36, 38 EnWG treffenden Grund- und Ersatzversorgungspflichten erörtert. Einen Kernpunkt der Untersuchung bildet die Frage des Fortbestandes dieser Pflichten auch nach der Insolvenzeröffnung.
Abschließend wird die Vereinbarkeit von Versorgungssicherheit und Gläubigerbefriedigung im Insolvenzverfahren anhand der Auswirkungen der Insolvenzeröffnung auf die Befriedigung der aus §§ 36 (i.V.m. StromGVV), 38 EnWG resultierenden Ansprüche einerseits und der §§ 36, 38 EnWG auf das Ziel der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung andererseits analysiert.