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II. Auswirkungen der Insolvenzeröffnung auf die Befriedigung der aus §§ 36 EnWG
(i.V.m. StromGVV), 38 EnWG resultierenden Ansprüche – Bedeutung hinsichtlich der Frage der Versorgungssicherheit
1. Vorgehensweise
Im Folgenden werden die Auswirkungen der Insolvenzeröffnung auf die Befriedigung der aus §§ 36 EnWG (i.V.m. StromGVV), 38 EnWG resultierenden Ansprüche
untersucht. Hierbei wird zunächst die Frage zu erörtern sein, ob das insolvenzrechtliche Anspruchssystem zur Gläubigerbefriedigung auf diese Ansprüche Anwendung
findet. Sollte dies zu bejahen sein, erfolgt zunächst eine kurze Darstellung des insolvenzrechtlichen Anspruchssystems. Sodann wird die Frage beantwortet, welche
Einordnung der Ansprüche aus §§ 36 EnWG (i.V.m. StromGVV), 38 EnWG in das
insolvenzrechtliche Anspruchssystem grundsätzlich in Betracht kommt. Daran wird
sich die konkrete Untersuchung der Frage anschließen, wie die aus §§ 36 I 1 EnWG
(i.V.m. StromGVV), 38 EnWG resultierenden Ansprüche gegen den Grundversorger
nach dem insolvenzrechtlichen System zur Gläubigerbefriedigung grundsätzlich zu
qualifizieren bzw. zu befriedigen sind. Abschließend wird die Beantwortung der
Frage erfolgen, ob das durch die Regelungen der §§ 36, 38 EnWG bezweckte Ziel
der Gewährleistung der Versorgungssicherheit im eröffneten Insolvenzverfahren
erreichbar ist.
Dabei ist zu betonen, dass das Ziel der vorliegenden Untersuchung darin besteht,
die Frage der Erreichbarkeit von Versorgungssicherheit unter Beachtung der insolvenzrechtlichen Vorschriften im Grundsatz und aus rechtlicher Sicht zu beleuchten.
Dementsprechend bleiben bei der Frage nach der insolvenzrechtlichen Befriedigung
der aus §§ 36 EnWG (i.V.m. StromGVV), 38 EnWG folgenden Ansprüche diejenigen Normen der InsO, welche für den Sonderfall gelten, dass die Insolvenzmasse
nicht ausreicht, um alle Gläubiger entsprechend ihrer Einordnung in das insolvenzrechtliche System zu befriedigen, und durch welche aufgrund dieser tatsächlichen
Umstände die grundsätzlich vorgesehene Gläubigerbefriedigung abgeändert wird
(vgl. §§ 207 ff. InsO), außer Betracht. Die Frage nach der Erreichbarkeit von Versorgungssicherheit im Insolvenzverfahren aus rechtlicher Sicht wird also losgelöst
von der denkbaren Möglichkeit der Masseunzulänglichkeit im Einzelfall beantwortet.
2. Eingreifen des insolvenzrechtlichen Anspruchssystems zur Gläubigerbefriedigung
a) Erfordernis eines vermögenswerten Anspruchs
Das Insolvenzverfahren erfasst nur Vermögensansprüche. Der Grund für diese Beschränkung liegt darin, dass am Ende des Insolvenzverfahrens lediglich eine Haf-
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tungsquote steht, das Insolvenzverfahren seinem Wesen nach also nur Befriedigung
in Geld bieten kann.730 Dabei ist der Begriff des Vermögensanspruchs i.S.d. InsO
nicht nur dann erfüllt, wenn es sich um Ansprüche auf Geldleistungen handelt, sondern auch dann, wenn sich die Ansprüche ursprünglich zwar nicht auf die Zahlung
einer Geldsumme richteten, aber – auch außerhalb der Insolvenz – durch Zugriff auf
das Vermögen des Schuldners vollstreckt und zu diesem Zweck in Geld umgerechnet werden können.731 Typisches Beispiel dafür sind Ansprüche auf vertretbare
Handlungen, die gem. § 887 ZPO im Wege der Ersatzvornahme vollstreckt werden
können.732 Da das Vermögen des Schuldners in der Insolvenz nicht ausreicht, um
seine gesamten Verbindlichkeiten zu befriedigen, normiert die InsO zur Gewährleistung einer gerechten Verteilung des knappen Schuldnervermögens ein ausdifferenziertes System zur Befriedigung von Gläubigern, die gegen den Schuldner einen
vermögenswerten Anspruch haben.733 Dagegen sind nichtvermögensrechtliche Ansprüche, nämlich Ansprüche auf Leistungen, die im Wege der Einzelvollstreckung
nicht aus dem Vermögen des Schuldners erwirkt werden können, auch im Insolvenzverfahren nicht verfolgbar.734 Sie können daher unabhängig von dem insolvenzrechtlichen Anspruchssystem unbeschränkt geltend gemacht werden.735
b) Ansprüche aus §§ 36 (i.V.m. StromGVV), 38 EnWG als vermögenswerte Ansprüche
Fraglich ist, ob es sich bei den aus §§ 36 EnWG (i.V.m. StromGVV), 38 EnWG
resultierenden Kontrahierungs- und Belieferungsansprüchen um vermögenswerte
Ansprüche i.S.d. InsO handelt.
aa) Ansprüche
Das Eingreifen des insolvenzrechtlichen Systems zur Gläubigerbefriedigung hinsichtlich der Ansprüche aus §§ 36 EnWG (i.V.m. StromGVV), 38 EnWG setzt voraus, dass es sich bei diesen um Ansprüche handelt, denen ein Gläubiger gegenübersteht.
Teilweise wird in der Rechtsprechung736 sowie Literatur737 hinsichtlich der Frage
der insolvenzrechtlichen Behandlung von ordnungsrechtlichen Pflichten das Ein-
730 Jaeger-Henckel, InsO, § 38 Rn. 63; Ritgen, GewArch 1998, 393, 398.
731 Ritgen, GewArch 1998, 393, 398; Jaeger-Henckel, InsO, § 38 Rn. 63; Blum, Ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit, S. 100.
732 Ritgen, GewArch 1998, 393, 398.
733 Blum, Ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit, S. 100.
734 Jaeger-Henckel, InsO, § 38 Rn. 63, 69; Blum, Ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit, S. 101.
735 Blum, Ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit, S. 101.
736 OVG Greifswald, NJW 1998, 175, 177; OVG Lüneburg, NJW 1993, 1671.
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greifen des insolvenzrechtlichen Anspruchssystems mit der Begründung verneint,
dass es sich dabei nicht um Pflichten handele, denen Forderungen bzw. subjektive
Ansprüche eines Gläubigers gegenüberstehen. Dafür wird argumentiert, dass die
Verpflichtung zur Beseitigung eines ordnungswidrigen Zustands bereits kraft Gesetzes entstehe, wobei diese nicht gegenüber einem bestimmten Gläubiger bestehe.738
Dies wird damit begründet, dass einer ordnungsrechtlichen Pflicht keine öffentlichrechtlichen Forderungen i.S.v. subjektiven Ansprüchen der Ordnungsbehörde gegen
den Pflichtigen gegenüberstünden. Vielmehr handele es sich bei der ordnungsrechtlichen Pflicht um eine objektive Pflicht, wobei die von der Behörde bei Nichterfüllung dieser Verpflichtung ergehende Ordnungsverfügung nicht der Begründung,
sondern der Durchsetzung dieser Verpflichtung diene.739 Dabei könne der Staat mit
seinem „Anspruch“ auf objektiv pflichtgemäßes Verhalten kein Gläubiger sein.740
Aufgrund der Unterscheidung zwischen einer objektiven Pflicht und einer gegen-
über einem bestimmten Gläubiger bestehenden Verpflichtung wird schließlich gefolgert, dass die InsO keine Regelungen in Bezug auf die Behandlung der ordnungsrechtlichen Pflichten in der Insolvenz treffe, so dass diese außerhalb des insolvenzrechtlichen Anspruchssystems zu befriedigen seien.741 Gegen diese Argumentation
wird von der ganz überwiegenden Meinung geltend gemacht, dass auch der Staat
(bzw. die Behörde) in Verfolgung einer Rechtsposition tätig wird, wenn er die in
Gesetzen begründeten und ggf. durch Verwaltungsakt konkretisierten Verhaltenspflichten der Bürger mit der ihm verliehenen Rechtsmacht durchsetzt, so dass es
sich hierbei rechtstechnisch um einen Anspruch handelt, auf welchen die insolvenzrechtlichen Bestimmungen anzuwenden sind.742
Eines näheren Eingehens auf diese Rechtsfrage bedarf es hinsichtlich der in dieser
Untersuchung interessierenden Ansprüchen aus §§ 36 EnWG (i.V.m. StromGVV),
38 EnWG jedoch nicht. Denn der aus einem Grundversorgungsvertrag bzw. aus
einem Ersatzversorgungsverhältnis resultierenden Belieferungsverpflichtung des
Grundversorgers bzw. dessen Verpflichtung zum Abschluss eines Grundversorgungsvertrages stehen stets Gläubiger gegenüber, die einen diesen Verpflichtungen
korrespondierenden Anspruch gegen den Grundversorger haben.
Das Vorliegen eines Anspruchs i.S.d. InsO ist für die hier zu untersuchenden Ansprüche daher zu bejahen.
737 Schmidt, NJW 1993, 2833, 2835; ders., ZIP 1997, 1441, 1444; Schulz, NVwZ 1997, 530,
531.
738 OVG Lüneburg, NJW 1993, 1671; zustimmend: Schmidt, NJW 1993, 2833, 2835.
739 OVG Lüneburg, NJW 1993, 1671; Schmidt, NJW 1993, 2833, 2835; ders., ZIP 1997, 1441,
1444.
740 Schmidt, ZIP 1997, 1441, 1444; Schulz, NVwZ 1997, 530, 531.
741 OVG Greifswald, NJW 1998, 175, 177; Schmidt, ZIP 1997, 1441, 1444.
742 Ritgen, GewArch 1998,393, 398; Petersen, NJW 1992, 1202, 1206; Pape, KTS 1993, 551,
577 f.; Weitemeyer, NVwZ 1997, 533, 536; v. Wilmowsky, ZIP 1997, 1445, 1446.
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bb) Vermögenswert
Bei den aus §§ 36 EnWG (i.V.m. StromGVV), 38 EnWG resultierenden Ansprüchen müsste es sich zudem um Ansprüche handeln, die einen Vermögenswert haben.
Das Vorliegen von vermögenswerten Ansprüchen ist immer zu bejahen, wenn es
sich um Ansprüche auf vertretbare Handlungen i.S.d. § 887 ZPO handelt.743 Dies
wiederum sind Ansprüche auf Handlungen, die von einem Dritten an Stelle des
Schuldners selbstständig und ohne dessen Mitwirkung vorgenommen werden können.744
Bei den aus Grundversorgungsverträgen bzw. Ersatzversorgungsverhältnissen resultierenden Belieferungsansprüchen handelt es sich um Handlungen, die von einem
Dritten an Stelle des Grundversorgers selbstständig und ohne dessen Mitwirkung
vorgenommen werden können, so dass es sich dabei um Ansprüche i.S.d. § 887 ZPO
und damit um vermögenswerte Ansprüche handelt. Dasselbe gilt auch hinsichtlich
der Kontrahierungsansprüche aus § 36 I 1 EnWG. Dabei geht es nicht etwa um eine
unvertretbare Handlung i.S.d. § 888 ZPO, die in der Insolvenz des Schuldners nicht
zu berücksichtigen wäre, sondern um eine Leistung, die i.S.d. § 887 ZPO von einem
Dritten an Stelle des Schuldners selbstständig und ohne dessen Mitwirkung vorgenommen werden kann. Dabei liegt der Vermögenswert eines einseitigen gesetzlichen Rechts auf den Abschluss eines Grundversorgungsvertrages zum jeweils aktuellen Allgemeinen Preis i.S.d. § 36 I 1 EnWG in dem erstrebten Leistungsaustausch.745
c) Ergebnis
Somit handelt es sich bei den hier zu untersuchenden Ansprüchen aus §§ 36 (i.V.m.
StromGVV) 38 EnWG um vermögenswerte Ansprüche. Dementsprechend greift das
insolvenzrechtliche Anspruchssystem zur Gläubigerbefriedigung ein, so dass die
Befriedigung dieser Ansprüche von der jeweiligen Einordnung in dieses System
abhängt.
743 Ritgen, GewArch 1998, 393, 398; Jaeger-Henckel, InsO, § 38 Rn. 65 f.; Smid-Smid, InsO, §
38 Rn. 15; MüKo-Ehricke, InsO, § 38 Rn. 14.
744 Zöller-Stöber, ZPO, § 887 Rn. 2.
745 Vgl. BGHZ 150, 319, 309 f. in Bezug auf einen Anspruch aus § 82 SachenRBerG.
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3. Darstellung des insolvenzrechtlichen Anspruchssystems zur Gläubigerbefriedigung
Die Art der Befriedigung der Gläubiger vermögenswerter Ansprüche hängt davon
ab, ob es sich bei ihnen um aussonderungsberechtigte Gläubiger (§§ 47 f. InsO),
absonderungsberechtigte Gläubiger (§§ 50 ff. InsO), Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO)
oder Massegläubiger (§§ 53 ff. InsO) handelt.
a) Aussonderungsberechtigte Gläubiger
Aussonderungsberechtigt sind gem. § 47 S.1 InsO alle Personen, die auf Grund
eines dinglichen oder persönlichen Rechts geltend machen können, dass ein Gegenstand nicht zur Insolvenzmasse gehört. Durch das Aussonderungsrecht sollen Gegenstände, die nicht dem Insolvenzschuldner gehören, aus der Masse herausgenommen werden können.746 Die aussonderungsberechtigten Gläubiger können ihre Ansprüche gem. § 47 S. 2 InsO unbeschränkt durch die Insolvenzordnung geltend
machen. Sie sind durch die Insolvenz des Schuldners daher nicht nachteilig betroffen.747
b) Absonderungsberechtigte Gläubiger
Absonderungsberechtigte Gläubiger sind solche, denen an einem Gegenstand der
Insolvenzmasse ein insolvenzfestes Recht i.S.d. §§ 49 ff. InsO zusteht (z.B. Pfandrecht oder Sicherungseigentum). Absonderungsrechte sind insolvenzfeste Vorzugsrechte an haftungsrechtlich der Insolvenzmasse zugeordneten Gegenständen.748 Die
Absonderungsberechtigten werden durch den Erlös, der durch die Verwertung des
Gegenstands, an dem ein Absonderungsrecht besteht, erzielt wird, mit Vorrang befriedigt.749
c) Insolvenzgläubiger
Hinsichtlich des Begriffes der Insolvenzgläubiger sowie der Grundsätze und Regelungen zur Ausgestaltung der insolvenzrechtlichen Befriedigung ihrer Forderungen
wird auf die oben bereits erfolgten Ausführungen verwiesen.750
746 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 11. 01.
747 Blum, Ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit, S. 101.
748 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 18.03.
749 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 18. 01, 18.03.
750 Vgl. S. 166.
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d) Massegläubiger
Massegläubiger sind gem. § 53 InsO Gläubiger der Kosten des Insolvenzverfahrens
(vgl. § 54 InsO) und der sonstigen Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 InsO. Die
Ansprüche der Massegläubiger werden entsprechend ihrem tatsächlichen Gehalt,
also ohne die Umrechnung in Geld, sowie vorrangig vor den Ansprüchen der Insolvenzgläubiger aus der Masse befriedigt, wobei grundsätzlich eine volle Befriedigung
erfolgt.751 Im Gegensatz zu Insolvenzgläubigern können Massegläubiger ihre Ansprüche grundsätzlich auch nach der Verfahrenseröffnung gerichtlich geltend machen und in die Insolvenzmasse vollstrecken.752
Für den Fall, dass nicht genügend Masse vorhanden ist, um die Massegläubiger
zu befriedigen, gelten die Regelungen der §§ 207 ff. InsO. Diese sind für die hier zu
untersuchende Frage der grundsätzlichen (und nicht einzelfallbezogenen) Erreichbarkeit des durch die Normen der §§ 36, 38 EnWG verfolgten Ziels der Versorgungssicherheit im Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Grundversorgers,
wie bereits ausgeführt753, nicht zu beachten. Lediglich der Vollständigkeit halber sei
deshalb darauf hingewiesen, dass in dem Fall, in dem die Masse nicht einmal ausreicht, um Massekosten i.S.d. § 54 InsO, also die Gerichtskosten sowie Ansprüche
des (vorläufigen) Insolvenzverwalters sowie der Mitglieder des Gläubigerausschusses (§ 54 InsO) zu befriedigen, das Verfahren gem. § 207 I InsO einzustellen ist.754
Reicht die Masse zwar für die Massekosten i.S.d § 54 InsO, nicht aber für die sonstigen Masseverbindlichkeiten, so wird das Verfahren vorerst nicht eingestellt. In
dieser Phase geht es um eine möglichst gleichmäßige Befriedigung der Massegläubiger.755 Erst nachdem eine Masseverteilung nach Maßgabe des § 209 InsO stattgefunden hat, findet eine Verfahrenseinstellung statt (vgl. § 211 I InsO).
aa) Grundsatz
In der Regel sind Massegläubiger diejenigen Gläubiger, deren Ansprüche erst nach
der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wurden.756 So sind Masseverbindlichkeiten gem. § 55 I Nr. 1 InsO Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des
Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und
Verteilung der Masse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Insoweit ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Begründung der Forde-
751 Vgl. Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, Rn. 275; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 14.01.
752 Ausnahmen bilden lediglich das Vollstreckungsverbot gem. § 90 InsO für die Dauer von
sechs Monaten nach Insolvenzeröffnung hinsichtlich bestimmter Masseverbindlichkeiten sowie das Vollstreckungsverbot gem. § 210 InsO für Altmasseverbindlichkeiten nach Anzeige
der Masseunzulänglichkeit.
753 Vgl. S. 169.
754 Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, Rn. 276.
755 Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, Rn. 277.
756 FK-Schumacher, InsO, § 38 Rn. 12.
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rung relevant, um die Abgrenzung von Insolvenz- und Masseforderungen vornehmen zu können.757
bb) Ausnahmen
Allerdings gibt es Sonderfälle, in denen die Ansprüche zwar vor der Insolvenzeröffnung begründet wurden, aber keine Insolvenz-, sondern Masseforderungen darstellen.758 Diese Sonderfälle ergeben sich insbesondere aus der Vorschrift des § 55 InsO. 759
(1) § 55 I Nr. 2 InsO
§ 55 I Nr. 2 InsO regelt, dass es sich bei Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen um Masseverbindlichkeiten handelt, soweit deren Erfüllung zur Insolvenzmasse verlangt wird oder für die Zeit nach der Eröffnung des Verfahrens erfolgen
muss. Durch § 55 I Nr. 2 InsO werden also Insolvenzforderungen zu Masseforderungen heraufgestuft. Dadurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass es bei
der Einordnung der Ansprüche aus gegenseitigen, nicht vollständig erfüllten Verträgen als Insolvenzforderungen nur bleiben kann, wenn die in die Masse fallenden
Gegenforderungen nicht erfüllt werden sollen.760
Die Regelung des § 55 I Nr. 2 InsO erfasst zwei zu unterscheidende Fallgruppen.
§ 55 I Nr. 2, 1. Alt. InsO regelt den Fall, dass der Insolvenzverwalter gem. § 103
InsO die Erfüllung des Vertrages verlangt.761 Entscheidet sich der Insolvenzverwalter für die Erfüllung des Vertrages, wird der Vertragspartner ab dem Zeitpunkt der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens an – entsprechend dem Grundsatz des funktionellen Synallagmas762 – für die ihm vertraglich zustehenden Leistungen Massegläubiger nach § 55 I Nr. 2 InsO.763 Die Rechtsfolge der §§ 55 I Nr. 2, 1. Alt i.V.m. 103
I InsO wird durch die Regelung des § 105 S. 1 InsO konsequent ergänzt.764 Danach
kann der Vertragspartner des Schuldners die Gegenleistung für die von ihm vor der
Insolvenzeröffnung teilweise erbrachten Leistungen auch bei einem Erfüllungsver-
757 MüKo-Ehricke, InsO, § 38 Rn. 16.
758 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 16.11; Jaeger-Henckel, InsO, § 38 Rn. 82.
759 Neben § 55 InsO ist auf § 123 InsO hinzuweisen, nach welchem Ansprüche aus Sozialplänen,
die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgestellt werden, als Masseverbindlichkeiten
zu befriedigen sind, obwohl es sich um Ansprüche handelt, die aus vor der Insolvenzeröffnung begründeten Rechtsverhältnissen resultieren (vgl. Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn.
14.21). Diese Ansprüche sind für die vorliegende Untersuchung allerdings irrelevant.
760 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 20.02.
761 MüKo-Hefermehl, InsO, § 55 Rn. 104; Jaeger-Henckel, InsO, § 55 Rn. 45.
762 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 20.09.
763 FK-Wegener, InsO, § 105 Rn. 15; Jaeger-Henckel, InsO, § 55 Rn. 45.
764 MüKo-Kreft, InsO, § 105 Rn. 1; § 103 Rn. 99.
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langen des Insolvenzverwalters nur als Insolvenzgläubiger geltend machen, so dass
es sich bei dem Anspruch auf die Gegenleistung insoweit – ohne Rücksicht auf ein
Erfüllungsverlangen – stets um eine Insolvenzforderung und nie um eine Masseverbindlichkeit handelt.765
Bei der zweiten Fallgruppe, die der Norm des § 55 I Nr. 2 InsO unterfällt, handelt
es sich um Verträge, die nach der Insolvenzeröffnung erfüllt werden müssen (§ 55 I
Nr. 2, 2. Alt. InsO). Hierbei handelt es sich grundsätzlich um Dauerschuldverhältnisse des § 108 InsO, für welche das Gesetz ein Fortbestehen mit Wirkung für die
Insolvenzmasse nach der Insolvenzeröffnung anordnet.766
Die Gläubiger der Ansprüche, bei denen die Regelung des § 55 I Nr. 2 InsO eingreift, erfüllen zwar ex definitionem die Voraussetzungen des § 38 InsO, fallen
jedoch nach dem Spezialitätsgrundsatz jedoch nicht unter diese Norm und genießen
somit Sonderrechte.767
(2) § 55 II InsO
§ 55 II 1 InsO bestimmt, dass Verbindlichkeiten, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind, auf den die Verfügungsbefugnis über das
Vermögen des Schuldners übergegangen ist, nach der Eröffnung des Verfahrens als
Masseverbindlichkeiten gelten. Als Masseverbindlichkeiten gelten gem. § 55 II 2
InsO außerdem Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der
vorläufige Insolvenzverwalter für das von ihm verwaltete Vermögen die Gegenleistung in Anspruch genommen hat.
Ein vorläufiger Insolvenzverwalter kann im Vorverfahren gem. § 21 II Nr. 1 InsO
als Sicherungsmaßnahme vom Insolvenzgericht angeordnet werden, um bis zur
Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine gegenüber den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten
(vgl. § 21 I 1 InsO). Grundsätzlich wird zwischen einem starken und schwachen
vorläufigen Insolvenzverwalter unterschieden. Als starker Insolvenzverwalter wird
derjenige Insolvenzverwalter bezeichnet, auf welchen die vollständige Verwaltungsund Verfügungsbefugnis über das – der Vollstreckung unterworfene (arg. § 35 InsO)
– Vermögen des Schuldners übergegangen ist.768 Dies setzt stets voraus, dass dem
Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot gem. § 21 II Nr. 2 InsO auferlegt wurde (vgl. § 22 I 1 InsO).769 Eine schwache Insolvenzverwaltung liegt hingegen dann
vor, wenn das Insolvenzgericht von dem Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbo-
765 MüKo-Kreft, InsO, § 105 Rn. 1; Smid-Smid, InsO, § 105 Rn. 1; FK-Wegener, InsO, § 105
Rn. 14.
766 Jaeger-Henckel, InsO, § 55 Rn. 48; MüKo-Hefermehl, InsO, § 55 Rn. 105; Uhlenbruck-
Berscheid, InsO, § 55 Rn. 53.
767 Vgl. HK-Eickmann, InsO, § 38 Rn. 2.
768 Jaeger-Henckel, InsO, § 55 Rn. 88; MüKo-Hefermehl, InsO, § 55 Rn. 207.
769 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7. 42 f.; Jaeger-Henckel, InsO, § 55 Rn. 88.
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tes abgesehen und weniger weitreichende Maßnahmen angeordnet hat, wie zum
Beispiel einen allgemeinen Zustimmungsvorbehalt des vorläufigen Verwalters für
Verfügungen des Schuldners (vgl. § 21 II Nr. 2 InsO).770
Die Regelung des § 55 II InsO dient dem Zweck, dem starken vorläufigen Insolvenzverwalter die Aufgabe der Weiterführung des insolventen Unternehmens im
Eröffnungsverfahren praktisch zu ermöglichen bzw. zu erleichtern.771 Denn durch
die in § 55 II InsO angeordnete Geltung der vom vorläufigen Insolvenzverwalter
begründeten Verbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten erfahren die Personen,
die Geschäfte mit einem starken vorläufigen Insolvenzverwalter abschließen oder
diesem gegenüber Verbindlichkeiten erfüllen, die aus Vertragsverhältnissen herrühren, die sie mit dem Schuldner vereinbart hatten, einen Schutz.772 Dabei basiert die
Einbeziehung der von einem starken Insolvenzverwalter begründeten bzw. in Anspruch genommenen Gegenleistungen in den Kreis der Masseverbindlichkeiten auf
der weitgehenden Gleichstellung der Rechtsstellung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis mit der des endgültigen Insolvenzverwalters.773 Aus diesem Grund gilt die Regelung des § 55 II InsO nur für die
Begründung bzw. Inanspruchnahme der Gegenleistung von Verbindlichkeiten durch
einen starken vorläufigen Insolvenzverwalter.774 Eine analoge Anwendung des § 55
II InsO auf die Fälle der Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts des
schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters (§§ 22 II 1 i.V.m. 21 II Nr. 2, 2. Alt)
oder bei dessen Ermächtigung, für den Schuldner zu handeln, scheidet nach der
nunmehr herrschenden Meinung mangels Vorliegens einer Regelungslücke sowie
nach dem Gesetzeszweck des § 55 II InsO aus.775 Etwas anderes gilt nur dann, wenn
der schwache vorläufige Insolvenzverwalter durch einen Gerichtsbeschluss ausdrücklich ermächtigt wurde, einzelne, im Voraus genau festgelegte Verpflichtungen
zu Lasten der späteren Insolvenzmasse zu begründen.776
770 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7. 42; MüKo-Hefermehl, InsO, § 55 Rn. 207.
771 MüKo-Hefermahl, InsO, § 55 Rn. 208; HK-Eickmann, InsO, § 55 Rn. 26; Uhlenbruck-
Berscheid, InsO, § 55 Rn. 80.
772 Jaeger-Henckel, InsO, § 55 Rn. 84; Smid-Smid, InsO, § 55 Rn. 41.
773 N/R-Andres, InsO, § 55 Rn. 128; Uhlenbruck-Berscheid, InsO, § 55 Rn. 80.
774 Uhlenbruck-Berscheid, InsO, § 55 Rn. 80; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7. 46; N/R-
Andres, InsO, § 55 Rn. 129.
775 BGH, NJW 2002, 3326; BAG ZIP 2003, 311; FG Saarland, ZInsO 2003, 333; OLG Köln,
NZI 2001, 554; Uhlenbruck-Berscheid, InsO, § 55 Rn. 81; Jaeger-Henckel, InsO, § 55 Rn.
88; MüKo-Hefermehl, InsO, § 55 Rn. 210; HK-Eickmann, InsO, § 55 Rn. 27; a.A.: AG Neumünster, DZWiR 2002, 305; Bork, ZIP 1999, 781, 785 f.
776 BGH, NJW 2002, 3326; Jaeger-Henckel, InsO, § 55 Rn. 88; MüKo-Hefermehl, InsO, § 55
Rn. 210; HK-Eickmann, InsO, § 55 Rn. 27; N/R-Mönning, InsO, § 22 Rn. 225; HK-Kirchhof,
InsO, § 22 Rn. 52; a.A.: K/P-Pape, InsO, § 55 Rn. 72 ff.; Berscheid, NZI 2000, 1, 7; Bähr,
ZIP 1998, 1153, 1159; Peters-Lange, ZIP 1999, 421, 422.
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4. In Betracht kommende Einordnung der Gläubiger der aus §§ 36 EnWG (i.V.m.
StromGVV), 38 EnWG ins insolvenzrechtliche Anspruchssystem
Bei den aus Grundversorgungsverträgen bzw. Ersatzversorgungsverhältnissen folgenden Belieferungsansprüchen bzw. Kontrahierungsansprüchen aus § 36 I 1 EnWG
geht es jedenfalls nicht um die Aussonderung eines Gegenstandes aus der Insolvenzmasse. Vielmehr geht es den Gläubigern eines Belieferungs- bzw. Kontrahierungsanspruchs um die Befriedigung eines persönlichen Anspruchs, so dass deren
Einordnung als aussonderungsberechtigte Gläubiger ausscheidet.
Ferner wird zwischen dem Grundversorger und seinen Kunden in der Regel keine
Vereinbarung getroffen, wonach den Kunden zur Sicherung ihrer Belieferungs- bzw.
Kontrahierungsansprüche ein Pfandrecht, Sicherungseigentum oder andere zur Absonderung berechtigenden Rechte an Sachen des Grundversorgers zugestanden werden, so dass auch die Stellung der Kunden als absonderungsberechtigte Gläubiger zu
verneinen ist.
Allerdings kommt eine Einordnung der Gläubiger der aus §§ 36 EnWG (i.V.m.
StromGVV), 38 EnWG resultierenden Ansprüche als Insolvenzgläubiger i.S.d. § 38
InsO777 oder Massegläubiger i.S.d. § 55 InsO in Betracht. Wie bereits erörtert778,
entscheidet sich die Einordnung als Insolvenzforderung oder Masseforderung grundsätzlich danach, ob der jeweilige Anspruch vor oder nach der Insolvenzeröffnung
„begründet“ wurde. Dabei ist grundsätzlich denkbar, dass die aus §§ 36 EnWG
(i.V.m. StromGVV), 38 EnWG resultierenden Ansprüche immer wieder neu begründet werden. So wird zum Beispiel teilweise hinsichtlich des sich aus der ordnungsrechtlichen Zustandsverantwortlichkeit ergebenden behördlichen Anspruchs
auf Gefahrenbeseitigung vertreten, dass es sich dabei um einen gleitenden Anspruch
handele, der ständig neu entstehe, so dass dieser bei Fortbestand der Gefahrensituation immer neu begründet werde.779 Für den Fall, dass Ansprüche aus §§ 36 EnWG
(i.V.m. StromGVV), 38 EnWG immer wieder, also auch nach der Insolvenzeröffnung, neu begründet würden, käme nur eine Einordnung dieser Ansprüche als Masseforderungen in Betracht. Zu fragen ist daher, wann die aus §§ 36 i.V.m.
StromGVV und aus § 38 EnWG folgenden Belieferungsansprüche sowie die Ansprüche auf den Vertragsschluss gem. § 36 I EnWG i.S.d. InsO als „begründet“
anzusehen sind.
777 Eine Einordnung als nachrangige Insolvenzgläubiger gem. § 39 InsO scheidet bei den hier zu
untersuchenden Ansprüchen aus.
778 Vgl. S. 174.
779 Blum, Ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit in der Insolvenz, S. 167 ff., 170.
179
a) Begründetheit der aus §§ 36 EnWG (i.V.m. StromGVV) und § 38 EnWG folgenden Ansprüche
aa) Grundsatz
Eine Anspruchsbegründung i.S.d. § 38 InsO liegt, wie bereits erörtert780, nicht erst
mit der Entstehung des Anspruchs vor, sondern bereits dann, wenn der anspruchsbegründende Tatbestand vor der Verfahrenseröffnung materiell-rechtlich abgeschlossen war. 781 Notwendig und ausreichend ist daher, dass der „Schuldrechtsorganismus“ bzw. die Grundlage des Schuldrechtsverhältnisses, aus dem der Anspruch
folgt, vor der Insolvenzeröffnung bestanden hat.782 Auch aus den Materialien zur
Konkursordnung783 ergibt sich, dass die Begründetheit einer Forderung nicht deren
Entstehung erfordert, sondern bereits dann zu bejahen ist, wenn ihr Entstehen nicht
mehr von einer Handlung des Schuldners abhängt.784
bb) Begründetheit der Belieferungsansprüche aus Grundversorgungsverträgen
Fraglich ist, ob die aus den Grundversorgungsverträgen resultierenden Belieferungsansprüche bereits durch den Abschluss eines Grundversorgungsvertrages oder vielmehr bei jeder Stromentnahme neu „begründet“ werden.
Nach der früher vertretenen, vom Reichsgericht begründeten Lehre vom Wiederkehrschuldverhältnis wurde der zwischen einem Tarifkunden und dem EVU abgeschlossene Stromlieferungsvertrag wegen seiner Unbestimmtheit als ein bloßer
Rahmenvertrag angesehen, der vorweg die Rahmenbedingungen für die nachfolgenden, auf seiner Grundlage jeweils neu zustande kommenden, konkreten Verträge
regele.785 Diese konkreten Stromlieferungsverträge wurden nach der Lehre vom
Wiederkehrschuldverhältnis aufgrund einer, sei es auch nur stillschweigenden Wiederholung des Vertragsschlusses jeweils zum Zeitpunkt der Energieabnahme neu
begründet. 786
Allerdings spricht gegen die Lehre vom Wiederkehrschuldverhältnis, dass sie
weder dem Parteiwillen noch dem sachlichen Gehalt des Energielieferungsvertrags
gerecht wird.787 Denn der Wille der Parteien ist sowohl seitens des Kunden als auch
seitens des EVU auf eine dauerhafte und nicht auf eine zwischenzeitlich unterbro-
780 Vgl. S. 98.
781 Jaeger-Henckel, InsO, § 38 Rn. 82.
782 MüKo-Ehricke, InsO, § 38 Rn. 16; HK-Eickmann, InsO, § 38 Rn. 16.
783 Hahn, Die gesammelten Materialien, S. 53.
784 Blum, S. 165.
785 Reinholz, RdE 1999, 64, 72.
786 RGZ 148, 326, 333; Jaeger-Lent, KO (8. Aufl.), § 17 Rn. 186; für Tarifverträge offen gelassen durch BGH, BB 1952, 868; BGHZ 83, 359, 362.
787 Büdenbender, Energierecht, Rn. 846.
180
chene Versorgungsbeziehung ausgerichtet. Außerdem ist die Pflicht des EVU, sich
jederzeit für die Belieferung bereitzuhalten, notwendigerweise ununterbrochen gegeben. Dementsprechend werden wesentliche Preisbestandteile, nämlich der
verbrauchsunabhängige Bereitstellungs- und Leistungspreis gerade für diese Dauerpflicht entrichtet.788 Insofern liegt es näher, bei einem Grundversorgungsvertrag von
einem einheitlichen Dauerschuldverhältnis auszugehen. Dauerschuldverhältnisse
zeichnen sich gerade dadurch aus, dass aus ihnen während ihrer Laufzeit ständig
neue Hauptleistungs-, Nebenleistungs- und Schutzpflichten entstehen und setzen
voraus, dass ein dauerndes Verhalten oder wiederkehrende Leistungen geschuldet
werden, wobei der Gesamtumfang der Leistungen von der Dauer der Rechtsbeziehung abhängt.789 Ferner ist eine der Lehre vom Wiederkehrschuldverhältnis entsprechende, über den Grundversorgungsvertrag hinausgehende zusätzliche Vereinbarung
über die Abgabe von Energie gerade nicht erforderlich.790 Außerdem ist zu beachten,
dass die gekünstelt erscheinende Konstruktion des Wiederkehrschuldverhältnisses
zur Bewältigung konkursrechtlicher Probleme entwickelt wurde.791 Wollte der Konkursverwalter unter Geltung der KO einen Vertrag, der teilbare Leistungen zum
Gegenstand hatte, fortsetzen, musste er mit der Vertragserfüllung gem. § 17 KO
(entspricht dem § 103 InsO) nämlich auch die vor Verfahrenseröffnung entstandenen Verbindlichkeiten aus der Masse erfüllen.792 Aufgrund der Annahme eines jeweils neu zustande kommenden Vertrages führte die Lehre des Wiederkehrschuldverhältnisses jedoch dazu, dass im Fall der Insolvenzeröffnung über das Vermögen
eines Kunden die Forderungen des EVU gegen diesen für die Vergangenheit ohne
weiteres Konkursforderungen wurden.793 Durch die Lehre vom Wiederkehrschuldverhältnis wurde nämlich die Anwendung des § 17 KO auf Energielieferungsverträge ausgeschaltet, da gerade kein einheitlicher Vertrag vorlag, der beiderseits nicht
vollständig erfüllt wurde, so dass eine Weiterbelieferung des insolventen Kunden
erfolgen musste, ohne dass dessen Zahlungsrückstände für die Vergangenheit aus
Massemitteln beglichen werden mussten.794 Nach der Einführung des § 105 InsO im
Zuge der Insolvenzrechtsreform ist dieses gekünstelte Konstrukt jedoch nicht mehr
nötig. Nach § 105 I InsO ist nämlich derjenige, der eine Teilleistung zur Zeit der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits erbracht hat, mit dem der Teilleistung
entsprechenden Anspruch auf die Gegenleistung auch dann Insolvenzgläubiger,
wenn der Insolvenzverwalter wegen der noch ausstehenden Leistung Erfüllung verlangt. Dementsprechend hat sich nach Einführung des § 105 InsO die Unterscheidung zwischen Wiederkehrschuldverhältnissen und Dauerschuldverhältnissen –
entsprechend dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers795 – erübrigt.796
788 Büdenbender, Energierecht, Rn. 846.
789 Palandt-Grüneberg, BGB, § 314 Rn. 2; Uhlenbruck-Berscheid, InsO, § 55 Rn. 83.
790 Vgl. Reinholz, RdE 1999, 64, 73.
791 Büdenbender, Energierecht, Rn. 846.
792 FK-Wegener, InsO, § 105 Rn. 1.
793 Büdenbender, Energierecht, S. 352 (Fn. 19).
794 Büdenbender, Energierecht, S. 352 (Fn. 19); Reinholz, RdE 1999, 64, 72.
795 BT-Drs. 12/2443, Begründung zu § 119 InsO-E, S. 146.
181
Aufgrund der oben aufgeführten Argumente ist die Lehre vom Wiederkehrschuldverhältnis heute als überholt zu betrachten.797 Dementsprechend handelt es
sich bei den Energielieferungsverträgen mit Grundversorgungskunden nach der
heute herrschenden Meinung – entsprechend der bereits früher allgemeinen Meinung hinsichtlich der Einordnung der Stromlieferungsverträge mit Sonderkunden798
– um einheitliche Dauerschuldverhältnisse.799
Somit werden die aus einem Grundversorgungsvertrag resultierenden Belieferungsansprüche bereits mit dem Abschluss dieses Vertrags „begründet“.
cc) Begründetheit der Belieferungsansprüche aus Ersatzversorgungsverhältnissen
Fraglich ist, wann die Belieferungsansprüche aus einem Ersatzversorgungsverhältnis
„begründet“ werden. Festzustellen ist zunächst, dass die aus § 38 EnWG resultierenden Belieferungsansprüche – ebenso wenig wie die aus Grundversorgungsverträgen folgenden Belieferungsansprüche – nicht bei jeder Energieentnahme durch den
Kunden aufs Neue begründet werden. Denn aus der Tatsache, dass das den Rechtsgrund des Belieferungsanspruchs aus § 38 EnWG bildende Ersatzversorgungsverhältnis spätestens drei Monate nach Beginn der Ersatzenergieversorgung endet
(gem. § 38 II 1 EnWG), ergibt sich, dass es sich dabei um ein einheitliches Dauerschuldverhältnis handelt. Die Belieferungsansprüche aus § 38 EnWG werden also
mit dem Beginn der Ersatzversorgung „begründet“. Dabei gilt, dass das Ersatzversorgungsverhältnis mit der ersten vertragslosen Energieentnahme durch den Kunden
aus dem Niederspannungsnetz der allgemeinen Versorgung entsteht. Dieser Zeitpunkt wird dem Kunden vom Grundversorger in der Regel in Textform mitgeteilt
(vgl. § 3 II 1 StromGVV).
dd) Begründetheit der Kontrahierungsansprüche
Fraglich ist, zu welchem Zeitpunkt die Ansprüche des Haushaltskunden auf den
Abschluss eines Grundversorgungsvertrages „begründet“ werden.
Zunächst ist festzustellen, dass in der Grundversorgungspflicht aus § 36 I 1
EnWG kein Vertragsangebot des Grundversorgers an jedermann i.S.e. „Angebots,
an wen es angeht“ zu sehen ist.800 Vielmehr setzt der Abschluss eines Grundversorgungsvertrages ein Angebot des Haushaltskunden voraus, wobei die Grundversorgungspflicht des § 36 I 1 EnWG dazu führt, dass der Grundversorger grundsätzlich
796 Smid-Smid, InsO, § 105 Rn. 7.
797 Büdenbender, Energierecht, Rn. 846.
798 BGH, EW 1961, Rechtsbeilage, S. 9, 10; RdE 1979, 8; RdE 1978, 88; RdE 1976, 19; RdE
1976, 23; BGH, RdE 1981, 173, 174; Bydlinski, Hämmerle-FS, S. 40.
799 Vgl. Büdenbender, Energierecht, Rn. 846; Reinholz, RdE 1999, 64, 72 (m.w.N.).
800 Vgl. Hempel, in: Energiewirtschaftsgesetz 1998, § 10 Rn. 4.2.
182
zur Annahme dieses Angebots verpflichtet ist.801 Insofern wird durch das Vertragsangebot des Kunden ein gesetzliches Schuldverhältnis ausgelöst802, welches – sofern
nicht ein Fall des § 36 I 2 EnWG vorliegt – die Verpflichtung des Kontrahierungspflichtigen zur Abgabe einer auf den Vertragsschluss zielenden Willenserklärung
beinhaltet.803 Daraus ergibt sich, dass der Rechtsgrund des Anspruchs auf den Abschluss eines Grundversorgungsvertrages in diesem gesetzlichen Schuldverhältnis
zu sehen ist, so dass die Begründung des Kontrahierungsanspruchs mit dem Zeitpunkt der Entstehung dieses gesetzlichen Schuldverhältnisses einhergeht. Dieser
Zeitpunkt hängt wiederum, wie gezeigt, mit dem Vertragsangebot des Haushaltskunden zusammen.
Dabei kann ein konkludentes Vertragsangebot bereits in der bloßen Stromentnahme liegen (vgl. § 2 I 1 StromGVV). In diesem Fall ist der Zeitpunkt der „Begründetheit“ des Anspruchs auf den Abschluss eines Vertrages eindeutig.
Problematischer wird die Feststellung des Zeitpunktes der „Begründetheit“ bei
zeitlichem Auseinanderfallen des Zugangs der Angebotserklärung des Kunden und
dem Zeitpunkt, ab welchem der Grundversorgungsvertrag abgeschlossen werden
soll, also dann, wenn der Kunde gegenüber dem Grundversorger ein Angebot auf
den Abschluss eines Grundversorgungsvertrags zu einem später liegenden Zeitpunkt
macht. Vorstellbar ist etwa der Fall, dass ein Haushaltskunde in Kenntnis der Tatsache, dass der zwischen ihm und einem Lieferanten bestehende Stromliefervertrag zu
einem bestimmten Zeitpunkt endet, dem Grundversorger im Voraus ein Angebot
zum Abschluss eines Grundversorgungsvertrages ab diesem späteren Zeitpunkt
macht.
Dabei kommen grundsätzlich sowohl der Zeitpunkt des Zugangs der Angebotserklärung des Kunden als auch der Zeitpunkt, ab welchem er den Abschluss eines
Grundversorgungsvertrages begehrt, als die für die „Begründetheit“ des Anspruchs
auf den Abschluss eines Grundversorgungsvertrages relevanten Anknüpfungspunkte
in Betracht. Da es für die Frage der „Begründetheit“ allerdings, wie gezeigt, lediglich auf den Zeitpunkt ankommt, zu welchem der anspruchsbegründende Tatbestand
materiell-rechtlich abgeschlossen ist804, ist der Kontrahierungsanspruch des Kunden
zu dem Zeitpunkt als „begründet“ anzusehen, zu welchem er diesen geltend gemacht
hat, indem sein Angebot hinsichtlich des Abschlusses eines Grundversorgungsvertrages dem Grundversorger zugegangen ist. Denn bereits zu diesem Zeitpunkt ist der
den Anspruch auf den Abschluss eines Grundversorgungsvertrages rechtlich begründende Tatbestand gegeben bzw. der Rechtsgrund für diesen Anspruch gelegt.
Die Frage, ob der Anspruch des Kunden auf den Vertragsabschluss entsteht, hängt in
diesem Fall nämlich nicht etwa von einer Handlung des Grundversorgers ab, son-
801 Vgl. Hempel, in: Energiewirtschaftsgesetz 1998, § 10 Rn. 4.2.
802 Vgl. BGH, NJW 1974, 1093, 1904; MüKo-Kramer, Vor § 145 Rn. 12.
803 MüKo-Kramer, Vor § 145 Rn. 12; de Wyl, in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, § 13 Rn. 14.
804 MüKo-Ehricke, InsO, § 38 Rn. 16; Jaeger-Henckel, InsO, § 38 Rn. 82; HK-Eickmann, InsO,
§ 38 Rn. 16.
183
dern ist bereits gesetzlich geregelt (vgl. § 36 I EnWG). Dem Anspruch des Kunden
auf den Abschluss eines Grundversorgungsvertrages steht – sofern nicht ein Fall des
§ 36 I 2 EnWG vorliegt – stets die Verpflichtung des Grundversorgers zur Erfüllung
dieses Anspruchs entgegen. Somit ist der Anspruch auf einen Vertragsschluss bereits zum Zeitpunkt des Zugangs der Angebotserklärung des Haushaltskunden begründet.
b) Ergebnis
Da die Ansprüche aus §§ 36 EnWG (i.V.m. StromGVV), 38 EnWG nicht immer
wieder neu begründet werden, kommt hinsichtlich dieser Ansprüche grundsätzlich
eine Einordnung als Masseforderungen und als Insolvenzforderungen in Betracht.
5. Konkrete Untersuchung der Auswirkungen der Insolvenzeröffnung auf die Befriedigung der aus §§ 36 EnWG (i.V.m. StromGVV), 38 EnWG resultierenden
Ansprüche – Bedeutung hinsichtlich der Frage der Versorgungssicherheit
a) Vorgehensweise
Bei der nachfolgenden Untersuchung der insolvenzrechtlichen Befriedigung der
einzelnen aus den §§ 36 EnWG (i.V.m. StromGVV), 38 EnWG resultierenden Ansprüche werden – entsprechend den gesetzlichen Vorgaben – diejenigen Ansprüche,
die nach der Insolvenzeröffnung begründet wurden und die vor der Insolvenzeröffnung begründeten Ansprüche getrennt behandelt. Sobald Klarheit über die insolvenzrechtliche Behandlung der einzelnen Ansprüche besteht, wird anschließend die
Frage zu klären sein, inwieweit die Versorgungssicherheit der Gläubiger dieser
Ansprüche gewährleistet bzw. beeinträchtigt ist.
b) Befriedigung der nach der Insolvenzeröffnung begründeten Ansprüche aus §§ 36
EnWG (i.V.m. StromGVV), 38 EnWG
Zu untersuchen ist die insolvenzrechtliche Befriedigung der aus §§ 36 EnWG i.V.m.
StromGVV und § 38 EnWG folgenden Belieferungsansprüche sowie der Kontrahierungsansprüche aus § 36 I EnWG, die nach der Insolvenzeröffnung begründet wurden.
184
aa) Befriedigung der Belieferungsansprüche aus den nach der Insolvenzeröffnung
begründeten Grundversorgungsverträgen
Da es hier um Ansprüche aus Grundversorgungsverträgen geht, die erst nach der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossen wurden, könnte es sich dabei um
sonstige Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 I Nr. 1 InsO handeln.
Nach § 55 I Nr. 1 InsO sind Masseverbindlichkeiten die Verbindlichkeiten, die
durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu
den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Zu den Ansprüchen, die gem. § 55
I Nr. 1, 1. Alt. InsO durch Handlungen des Insolvenzverwalters begründet werden,
gehören alle vom Insolvenzverwalter für die Masse selbst vorgenommenen Rechtsgeschäfte und Rechtshandlungen.805 Dabei betrifft die gesetzliche Regelung des § 55
I Nr. 1 InsO nur erstmals vom Insolvenzverwalter begründete Rechtsbeziehungen,
so genannte Neugeschäfte, und nicht dessen Handeln bei der Abwicklung alter, vom
Schuldner begründeter Verbindlichkeiten, sog. Altgeschäfte, die – soweit sie nicht
vollständig erfüllt sind – gegebenenfalls zu Masseverbindlichkeiten nach § 55 I Nr.
2 zählen können.806 Maßgeblich für die Einordnung als Neugeschäft ist also dessen
vollständige Begründung nach Verfahrenseröffnung.807 Unter die Regelung des § 55
I Nr. 1 InsO fallen insbesondere Ansprüche aus Verträgen aller Art, die der Insolvenzverwalter neu abgeschlossen hat.808
Bei den Belieferungspflichten, die aus den nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den Insolvenzverwalter abgeschlossenen Grundversorgungsverträgen
resultieren, handelt es sich daher um Verpflichtungen, die durch Handlungen des
Insolvenzverwalters begründet werden. Zwar erfolgt die Annahme des Angebots auf
den Abschluss des Grundversorgungsvertrages in manchen Fällen nur aufgrund des
Kontrahierungszwanges und nicht, weil der Insolvenzverwalter den Abschluss des
jeweiligen Vertrages für sinnvoll bzw. für vorteilhaft für die Masse erachtet, allerdings ist der Handlungsbegriff i.S.d. § 55 I Nr. 1, 1. Alt. InsO umfassender Art809
und erfordert nicht, dass die Handlungen des Insolvenzverwalters privatautonom
erfolgen.
Da es sich bei den nach der Verfahrenseröffnung abgeschlossenen Grundversorgungsverträgen um Neugeschäfte handelt, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters begründet wurden und nicht zu den Kosten des Insolvenzverfahrens i.S.d. §
54 InsO gehören, stellen die daraus resultierenden Verbindlichkeiten sonstige Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 I Nr. 1, 1. Alt. InsO dar.
805 Jaeger-Henckel, InsO, § 38 Rn. 8; Uhlenbruck-Berscheid, InsO, § 55 Rn. 7.
806 K/P-Pape, InsO, § 55 Rn. 25; Uhlenbruck-Berscheid, InsO, § 55 Rn. 8; Jaeger-Henckel, InsO,
§ 55 Rn. 7.
807 Uhlenbruck-Berscheid, InsO, § 55 Rn. 8.
808 HK-Eickmann, InsO, § 55 Rn. 3.
809 Uhlenbruck-Berscheid, InsO, § 55 Rn. 7.
185
Ergebnis
Die Einordnung der aus nach der Insolvenzeröffnung begründeten Grundversorgungsverträgen resultierenden Belieferungsansprüche als Masseverbindlichkeiten
bewirkt, dass eine tatsächliche Belieferung der jeweiligen Kunden zu erfolgen hat,
so dass das insolvenzrechtliche Anspruchssystem insoweit keine Versorgungsunsicherheit bewirkt.
bb) Befriedigung der Belieferungsansprüche aus den nach der Insolvenzeröffnung
begründeten Ersatzversorgungsverhältnissen
Im Unterschied zu den oben behandelten Belieferungsansprüchen aus Grundversorgungsverträgen handelt es sich bei den Belieferungsansprüchen aus § 38 EnWG um
Verbindlichkeiten, die nicht durch Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters, sondern kraft Gesetzes entstehen. Insofern könnte es sich dabei um Verbindlichkeiten
handeln, die nicht durch Handlungen des Insolvenzverwalters, sondern gem. § 55 I
Nr. 1, 2. Alt. InsO in anderer Weise durch die Verwaltung der Masse begründet
werden. Die durch die Verwaltung der Insolvenzmasse begründeten Verbindlichkeiten sind solche, die durch die Insolvenzverwaltung ausgelöst werden, ohne bereits
von § 54 InsO erfasst zu sein.810 Bei den aus nach der Insolvenzeröffnung begründeten Ersatzversorgungsverhältnissen resultierenden Belieferungsansprüchen handelt
es sich jedenfalls nicht um Masseansprüche i.S.d. § 54 InsO, der die Kosten des
Insolvenzverfahrens erfasst. Fraglich ist jedoch, ob es sich bei den aus § 38 I 1
EnWG entstehenden Belieferungspflichten um Masseverbindlichkeiten handelt, die
gem. § 55 I Nr. 1, 1. Alt. InsO durch Handlungen des Insolvenzverwalters begründet
werden oder um solche, die gem. § 55 I Nr. 1, 2. Alt. InsO in anderer Weise durch
die Verwaltung der Masse begründet werden.
Zu beachten ist, dass es häufig zu Überschneidungen zwischen den durch Handlungen des Insolvenzverwalters begründeten Verbindlichkeiten und den in sonstiger
Weise begründeten Verbindlichkeiten kommt, was für die Befriedigung der jeweiligen Ansprüche allerdings unschädlich ist.811 Dennoch ist aufgrund der Differenzierung in § 55 I Nr. 1 InsO eine Entscheidung zwischen den beiden Alternativen erforderlich. Angesichts der Tatsache, dass es zur Begründung der Verbindlichkeiten
aus Ersatzversorgungsverhältnisse keinerlei Rechtshandlungen bzw. sonstiger Handlungen des Insolvenzverwalters bedarf, liegt es dabei näher, diese allein durch das
Gesetz entstehenden Verbindlichkeiten als solche anzusehen, die in anderer Weise
durch die Verwaltung der Masse begründet werden und daher dem Tatbestand des §
55 I Nr. 1, 2. Alt. InsO unterfallen.
810 HK-Eickmann, InsO, § 55 Rn. 5; Jaeger-Henckel, InsO, § 55 Rn. 28.
811 Uhlenbruck-Berscheid, InsO, § 55 Rn. 27; HK-Eickmann, InsO, § 55 Rn. 5.
186
Demnach handelt es sich bei den nach der Insolvenzeröffnung begründeten Belieferungsansprüchen aus § 38 InsO um Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 I Nr. 1, 2.
Alt. InsO.
Ergebnis
Die Einordnung der aus nach der Insolvenzeröffnung begründeten Ersatzversorgungsverhältnissen resultierenden Belieferungsansprüche als Masseverbindlichkeiten bewirkt, dass eine tatsächliche Belieferung der jeweiligen Kunden zu erfolgen
hat, so dass das insolvenzrechtliche Anspruchssystem insoweit keine Versorgungsunsicherheit bewirkt.
cc) Befriedigung der nach der Insolvenzeröffnung begründeten Kontrahierungsansprüche
Fraglich ist, ob es sich bei den nach der Insolvenzeröffnung begründeten Kontrahierungsansprüchen um Verbindlichkeiten handelt, die die durch Handlungen des Insolvenzverwalters (§ 55 I Nr. 1, 1. Alt. InsO) oder durch Verwaltung der Masse (§
55 I Nr. 1, 2. Alt) begründet wurden. Dabei ist zu beachten, dass die jeweilige Verbindlichkeit zum Abschluss von Grundversorgungsverträgen nicht etwa durch Handlungen des Insolvenzverwalters, sondern durch den Zugang des Kontrahierungsanspruchs des Kunden kraft Gesetzes, nämlich kraft § 36 I 1 EnWG, begründet wird.
Dementsprechend handelt es sich bei den nach der Insolvenzeröffnung begründeten
Ansprüchen auf den Abschluss von Grundversorgungsverträgen um gesetzliche
Verbindlichkeiten, die i.S.d. § 55 I Nr. 1, 2. Alt. InsO durch Verwaltung der Masse
begründet werden.
Ergebnis
Die Einordnung der nach der Insolvenzeröffnung begründeten Kontrahierungsansprüche als Masseverbindlichkeiten bewirkt, dass der Grundversorger zum Abschluss von Grundversorgungsverträgen verpflichtet ist, aus welchen wiederum
Belieferungsansprüche der Kunden resultieren, die, wie gesehen, ebenfalls als Masseverbindlichkeiten zu befriedigen sind. Ein Konflikt zwischen der insolvenzrechtlichen Einordnung des nach der Insolvenzeröffnung begründeten Kontrahierungsanspruchs zu dem durch § 36 I 1 EnWG verfolgten Ziel der Versorgungssicherheit ist
insoweit zu verneinen.
187
c) Befriedigung der vor der Insolvenzeröffnung begründeten Ansprüche aus §§ 36
EnWG (i.V.m. StromGVV), 38 EnWG
Zu untersuchen ist nun die insolvenzrechtliche Befriedigung der aus §§ 36 EnWG
i.V.m. StromGVV und aus § 38 EnWG folgenden Belieferungsansprüche sowie der
Ansprüche auf den Vertragsschluss gem. § 36 I EnWG, die vor der Insolvenzeröffnung begründet wurden.
Dabei ist auf die Rechtsprechung des BVerwG812 hinsichtlich der Frage der insolvenzrechtlichen Befriedigung der vor der Insolvenzeröffnung begründeten und daher
grundsätzlich Altmasseverbindlichkeiten darstellenden ordnungsrechtlichen Pflichten hinzuweisen. Das BVerwG vertritt die Ansicht, dass diejenigen ordnungsrechtlichen Pflichten, die an den Betrieb einer Anlage bzw. an einen störenden Zustand
einer der Insolvenzmasse zugehörigen Sache anknüpfen, aufgrund des Übergangs
der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter gem. (§ 80 I
InsO) in dessen Person „neu entstehen“.813 Daraus wird gefolgert, dass die Ordnungspflicht, unabhängig davon, in welchem Zeitpunkt die Gefahr entstanden ist,
nicht als Insolvenzforderung i.S.d. § 38 InsO einzuordnen sei. Vielmehr sei diese
von dem Insolvenzverwalter „wie“ eine bevorrechtigte Masseverbindlichkeit zu
erfüllen.814 Allerdings ist diese speziell an die Besonderheiten einer ordnungsrechtlichen Pflichtigkeit anknüpfende Rechtsprechung auf die aus §§ 36 EnWG (i.V.m.
StromGVV), 38 EnWG folgenden Ansprüche nicht übertragbar. Es bestehen keine
Anhaltspunkte dafür, dass diese Ansprüche nach der Insolvenzeröffnung in der Person des Insolvenzverwalters „neu entstehen“, da es für die Entstehung bzw. den
Fortbestand der aus §§ 36 EnWG (i.V.m. StromGVV), 38 EnWG folgenden Ansprüche – anders als bei der ordnungsrechtlichen Pflichtigkeit – nicht auf die Person
desjenigen ankommt, der die aktuelle Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über
das Grundversorgerunternehmen hat, sondern der Grundversorger selbst der Anspruchsgegner ist.
aa) Befriedigung der Belieferungsansprüche aus den vor der Insolvenzeröffnung
begründeten Grundversorgungsverträgen
Fraglich ist, ob es sich bei den Belieferungsansprüchen der Haushaltskunden aus
bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossenen Grundversorgungsverträgen um Insolvenz- oder um Masseforderungen handelt.
812 BVerwGE 107, 299 ff.; 108, 269 ff.
813 BVerwGE 107, 299 ff.; BVerwGE 108, 269 ff; zustimmend: Ritgen, GewArch 1998, 393,
397.
814 BVerwGE 107, 299 ff.; BVerwGE 108, 269 ff; a.A.: Lwowski/Tetzlaff, NZI 2001, 57, 58;
Weitemeyer, DZWiR 1999, 384; 386.
188
(1) Grundsatz
Wenn Vertragsschuldverhältnisse im Eröffnungszeitpunkt nicht vollständig abgewickelt sind, werden sie aktiv wie passiv in die Gesamtabwicklung einbezogen, weil
ihre Verbindlichkeiten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens „begründet“ worden
sind (§ 38 InsO).815 Nach dem Status quo handelt es sich bei den Ansprüchen des
Vertragspartners gegen den Schuldner aus den vor der Insolvenzeröffnung abgeschlossenen Grundversorgungsverträgen daher um Insolvenzforderungen gem. § 38
InsO. Dies gilt unabhängig davon, ob die Grundversorgungsverträge vom Schuldner
selbst oder vom vorläufigen schwachen Insolvenzverwalter, dem die Ermächtigung
zu Vertragsabschlüssen erteilt wurde, abgeschlossen wurden816.
(2) Ausnahmen
Allerdings gibt es, wie gesehen, Sonderregelungen der §§ 103 ff. i.V. m. 55 I Nr. 2
InsO sowie des § 55 II InsO, nach welchen die vor der Insolvenzeröffnung begründeten Ansprüche als Masseforderungen befriedigt werden müssen bzw. können. Im
Folgen wird das Eingreifen dieser Sonderregelungen untersucht.
Dabei wird zunächst die insolvenzrechtliche Befriedigung von Belieferungsansprüchen erörtert, die aus Grundversorgungsverträgen resultieren, die vom Schuldner bzw. einem schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter abgeschlossen wurden
(sog. Altverträge). Im Anschluss daran wird die insolvenzrechtliche Befriedigung
von Belieferungsansprüchen aus Grundversorgungsverträgen untersucht, die im
Zusammenhang mit der Masseverwaltung durch den starken vorläufigen Insolvenzverwalter entstanden sind.
(a) Befriedigung der Belieferungsansprüche aus den vom Schuldner bzw. schwachen
vorläufigen Insolvenzverwalter abgeschlossenen Grundversorgungsverträgen
(aa) Vorüberlegung
Die Frage, ob die Belieferungsansprüche des Vertragspartners aus den mit dem
Schuldner bzw. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter abgeschlossenen und
von keiner Seite vollständig erfüllten Grundversorgungsverträgen als Masseforderungen i.S.d. § 55 I Nr. 2 InsO oder als Insolvenzforderungen i.S.d. § 38 InsO befriedigt werden, hängt davon ab, ob bzw. welche der bereits erörterten817 Regelungen der §§ 103 ff. InsO eingreift bzw. wie sich der Insolvenzverwalter im Falle des
815 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 20.02.
816 Vgl. Smid-Smid, InsO, § 55 Rn. 42.
817 Vgl. S. 98
189
Eingreifens des § 103 InsO bei der Ausübung seines Wahlrechts entscheidet. Daher
ist zunächst zu untersuchen, wie sich die Insolvenzeröffnung auf die Grundversorgungsverträge auswirkt.
(bb) Auswirkungen der Insolvenzeröffnung auf die Grundversorgungsverträge
[1] Wesentlicher Inhalt der Grundversorgungsverträge
Der Gegenstand der Grundversorgungsverträge sowie die daraus folgenden Leistungspflichten der Vertragsparteien ergeben sich aus der StromGVV. Wie bereits
gesehen818, kommt es für die Frage der insolvenzrechtlichen Behandlung von Verträgen nur auf die Hauptleistungspflichten der Vertragsparteien an, so dass im Folgenden nur diejenigen vertraglichen Pflichten von Interesse sind, welche als Hauptleistungspflichten in Betracht kommen. Dabei ist insbesondere auf die Pflicht des
Grundversorgers zur jederzeitigen Bedarfsdeckung des Kunden hinzuweisen (§§ 4, 6
II StromGVV), so dass es sich bei den Grundversorgungsverträgen um offene
Stromlieferungsverträge handelt.819 Ferner ist der Grundversorger verpflichtet, die
für die Durchführung der Grundversorgung erforderlichen Verträge mit Netzbetreibern abzuschließen und die ihm möglichen Maßnahmen zu treffen, um dem Kunden
am Ende des Netzanschlusses Elektrizität zur Verfügung zu stellen (§ 6 I 1, 2
StromGVV), was den Grundversorgungsvertrag außerdem als einen all-inclusive-
Vertrag kennzeichnet.820 Der Kunde des Grundversorgungsvertrages ist seinerseits
in erster Linie zur Entgeltzahlung verpflichtet.
[2] Insolvenzrechtliche Behandlung
Die grundsätzlich in Betracht kommende Anwendung des § 104 InsO ist hinsichtlich
der Grundversorgungsverträge zu verneinen, da es sich bei diesen um offene Lieferverträge handelt, auf welche die Regelung des § 104 I InsO, wie gezeigt821, nicht
anwendbar ist.
Fraglich ist, ob die schuldrechtliche Einordnung der Grundversorgungsverträge
zur Anwendung einer insolvenzrechtlichen Spezialregelung führt. Die insolvenzrechtliche Behandlung offener Stromlieferungsverträge wurde bereits ausgeführt,
wobei die schuldrechtliche Einordnung als Kaufvertrag und daher eine Anwendung
des § 103 InsO bejaht wurde.822 Auch bei einem Grundversorgungsvertrag ist die
Hauptleistungspflicht des Grundversorgers in der jederzeitigen Bedarfsdeckung des
818 Vgl. S. 102.
819 Vgl. S. 26, 148.
820 Vgl. S. 27.
821 Vgl. S. 154.
822 Vgl. S. 158.
190
Kunden zu sehen (§§ 4, 6 II StromGVV). Bei den Verpflichtungen des Grundversorgers, die für die Durchführung der Grundversorgung erforderlichen Verträge mit
Netzbetreibern abzuschließen und die ihm möglichen Maßnahmen zu treffen, um
dem Kunden am Ende des Netzanschlusses Elektrizität zur Verfügung zu stellen (§ 6
I 1, 2 StromGVV) handelt es sich hingegen lediglich um Vereinbarungen über die
Vertragsmodalitäten, nämlich über den Erfüllungsort der Energielieferung823, so
dass diese Pflichten nicht als die den Grundversorgungsvertrag prägenden und für
die schuldrechtliche Einordnung maßgeblichen Hauptleistungspflichten anzusehen
sind. Angesichts der Zahlungsverpflichtung der Kunden sind insoweit auch Grundversorgungsverträge als Kaufverträge einzuordnen.
Insofern ist – wie auch bei anderen offenen Stromlieferverträgen – die Anwendung von insolvenzrechtlichen Spezialregelungen grundsätzlich zu verneinen und
das Eingreifen des § 103 InsO (i.V.m. § 105 InsO) zu bejahen.
Wie gesehen824, bewirkt die Insolvenzeröffnung bei den unter die Regelung des §
103 InsO fallenden Verträgen, dass die aus dem Vertrag resultierenden Ansprüche
der Vertragsparteien für die Dauer des Insolvenzverfahrens grundsätzlich undurchsetzbar werden. Dabei werden die Ansprüche des Vertragspartners aus diesen Verträgen grundsätzlich als Insolvenzforderungen eingestuft. Allerdings kann der Insolvenzverwalter anstelle des Schuldners den Vertrag erfüllen und die Erfüllung vom
anderen Teil verlangen. In diesem Fall muss der eigentlich eine Insolvenzforderung
darstellende Anspruch des Vertragspartners als Masseforderung erfüllt werden
(gem. §§ 103 I i.V.m. § 55 I Nr. 2, 1. Alt. InsO). Sofern der Insolvenzverwalter
allerdings – gegebenenfalls nach Aufforderung des anderen Teils zur Ausübung
seines Wahlrechts gem. § 103 II 2 InsO – die Erfüllung ablehnt, bleibt es jedoch bei
der grundsätzlichen Einordnung des jeweiligen Anspruchs als Insolvenzforderung
und der Vertragspartner kann als Insolvenzgläubiger eine Forderung wegen der
Nichterfüllung geltend machen (§ 103 II 1 InsO).
Somit handelt es sich bei den vor der Insolvenzeröffnung begründeten Belieferungsansprüchen aus Grundversorgungsverträgen grundsätzlich um Insolvenzforderungen i.S.d. § 38 InsO, wobei lediglich die Erfüllungswahl durch den Insolvenzverwalter eine Qualifizierung als Masseforderung bewirken würde.
[a] Besonderheiten der Belieferungsansprüche aus Grundversorgungsverträgen
[aa] Vorüberlegung
Fraglich ist jedoch, ob diese allgemeinen Grundsätze auch im Hinblick auf die aus
Grundversorgungsverträgen resultierenden Belieferungsansprüche gelten, oder ob
sich diesbezüglich Besonderheiten ergeben.
823 Vgl. de Wyl/Essig, in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, § 11 Rn. 63, 66.
824 Vgl. S. 100.
191
Dabei ist zu beachten, dass Grundversorgungsverträge auf der Regelung des § 36
I 1 EnWG beruhen. Dem hinter der Grundversorgungspflicht stehenden Sinn und
Zweck der Gewährleistung von Versorgungssicherheit könnte zu entnehmen sein,
dass die quotale Befriedigung der auf dieser Norm beruhenden Belieferungsansprüche der Regelung des § 36 I 1 EnWG widerspräche. Vielmehr könnte der durch die
Regelung des § 36 I 1 EnWG verfolgte Zweck der Versorgungssicherheit eine volle
und vorrangige Befriedigung aus der Masse bzw. eine Einstufung der aus Grundversorgungsverträgen folgenden Belieferungsansprüche als Masseforderungen erfordern. Die Frage, ob sich aus dem Sinn und Zweck der anspruchsbegründenden Norm
bzw. des Gesetzes, in welchem diese verankert ist, ein Vorrang dieser Norm gegen-
über dem insolvenzrechtlichen Anspruchssystem sowie eine von diesem System
abweichende Befriedigung der Gläubigeransprüche ergeben kann, ist umstritten.825
Selbst wenn man aber davon ausgeht, dass der Sinn und Zweck einer anspruchsbegründenden Norm grundsätzlich zu einer von dem insolvenzrechtlichen Anspruchssystem abweichenden Befriedigung der jeweiligen Ansprüche führen kann, wäre
zunächst eine Feststellung erforderlich, dass das insolvenzrechtliche Anspruchssystem die Erreichbarkeit der von der anspruchsbegründenden Norm verfolgten Zwecke
tatsächlich verhindert. Insoweit wird das Eingehen auf die Frage nach einem etwaigen Vorrang des § 36 I 1 EnWG gegenüber den insolvenzrechtlichen Normen der §§
1 S. 1, 38, 87 InsO erst erforderlich, wenn sich im Rahmen der nachfolgenden Untersuchung herausstellen sollte, dass die Anwendung des insolvenzrechtlichen Anspruchssystems tatsächlich zur Versorgungsunsicherheit der Grundversorgungskunden führt und der Sinn und Zweck des § 36 I 1 EnWG dadurch vereitelt wird. Daher
werden die im Zusammenhang mit einer möglichen Vorrangstellung des § 36 I 1
EnWG stehenden Erwägungen zunächst nicht berücksichtigt. Erst wenn sich herausstellen sollte, dass hinsichtlich der Befriedigung der aus vor der Insolvenzeröffnung
begründeten Grundversorgungsverträgen resultierenden Belieferungsansprüche
keine – von der Vorrangfrage unabhängigen – Besonderheiten bestehen, die eine
Befriedigung dieser Ansprüche als Masseforderungen erfordern würden, sowie dass
eine Einordnung dieser Belieferungsansprüche als Insolvenzforderungen tatsächlich
eine Versorgungsunsicherheit der Grundversorgungskunden bewirken würde, wird
die Frage nach einem etwaigen Vorrang des § 36 I 1 EnWG gegenüber den insolvenzrechtlichen Normen hinsichtlich der Gläubigerbefriedigung aufzugreifen sein.
825 Vgl. Purps/Schumann, die aufgrund des Sinn und Zwecks des SachenRBerG ein Freigaberecht in der Insolvenz verneinen und eine Befriedigung der Gläubiger eines Anspruchs aus §
82 I Nr. 2 SachenRBerG aus Massemitteln befürworten (Purps/Schumann, NJW 1999, 2476
ff.; dies., VIZ 1999, 385 ff.). Ablehnend jedoch: OLG Naumburg, ZIP 2000, 976, 977 mit zustimmender Anmerkung von Mitlehner, ZIP 2000, 977 ff.; OLG Brandenburg, ZInsO 2002,
672, 673; LG Neubrandenburg, ZInsO 1999, 411, 412; Lwowski/Tetzlaff, WuB VI B. § 6 KO
4.99, S. 1400; Kleine/Flöther, NJW 2000, 405, 406 f.
192
[bb] Pflicht zur Erfüllungswahl gem. § 103 InsO / Fehlen des Ablehnungsrechts
Eine durch das Eingreifen der insolvenzrechtlichen Normen zur Gläubigerbefriedigung entstehende Versorgungsunsicherheit wäre zu verneinen, wenn die aus den
Grundversorgungsverträgen resultierenden Belieferungsansprüche trotz der grundsätzlichen Einordnung als Insolvenzforderungen stets als Masseforderungen zu befriedigen wären. So wäre es denkbar, dass die Ausübung des Ablehnungsrechts des
Insolvenzverwalters in Bezug auf Grundversorgungsverträge – unabhängig von der
Vorrangfrage – gegen § 36 I 1 EnEG bzw. andere bei der Ausübung des Wahlrechts
grundsätzlich zu beachtenden Normen verstieße, so dass das Wahlrecht des Insolvenzverwalters derart eingeschränkt wäre, dass eine Pflicht zur Erfüllungswahl der
Grundversorgungsverträge nach § 103 InsO entstünde. Bei dieser Sachlage wäre im
Ergebnis stets eine Qualifizierung der aus Grundversorgungsverträgen resultierenden Belieferungsansprüche als Masseforderungen zu bejahen.
Die Frage, inwieweit dem Insolvenzverwalter die Ausübung seines Ablehnungsrechts versagt ist und stattdessen eine Erfüllungspflicht nach § 103 InsO besteht,
wird im Folgenden untersucht. Dabei kann zunächst offen bleiben, ob die Belieferungsansprüche bei einer etwaigen Erfüllungspflicht des Insolvenzverwalters hinsichtlich der Grundversorgungsverträge – vergleichbar zu der aus § 108 InsO resultierenden Erfüllungspflicht – bereits bei Insolvenzeröffnung als Masseverbindlichkeiten einzuordnen wären oder erst die Ausübung der Erfüllungswahl eine
Qualifizierung dieser Ansprüche als Masseforderungen auslösen würde.
{1} Verstoß der Ausübung des Ablehnungsrechts gegen § 36 I 1 EnWG
Die Ausübung des Ablehnungsrechts durch den Insolvenzverwalter könnte gegen
die Regelung des § 36 I 1 EnWG verstoßen. Dabei ist zunächst festzustellen, dass
die Vorschrift des § 36 I 1 EnWG keine ausdrücklichen Vorgaben bezüglich der
Ausübung des Wahlrechts durch den Insolvenzverwalter enthält. Allerdings könnte
ein Verstoß der Ausübung des Ablehnungsechts gegen § 36 I 1 EnWG aus allgemeinen Erwägungen folgen.
{a} Die bisher in der energierechtlichen Literatur vorgebrachte Argumentation für
das Fehlen des Ablehnungsrechts
Unter Geltung des EnWG (1998) wurde die These vertreten, die Anschluss- und
Belieferungspflicht aus § 10 EnWG (1998) habe zur Konsequenz, dass der Insolvenzverwalter des Allgemeinen Versorgers – im Gegensatz zu EVU, die der Pflicht
nach § 10 EnWG (1998) nicht unterlagen – kein Recht habe, die Fortsetzung der
193
Energielieferungsbeziehung abzulehnen.826 Es wurde argumentiert, dass § 103 InsO
nur von der Einhaltung vertraglicher, nicht aber gesetzlicher Leistungspflichten nach
entsprechender Entscheidung des Insolvenzverwalters dispensiere.827 Aus den vorherigen Ausführungen des Vertreters der obigen These ergibt sich, dass dieser in der
Anschluss- und Belieferungspflicht aus § 10 EnWG (1998) eine gesetzliche Leistungspflicht sah.828 Dabei wurde das allgemein anerkannte Erfordernis eines Vertragsabschlusses zur Konkretisierung, aber auch Begründung dieser gesetzlichen
Leistungspflicht im Verhältnis zum Kunden jedoch nicht in Frage gestellt.829
Die Argumentation, dass § 103 InsO nur von der Einhaltung vertraglicher, nicht
aber gesetzlicher Leistungspflichten nach entsprechender Entscheidung des Insolvenzverwalters dispensiere, ist also dahingehend zu verstehen, dass die gegenüber
dem einzelnen Kunden konkretisierte Belieferungsverpflichtung aufgrund der Tatsache, dass es sich dabei nicht nur um eine vertragliche, sondern auch und vor allem
um eine gesetzliche Leistungspflicht handele, vom Insolvenzverwalter nicht abgelehnt werden könne.
Fraglich ist, ob bzw. inwiefern die Zugrundelegung der Annahme, dass es sich bei
der gegenüber dem einzelnen Kunden vertraglich konkretisierten Belieferungspflicht
um eine gesetzliche Pflicht handele, zur Verneinung des Ablehnungsrechts des Insolvenzverwalters führen kann. Dabei ist festzustellen, dass die Begründung, § 103
InsO dispensiere nur von der Einhaltung vertraglicher, nicht aber gesetzlicher Leistungspflichten nach entsprechender Entscheidung des Insolvenzverwalters, ein überholtes Verständnis des § 103 InsO offenbart, da weiterhin – entsprechend der früher
vertretenen und nun aufgegebenen Erlöschenstheorie830 – davon ausgegangen wird,
826 Büdenbender, EnWG, § 10 Rn. 135 f.
827 Büdenbender, EnWG, § 10 Rn. 135.
828 Büdenbender, EnWG, § 10 Rn. 1; ähnlich: Busche, S. 473 f.
829 Die missverständliche Äußerung: „Auch wenn § 10 Abs. 1 einen unmittelbaren gesetzlichen
Anspruch begründet, erfordert dessen Konkretisierung den Abschluss eines Anschluss- bzw.
Energielieferungsvertrages“ (vgl. Büdenbender, EnWG, § 10 Rn. 1) ist nicht dahin zu verstehen, dass Büdenbender von einem unmittelbar aus § 10 EnWG folgenden Belieferungsanspruch ausgeht, ohne dass es zu dessen Begründung auf einen Vertragsabschluss ankäme.
Dass Büdenbender den Abschluss eines Vertrages nicht nur zur Konkretisierung des gesetzlichen Anspruchs auf Anschluss und Versorgung, sondern auch zur Begründung eines solchen
für erforderlich hält, wird daran ersichtlich, dass er in der dieser Äußerung angefügten Fußnote auf Hempel, Energiewirtschaftsgesetz 1998, Art. 1 § 10 Rn. 4.2 sowie auf die unter § 6
EnWG (1935) geltende Rechtslage Bezug nimmt, wobei sowohl in der angegebenen Fundstelle als auch unter der zu § 6 EnWG (1935) geltenden Rechtslage die Anschluss- und Versorgungspflicht als eine Kontrahierungspflicht angesehen wurde, so dass die jeweiligen Ansprüche erst mit Zustandekommen des jeweiligen Vertrages entstanden.
830 Nach der auf S. 99 bereits angesprochenen Erlöschenstheorie hatte die Insolvenzeröffnung
keine Auswirkungen auf die Erfüllungsansprüche, sondern führte eine Art „Schwebezustand“
herbei. Die vom Insolvenzverwalter erklärte Erfüllungsablehnung hingegen führte nach dieser
Theorie dazu, dass die Erfüllungsansprüche erloschen, so dass das Vertragsverhältnis in ein
auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung gerichtetes Abwicklungsverhältnis umgestaltet
wurde. Dabei wurde die Erfüllungsablehnung als ein von den Voraussetzungen des § 103 In-
194
dass das Ablehnungsrecht des Insolvenzverwalters aus § 103 InsO folge und ein
Erlöschen vertraglicher Pflichten bewirke.
Nach der nun anerkannten und gegenüber der Erlöschenstheorie vorzugswürdigen
Theorie vom Verlust der Durchsetzbarkeit der Erfüllungsansprüche831 normiert §
103 InsO jedoch kein Ablehnungsrecht des Insolvenzverwalters, sondern setzt ein
solches voraus.832 Das Ablehnungsrecht folgt nicht aus der Sonderbestimmung des §
103 InsO, sondern aus den allgemeinen Vorschriften der §§ 1 S. 1, 38, 87 InsO und
dem in diesen Normen verankerten Grundsatz, dass Gläubiger, deren Forderungen
bereits zur Zeit der Verfahrenseröffnung begründet waren, aus der Insolvenzmasse
nur „gemeinschaftlich“ – in der Regel also unvollständig – zu befriedigen sind.833
Dieser Grundsatz gilt sowohl für die vertraglichen als auch gesetzlichen Leistungspflichten. Ausschlaggebend ist also nicht die rechtliche Natur einer Forderung, sondern lediglich der Zeitpunkt der Forderungsbegründung. Insoweit dispensiert eine
etwaige Erfüllungsablehnung nach der nun anerkannten Dogmatik des § 103 InsO
nicht etwa von der Einhaltung vertraglicher Pflichten, sondern bewirkt lediglich,
dass diese entsprechend den Vorschriften der §§ 1 S. 1, 38, 87 InsO als Insolvenzforderungen zu befriedigen sind. Die Annahme, dass die Fortsetzung der Energielieferbeziehung nicht abgelehnt werden könne, weil es sich bei der gegenüber dem
einzelnen Kunden vor dem Insolvenzverfahren begründeten Belieferungspflicht um
eine gesetzliche Leistungspflicht handele und daher aus Massemitteln erfüllt werden
müsse, ist daher nicht zutreffend. Vielmehr wäre angesichts der grundsätzlichen
Einordnung der vor der Insolvenzeröffnung begründeten Belieferungspflicht als
Insolvenzforderung und mangels des Vorliegens einer Ausnahme i.S.d. § 108 InsO
ein aus den §§ 1 S. 1, 38, 87 InsO folgendes Ablehnungsrecht des Insolvenzverwalters grundsätzlich zu bejahen. Selbst wenn man also annimmt, dass es sich bei der
Belieferungspflicht nicht nur um eine vertragliche, sondern auch um eine gesetzliche
Leistungspflicht handele, würde sich nach dem heutigen Verständnis des § 103 InsO
sO (damals § 17 KO) abhängiges bzw. ein auf dieser Regelung beruhendes Gestaltungsrecht
angesehen (vgl. BGHZ 98, 160, 169).
831 Die auf S. 100 näher erörterte „Theorie vom Verlust der Durchsetzbarkeit der Erfüllungsansprüche“ ist, anders als die Erlöschenstheorie, sowohl mit dem Wortlaut des § 103 InsO als
auch mit der Regelung des § 201 InsO vereinbar. Ferner bietet die „Theorie vom Verlust der
Durchsetzbarkeit der Erfüllungsansprüche“ eine angemessene Lösung für die Behandlung der
Fälle, in denen dem Vertragspartner des Schuldners ein Aufrechnungsrecht zusteht, der Gemeinschuldner eine Forderung aus einem gegenseitigen Vertrag abgetreten hat, oder zugunsten des Vertragspartners oder des Schuldners akzessorische Sicherheiten bestellt wurden.
Sowohl die „Erlöschenstheorie“ als auch die „modifizierte Erlöschenstheorie“ waren zur Lösung dieser Fallgruppen ungeeignet (zur Vorzugswürdigkeit der Theorie vom Verlust der
Durchsetzbarkeit der Erfüllungsansprüche gegenüber den Erlöschenstheorien vgl.: K/P-
Tintelnot, InsO, § 103 Rn. 12; Marotzke, Gegenseitige Verträge, Rn. 3.40 ff.; HK-Marotzke,
InsO, § 103 Rn. 42; Bork, Zeuner-FS, S. 297, 305ff., 310 ff.; MüKo-Kreft, InsO, § 103 Rn.
10, 23, 24, 29, 30, 32 ff., 35, 36; Huber, NZI 2002, 467, 469ff.; Bärenz, NZI 2006, 72, 73).
832 Vgl. S. 100.
833 Marotzke, Gegenseitige Verträge, Rn. 3. 57.
195
daraus nicht ergeben, dass es dem Insolvenzverwalter versagt sei, die Erfüllung des
Vertrages abzulehnen.
{b} Vorrang des § 36 I 1 EnWG
Dem hinter der Grundversorgungspflicht stehenden Sinn und Zweck der Gewährleistung von Versorgungssicherheit könnte zu entnehmen sein, dass die auf dieser
Norm beruhenden Belieferungsansprüche aus Grundversorgungsverträgen einer
vollen und vorrangigen Befriedigung aus der Masse bedürfen, so dass die Ausübung
des Ablehnungsrechts durch den Insolvenzverwalter aus diesem Grund gegen § 36 I
1 EnWG verstoßen könnte. Oben wurde jedoch bereits erörtert834, dass die Frage der
Einordnung bzw. Befriedigung der aus Grundversorgungsverträgen resultierenden
Belieferungspflichten in der Insolvenz zunächst unabhängig von der Möglichkeit
eines etwaigen Vorrangs des § 36 I 1 EnWG zu beantworten ist. An dieser Stelle
sind nämlich die Auswirkungen des Eingreifens des insolvenzrechtlichen Anspruchssystems auf die Erreichbarkeit der Versorgungssicherheit zu untersuchen und
nicht etwa umgekehrt die Auswirkungen des § 36 I 1 EnWG auf die insolvenzrechtlichen Normen. Da andere Gründe für die Annahme eines Verstoßes der Ausübung
des Ablehnungsrechts durch den Insolvenzverwalter gegen § 36 I 1 EnWG nicht
ersichtlich sind, ist ein solcher an dieser Stelle zu verneinen.
{c} Ergebnis
Ein Verstoß des Ablehnungsrechts des Insolvenzverwalters gegen die Regelung des
§ 36 I 1 EnWG ist – jedenfalls bei Außerachtlassen der Frage nach einem eventuellen Vorrang des § 36 I 1 EnWG gegenüber den insolvenzrechtlichen Normen hinsichtlich der Gläubigerbefriedigung – zu verneinen.
{2} Ausübung des Ablehnungsrechts als Rechtsmissbrauch gem. § 242 BGB
Fraglich ist, ob die Ausübung des Ablehnungsrechts durch den Insolvenzverwalter
im Hinblick auf Grundversorgungsverträge einen Verstoß gegen Treu und Glauben
i.S.d. § 242 BGB darstellen könnte und daher rechtsmissbräuchlich und unzulässig
wäre.
834 Vgl. S. 191.
196
{a} Allgemeines zu § 242 BGB
Nach § 242 BGB ist der Schuldner verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie es
Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte erfordern. Dabei bildet der in
§ 242 BGB verankerte Grundsatz des Treu und Glauben eine allen Rechten, Rechtslagen, Rechtspositionen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung.835 Auch
dem § 103 InsO liegt der Grundgedanke des Treu und Glauben zugrunde.836 Dementsprechend ist anerkannt, dass der Insolvenzverwalter bei der Ausübung seines
Ablehnungsrechts den Grundsatz von Treu und Glauben zu beachten hat.837
Die gegen § 242 BGB verstoßende Ausübung eines Rechts oder Ausnutzung einer Rechtsposition ist als Rechtsüberschreitung missbräuchlich und unzulässig,
wobei als Rechtsmissbrauch der Tatbestand der missbilligten Inanspruchnahme
eines Rechts bezeichnet wird und als unzulässige Rechtsausübung die Rechtsfolge,
dass die Ausübung oder Durchsetzung eines Rechts (zumindest zeitweilig) verwehrt
wird838, von der „an sich“ bestehenden Rechtslage also zum Nachteil der sich durch
die Rechtsausübung „unzulässig“ verhaltenen Partei und zu Gunsten der Gegenpartei abgewichen wird839. Sollte also die Inanspruchnahme des Rechts zur Erfüllungsablehnung der Grundversorgungsverträge durch den Insolvenzverwalter gegen § 242
BGB verstoßen, wäre ihm die Ausübung bzw. Durchsetzung des Ablehnungsrechts
verwehrt, so dass er zu einer Erfüllungswahl verpflichtet wäre und die Belieferungsansprüche im Ergebnis als Masseforderungen gem. §§ 103 I i.V.m. § 55 I Nr. 2 InsO
zu erfüllen wären.
Zu fragen ist also, ob die Ausübung des Ablehnungsrechts durch den Insolvenzverwalter im Rahmen der Grundversorgungsverträge gegen § 242 BGB verstößt.
Aus der Vielzahl möglicher Anwendungen des Verbots unzulässiger Rechtsaus-
übung haben sich einige typische Fallgruppen herausgebildet, so dass im Folgenden
untersucht wird, ob die Ausübung des Ablehnungsrechts durch den
Insolvenzverwalter im Rahmen der Grundversorgungsverträge eine Situation
darstellt, die unter eine dieser Fallgruppen fällt.
{b} Unzulässigkeit einer Rechtsausübung aufgrund des früheren Verhaltens
Eine Rechtsausübung wird als unzulässig angesehen, wenn zwar nicht das gegenwärtige Handeln als solches zu beanstanden ist, wohl aber ein früheres Verhalten,
835 Bamberger/Roth-Grüneberg/Sutschet, BGB, § 242, Rn. 47; Palandt-Heinrichs, BGB, § 242
Rn. 38.
836 Zur KO: RG 140, 156, 162; BGH, NJW 1962, 2296, 2297; Jaeger-Henckel, KO, § 17 Rn.
165; zur InsO: HK-Marotzke, InsO, § 103 Rn. 68.
837 RGZ 140, 156, 162 f.; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rn. 5.429; HK-
Matotzke, InsO, § 103 Rn. 68; FK-Wegener, InsO, § 103 Rn. 63.
838 MüKo-Roth, BGB, § 242 Rn. 176; Bamberger/Roth-Grüneberg/Sutschet, BGB, § 242, Rn.
47.
839 Jauernig-Mansel, BGB, § 242 Rn. 36.
197
das in tatsächlichem oder rechtlichem Zusammenhang damit steht. Darunter fallen
unter anderem die Fälle des unredlichen Erwerbs der eigenen Rechtsstellung, des
widersprüchlichen Verhaltens und der Verwirkung.840 Da eine aus der Anknüpfung
an ein früheres Verhalten folgende Unzulässigkeit der Rechtsausübung allerdings
von der Einzelfallbetrachtung abhängt, ist die Heranziehung dieser Fallgruppe des §
242 BGB zur Beantwortung der im Rahmen dieser Untersuchung interessierenden
Frage, ob die Ausübung des Ablehnungsrechts durch den Insolvenzverwalter hinsichtlich der Grundversorgungsverträge generell unzulässig ist, nicht geeignet.
{c} Unzulässigkeit einer Rechtsausübung unabhängig vom früheren Verhalten
Daneben gibt es Fallgruppen, bei deren Vorliegen eine gegenwärtige Rechtsaus-
übung durch eine Vertragspartei unabhängig von deren früherem Verhalten als
rechtsmissbräuchlich und unzulässig erachtet wird. So kann eine Rechtsausübung
rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig sein, wenn sie bereits als solche zu missbilligen ist, wenn derjenige, der die Rechtsausübung vornimmt, dadurch eigene
Pflichten verletzt, oder wenn es ihm an einem schutzwürdigen Interesse an der
Rechtsausübung fehlt.841
{aa} Unzulässigkeit einer Rechtsausübung als solche
Eine Rechtsausübung als solche ist dann rechtsmissbräuchlich, wenn die Art und
Weise der Rechtsausübung ungehörig ist.842 Dieser Fallgruppe unterfallen solche
Fallkonstellationen, bei denen nicht das „Ob“, sondern das „Wie“ einer Rechtsaus-
übung gegen das Gebot des Treu und Glauben verstößt. Da es im Rahmen dieser
Fallgruppe des § 242 BGB auf die Art der Rechtsausübung im Einzelfall ankommt,
lässt sich diese Fallgruppe zur Feststellung der generellen Unzulässigkeit der Aus-
übung eines Ablehnungsrechts im Rahmen von Grundversorgungsverträgen nicht
heranziehen.
{bb} Unzulässigkeit einer Rechtsausübung wegen der Verletzung eigener Pflichten
Eine missbräuchliche Rechtsausübung wird außerdem dann bejaht, wenn durch die
Rechtsausübung eine erhebliche Verletzung eigener Pflichten begangen wird843.
840 Bamberger/Roth-Grüneberg/Sutschet, BGB, § 242, Rn. 57.
841 Bamberger/Roth-Grüneberg/Sutschet, BGB, § 242 Rn. 57; Palandt-Heinrichs, BGB, § 242
Rn. 46 ff.
842 Bamberger/Roth-Grüneberg/Sutschet, BGB, § 242 Rn. 70.
843 Bamberger/Roth-Grüneberg/Sutschet, BGB, § 242, Rn. 71, 75; Palandt-Heinrichs, BGB, §
242 Rn. 46.
198
Diese Fallgruppe des § 242 BGB würde also dann eingreifen, wenn der Insolvenzverwalter durch die Ausübung des Ablehnungsrechts im Hinblick auf Grundversorgungsverträge eine erhebliche Pflichtverletzung beginge.
In Betracht kommt lediglich die Verletzung der Grundversorgungspflicht (§ 36 I
1 EnWG), auf welcher die Belieferungsansprüche aus Grundversorgungsverträgen
beruhen. Allerdings wurde eine Verletzung des § 36 I 1 EnWG durch die Ausübung
des Ablehnungsrechts durch den Insolvenzverwalter oben bereits behandelt844 und
im Ergebnis verneint. Insofern ist auch das Vorliegen eines Verstoßes gegen den
Grundsatz von Treu und Glauben aufgrund der Verletzung eigener Pflichten zu
verneinen. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn ein Vorrang des § 36 I 1
EnWG gegenüber den insolvenzrechtlichen Normen zu bejahen wäre. Diese Frage
ist an dieser Stelle allerdings (noch) nicht zu erörtern.845
{cc} Unzulässigkeit einer Rechtsausübung wegen des Fehlens eines schutzwürdigen
Interesses
<1> Vorüberlegung
Die Fallgruppe des fehlenden schutzwürdigen Eigeninteresses ist die größte, allgemeinste und in sich vielfältigste Fallgruppe der unzulässigen Rechtsausübung.846
Unterschieden wird dabei unter anderem zwischen den Fällen des völligen Fehlens
von Eigeninteresse an der Rechtsausübung sowie dem Fall, in dem ein Eigeninteresse zwar grundsätzlich besteht, aber nicht schutzwürdig ist.847
Völliges Fehlen von Eigeninteresse ist anzunehmen, wenn der Rechtsinhaber im
Einzelfall überhaupt kein schutzwürdiges Interesse an der Durchsetzung eines
Rechts geltend machen kann, so dass der einzig mögliche Sinn der Rechtsausübung
nur die Benachteiligung des Betroffenen sein kann.848 Einen Spezialfall dieser Fallgruppe stellt die nutzlose Rechtsausübung sowie eine vom Tatbestand des Schikaneverbots nach § 226 BGB erfasste Rechtsausübung dar.849
Das Interesse einer Partei an der Ausübung eines Rechts ist nicht schutzwürdig,
wenn sich bei einer umfassenden Wertung und Abwägung der beiderseitigen Interessen herausstellt, dass die Rechtsausübung angesichts des deutlich überwiegenden
844 Vgl. S. 192.
845 Vgl. S. 191, 195.
846 MüKo-Roth, BGB, § 242 Rn. 371.
847 Bamberger/Roth-Grüneberg/Sutschet, BGB, § 242 Rn. 81, 91; MüKo-Roth, BGB, § 242 Rn.
385, 393; Staudinger-Looschelfelders/Olzen, BGB, § 242 Rn. 260, 264.
848 MüKo-Roth, BGB, § 242 Rn. 385; Palandt-Heinrichs, BGB, § 242 Rn. 50; Bamberger/Roth-
Grüneberg/Sutschet, BGB, § 242 Rn. 81.
849 Palandt-Heinrichs, BGB, § 242 Rn. 52; Bamberger/Roth-Grüneberg/Sutschet, BGB, § 242
Rn. 80.
199
Interesses der anderen Partei als eine grobe und unerträgliche Unbilligkeit anzusehen ist.850
Das Fehlen eines (schutzwürdigen) Interesses des Insolvenzverwalters an der
Ausübung des Ablehnungsrechts im Rahmen von Grundversorgungsverträgen könnte zu bejahen sein, wenn der Insolvenzverwalter nach der Erfüllungsablehnung aufgrund des in § 36 I 1 EnWG normierten Kontrahierungszwanges alsbald zum Abschluss eines neuen Grundversorgungsvertrages zu Allgemeinen Bedingungen und
Preisen mit dem Kunden verpflichtet wäre, welchem gegenüber er die Erfüllung
zuvor abgelehnt hat. Insofern könnte das Fortbestehen des Kontrahierungszwanges
zu der Wertung führen, dass der Insolvenzverwalter überhaupt kein Eigeninteresse
an der Ausübung seines Ablehnungsrechts im Rahmen von Grundversorgungsverträgen haben kann. Andererseits ist grundsätzlich denkbar, dass selbst bei fortbestehendem Kontrahierungszwang ein solches Interesse besteht, im Vergleich zu den
Interessen der Kunden aber als nicht schutzwürdig zu erachten ist. In beiden Fällen
wäre die Ausübung des Ablehnungsrechts aufgrund des Verstoßes gegen Treu und
Glauben unzulässig und der Insolvenzverwalter wäre gezwungen, Erfüllung der
Grundversorgungsverträge zu wählen, so dass Belieferungsansprüche aus diesen
Verträgen im Ergebnis gem. § 103 I i.V.m. § 55 I Nr. 2 InsO stets Masseverbindlichkeiten darstellen würden.
Zu untersuchen ist also, ob ein (schutzwürdiges) Interesse des Insolvenzverwalters an der Erfüllungsablehnung von Grundversorgungsverträgen gegeben sein kann.
<2> Konkrete Untersuchung des Vorliegens eines (schutzwürdigen) Interesses an
der Ausübung des Ablehnungsrechts
Bevor die Frage erörtert wird, ob ein (schutzwürdiges) Interesse des Insolvenzverwalters an der Ausübung seines Ablehnungsrechts im Hinblick auf Grundversorgungsverträge besteht, wird darauf eingegangen, welche (schutzwürdigen) Interessen der Insolvenzverwalter durch die Erfüllungsablehnung von Verträgen im Allgemeinen verfolgt.
Die grundsätzlich durch die Erfüllungsablehnung verfolgten Interessen
In aller Regel muss sich der Insolvenzverwalter bei der Ausübung seines Wahlrechts
nach § 103 InsO nur von der Frage leiten lassen, ob die Erfüllung des Vertrages
wirtschaftlich für die Insolvenzmasse günstig ist oder zu einer Verschlechterung der
Insolvenzmasse führt.851 Im letzteren Fall ist die Erfüllung des Vertrages abzuleh-
850 MüKo-Roth, BGB, § 242 Rn. 393, 371; Staudinger-Looschelfelders/Olzen, BGB, § 242 Rn.
264 f.; Bamberger/Roth-Grüneberg/Sutschet, BGB, § 242 Rn. 91.
851 Uhlenbruck-Berscheid, InsO, § 103 Rn. 2; FK-Wegener, InsO, § 103 Rn. 63.
200
nen. Die Erfüllungsablehnung von für die Insolvenzmasse ungünstigen Verträgen
bewirkt nämlich, dass der Vertragspartner für die Dauer des Insolvenzverfahrens
nicht auf der vollständigen Erfüllung des für ihn günstigen Vertrages bestehen kann,
sondern nur eine insolvenzmäßige Erfüllung verlangen kann. Dies hat grundsätzlich
eine Mehrung, zumindest aber den Erhalt der Insolvenzmasse zur Folge. Insoweit
nimmt der Insolvenzverwalter durch die Erfüllungsablehnung in der Regel die Interessen der Insolvenzgläubiger an der bestmöglichen Befriedigung ihrer Forderungen
wahr, was eine Verfolgung schutzwürdiger Interessen darstellt.852
Übertragbarkeit auf Grundversorgungsverträge
Fraglich ist jedoch, ob der Insolvenzverwalter durch die Ausübung des Ablehnungsrechts auch dann schutzwürdige Interessen wahrnimmt, wenn es sich bei den jeweiligen Verträgen um Grundversorgungsverträge handelt. Dies wäre dann der Fall,
wenn durch die Erfüllungsablehnung von Grundversorgungsverträgen, wie auch bei
anderen gegenseitigen Verträgen, ein Masseschutz erreicht werden und daher dem
Interesse der Insolvenzgläubiger an der bestmöglichen Befriedigung ihrer Forderungen gedient werden könnte. Bei der Erörterung dieser Frage wird zunächst untersucht, ob die Erfüllungsablehnung der Grundversorgungsverträge allein geeignet ist,
einen Masseschutz zu bewirken. Wird dies zu verneinen sein, wird im Anschluss
daran der Frage nachgegangen, ob ein Masseschutz dadurch möglich wird, dass an
die Erfüllungsablehnung weitere Umstände anknüpfen und ob die Hoffnung des
Insolvenzverwalters auf den Eintritt dieser Umstände dazu führt, dass die Erfüllungsablehnung als Verfolgung von schutzwürdigen Interessen anzusehen ist.
Masseschutz allein durch Erfüllungsablehnung
Wie bereits erörtert853, ist der Grundversorger gem. § 36 I 1 EnWG auch zum Vertragsabschluss mit solchen Haushaltskunden verpflichtet, bei denen die Kosten der
Belieferung dem Grundversorgungspreis entsprechen bzw. diesen sogar übersteigen,
soweit die Versorgungsverhältnisse nicht aus dem zur Bestimmung der Allgemeinen
Preise zugrunde gelegten Kalkulationsrahmen herausfallen und dadurch den Tatbestand des § 36 I 2 EnWG erfüllen. Zwar wird die Belieferung dieser Kunden aufgrund des Prinzips der Solidargemeinschaft von anderen Haushaltskunden subventioniert854, so dass dem Grundversorger keine Verluste entstehen, dennoch sind solche
Verträge bei der Einzelbetrachtung als ungünstig einzustufen, so dass deren Ablehnung grundsätzlich zur Mehrung der Insolvenzmasse beitragen könnte.
852 Jaeger-Henckel, KO, § 17 Rn. 165.
853 Vgl. S. 41.
854 Vgl. Busche, Privatautonomie und Kontrahirungszwang, S. 459; näher zum Solidaritätsprinzip vgl. oben auf S. 41.
201
Ein Schutz der Insolvenzmasse durch die Erfüllungsablehnung solcher Verträge
wäre im Ergebnis jedoch zu verneinen, wenn der von der Erfüllungsablehnung betroffene Haushaltskunde zwar keine Erfüllung des von dem Insolvenzverwalters
abgelehnten Grundversorgungsvertrages, aber angesichts des fortbestehenden Kontrahierungszwanges nach § 36 I 1 EnWG den Abschluss eines neuen Grundversorgungsvertrages verlangen könnte. Bei einem solchen Neuabschluss nach der Insolvenzeröffnung würde der Belieferungsanspruch des Kunden gem. § 55 I Nr. 1 InsO
nämlich neue Masseverbindlichkeiten des Grundversorgers auslösen, die denjenigen
entsprechen würden, die auch bei Fortbestand des alten Grundversorgungsvertrages
anfallen würden, so dass die Insolvenzmasse im Ergebnis gleichermaßen belastet
wäre wie es bei einer Erfüllungswahl durch den Insolvenzverwalter der Fall wäre.
Dagegen kann auch nicht argumentiert werden, dass der Masseschutz in diesen Fällen dadurch erreicht werden könnte, dass der Kunde beim Abschluss eines neuen
Grundversorgungsvertrages auf die zu diesem Zeitpunkt jeweils geltenden Allgemeinen Bedingungen und Preise verwiesen wäre, die für die Insolvenzmasse unter
Umständen günstiger sind als diejenigen, die zur Zeit der Erfüllungsablehnung des
vorherigen Grundversorgungsvertrages gegolten haben. Denn eine Änderung der
Allgemeinen Bedingungen und Preise zum Vorteil der Masse kann auch während
eines laufenden Grundversorgungsvertrages erfolgen (vgl. § 5 II StrimGVV), so
dass es zu einem solchen Schutz der Masse keiner Erfüllungsablehnung durch den
Insolvenzverwalter bedürfte, sondern lediglich einer Änderung der Allgemeinen
Bedingungen und Preise.
Durch das Ablehnungsrecht des Insolvenzverwalters würde die Masse daher nur
dann wirkungsvoll geschützt, wenn diejenigen Kunden, denen gegenüber eine Erfüllungsablehnung erklärt wurde, nicht mehr aus den Mitteln der Masse beliefert werden müssten. Allerdings ist der nach der Insolvenzeröffnung begründete Anspruch
eines Kunden auf den Abschluss eines neuen Grundversorgungsvertrages, wie bereits gesehen855, dogmatisch als ein Masseanspruch i.S.d. § 55 Nr. 1 InsO zu qualifizieren, wobei auch die aus dem Vertrag resultierenden Belieferungspflichten aus
Massemitteln zu erbringen sind856. Ein Masseschutz durch die Erfüllungsablehnung
wäre insoweit nur dann möglich, wenn den Kunden, denen gegenüber die Erfüllung
eines Grundversorgungsvertrages abgelehnt wurde, der Anspruch auf den Abschluss
eines neuen Grundversorgungsvertrages versagt wäre.
Allerdings spricht der Fortbestand der Grundversorgungspflicht gegen einen derartigen Versorgungsausschluss. Da es sich bei den Kunden, denen gegenüber die
Erfüllungsablehnung ihrer Grundversorgungsverträge erfolgte, um als schutzwürdig
erachtete Haushaltskunden handelt, steht diesen gem. § 36 I 1 EnWG ein Anspruch
auf einen neuen Vertragsabschluss zu, solange kein Tatbestand des § 36 I 2 EnWG
oder § 37 EnWG eingreift. Bei Vorliegen der Voraussetzungen für einen Vertragsabschluss kann der Grundversorger einen Vertragsabschluss gegenüber diesen Kun-
855 Vgl. S. 186.
856 Vgl. S. 184.
202
den daher ebenso wenig verweigern wie gegenüber Haushaltskunden, die sich zum
ersten Mal an ihn wenden und wenig lukrativ sind.
Ferner ist zu beachten, dass diejenigen Kunden, denen gegenüber eine Erfüllungsablehnung erklärt wurde, weiterhin die Möglichkeit zur Stromentnahme haben,
so dass sich der Grundversorger allein schon aus faktischen Gegebenheiten nicht
gegen das Zustandekommen eines neuen Grundversorgungsvertrages durch bloße
Stromentnahme (vgl. § 2 II 1 StromGVV) wehren könnte. Bei Ablehnung der Erfüllung der Grundversorgungsverträge hätte der Grundversorger nämlich keine Möglichkeit, die Trennung der betroffenen Kunden vom Netz zu veranlassen. Die Rechte
des Netzbetreibers zur Unterbrechung des Anschlusses und der Anschlussnutzung
sind in § 24 StromNAV normiert. § 24 III StromNAV bestimmt:
<>
Die Berechtigung des Grundversorgers, die Grundversorgung durch den Netzbetreiber unterbrechen zu lassen, ergibt sich aus § 19 StromGVV. In dieser Norm ist
allerdings keine Berechtigung zur Versorgungsunterbrechung aufgrund einer insolvenzrechtlichen Erfüllungsablehnung normiert. Vielmehr sind alle Tatbestände, die
zu einer Versorgungsunterbrechung führen können, auf eine Zuwiderhandlung des
Kunden gegen die StromGVV zurückzuführen. Eine über die Regelung des § 19
StromGVV hinausgehende, aus dem Recht des Insolvenzverwalters zur Vertragsablehnung folgende Berechtigung des Grundversorgers, die Grundversorgung durch
den Netzbetreiber unterbrechen zu lassen, ist angesichts der Tatsache, dass der
Grundversorger auch in der Insolvenz der Pflicht aus § 36 I 1 EnWG unterliegt und
daher grundsätzlich zum Neuabschluss des Grundversorgungsvertrages mit dem
Kunden verpflichtet ist, zu verneinen. Daher könnte der Grundversorger die Voraussetzungen für eine Versorgungsunterbrechung gegenüber dem Netzbetreiber nicht
glaubhaft machen, indem er ihn auf die Erfüllungsablehnung hinweist.
Dem Grundversorger ist es also weder faktisch noch rechtlich möglich, den Abschluss eines neuen Grundversorgungsvertrages mit Kunden, denen gegenüber er die
Erfüllung eines Grundversorgungsvertrages abgelehnt hat, zu verweigern. Vielmehr
wäre er auch bei einer vorherigen Erfüllungsablehnung zum Abschluss eines neuen
Grundversorgungsvertrages und zur Erfüllung der daraus entstehenden Belieferungsansprüche als Masseverbindlichkeiten verpflichtet. Sofern der Kunde den Willen hat, einen neuen Grundversorgungsvertrag abzuschließen, könnte ein wirkungsvoller Schutz der Masse allein durch die Ausübung des Ablehnungsrechts also nicht
gewährleistet werden.
203
Masseschutz durch das an die Erfüllungsablehnung anknüpfende Kundenverhalten
Allerdings hat der Haushaltskunde, welchem gegenüber die Erfüllung seines Grundversorgungsvertrages abgelehnt wurde, grundsätzlich auch die Möglichkeit, einen
Stromlieferungsvertrag außerhalb der Grundversorgung abzuschließen. Zwar ist der
Kunde in der Zeit bis zum Abschluss eines solchen Vertrages weiterhin auf eine
Stromversorgung angewiesen, so dass weiterhin Stromentnahmen durch diesen
Kunden aus dem Niederspannungsnetz erfolgen werden, allerdings würde in dem
Fall, in welchem der Kunde keinen neuen Grundversorgungsvertrag abschließen
möchte, durch die Stromentnahmen kein neuer Grundversorgungsvertrag, sondern
ein Ersatzversorgungsverhältnis gem. § 38 EnWG zustande kommen. Unabhängig
davon, aus welchen Beweggründen der Kunde kein Interesse am Abschluss eines
neuen Grundversorgungsvertrages zeigt, würde sich die Situation in diesen Fällen so
darstellen, dass der Grundversorger – nach einer zwischenzeitlichen Ersatzversorgung des Kunden gem. § 38 EnWG – ab dem Zeitpunkt, zu dem die Belieferung des
Haushaltskunden aufgrund eines Stromlieferungsvertrages außerhalb der Grundversorgung beginnt, nicht mehr zur Weiterbelieferung dieses Kunden zu den Allgemeinen Bedingungen und Preisen i.S.d. § 36 I 1 EnWG verpflichtet wäre. Die Erfüllungsablehnung wäre angesichts dieser Möglichkeit nicht generell nutzlos, da die
Insolvenzmasse im Ergebnis von der Verpflichtung, einen ungünstigen Vertrag zu
erfüllen, entlastet wäre. Insoweit ist davon auszugehen, dass der Insolvenzverwalter
durch die Ausübung des Ablehnungsrechts letztendlich den Schutz der Masse bezwecken würde, so dass das Vorliegen der Fallgruppe des gänzlich fehlenden Interesses an der Rechtsausübung jedenfalls zu verneinen ist.
Allerdings ist fraglich, ob die Ausübung des Ablehnungsrechts durch den Insolvenzverwalter in der Erwartung bzw. Hoffnung, dass der Kunde, welchem gegen-
über die Erfüllung des Grundversorgungsvertrages abgelehnt wurde, keinen neuen
Grundversorgungsvertrag, sondern einen Stromlieferungsvertrag außerhalb der
Grundversorgung abschließen würde und die Insolvenzmasse dadurch vermehrt
würde, als Wahrnehmung eines schutzwürdigen Interesses anzusehen ist.
Die Aberkennung der Schutzwürdigkeit eines Interesses an einer Rechtsausübung
erfordert eine umfassende Wertung und Abwägung der beiderseitigen Interessenlage
im Einzelfall, in welche die mannigfaltigsten Gesichtspunkte einfließen können.857
Der mangelnden Schutzwürdigkeit der Interessen der einen Partei muss grundsätzlich eine überwiegende Schutzwürdigkeit der anderen Partei entgegenstehen, damit
von einer unzulässigen Rechtsausübung gesprochen werden kann.858 Dabei führt
nicht jedes Interessenungleichgewicht zu einer Beschränkung der mit den minder
schutzwürdigen Interessen verbundenen Rechte, vielmehr bedarf es hierzu einer als
857 MüKo-Roth, BGB, § 242 Rn. 393; Bamberger/Roth-Grüneberg/Sutschet, BGB, § 242 Rn. 91;
Soergel-Teichmann, BGB, § 242, Rn. 293 ff.
858 Bamberger/Roth-Grüneberg/Sutschet, BGB, § 242 Rn. 91; Soergel-Teichmann, BGB, § 242
Rn. 293; Staudinger-Looschelfelders/Olzen, BGB, § 242 Rn. 265.
204
grob und unerträglich empfundener Unbilligkeit.859 Bei der Bewertung der Interessenlage können auch die Beweggründe und andere subjektive Merkmale der Beteiligten ins Gewicht fallen.860
Der Beweggrund des Insolvenzverwalters bei der Erfüllungsablehnung liegt, wie
bereits gesehen, im Schutz der Insolvenzmasse bzw. in der Ermöglichung einer
bestmöglichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger. Trotz der grundsätzlichen
Schutzwürdigkeit dieses vom Insolvenzverwalter verfolgten Endziels könnte allerdings argumentiert werden, dass eine Erfüllungsablehnung durch den Insolvenzverwalter in der Hoffnung darauf, dass der jeweilige Kunde sich einen anderen Stromlieferanten sucht, aufgrund der fortbestehenden Verpflichtung des Insolvenzverwalters zum Neuabschluss eines Grundversorgungsvertrages nicht als Verfolgung eines
schutzwürdigen Interesses anzusehen sei, sondern als ein nicht als schutzwürdig zu
erachtender Versuch, sich unter Berufung auf eine formale Rechtsposition von der
Verpflichtung zur Erbringung von Leistungen zu befreien, auf welche die andere
Partei einen Anspruch hat. Allerdings ist zu beachten, dass die unter Berufung auf
eine formale Rechtsposition erfolgende Verweigerung einer Leistung durch eine
Partei, die diese Leistung alsbald doch erbringen müsste, grundsätzlich erst dann als
rechtsmissbräuchlich anzusehen ist, wenn dieses Verhalten zu einem Schaden der
anderen Partei führt.861 Zu fragen ist daher, welche Nachteile der Kunde, welchem
gegenüber eine Erfüllungsablehnung seines Grundversorgungsvertrages erklärt wird,
erleidet bzw. welche Interessen der jeweilige Kunde an der Nichtausübung der Erfüllungsablehnung durch den Insolvenzverwalter hat. Oben wurde bereits festgestellt862, dass das Interesse des Kunden an einer sicheren Energieversorgung durch
die Ablehnung des Grundversorgungsvertrages nicht beeinträchtigt wird, da der
Kunde weiterhin einen Anspruch auf den Abschluss eines neuen Grundversorgungsvertrages hat, dessen Erfüllung aus Massemitteln erfolgen muss. Dabei bedarf es
zum Abschluss eines neuen Vertrages nicht einmal einer ausdrücklichen Erklärung
durch den Kunden. Vielmehr könnte der Abschluss eines neuen Grundversorgungsvertrages allein durch die bloße Stromentnahme seitens des Kunden nach der Erfüllungsablehnung durch den Insolvenzverwalter erfolgen (gem. § 2 II 1 StromGVV).
Allerdings wäre der Kunde verpflichtet, dem Grundversorger die Entnahme der
Elektrizität in Textform mitzuteilen (vgl. § 2 II 1 StromGVV). Insoweit wird der
Kunde durch die Erfüllungsablehnung seines bisherigen Grundversorgungsvertrages
zumindest belästigt, da er zu einer Entscheidung darüber bewogen wird, ob er seinen
Stromlieferanten bzw. die Vertragsart wechseln will und selbst im Falle der Entscheidung für die Beibehaltung der bisherigen Versorgungsmodalitäten zu einer
entsprechenden Mitteilung verpflichtet ist. Im Ergebnis ist daher festzustellen, dass
859 BGH, NJW 1991, 973, 974; BGHZ 68, 299, 304; MüKo-Roth, BGB, § 242 Rn. 371; Bamberger/Roth-Grüneberg/Sutschet, BGB, § 242 Rn. 91; Jauernig-Mansel, BGB, § 242 Rn. 41;
Soergel-Teichmann, BGB, § 242, Rn. 293; Staudinger-Looschelfelders/Olzen, BGB, § 242
Rn. 265.
860 MüKo-Roth, BGB, § 242 Rn. 372; Siebert, Verwirkung, S. 121 f.
861 Vgl. BGHZ 108, 380, 385; BGH, WM 1983, 345.
862 Vgl. S. 202.
205
dem Interesse des Insolvenzverwalters am Schutz bzw. Mehrung der Masse allein
das Interesse des Kunden eines Grundversorgungsvertrages gegenübersteht, nicht
durch die Erfüllungsablehnung belästigt zu werden.
Bei der Abwägung beiderseitiger Interessen ist eine das Interesse des Insolvenzverwalters deutlich überwiegende Schutzwürdigkeit des Kunden, die dazu führt,
dass die Ausübung des Ablehnungsrechts durch den Insolvenzverwalter als eine
grobe und unerträgliche Unbilligkeit empfunden werden muss, zu verneinen. Vielmehr ist das Interesse des Insolvenzverwalters an der bestmöglichen Befriedigung
der Insolvenzgläubiger als schutzwürdiger anzusehen als das Interesse des Kunden,
nicht unnötig behelligt zu werden. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass die
Belästigung des Kunden durch die Erfüllungsablehnung nur gering ist, da dieser
lediglich eine schriftliche Mitteilung über die Stromentnahme vorzunehmen hat, um
wieder im Rahmen eines Grundversorgungsvertrages beliefert zu werden. Im Übrigen erhält der Kunde durch die Erfüllungsablehnung sogar einen Vorteil. Dies folgt
daraus, dass viele Kunden bei Insolvenz ihres Stromlieferanten ein Interesse daran
haben werden, ihre Stromversorgung durch einen anderen Lieferanten sicherzustellen und sich von ihrem Grundversorgungsvertrag zu diesem Zwecke zu lösen. Dabei
erhält der Kunde, welchem gegenüber die Erfüllungsablehnung erfolgte, durch die
Erfüllungsablehnung die Möglichkeit, dies zu tun, ohne die sonst übliche Kündigungsfrist nach § 20 I 1 StromGVV einhalten zu müssen. Insoweit führt die Abwägung dazu, dass das Interesse des Insolvenzverwalters an der Erfüllungsablehnung
von Grundversorgungsverträgen als schutzwürdig anzusehen ist.
Allerdings ist zu beachten, dass dieses Ergebnis im Widerspruch zu der hinsichtlich eines ordentlichen Kündigungsrechts des Grundversorgers vorzufindenden
Rechtslage (§ 20 I 3 StromGVV) und der darin normierten Wertung des Verordnungsgebers stehen könnte. Nach § 20 I 3 StromGVV ist eine ordentliche Kündigung durch den Grundversorger nur möglich, soweit eine Pflicht zur Grundversorgung nach § 36 I 2 EnWG nicht besteht. In darüber hinausgehenden Fällen ist dem
Grundversorger ein Recht zu einer ordentlichen Kündigung versagt. Die Rechtslage
nach § 20 I 3 StromGVV könnte bei der hier zu entscheidenden Frage, ob dem Insolvenzverwalter ein Ablehnungsrecht zusteht, insoweit von Bedeutung sein, als
dass zwischen dem Ablehnungsrecht und dem Kündigungsrecht Ähnlichkeiten bestehen. Diese ergeben sich daraus, dass durch die Ausübung beider Rechtspositionen
grundsätzlich die Beendigung eines Rechtsverhältnisses herbeigeführt wird, wobei
die Kündigung eine rechtliche und die Erfüllungsablehnung eine faktische Beendigung des Rechtsverhältnisses bewirkt863. Insoweit sind die hinter der Regelung des §
20 I 3 StromGVV stehenden Gründe näher zu erörtern. In der Begründung zu § 21 I
3 StromGVV-E, der dem jetzigen § 20 I 3 StromGVV entspricht, bezeichnet der
Verordnungsgeber diese Regelung als „Klarstellung“864, was auf den deklaratorischen Charakter des § 20 I 3 StromGVV hindeutet. Dieser erklärt sich wiederum
daraus, dass unter der Geltung des § 6 EnWG (1935) und § 10 EnWG (1998) eine
863 Vgl. Marotzke, Gegenseitige Verträge, Rn. 6.6.
864 BRat-Drs. 306/06, Begründung zu § 20 StromGVV-E, S. 41.
206
ordentliche Kündigung des Grundversorgungsvertrages durch den Gebietsversorger
bzw. Allgemeinen Versorger entsprechend der Regelung des § 32 AVBEltV – nach
dessen Wortlaut ein uneingeschränktes ordentliches Kündigungsrecht des Allgemeinen Versorgers bestand – allgemein als rechtsmissbräuchlich und daher unzulässig
angesehen wurde, wenn der Kündigung sofort ein neuer Vertragsabschluss zu denselben Bedingungen folgen müsste.865 Durch die Regelung des § 20 I 3 StromGVV
wird also der Wertung Rechnung getragen, dass die Ausübung des Kündigungsrechts als rechtsmissbräuchlich anzusehen wäre, wenn der Grundversorger mit dem
jeweiligen Kunden alsbald einen neuen Vertrag zu gleichen Konditionen abschlie-
ßen müsste.
Zu untersuchen ist, ob diese Rechtslage dafür spricht, die Erfüllungsablehnung
durch den Insolvenzverwalter ebenfalls als rechtsmissbräuchlich anzusehen. Dabei
ist zu beachten, dass sowohl der Gesetzgeber des EnWG als auch der Verordnungsgeber der StromGVV bei der Normierung der den Grundversorger treffenden Rechte
und Pflichten ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen vor Augen hatten. Weder
aus der Begründung zu EnWG noch zu StromGVV ergibt sich, dass die Möglichkeit
der Insolvenz eines Grundversorgers bedacht wurde. Insofern ist davon auszugehen,
dass bei den in EnWG sowie StromGVV vorzufinden Wertungen eine Abwägung
zwischen den unternehmerischen Interessen des Grundversorgers und den Interessen
der Haushaltskunden stattgefunden hat, ohne dass auch die schutzwürdigen Interessen der Insolvenzgläubiger an der bestmöglichen Befriedigung ihrer Forderungen
gegen den Grundversorger eine Rolle gespielt haben. Zwar ist die in EnWG und
StromGVV vorzufindende Rechtslage, wie gesehen, auch in der Insolvenz des
Grundversorgers zu beachten, dies spricht allerdings nicht dagegen, die Schutzwürdigkeit des Interesses an der Ausübung von spezifisch insolvenzrechtlichen Rechtspositionen wie der des Ablehnungsrechts des Insolvenzverwalters unabhängig von
den Wertungen der StromGVV zu beurteilen.
Dies gilt insbesondere für die Beantwortung der Frage, ob eine Rechtsausübung
als schutzwürdig i.S.d. § 242 BGB anzusehen ist, da diese Frage im Ergebnis allein
anhand der Abwägung der sich gegenüber stehenden Interessen im konkreten Einzelfall zu beurteilen ist. Die in ähnlichen Zusammenhängen vorzufindende Rechtslage kann dabei höchstens als ein Indiz im Hinblick auf die Schutzwürdigkeit der
Interessenlagen berücksichtigt werden, nicht aber für das Endergebnis entscheidend
sein.
Da sich aus der Entstehungsgeschichte des § 20 StromGVV nicht ergibt, dass in
der darin vorzufindenden Wertung auch die aus der Insolvenz eines Grundversorgers
folgenden Besonderheiten im Hinblick auf die Interessenlage der Beteiligten berücksichtigt wurden, ist eine ausschlaggebende Indizwirkung dieser Regelung hinsichtlich der an dieser Stelle zu entscheidenden Frage zu verneinen. Insofern bleibt
es bei dem im Rahmen der oben durchgeführten Interessenabwägung festgestellten
Ergebnis, dass die Ausübung des Ablehnungsrechts durch den Insolvenzverwalter in
865 BGH, LM 1957, 5/6, Bl. 241; BGH, NJW 1957, 1106; de Wyl/Essig/Holtmeier in: Schneider/Theobald, Handbuch zum Recht der Energiewirtschaft (1. Aufl.), § 10 S. 545 (Fn. 3).
207
der Erwartung bzw. Hoffnung, dass der Kunde, welchem gegenüber die Erfüllung
des Grundversorgungsvertrages abgelehnt wurde, keinen neuen Grundversorgungsvertrag, sondern einen Stromlieferungsvertrag außerhalb der Grundversorgung abschließen würde und die Insolvenzmasse dadurch vermehrt würde, als Wahrnehmung eines schutzwürdigen Interesses anzusehen ist.
{d} Ergebnis
Die Erfüllungsablehnung der Grundversorgungsverträge durch den Insolvenzverwalter ist grundsätzlich nicht als ein Verstoß gegen das Gebot von Treu und Glauben
i.S.d. § 242 BGB anzusehen.
[cc] Ergebnis hinsichtlich des Bestehens einer Pflicht zur Erfüllungswahl
Andere als die hier erörterten Gründe für das Fehlen eines Ablehnungsrechts des
Insolvenzverwalters im Hinblick auf Grundversorgungsverträge sind nicht ersichtlich. Grundversorgungsverträge weisen also keine Besonderheiten auf, die dazu
führen, dass dem Insolvenzverwalter bei der Ausübung seines Wahlrechts gem. §
103 I InsO die Ausübung bzw. Durchsetzung seines Ablehnungsrechts verwehrt und
er demzufolge zu einer Erfüllungswahl verpflichtet wäre.
[b] Schlussfolgerung hinsichtlich der insolvenzrechtlichen Behandlung / der Frage
der Versorgungssicherheit
[aa] Insolvenzrechtliche Behandlung
Die grundsätzlichen Auswirkungen der Insolvenzeröffnung auf die dem § 103 InsO
unterfallenden Verträge gelten somit auch für Grundversorgungsverträge. Demnach
bilden die aus den vor der Insolvenzeröffnung abgeschlossenen Grundversorgungsverträgen resultierenden Belieferungsansprüche grundsätzlich Insolvenzforderungen
und können für die Dauer des Insolvenzverfahrens nicht durchgesetzt werden. Der
Insolvenzverwalter hat jedoch das Recht, die Erfüllung dieser Verträge zu wählen.
Im Falle der Erfüllungswahl werden die Ansprüche gem. §§ 103 I i.V.m. 55 I Nr. 2,
1. Alt. InsO zu Masseverbindlichkeiten heraufgestuft. Im Falle der Erfüllungsablehnung bleibt es jedoch bei der Einordnung der Belieferungsansprüche als Insolvenzforderungen. Dabei stehen den Kunden, denen gegenüber die Erfüllung ihrer Grundversorgungsverträge abgelehnt wurde, keine Belieferungsansprüche aus den vor der
Insolvenzeröffnung abgeschlossenen Grundversorgungsverträgen zu.
208
[bb] Bedeutung hinsichtlich der Frage der Versorgungssicherheit
Die Versorgungssicherheit derjenigen Kunden, denen gegenüber gem. § 103 I InsO
eine Erfüllungswahl ihrer Grundversorgungsverträge erfolgt, ist gewährleistet, da
ihre Belieferungsansprüche als Masseforderungen befriedigt werden.
Für die Frage der Versorgungssicherheit der Kunden, welchen gegenüber die Erfüllung von Grundversorgungsverträgen abgelehnt wurde, ist zu beachten, dass diese
dazu berechtigt sind, mit dem Grundversorger neue Grundversorgungsverträge abzuschließen bzw. Ersatzversorgungsverhältnisse zu begründen, wobei die daraus
folgenden Belieferungsansprüche gem. § 55 I Nr. 1 InsO als Masseforderungen
eingestuft werden. Somit ist sowohl bei Erfüllungswahl durch den Insolvenzverwalter als auch bei Erfüllungsablehnung die Versorgungssicherheit der bisher grundversorgungten Haushaltkunden gewährleistet.
Angesichts der Tatsache, dass bis zur Ausübung des Wahlrechts durch den Insolvenzverwalter die Grundversorgungsverträge undurchsetzbar sind, könnte jedoch in
der Zeit zwischen der Insolvenzeröffnung und der Ausübung des Wahlrechts eine
Versorgungsunsicherheit entstehen. Allerdings ist davon auszugehen, dass in dieser
Zeitspanne durch die zwangsläufig stattfindenden Stromentnahmen der bisher
grundversorgten Kunden ein Ersatzversorgungsverhältnis begründet wird, da der
Energiebezug in diesem Fall einer Lieferung oder einem bestimmten Liefervertrag
nicht zugeordnet werden kann (§ 38 I 1 EnWG), so dass die daraus entstehenden
Belieferungsansprüche gem. § 55 I Nr. 1 InsO aus Massemitteln befriedigt werden
müssen.866 Für den Fall, dass der Insolvenzverwalter gem. § 103 InsO Erfüllung des
bisherigen Grundversorgungsvertrages wählt, wird dieses Ersatzversorgungsverhältnis automatisch beendet. Für den Fall, dass die Erfüllung des Grundversorgungsvertrages abgelehnt wird, hängt es von der Entscheidung des Kunden ab, ob er einen
neuen Grundversorgungsvertrag abschließt möchte oder zunächst in der Ersatzversorgung verbleibt.
Festzustellen ist daher, dass aus rechtlicher Sicht eine tatsächliche Belieferung der
vor der Insolvenzeröffnung grundversorgten Kunden auch in der Insolvenz des
Grundversorgers gewährleistet ist. Insofern führt die grundsätzliche Einstufung der
Belieferungsansprüche, die aus den vor der Insolvenzeröffnung abgeschlossenen
Grundversorgungsverträgen resultieren, als Insolvenzforderungen nicht zu Versorgungsunsicherheit. Rechtsdogmatisch sind die vor der Insolvenzeröffnung im Wege
der Grundversorgung belieferten Haushaltskunden zwar hinsichtlich der Befriedigung ihrer aus den bisherigen Grundversorgungsverträgen folgenden Belieferungsansprüche auf die Befriedigung aus der Insolvenzquote verwiesen.867 Allerdings
866 Dabei verursacht die Belieferung im Rahmen eines Ersatzversorgungsverhältnisses für die
Haushaltskunden keine höheren Kosten als die im Rahmen der Grundversorgungsverträge
geltenden Allgemeinen Preise (vgl. § 38 I 3 EnWG), so dass daraus keine Schäden entstehen.
867 Eine aussichtsreiche Anmeldung der Ansprüche wegen Nichterfüllung i.S.d. § 103 II InsO
zur Insolvenztabelle wird in der Regel jedoch ausscheiden. Dies folgt daraus, dass selbst bei
Erfüllungsablehnung durch den Insolvenzverwalter neue Grundversorgungsverträge abgeschlossen werden können. Die umstrittene Frage, ob bei Erfüllungsablehnung eine erfolgrei-
209
folgt daraus nicht etwa eine Nichtbelieferung dieser Kunden. Vielmehr müssen diese
Kunden – bei Erfüllungswahl durch den Insolvenzverwalter oder im Rahmen eines
neuen Grundversorgungsvertrages bzw. eines Ersatzversorgungsverhältnisses – auch
weiterhin durch den Grundversorger beliefert werden.
(b) Befriedigung der Belieferungsansprüche aus den vom starken vorläufigen Insolvenzverwalter begründeten bzw. bereits vorhandenen Grundversorgungsverträgen, deren Gegenleistung von ihm in Anspruch genommenen wurde
(aa) § 55 II 1 InsO
§ 55 II 1 InsO bestimmt, dass Verbindlichkeiten, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind, auf den die Verfügungsbefugnis über das
Vermögen des Schuldners übergegangen ist, nach der Eröffnung des Verfahrens als
Masseverbindlichkeiten gelten. Im Gegensatz zu § 55 I Nr. 1 InsO unterscheidet §
55 II InsO nicht zwischen Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des vorläufigen
Insolvenzverwalters oder in sonstiger Weise durch die Verwaltung, Verwertung und
Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden. Vor dem Hintergrund des unterschiedlichen Wortlauts von § 55 I Nr. 1 InsO und § 55 II 1 InsO ist letzterer einschränkend dahin auszulegen, dass die Fiktion der Masseverbindlichkeit nur für
solche Verbindlichkeiten gilt, die der vorläufige Insolvenzverwalter im Zusammenhang mit den Aufgaben der Verwaltung und Fortführung des Unternehmens des
Schuldners begründet hat.868
Angesichts der Tatsache, dass der Abschluss von Grundversorgungsverträgen zu
den durch die Verwaltung und Fortführung eines Grundversorgungsunternehmens
entstehenden Aufgaben gehört, ist festzustellen, dass die von einem vorläufigen
starken Insolvenzverwalter abgeschlossenen Grundversorgungsverträge gem. § 55 II
1 InsO als Masseverbindlichkeiten zu befriedigen sind.
che Anmeldung der Erfüllungsansprüche zur Insolvenztabelle grundsätzlich möglich ist (bejahend: HK-Marotzke, InsO, § 103 Rn. 43; verneinend und nur einen Anspruch wegen Nichterfüllung befürwortend: Jaeger-Henckel, KO, § 17 Rn. 7, 70, 83 i.V.m. 162), bedarf an dieser
Stelle keiner näheren Erörterung. Selbst wenn die Möglichkeit einer Anmeldung von Erfüllungsansprüchen aus solchen Verträgen bejaht wird, wäre nämlich eine aussichtsreiche Anmeldung der aus Grundversorgungsverträgen folgenden Erfüllungsansprüche in der Regel zu
verneinen. Dies ergibt sich daraus, dass mit dem unumgänglichen Zustandekommen neuer
Grundversorgungsverträge bzw. Ersatzversorgungsverhältnisse die bisherigen Grundversorgungsverträge konkludent beendet werden, so dass daraus keine Belieferungsansprüche resultieren können.
868 FK-Schumacher, InsO, § 55 Rn. 33.
210
(bb) § 55 II 2 InsO
Als Masseverbindlichkeiten gelten gem. § 55 II 2 InsO außerdem Verbindlichkeiten
aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der vorläufige Insolvenzverwalter für das
von ihm verwaltete Vermögen die Gegenleistung in Anspruch genommen hat.
Durch die Hochstufung dieser Verbindlichkeiten zu Masseverbindlichkeiten soll
deren vollständige Befriedigung im eröffneten Insolvenzverfahren durch den Insolvenzverwalter sichergestellt werden.869 Soweit der vorläufige Insolvenzverwalter die
Gegenleistung in Anspruch genommen hat, behandelt das Gesetz die Ansprüche des
Vertragspartners aus Dauerschuldverhältnissen, als hätte der vorläufige Insolvenzverwalter sie selbst durch Neuabschluss begründet.870 Dabei werden die Ansprüche
aus Dauerschuldverhältnissen nur in dem Umfang zu Masseverbindlichkeiten, in
dem der vorläufige Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis
die Gegenleistung in Anspruch genommen hat.871
Eine Begründung von Masseverbindlichkeiten gem. § 55 II 2 InsO aufgrund der
Inanspruchnahme von Gegenleistungen aus den vom Schuldner abgeschlossenen
Grundversorgungsverträgen durch den starken vorläufigen Insolvenzverwalter wird
in der Regel jedoch zu verneinen sein. Zwar erfasst § 55 II 2 InsO nach seinem
Wortlaut alle Dauerschuldverhältnisse, so dass neben den der Regelung des § 108
InsO unterfallenden Dauerschuldverhältnisse auch andere Dauerschuldverhältnisse,
unter anderem auch Energielieferungsverträge gemeint sind.872 Allerdings macht die
in der Regelung des § 55 II 2 InsO angeordnete Hochstufung der aus Dauerschuldverhältnissen herrührenden Ansprüchen für die gegenüber einem starken vorläufigen
Insolvenzverwalter erbrachten Leistungen zu Masseverbindlichkeiten nur für solche
Fallkonstellationen Sinn, in denen der vorläufige Insolvenzverwalter die Leistung
eines vorleistungspflichtigen Vertragspartners in Anspruch genommen hat, ohne
diese bereits selbst erfüllt zu haben. In diesen Fällen soll zum Schutze des Leistenden873 dessen Anspruch nach der Insolvenzeröffnung als Masseverbindlichkeit gem.
§ 55 II InsO befriedigt werden. Bei Grundversorgungsverträgen ist die Situation
jedoch derart, dass der Grundversorger grundsätzlich vorleistungspflichtig ist. Eine
Vorauszahlung kann der Grundversorger gem. § 14 I 1 StromGVV nur dann verlangen, wenn nach den Umständen des Einzelfalls Grund zu der Annahme besteht, dass
der Kunde seinen Zahlungsverpflichtungen nicht oder nicht rechtzeitig nachkommt.
Im Regelfall kann eine Inanspruchnahme der Gegenleistung (der Entgeltzahlung)
durch den vorläufigen Insolvenzverwalter daher erst erfolgen, nachdem der grundversorgte Kunde Energie bezogen hat. In diesen Fällen ist der Belieferungsanspruch
des grundversorgten Kunden allerdings bereits durch Erfüllung erloschen (§ 362 I
869 MüKo-Hefermehl, InsO, § 55 Rn. 217.
870 MüKo-Hefermehl, InsO, § 55 Rn. 216.
871 Uhlenbruck-Berscheid, InsO, § 55 Rn. 83.
872 Uhlenbruck-Berscheid, InsO, § 55 Rn. 84; Wiester, ZInsO 1998, 99, 104; FK-Schumacher,
InsO, § 55 Rn. 35.
873 Jaeger-Henckel, InsO, § 55 Rn. 84; Smid-Smid, InsO, § 55 Rn. 41.
211
BGB), so dass kein Anspruch besteht, der im eröffneten Verfahren als Masseforderung zu befriedigen wäre. Das Eingreifen des § 55 II 2 InsO wäre also nur dann zu
bejahen, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter ausnahmsweise – aufgrund des §
14 I 1 StromGVV oder durch eine freiwillige Leistung des Kunden – eine Vorauszahlung in Anspruch genommen hat und die durch diese Vorauszahlung beglichene
Strommenge die vor der Eröffnung des Verfahrens durch den Kunden entnommene
Strommenge übersteigt. In diesen Fällen gilt hinsichtlich der Restmenge des durch
den Kunden bezahlten Stroms, dass die Verpflichtung zur Lieferung dieser Restmenge eine Masseverbindlichkeit gem. § 55 II 2 InsO darstellt. Dabei richtet sich
die Befriedigung der restlichen Belieferungsansprüche, die diesen Kunden aus
Grundversorgungsverträgen zustehen, nach den allgemeinen – oben erörterten –
Grundsätzen, die für die Befriedigung der Ansprüche aus den vom Schuldner bzw.
schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter abgeschlossenen Grundversorgungsverträgen gelten.
(cc) Ergebnis
Festzustellen ist, dass diejenigen Belieferungsansprüche aus Grundversorgungsverträgen, die aus den vom vorläufigen starken Insolvenzverwalter abgeschlossenen
Grundversorgungsverträgen erwachsen bzw. für welche ausnahmsweise eine Vorauszahlung an den vorläufigen starken Insolvenzverwalter erfolgte, als Masseverbindlichkeiten nach § 55 II InsO behandelt werden. Dabei führt die Befriedigung
dieser Belieferungsansprüche als Masseforderungen zur Versorgungssicherheit der
Gläubiger dieser Ansprüche.
(c) Zusammenfassung: Auswirkungen der insolvenzrechtlichen Normen auf die
Versorgungssicherheit der vor der Insolvenzeröffnung grundversorgten Kunden
Alle Haushaltskunden, die vor der Insolvenzeröffnung einen Grundversorgungsvertrag abgeschlossen haben, müssen auch nach der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Grundversorgers von diesem mit Strom beliefert werden. Dies gilt unabhängig davon, ob die Kunden ihren Grundversorgungsvertrag mit einem starken
vorläufigen Insolvenzverwalter abgeschlossen haben (§ 55 II 1 InsO) oder mit dem
Schuldner bzw. mit dem schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter.
Insoweit führt das Eingreifen der insolvenzrechtlichen Normen hinsichtlich der
Gläubigerbefriedigung nicht dazu, dass das durch die Regelungen der §§ 36, 38
EnWG verfolgte Ziel der Gewährleistung der Versorgungssicherheit vereitelt wird.
Vielmehr ist die Versorgungssicherheit der vor der Insolvenzeröffnung grundversorgten Kunden auch bei Eingreifen der insolvenzrechtlichen Normen gewährleistet.
Dementsprechend bestehen insoweit keine Kollisionen zwischen der Regelung des §
36 I 1 EnWG und den Normen der §§ 1 S. 1, 38, 87 InsO, so dass auf die oben ange
212
sprochene Überlegung, dass aus dem Sinn und Zweck des § 36 I 1 EnWG bei Vorrang dieser Norm gegenüber den insolvenzrechtlichen Regelungen zur Gläubigerbefriedigung eine von diesen Regelungen abweichende Gläubigerbefriedigung folgen
könnte, nicht weiter einzugehen ist.
bb) Befriedigung der Belieferungsansprüche aus den vor der Insolvenzeröffnung
begründeten Ersatzversorgungsverhältnissen
(1) Grundsatz
Da die Belieferungsansprüche aus § 38 EnWG in der hier untersuchten Fallkonstellation zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits begründet waren, sind
diese grundsätzlich als Insolvenzforderungen gem. § 38 InsO einzuordnen.
(2) Ausnahmen
(a) Befriedigung der Belieferungsansprüche aus den vom Schuldner bzw. schwachen
vorläufigen Insolvenzverwalter begründeten Ersatzversorgungsverhältnissen
Wie gesehen874, bestehen in der InsO Regelungen, nach denen Ansprüche aus Altverbindlichkeiten auch nach der Insolvenzeröffnung automatisch (vgl. §§ 55 I Nr. 2,
2. Alt. i.V.m. § 108 InsO) oder aufgrund einer Erfüllungswahl (vgl. §§ 55 I Nr. 2, 1.
Alt. i.V.m. § 103 InsO) als Masseforderungen zu behandeln sind. Allerdings gelten
diese Regelungen ihrem Wortlaut nach nur für vertragliche Ansprüche. Beim Belieferungsanspruch aus § 38 EnWG handelt es sich jedoch nicht um einen vertraglichen
Anspruch gegen den Grundversorger, sondern um eine aus einem gesetzlichen
Schuldverhältnis resultierende Forderung. Hinsichtlich der vor der Insolvenzeröffnung begründeten Ansprüche aus gesetzlichen Schuldverhältnissen fehlt es in der
InsO an einer Möglichkeit, diese abweichend vom Grundsatz des § 38 InsO als Masseforderungen zu befriedigen, so dass der Insolvenzverwalter die Forderungen aus §
38 EnWG grundsätzlich nur als Insolvenzforderungen, d.h. quotal zu befriedigen
hätte.
Allerdings ist nach einer im Grundsatz unbestrittenen Auffassung die Regelung
des § 103 InsO auf beiderseits noch nicht vollständig erfüllte Rückabwicklungsschuldverhältnisse anwendbar, obwohl es sich dabei um ebenfalls gesetzliche
Schuldverhältnisse handelt.875 Insofern stellt sich die Frage, ob eine analoge An-
874 Vgl. S. 175.
875 BGH WM 1961, 482, 485 f.; Huber, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 35 Rn. 16;
Häsemeyer, KTS 2002, 603, 606 ff.; Scherer, NZI 2002, 356, 359 ff; HK-Marotzke, InsO, §
103 Rn. 11; N/R-Balthasar, InsO, § 103 Rn. 15; K/P-Tintelnot, InsO, § 103 Rn. 14; v.
213
wendung der § 103 ff. InsO auch hinsichtlich des gesetzlichen Schuldverhältnisses
der Ersatzversorgung i.S.d. § 38 EnWG bejaht werden kann. Dafür ließe sich die
Ähnlichkeit zwischen den Grundversorgungsverträgen, bei welchen die Regelung
des § 103 InsO eingreift, und Ersatzversorgungsverhältnissen vorbringen. Zu untersuchen ist daher, ob die Regelung des § 103 InsO analog auf Ersatzversorgungsverhältnisse angewendet werden kann.
(aa) Analoge Anwendung des § 103 InsO auf gesetzliche Schuldverhältnisse
Die analoge Anwendung einer Norm setzt eine ungeplante Regelungslücke sowie
eine Ähnlichkeit der Interessenlagen zwischen den von der Norm erfassten Sachverhalten und den Sachverhalten, auf welche sich die Norm ihrem Wortlaut nach nicht
erstreckt, voraus.876
[1] Regelungslücke
Fraglich ist, ob § 103 InsO eine ungeplante Regelungslücke aufweist. Diese könnte
darin zu sehen sein, dass sich die Anwendbarkeit des § 103 InsO ihrem Wortlaut
nach auf solche gesetzlichen Schuldverhältnisse, die vertraglichen Schuldverhältnissen ähneln, nicht erstreckt. Zur Beantwortung der Frage, ob die Nichterfassung von
derartigen gesetzlichen Schuldverhältnissen eine Regelungslücke darstellt, ist zunächst der dem § 103 InsO zugrunde liegende Sinn und Zweck zu untersuchen.
[a] Sinn und Zweck des § 103 InsO
Während früher der Sinn und Zweck des § 103 InsO im Schutz des Vertragspartners
gesehen wurde877, wird nunmehr vertreten, dass diese Vorschrift in erster Linie dem
Insolvenzverwalter ermöglichen solle, einen von keiner Seite bereits vollständig
erfüllten gegenseitigen Vertrag zum Vorteil der Masse und damit der Gläubigergesamtheit auszuführen, zugleich aber auch dem (vorleistungspflichtigen) Vertragspartner den durch das funktionelle Synallagma vermittelten Schutz erhalten solle.878
Caemmerer, Larenz-FS, S. 621, 636; FK-Wegener, InsO, § 103 Rn. 15; Larenz, Michaelis-
FS, S. 293, 208; Becker, DZWiR 2004, 202; offengelasen von BGHZ 150, 138, 148; BGH,
DZWiR 2004, 200, 201; Pape, WuB VI B § 17 4.02, S. 994.
876 Larenz, Methodenlehre, S. 377, 381 f.; Achterberg, Verwaltungsrecht-AT, § 17 Rn. 49.
877 RGZ 84, 228, 234; 140, 156, 162; BGHZ 106, 236, 244; Jaeger-Lent, KO (8. Aufl.), § 17
Einl. 3 und Rn. 11; Wirtz, Ablehnung der Erfüllung, S. 7 f.
878 BGH, NJW 1983, 1619; BGHZ 135, 25, 27; Bork, Zeuner-FS, S. 297, 309; MüKo-Kreft,
InsO, § 103 Rn. 2; Marotzke, Gegenseitige Verträge, Rn. 2.21 ff.; N/R/Balthasar, InsO, § 103
Rn. 3; Uhlenbruck-Berscheid, InsO, § 103 Rn. 1; Musielak, AcP 179 (1979), S. 189, 212.
214
Diejenigen, die den Zweck des § 103 InsO lediglich im Schutz des Vertragspartners sahen, argumentierten, dass der Vertragspartner ohne die Vorschriften der §§
103, 55 I Nr. 2, 1. Alt. InsO verpflichtet wäre, voll zur Masse zu erfüllen, sich andererseits jedoch hinsichtlich seiner Gegenforderung mit der Quote begnügen müsste.
Es wurde davon ausgegangen, dass die Einrede des § 320 BGB nur deshalb auch
gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend gemacht werden könne, weil der sie
begründende Gegenanspruch gem. §§ 103 I 1 i.V.m. 55 I Nr. 2, 1. Alt. InsO zu einer
Masseverbindlichkeit aufgewertet worden sei.879
Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass die dem Vertragspartner bei einem gegenseitigen Vertrag zustehende Einrede des § 320 BGB unabhängig von §§ 103 I 1
i.V.m. 55 I Nr. 2, 1. Alt. InsO insolvenzfest ist und gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend gemacht werden kann.880 Dies ergibt sich daraus, dass § 35 InsO nur
solche Vermögenswerte zur Insolvenzmasse rechnet, die dem insolventen Schuldner
wirklich gehören, so dass eine Einrede, die einem Anspruch des Schuldners entgegensteht, ihre Wirksamkeit nicht dadurch verlieren kann, dass der betroffene Anspruch nunmehr aufgrund gesetzlicher Ermächtigung gem. § 80 InsO vom Insolvenzverwalter erhoben wird.881 Eine Zug-um-Zug-Leistung, zu welcher der Vertragspartner aus einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet ist, bedeutet nämlich –
unabhängig davon, ob der Schuldner selbst oder dessen Insolvenzverwalter den
Anspruch auf die Leistung geltend macht – „vertragsmäßige Leistung gegen vertragsmäßige Leistung“ und nicht etwa „vertragsmäßige Leistung gegen Insolvenzquote“.882 Die Insolvenzfestigkeit des § 320 BGB bewirkt, dass lediglich der vorleistungspflichtige Vertragspartner, welchem die Zug-um-Zug-Einrede des § 320 BGB
und auch ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 321 BGB nicht zusteht883, schutzbedürftig ist.884 Da sich die Anwendbarkeit des § 103 InsO jedoch nicht nur auf
solche Fallgruppen beschränkt, muss der Sinn und Zweck des § 103 InsO ein anderer als der Schutz des Vertragspartners sein. Dabei ist zu beachten, dass die Vorschriften der §§ 103, 55 I Nr. 2, 1. Alt. InsO den Insolvenzverwalter ermächtigen,
den bereits bei Verfahrenseröffnung begründet gewesenen, deshalb eigentlich als
Insolvenzforderung i.S.d. § 38 InsO zu qualifizierenden und als solche den in §§ 45,
87 ff., 174 ff., 187 ff. InsO genannten Beschränkungen unterliegenden Anspruch des
Vertragspartners mit Mitteln der Masse vollständig zu erfüllen, um so der dem eigenen Erfüllungsbegehren entgegenstehenden Einrede des nicht erfüllten Vertrages (§
320 BGB) Rechnung tragen zu können.885 Der Sinn und Zweck des Wahlrechts ist
879 Vgl. RGZ 77, 436, 439 f.; Jaeger-Jaeger, KO (6/7 Auflage), § 17 Rn. 34.
880 Marotzke, Gegenseitige Verträge, Rn. 2.76.
881 Marotzke, Gegenseitige Verträge, Rn. 2.13.
882 Marotzke, Gegenseitige Verträge, Rn. 2.13.
883 Gerade die Existenz der Regelung des § 103 InsO entzieht dem Vertragspartner die Einrede
des § 321 BGB, wenn und sobald die die in § 321 BGB vorausgesetzte Gefährdung des Gegensanspruchs durch dessen Umwandlung in eine Masseverbindlichkeit behoben ist (vgl.
Marotzke, Gegenseitige Verträge, Rn. 4.85; Palandt-Grüneberg, BGB, § 321 Rn. 5).
884 Vgl. Marotzke, Gegenseitige Verträge, Rn. 2.24.
885 Marotzke, Gegenseitige Verträge, Rn. 2.21.
215
also darin zu sehen, der Insolvenzmasse diejenigen noch ausstehenden Leistungen
des Vertragspartners zu den bisherigen Vertragsbedingungen zu verschaffen, auf die
der Insolvenzveralter ohne die Erfüllungswahl einen durchsetzbaren Anspruch nicht
hätte.886 Da der Insolvenzverwalter seine Erfüllungswahl grundsätzlich nur im Interesse der Masse ausüben darf, die Erfüllung eines Vertrages also nur dann verlangen
darf, wenn dies für die Masse günstig ist887, wird durch § 103 InsO letztlich der
Schutz der Insolvenzmasse bezweckt.
[b] Regelungslücke in Bezug auf gesetzliche Schuldverhältnisse
Ohne die Anwendung des § 103 InsO wäre der Insolvenzverwalter in der Regel
entsprechend den §§ 38 ff., 45, 87, 174 ff., 187 ff. InsO verpflichtet, die Ansprüche
der Kunden aus gesetzlichen Schuldverhältnissen nur als Insolvenzforderungen zu
erfüllen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass das grundsätzliche Verbot, Insolvenzforderungen vertragsgemäß und vollständig zu erfüllen und dadurch einem Insolvenzgläubiger mehr zu gewähren als die auf ihn entfallende Quote, grundsätzlich dem
Schutz der übrigen Insolvenzgläubiger dient.888 Allerdings liegt es gerade im Interesse der Gesamtheit der Insolvenzgläubiger, dass der Insolvenzverwalter die – in §
103 InsO normierte – Möglichkeit erhält, die Ansprüche der Gegenseite vollständig
zu befriedigen, sofern dies der einzige Weg ist, um die für die Masse günstigen
Gegenansprüche zu realisieren. Da dieses Interesse nicht nur bei gegenseitigen Verträgen besteht, auf welche sich der Wortlaut des § 103 InsO bezieht, sondern auch
bei gesetzlichen Schuldverhältnissen bestehen kann, ist die Regelung des § 103
InsO, welche zugunsten der Masse eine Ausnahme von dem oben beschriebenen
Verbot regelt, als zu eng anzusehen und damit eine ungeplante Regelungslücke zu
bejahen. Für die analoge Anwendung des § 103 InsO in den Fällen, in denen die
vollständige Erfüllung von Ansprüchen gegen die Masse als günstig anzusehen ist,
spricht auch die Überlegung, dass der Insolvenzverwalter gem. § 55 I Nr. 1 InsO
sogar völlig neue Masseverbindlichkeiten begründen kann und darf, falls dies im
Interesse der Insolvenzgläubiger liegt. Dann muss ihm aber genauso erlaubt sein,
eine einfache Insolvenzforderung wie eine Masseverbindlichkeit vollständig zu
erfüllen.889
Da Ersatzversorgungsverhältnisse nach § 38 EnWG sowohl Belieferungsansprüche als auch Gegenansprüche in Form von Entgeltzahlungen beinhalten, handelt es
sich dabei um solche gesetzlichen Schuldverhältnisse, bei denen durch die vollständige Erfüllung der gegen die Masse bestehenden Belieferungsansprüche günstige
Gegenansprüche der Masse realisiert werden können, so dass hinsichtlich der Er-
886 BGHZ 135, 25, 27 f.; OLG Brandenburg, NZI 2002, 107, 108; MüKo-Kreft, InsO, § 103 Rn.
2.
887 HK-Marotzke, InsO, § 103 Rn. 2, 35.
888 Marotzke, Gegenseitige Verträge, Rn. 2.79.
889 Vgl. Marotzke, Gegenseitige Verträge, Rn. 2.80.
216
satzversorgungsverhältnisse eine ungeplante Regelungslücke des § 103 InsO zu
bejahen ist.
[2] Ähnlichkeit der Interessenlage
Eine weitere Voraussetzung der analogen Anwendung einer Regelung ist die Bewertungsgleichheit zweier Sachverhalte.
Ersatzversorgungsverhältnisse weisen erhebliche Ähnlichkeiten zu Stromlieferverträgen, insbesondere zu Grundversorgungsverhältnissen auf, welche als vertragliche Schuldverhältnisse der Regelung des § 103 InsO unterfallen. Diese Ähnlichkeit
wird vor allem daran deutlich, dass die Regelungen der StromGVV gem. § 3 I
StromGVV auf das Ersatzversorgungsverhältnis entsprechend angewendet werden,
wobei nur die Regelungen ausgenommen sind, die der Natur des Ersatzversorgungsverhältnisses als einem gesetzlichen Schuldverhältnis widersprechen bzw. derer es
für das Ersatzversorgungsverhältnis nicht bedarf (wie z.B. der Regelungen hinsichtlich des Vertragsschlusses und der Vertragskündigung sowie hinsichtlich des Zutrittsrechts nach § 9 StromGVV890). Insoweit besteht zwischen dem Grundversorgungsvertrag und einem Ersatzversorgungsverhältnis bis auf den Umstand, dass es
dem Ersatzversorgungsverhältnis an einem Vertragsschluss mangelt, und dass das
Ersatzversorgungsverhältnis aufgrund der Beschränkung auf drei Monate einen
Übergangscharakter aufweist, kein für die Beurteilung der Ähnlichkeit der Interessenlagen entscheidender Unterschied.
Insbesondere sind im Rahmen der Ersatzversorgungsverhältnisse die gegenseitigen Verpflichtungen der Vertragsparteien, wie auch bei den gegenseitigen Verträgen
i.S.d. § 320 BGB, nur Zug um Zug zu erfüllen. So ist der Grundversorger nur dann
zur Energielieferung verpflichtet, wenn der ersatzversorgte Kunde seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommt, was sich aus der entsprechenden Anwendung des § 19
StromGVV auf die Ersatzversorgung ergibt. So ist der Grundversorger nach § 19 II
1 StromGVV berechtigt, die Ersatzversorgung bei Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung durch den Kunden trotz Mahnung, vier Wochen nach Androhung
unterbrechen zu lassen. Ferner kann die Ersatzversorgung gem. § 19 I 1 StromGVV
unterbrochen werden, um den Gebrauch von elektrischer Arbeit unter Umgehung,
890 Die Nichtanwendung des § 9 StromGVV auf Ersatzversorgungsverhältnisse erklärt sich aus
der Regelung des § 38 II 2 EnWG. Danach kann das EVU den Energieverbrauch, der auf die
nach § 38 I EnWG bezogenen Energiemengen entfällt, auf Grund einer rechnerischen Abgrenzung schätzen und den ermittelten anteiligen Verbrauch in Rechnung stellen. Dazu werden die seit der letzten Ablesung verstrichenen Tage zum Ersatzversorgungszeitraum in Beziehung gesetzt und der bei der nächsten Zählerablesung festgestellte Gesamtverbrauch rechnerisch auf die einzelnen Tage gleich verteilt, so dass der Normalbezug vom Ersatzbezug
mengenmäßig abgegrenzt ist. § 38 EnWG spricht von „Schätzungen“, weil auf diese Weise
der tatsächlich je Bezugstag realisierte mengenmäßige Verbrauch „pauschaliert“ werden
muss, da der exakte Verbrauch im Nachhinein nicht mehr feststellbar ist (Salje, EnWG, § 38
Rn. 20). Eines Zutrittsrechts des Ersatzversorgers bedarf es daher nicht.
217
Beeinflussung oder vor Anbringung der Messeinrichtungen zu verhindern. Der ersatzversorgte Kunde ist seinerseits nur dann zur Zahlung von Energie verpflichtet,
wenn er als Gegenleistung eine volle Befriedigung seiner Belieferungsansprüche
erhält.
Ferner ist eine Ähnlichkeit zum Grundversorgungsvertrag aufgrund der Tatsache
gegeben, dass durch die Grundversorgungs- und Ersatzversorgungspflicht die Versorgungssicherheit mit Energie sichergestellt werden soll, beide Institute also „Notfallinstrumentarien“ darstellen, die dem gleichen Zweck dienen. Durch die Normierung eines Ersatzversorgungsverhältnisses sollte kein Gegenstück zu vertraglichen
Schuldverhältnissen geschaffen, sondern lediglich der Möglichkeit des vertragslosen
Energiebezugs Rechnung getragen und Rechtssicherheit erreicht werden.
Festzustellen ist also, dass zwischen den Ersatzversorgungsverhältnissen und
Grundversorgungsverträgen erhebliche Ähnlichkeiten bestehen, die eine Gleichbehandlung beider Sachverhalte in der Insolvenz nahe legen.
Die für eine Analogie erforderliche Bewertungsgleichheit der Interessenlagen
setzt allerdings auch die Deckung durch den Normzweck voraus.891 Wie gesehen892,
besteht der Hauptzweck des § 103 I InsO darin, dem Insolvenzverwalter die Einziehung von Forderungen der Masse zu ermöglichen, die der Gegner nur Zug um Zug
gegen eine Leistung des Verfahrensschuldners bzw. des Insolvenzverwalters zu
erfüllen braucht. Aus rein rechtlicher Sicht wäre eine analoge Anwendung des § 103
InsO auf Ersatzversorgungsverhältnisse durch den Normzweck des § 103 InsO gedeckt. Grundsätzlich bedarf es im Rahmen von Ersatzversorgungsverhältnissen
nämlich der Anwendung des § 103 InsO, um dem Insolvenzverwalter – zum Vorteil
der Masse – die Einziehung von Forderungen der Masse aus einem bereits bestehenden Ersatzversorgungsverhältnis zu ermöglichen (Entgeltforderungen), die der
Kunde nur Zug um Zug gegen eine Leistung des insolventen Schuldners (Energielieferung) zu erfüllen braucht.
Allerdings sind für die Frage nach der Deckung durch den Normzweck auch die
faktischen Gegebenheiten des Energieversorgungsmarktes zu berücksichtigen.
Zu beachten ist, dass der Gesetzgeber für die Haushaltskunden bzw. die in Niederspannung belieferten Kunden durch die Normierung der Grund- und Ersatzversorgungspflicht dafür gesorgt hat, dass es grundsätzlich nicht zu Versorgungsausschlüssen dieser Kunden kommt. Dementsprechend sind die in der StromGVV sowie in der StromNAV vorgesehenen Möglichkeiten für eine Trennung dieser
Kunden vom Netz äußerst begrenzt (vgl. § 24 StromNAV, § 19 StromGVV). Dabei
ist eine Unterbrechung der Anschlussnutzung eines Kunden durch den Netzbetreiber
aufgrund der in dem Verhältnis zwischen dem Grundversorger und diesem Kunden
liegenden Umstände gem. § 24 StromNAV i.V.m. § 19 StromGVV nur dann möglich, wenn eine Zuwiderhandlung des Kunden gegen die StromGVV vorliegt. Dadurch, dass für eine Trennung vom Netz lediglich die in der Sphäre des Kunden
selbst liegenden Gründe von Relevanz sind, wird der grundsätzlichen Schutzwür-
891 Larenz, Methodenlehre, S. 381 f.; Achterberg, Verwaltungsrecht-AT, § 17 Rn. 49.
892 Vgl. S. 214; Marotzke, Gegenseitige Verträge, Rn. 4.114.
218
digkeit dieser Kunden Rechnung getragen. Dementsprechend führt eine Erfüllungsablehnung von Grundversorgungsverträgen durch den Insolvenzverwalter, bei welcher es sich um eine Maßnahme handelt, die aus der Sphäre des Grundversorgers
resultiert, wie bereits gezeigt, nicht zu einer Trennung des jeweiligen Haushaltskunden vom Netz.
Aus den Regelungen der §§ 36, 38 EnWG sowie der auch für Ersatzversorgungsverhältnisse geltenden StromGVV ergibt sich, dass auch diejenigen Kunden, welche
vor der Insolvenzeröffnung im Wege der Ersatzversorgung beliefert wurden, auch
dann nicht vom Netz getrennt werden dürften, wenn der Insolvenzverwalter diese
Kunden hinsichtlich ihrer vor der Insolvenzeröffnung begründeten Belieferungsansprüche auf die Befriedigung als Insolvenzgläubiger verweisen würde. Auch in
diesem Fall könnten die Kunden weiterhin Strom aus dem Netz entnehmen. Angesichts der Angewiesenheit auf den Strombezug würden diese Kunden dies auch tun
und wären aufgrund des Fortbestandes der Grund- und Ersatzversorgungspflicht des
Grundversorgers hierzu berechtigt.
Dabei würde durch den Strombezug zumindest ein neues Ersatzversorgungsverhältnis entstehen. Sofern es sich bei dem jeweiligen Kunden um einen Haushaltskunden handelt, wäre auch der Abschluss eines neuen Grundversorgungsvertrages
denkbar (vgl. § 2 II 1 StromGVV). In beiden Fällen würde es sich bei den aus diesen
Versorgungsverhältnissen resultierenden Belieferungsansprüchen aber um Masseverbindlichkeiten gem. § 55 I Nr. 1 InsO handeln.
Aus den tatsächlichen Gegebenheiten ergibt sich also die Situation, dass ein neues
Belieferungsverhältnis mit den für die Masse lukrativen Kunden ohnehin automatisch durch die nach der Insolvenzeröffnung erfolgende Stromentnahme zustande
käme, wobei eine solche aufgrund der Angewiesenheit der Kunden auf die Stromversorgung unabdingbar wäre. Dabei würden sich die im Rahmen dieses neuen Belieferungsverhältnisses entstehenden Forderungen des Grundversorgers gegen den
Kunden mit denjenigen Forderungen decken, die aus dem bisherigen Ersatzversorgungsverhältnis resultieren würden. Dies folgt daraus, dass ein neues Ersatzversorgungsverhältnis zu denselben Bedingungen und Preisen zustande käme, wie sie auch
im Rahmen des alten Ersatzversorgungsverhältnisse gegolten haben bzw. – bei zwischenzeitlicher Änderung dieser Konditionen – gelten würden, sowie daraus, dass
der Strombedarf des jeweiligen Kunden unabhängig davon ist, ob der Kunde auf der
Grundlage des alten oder des neuen Ersatzversorgungsverhältnisses beliefert wird.
Dasselbe gilt auch für den Fall des Zustandekommens eines Grundversorgungsvertrages mit dem bisher ersatzversorgten Kunden. Da es sich bei diesem nur um einen
Haushaltskunden handeln kann, würden nämlich sowohl die Allgemeinen Bedingungen als auch der Allgemeine Preis des Grundversorgungsvertrages den Bedingungen und Preisen des bisherigen Ersatzversorgungsverhältnisses weitestgehend
entsprechen, in welchem sowohl die Allgemeinen Bedingungen der StromGVV als
auch die Allgemeinen Preise (vgl. § 38 I 3 EnWG) gegolten haben. Somit kämen der
Masse auch ohne das Erfüllungswahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO
den Forderungen aus den bisherigen – lukrativen – Ersatzversorgungsverhältnissen
entsprechende Ansprüche zugute. Für die Masse entstünden durch das Recht des
219
Insolvenzverwalters zur Erfüllungswahl also keine Vorteile. Vielmehr würde die
Masse auch ohne ein solches Recht dieselben Ansprüche gegen lukrative Kunden
haben wie dies auch bei Fortbestand des alten Ersatzversorgungsverhältnisses der
Fall wäre.893
Darin ist ein Unterschied zu der bei Grundversorgungsverträgen bestehenden Interessenlage zu sehen. Zwar können auch die Kunden, welche vor der Insolvenzer-
öffnung einen Grundversorgungsvertrag mit dem Schuldner abgeschlossen haben,
auch nach der Insolvenzeröffnung weiterhin Strom aus dem Niederspannungsnetz
entnehmen. Allerdings könnte dadurch sowohl ein neuer Grundversorgungsvertrag
entstehen als auch ein Ersatzversorgungsverhältnis i.S.d. § 38 EnWG. Dabei ist zu
beachten, dass es sich bei einem Ersatzversorgungsverhältnis im Gegensatz zu
Grundversorgungsverträgen, welche konzeptionell auf Dauer angelegt sind, um ein
Belieferungsverhältnis handelt, welches von vornherein einen Übergangscharakter
aufweist. Handelt es sich um lukrative Kunden, ist es für die Masse daher grundsätzlich vorteilhafter, diese Kunden weiterhin im Wege eines Grundversorgungsvertrages zu beliefern, als im Wege der Ersatzversorgung, bei welcher die lukrativen Kunden jederzeit ohne die Einhaltung der Kündigungsfrist nach § 20 I 1 StromGVV die
Möglichkeit hätten, einen Strombelieferungsvertrag mit einem anderen Stromlieferanten abzuschließen und damit für die Masse verloren wären. Insofern bedarf es im
Rahmen von Grundversorgungsverträgen eines Wahlrechts des Insolvenzverwalters,
um die lukrativen Kunden, mit denen ein Grundversorgungsvertrag bestanden hat,
weiterhin im Wege der Grundversorgung beliefern zu können, ohne dass diese die
Möglichkeit hätten, im Rahmen des für die Masse tendenziell ungünstigeren Ersatzversorgungsverhältnisses, welches in der Zeit zwischen der Insolvenzeröffnung und
der Ausübung des Wahlrechts durch den Insolvenzverwalter stets entsteht, zu verbleiben.
Bei Ersatzversorgungsverhältnissen ist die Interessenlage hingegen dergestalt,
dass gegenüber den als lukrativ anzusehenden Kunden von vornherein lediglich eine
Versorgung bestanden hat, die einen Übergangscharakter aufwies. Dadurch, dass es
nach der Insolvenzeröffnung nicht zum Abschluss eines Grundversorgungsvertrages,
sondern zu einem neuen Ersatzversorgungsverhältnis mit den lukrativen Kunden
kommen könnte, würde für die Masse keine Verschlechterung entstehen. Vielmehr
wären die Auswirkungen für die Masse, wie gezeigt, dieselben wie auch bei Fortbestand des alten Ersatzversorgungsverhältnisses. Da das Erfüllungswahlrecht des
Insolvenzverwalters nach § 103 I Inso in Bezug auf die Erfüllung der bisherigen
893 Unklar ist, ob es für die Masse sogar vorteilhafter wäre, wenn es zu einem neuen Ersatzversorgungsverhältnis mit den lukrativen Kunden käme. Dies wäre denkbar, wenn das neue
Ersatzversorgungsverhältnis wiederum für drei Monate entstünde. Allerdings ist die Regelung
des § 38 II 1 EnWG, nach welchem das Rechtsverhältnis spätestens drei Monate nach Beginn
der Ersatzenergieversorgung endet, eher dahin zu verstehen, dass die Dauer des zweiten Versorgungsverhältnisses um diejenige aus dem vorherigen Ersatzversorgungsverhältnis zu
verkürzen wäre. Nach § 38 II 1 EnWG kömmt es nämlich nicht auf den Beginn des einzelnen
Rechtsverhältnisses nach § 38 I 1 EnWG an, sondern auf den Beginn der Ersatzenergieversorgung als solche.
220
Ersatzversorgungsverhältnisse auch nicht dazu führen kann, dass diejenigen lukrativen Kunden, die bisher im Rahmen der Ersatzversorgung beliefert wurden, einen für
die Masse grundsätzlich günstigeren Grundversorgungsvertrag abschließen, ist ein
durch die Bejahung eines Erfüllungswahlrechts für die Masse entstehender Vorteil
nicht ersichtlich.
Festzustellen ist daher, dass es bei Ersatzversorgungsverhältnissen, anders als bei
Grundversorgungsverträgen, keines Wahlrechts des Insolvenzverwalters bedarf, um
den bisherigen Status lukrativer Versorgungsverhältnisse zu erhalten und der Masse
dadurch einen Vorteil zu verschaffen.
[3] Ergebnis
Die tatsächlichen Gegebenheiten sprechen gegen das Bedürfnis, dem Insolvenzverwalter eine Einziehung von Forderungen der Masse aus einem vor der Insolvenzer-
öffnung begründeten Ersatzversorgungsverhältnis zu ermöglichen. Eine analoge
Anwendung des § 103 InsO auf Ersatzversorgungsverhältnisse ist daher mangels
einer vom Sinn und Zweck des § 103 InsO gedeckten Bewertungsgleichheit der
Interessenlagen im Ergebnis zu verneinen.
Somit handelt es sich bei den aus § 38 EnWG folgenden Belieferungsansprüchen
grundsätzlich um Insolvenzforderungen, die nicht gem. §§ 103 analog i.V.m. 55 I
Nr. 2, 1. Alt. InsO zu einer Masseverbindlichkeit heraufgestuft werden können.
(bb) Besonderheiten der Ersatzversorgungsverhältnisse
[1] Vorüberlegung
Fraglich ist, ob Ersatzversorgungsverhältnisse Besonderheiten aufweisen, welche
bewirken, dass die daraus folgenden Belieferungsansprüche als Masseforderungen
zu befriedigen sind.
Die Norm des § 38 I 1 EnWG trifft keine ausdrückliche Regelung darüber, wie
die aus einem Ersatzversorgungsverhältnis folgenden Belieferungsansprüche in der
Insolvenz des Grundversorgers zu befriedigen sind. Das Erfordernis der Befriedigung der aus einem Ersatzversorgungsverhältnis resultierenden Belieferungsansprüche im Insolvenzfall als Masseforderungen könnte aus der Regelung des § 38 I 1
EnWG allenfalls aufgrund der durch diese Regelung bezweckten Versorgungssicherheit gefolgert werden. Teilweise wird vertreten, dass der Sinn und Zweck einer
Regelung zu einem Vorrang dieser Regelung gegenüber dem insolvenzrechtlichen
Anspruchssystem zur Gläubigerbefriedigung führen und eine Befriedigung der je-
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weiligen Ansprüche außerhalb des insolvenzrechtlichen Systems begründen könne.894
Ein durch den Sinn und Zweck des § 38 InsO bedingter Vorrang des § 38 I 1
EnWG wäre aber nur dann denkbar, wenn der Sinn und Zweck dieser Norm durch
die Anwendung des insolvenzrechtlichen Anspruchssystems vereitelt würde. Insoweit ist zunächst zu untersuchen, ob es bei Eingreifen des insolvenzrechtlichen Systems zur Gläubigerbefriedigung tatsächlich zu einer Versorgungsunsicherheit der
bisher ersatzversorgten Kunden kommt. Dies wäre zum einen zu verneinen, wenn
der Insolvenzverwalter die aus § 38 EnWG folgenden Belieferungsansprüche –
unabhängig von einem etwaigen Vorrang des § 38 EnWG – nicht als Insolvenzforderungen behandeln dürfte, sondern vollständig als Masseforderungen erfüllen
müsste sowie dann, wenn die Einordnung der jeweiligen Forderungen als Insolvenzforderungen keine Versorgungsunsicherheit bewirken würde.
[2] Pflicht zur Erfüllung als Masseforderungen
Fraglich ist, ob es Gründe dafür gibt, dass der Insolvenzverwalter die aus den vor
der Insolvenzeröffnung begründeten Ersatzversorgungsverhältnissen folgenden
Belieferungsansprüche – entsprechend der oben geführten Diskussion um ein etwaiges Fehlen eines Ablehnungsrechts im Rahmen von Grundversorgungsverträgen –
nicht als Insolvenzforderungen behandeln darf, sondern vollständig als Masseforderungen erfüllen muss.
Wie bereits gezeigt, ist es dem Insolvenzverwalter grundsätzlich verboten, Insolvenzforderungen als Masseforderungen zu erfüllen.895 Eine Ausnahme hiervon bilden grundsätzlich lediglich die Regelungen der §§ 103 I 1 i.V.m. § 55 I Nr. 2, 1. Alt.
InsO, deren Anwendung auf Ersatzversorgungsverhältnisse oben verneint wurde.
Angesichts der Nichtanwendbarkeit des § 103 InsO auf Ersatzversorgungsverhältnisse und des damit einhergehenden Fehlens eines Wahlrechts stellt sich die Situation derart dar, dass dem Insolvenzverwalter nach der InsO nicht etwa ein Ablehnungsrecht hinsichtlich der Erfüllung der vor der Insolvenzeröffnung begründeten
Belieferungsansprüche aus Ersatzversorgungsverhältnissen zusteht, sondern dieser
einer „Ablehnungspflicht“ unterliegt.
Da der Insolvenzverwalter nach der InsO keine Möglichkeit hat, die vor der Insolvenzeröffnung begründeten Belieferungsansprüche als Masseforderungen zu
erfüllen, kann im Verweisen der ersatzversorgten Kunden auf die quotale Befriedigung grundsätzlich kein Verstoß gegen § 38 EnWG bzw. den in § 242 BGB normierten Grundsatz von Treu und Glauben gesehen werden.
894 Purps/Schumann, NJW 1999, 2476, 2478; dies., VIZ 1999, 385, 392.
895 Vgl. S. 215.
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[3] Ergebnis
Somit folgen aus den Ersatzversorgungsverhältnissen keine Besonderheiten, die
dazu führen, dass die vor der Insolvenzeröffnung begründeten Belieferungsansprüche aus § 38 I 1 EnWG trotz ihrer Einordnung als Insolvenzforderungen stets als
Masseforderungen zu befriedigen wären.
(cc) Schlussfolgerung hinsichtlich der insolvenzrechtlichen Behandlung / der Frage
der Versorgungssicherheit
[1] Insolvenzrechtliche Behandlung
Das Eingreifen des insolvenzrechtlichen Systems führt also dazu, dass Belieferungsansprüche, die aus den vor der Insolvenzeröffnung begründeten Ersatzversorgungsverhältnissen resultieren, Insolvenzforderungen darstellen und als solche zu befriedigen sind.
[2] Bedeutung hinsichtlich der Frage der Versorgungssicherheit
Die Versorgungssicherheit derjenigen Kunden, mit denen der Schuldner bzw. ein
schwacher Insolvenzverwalter vor der Insolvenzeröffnung ein Ersatzversorgungsverhältnis begründet hat, ist trotz der Einordnung der aus diesem Ersatzversorgungsverhältnis folgenden Belieferungsansprüche als Insolvenzforderungen gewährleistet. Diese Kunden würden zwar nicht im Rahmen des alten Ersatzversorgungsverhältnisses beliefert, da die daraus resultierenden Belieferungsansprüche lediglich
als Insolvenzforderungen zu erfüllen sind, allerdings würde bei der ersten nach der
Insolvenzeröffnung erfolgenden Stromentnahme zwangsläufig ein neues Versorgungsverhältnis mit dem Grundversorger zustande kommen. Dabei sind die aus den
neuen Versorgungsverhältnissen entstehenden Belieferungsansprüche unabhängig
davon, ob es sich dabei um ein neues Ersatzversorgungsverhältnis oder um einen
Grundversorgungsvertrag handeln sollte, gem. § 55 I Nr. 1 InsO als Masseforderungen zu befriedigen. Somit führt die grundsätzliche Einordnung der vor der Insolvenzeröffnung begründeten Belieferungsansprüche als Insolvenzforderungen nicht
zur Versorgungsunsicherheit der davon betroffenen Kunden. Vielmehr ist angesichts
der fortbestehenden Grund- und Ersatzversorgungspflicht eine ununterbrochene
Stromversorgung dieser Kunden gewährleistet.
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(b) Befriedigung der Belieferungsansprüche aus den vom starken vorläufigen Insolvenzverwalter begründeten bzw. bereits vorhandenen Ersatzversorgungsverhältnissen, deren Gegenleistung von ihm in Anspruch genommenen wurde
Fraglich ist, inwiefern es sich bei den Verbindlichkeiten aus einem Ersatzversorgungsverhältnis um Verbindlichkeiten handeln kann, die i.S.d. § 55 II 1 InsO von
einem vorläufigen Insolvenzverwalter, auf den die Verfügungsbefugnis über das
Vermögen des Schuldners übergegangen ist, begründet worden sind. Wie bereits
erörtert896, wird ein Ersatzversorgungsverhältnis durch die bloße vertragslose Stromentnahme eines Letztverbrauchers aus dem Niederspannungsnetz der allgemeinen
Versorgung begründet. Einer entsprechenden Erklärung bzw. Handlung des Grundversorgers bzw. eines (starken) Insolvenzverwalters bedarf es hierzu nicht. Vielmehr
entsteht allein durch die bloße vertragslose Stromentnahme ein gesetzliches Schuldverhältnis.
Allerdings werden von § 55 II, 1. Alt. InsO nicht nur vertragliche Ansprüche erfasst, die vom vorläufigen starken Insolvenzverwalter begründet wurden, sondern
auch die im Zusammenhang mit der Fortführung des Unternehmens durch den vorläufigen Verwalter kraft Gesetzes entstehenden Ansprüche.897 Insoweit ist davon
auszugehen, dass im Falle eines im Vorverfahren begründeten Ersatzversorgungsverhältnisses die den Ansprüchen des Kunden aus § 38 EnWG entsprechenden Verpflichtungen des Grundversorgers als vom starken Insolvenzverwalter i.S.d. § 55 II
1 InsO „begründet“ anzusehen und daher als Masseverbindlichkeiten zu befriedigen
sind.
Ebenfalls als Masseverbindlichkeiten sind die Ansprüche aus § 38 EnWG zu befriedigen, die zwar vom Schuldner begründet worden sind, deren Gegenleistung der
vorläufige starke Insolvenzverwalter jedoch in Anspruch genommen hat (vgl. § 55 II
2. InsO), was zum Beispiel dann der Fall sein kann, wenn der Kunde im Vorverfahren eine Vorauszahlung erbracht hat.898 Die Befriedigung der restlichen Belieferungsansprüche, die diesen Kunden aus Ersatzversorgungsverhältnissen zustehen,
richtet sich dabei nach den allgemeinen – oben behandelten – Grundsätzen, die für
die Befriedigung der vom Schuldner bzw. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter begründeten Ersatzversorgungsverhältnisse gelten.
Ergebnis
Somit stellen die Belieferungsansprüche, die aus einem Ersatzversorgungsverhältnis
resultieren, welches von einem vorläufigen starken Insolvenzverwalter begründet
wurde sowie Belieferungsansprüche, für welche ausnahmsweise eine Vorauszahlung
896 Vgl. S. 181.
897 Jaeger-Henckel, InsO, § 55 Rn. 91; MüKo-Hefermehl, InsO, § 55 Rn. 215; FK-Schumacher,
InsO, § 55 Rn. 36.
898 Vgl. auch S. 211.
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an den vorläufigen starken Insolvenzverwalter erfolgte, Masseforderungen dar. Dabei führt die Befriedigung der Belieferungsansprüche als Masseforderungen zur
Versorgungssicherheit der Gläubiger dieser Ansprüche.
(c) Zusammenfassung: Auswirkungen der insolvenzrechtlichen Normen auf die
Versorgungssicherheit der vor der Insolvenzeröffnung ersatzversorgten Kunden
Alle Kunden, welche vor der Insolvenzeröffnung im Rahmen eines Ersatzversorgungsverhältnisses beliefert wurden, müssen auch nach der Insolvenzeröffnung über
das Vermögen des Grundversorgers von diesem mit Strom beliefert werden. Dies
gilt unabhängig davon, ob das Ersatzversorgungsverhältnis von einem starken vorläufigen Insolvenzverwalter (§ 55 II 1 InsO) oder vom Schuldner bzw. schwachen
vorläufigen Insolvenzverwalter begründet wurde.
Insoweit wird der durch die Regelung des § 38 EnWG verfolgte Zweck der Gewährleistung von Versorgungssicherheit durch die Anwendung der insolvenzrechtlichen Regelungen nicht vereitelt. Dementsprechend bestehen insoweit keine Kollisionen zwischen der Regelung des § 38 I 1 EnWG und den Normen der §§ 1 S. 1, 38,
87 InsO, so dass auf die oben angesprochene Überlegung, dass aus dem Sinn und
Zweck des § 38 I 1 EnWG bei Vorrang dieser Norm gegenüber den insolvenzrechtlichen Regelungen zur Gläubigerbefriedigung eine von diesen Regelungen abweichende Gläubigerbefriedigung folgen könnte, nicht weiter einzugehen ist.
cc) Befriedigung der vor der Insolvenzeröffnung begründeten Kontrahierungsansprüche
In dieser Fallkonstellation geht es nicht um die insolvenzrechtliche Behandlung der
aus einem bereits bestehendem Grundversorgungsvertrag resultierenden Belieferungsansprüche, sondern um die Befriedigung von Ansprüchen der Haushaltskunden
auf den Abschluss eines Grundversorgungsvertrags, die bereits vor der Insolvenzer-
öffnung begründet wurden.
(1) Grundsatz
Da die Ansprüche auf den Vertragsabschluss in der hier untersuchten Fallkonstellation zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits begründet waren, sind
diese grundsätzlich als Insolvenzforderungen gem. § 38 InsO einzuordnen.899
899 Dass es sich hierbei um einen Vermögensanspruch i.S.d. § 38 InsO handelt, wurde bereits auf
S. 172 festgestellt.
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(2) Ausnahmen
(a) Befriedigung der vom Schuldner bzw. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter begründeten Kontrahierungspflichten
Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, braucht der Insolvenzverwalter einen
gegen den Schuldner gerichteten Anspruch auf den Abschluss eines gegenseitigen
Vertrages nur als Insolvenzforderung zu berücksichtigen.900 Dies ist grundsätzlich
auch dann zu bejahen, wenn der Schuldner zum Abschluss eines gegenseitigen Vertrages aufgrund eines Vorvertrages oder Gesetzes verpflichtet ist und er diese Pflicht
noch nicht erfüllt hat.901 Allerdings wird vertreten, dass es dem Insolvenzverwalter
in diesen Fällen analog zu § 103 InsO freisteht, die Kontrahierungspflicht des
Schuldners an dessen Stelle zu erfüllen, wenn Abschluss und Durchführung des
Vertrages im Interesse der Masse liegen.902
(aa) Analoge Anwendung des § 103 InsO
Die analoge Anwendung einer Norm setzt eine ungeplante Regelungslücke sowie
eine Ähnlichkeit der Interessenlagen zwischen den von der Norm erfassten Sachverhalten und den Sachverhalten, auf welche sich die Norm ihrem Wortlaut nach nicht
erstreckt, voraus.903
[1] Regelungslücke
Der Kontrahierungszwang des § 36 I 1 EnWG begründet ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen dem Haushaltskunden, der einen Vertragsabschluss begehrt und
dem Grundversorger. Wie bereits gezeigt904, ist mangels einer Möglichkeit des Insolvenzverwalters zur Erfüllungswahl der für die Masse günstigen gesetzlichen
Schuldverhältnisse das Bestehen einer ungeplanten Regelungslücke zu bejahen. Dies
gilt auch für solche gesetzlichen Schuldverhältnisse, bei denen es um die Frage eines
Vertragsabschlusses geht. Auch in diesen Fällen muss es dem Insolvenzverwalter
möglich sein, den Vertrag abzuschließen, sofern durch den Abschluss eines solchen
Vertrages in Zukunft eine Mehrung der Masse zu erwarten ist. Dafür spricht auch
die Überlegung, dass es dem Insolvenzverwalter angesichts seiner aus § 55 I Nr. 1
900 HK-Marotzke, InsO, § 103 Rn. 4a.
901 HK-Marotzke, InsO, § 103 Rn. 4a, 10; Mitlehner, ZIP 2000, 977, 979 (in Bezug auf den
Kontrahierungsanspruch aus § 82 I Nr. 2 SachenRBerG).
902 HK-Marotzke, InsO, § 103 Rn. 4a, 10; Mitlehner, ZIP 2000, 977, 979 (in Bezug auf den
Kontrahierungsanspruch aus § 82 I Nr. 2 SachenRBerG).
903 Vgl. S. 213.
904 Vgl. S. 215.
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InsO folgenden Befugnis zur Begründung neuer Verbindlichkeiten für die Masse
auch möglich sein muss, die vor der Insolvenzeröffnung begründeten Angebote
hinsichtlich des Abschlusses von Verträgen zugunsten der Masse als Masseforderungen zu erfüllen.905 Daher ist auch hinsichtlich der aus § 36 I 1 EnWG resultierenden Ansprüche auf den Abschluss eines Grundversorgungsvertrages die für die analoge Anwendung des § 103 InsO erforderliche ungeplante Regelungslücke zu bejahen.
[2] Ähnlichkeit der Interessenlage
Die Bewertungsgleichheit setzt die Deckung durch den Normzweck sowie die
Gleichheit der Interessenlage voraus.
Zunächst ist zumindest eine Vergleichbarkeit der Interessenlage zwischen der Situation, in welcher die Befriedigung der Ansprüche des Vertragspartners aus einem
bereits bestehenden und von keiner Seite vollständig erfüllten gegenseitigen Vertrag
in Frage steht und der Befriedigung eines Anspruchs gegen den Grundversorger auf
den Abschluss eines gegenseitigen Vertrags zu feststehenden Konditionen
festzustellen. In beiden Fällen kommt es den Kunden nämlich im Ergebnis auf die
Erbringung einer vertraglichen Leistung durch den Grundversorger an und der
Insolvenzverwalter wird seine Entscheidung in beiden Fällen von der Günstigkeit
des bestehenden bzw. des in Aussicht gestellten Vertrages abhängig machen
müssen. Fraglich ist, ob die analoge Anwendung des § 103 InsO auf die durch einen Kontrahierungszwang entstandenen gesetzlichen Schuldverhältnisse durch den Sinn und
Zweck dieser Norm gedeckt ist. Wie gesehen906, verfolgt § 103 InsO den Zweck,
dem Insolvenzverwalter die Einziehung von Forderungen der Masse zu ermöglichen, die der Gegner nur Zug um Zug gegen eine Leistung des Verfahrensschuldners bzw. des Insolvenzverwalters zu erfüllen braucht.
Der Kunde, der den Abschluss eines Vertrages begehrt, kann angesichts des Fehlens einer Vertragsbeziehung keine Einrede aus § 320 BGB geltend machen, so dass
es der Erfüllungswahl nach § 103 InsO nicht bedarf, um dem Insolvenzverwalter die
Einziehung von Forderungen der Masse zu ermöglichen, denen die Einrede des nicht
erfüllten Vertrages entgegensteht. Vielmehr würde eine Erfüllungswahl nach § 103
InsO in solchen Fällen bewirken, dass der Insolvenzverwalter einen für die Masse
günstigen Vertragsabschluss tätigen könnte, um auf dessen Grundlage in Zukunft
vom Kunden Leistungen verlangen zu können, durch welche die Masse vermehrt
würde. Insoweit würde es grundsätzlich dem von § 103 InsO bezweckten Masseschutz entsprechen, wenn der Insolvenzverwalter die Möglichkeit erhält, durch die
Erfüllungswahl eines vor der Insolvenzeröffnung begründeten Kontrahierungsanspruchs die vom Kunden bei Abschluss dieses Vertrages künftig geschuldeten Leistungen zur Masse einzuziehen.
905 Vgl. Marotzke, Gegenseitige Verträge, Rn. 2.80.
906 Vgl. S. 214.
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Fraglich ist allerdings, ob es einer analogen Anwendung des § 103 InsO vor dem
Hintergrund der tatsächlichen Gegebenheiten bei der Energieversorgung von Haushaltskunden bedarf. Dabei ist festzustellen, dass die Haushaltskunden, die den Abschluss eines Grundversorgungsvertrages begehren, grundsätzlich auf einen Strombezug angewiesen sind und daher bei entstehendem Bedarf Strom aus dem Niederspannungsnetz auch dann ziehen werden, wenn der Insolvenzverwalter kein
Wahlrecht in analoger Anwendung des § 103 InsO erhält.907 In diesen Strombezügen
könnte einerseits ein neues Angebot auf den Abschluss eines Grundversorgungsvertrages liegen, so dass schließlich auch ohne die Erfüllungswahl des
Insolvenzverwalters in Bezug auf das vor der Insolvenzeröffnung begründete
Vertragsangebot ein Grundversorgungsvertrag zustande käme, andererseits könnte
durch den Strombezug aber auch die Begründung eines
Ersatzversorgungsverhältnisses erfolgen. Im letzteren Fall gingen die für die Masse
günstigen Vertragsangebote womöglich verloren, weil die Kunden – nach einer
vorübergehenden Ersatzversorgung durch den Grundversorger – jederzeit ohne die
Einhaltung der Kündigungsfrist nach § 20 I 1 StromGVV einen
Stromlieferungsvertrag mit einem anderen Lieferanten abschließen könnten. Sofern
es sich bei den Kunden, die dem Grundversorger vor der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens ein Angebot auf den Abschluss eines Grundversorgungsvertrages gemacht haben, um lukrative Kunden handelt, bedarf es also, ebenso
wie bei bereits bestehenden Grundversorgungsverträgen, eines Erfüllungswahlrechts
des Insolvenzverwalters, um diese Kunden im Wege eines – auf Dauer angelegten –
Grundversorgungsvertrages zu beliefern, ohne dass diese die Möglichkeit erhielten,
auf die für die Masse tendenziell ungünstigeren Ersatzversorgungsverhältnisse auszuweichen. Dass der Haushaltskunde durch die Erfüllungswahl des Insolvenzverwalters zu einem Vertragsabschluss gezwungen werden könnte, auch wenn er angesichts der Insolvenz des Grundversorgers möglicherweise kein Interesse mehr am
Abschluss eines Grundversorgungsvertrages hätte, stellt eine Folge des bereits entstandenen gesetzlichen Schuldverhältnisses dar, die er hinzunehmen hat. Eine Deckung durch den Normzweck des § 103 I InsO ist daher auch bei Berücksichtigung
der tatsächlichen Verhältnisse der Stromversorgung zu bejahen. Somit ist eine Ähnlichkeit Interessenla e zwisch n der Situation, in welcher
die Befriedigung der Ansprüche des Vertragspartners aus einem bereits bestehenden
und von keiner Seite vollständig erfüllten gegenseitigen Vertrag in Frage steht und
der Befriedigung eines Anspruchs gegen den Grundversorger auf den Abschluss
eines gegenseitigen Vertrags zu feststehenden Konditionen zu bejahen.
907 Eine Trennung der Kunden vom Netz kommt ebenso wenig wie eine Trennung der grundund ersatzversorgten Kunden vom Netz in Betracht. Insoweit ist auf die Ausführungen auf S.
202, 217 zu verweisen.
228
[3] Ergebnis
Auf die Ansprüche des Haushaltskunden zum Abschluss eines Grundversorgungsvertrages ist die Regelung des § 103 InsO analog anwendbar.
Somit handelt es sich bei den vor der Insolvenzeröffnung begründeten Kontrahierungsansprüchen grundsätzlich um Insolvenzforderungen i.S.d. § 38 InsO, wobei die
Erfüllungswahl durch den Insolvenzverwalter eine Qualifizierung als Masseforderung bewirken würde.
(bb) Besonderheiten der Kontrahierungsansprüche
[1] Vorüberlegung
Fraglich ist, ob Ansprüche auf den Abschluss von Grundversorgungsverträgen Besonderheiten aufweisen, welche bewirken, dass diese stets als Masseforderungen zu
befriedigen sind. Aus der Vorschrift des § 36 I 1 EnWG, welche die Kontrahierungspflicht des Grundversorgers normiert, ergibt sich nicht, wie die Kontrahierungsansprüche der Hausaltskunden in der Insolvenz des Grundversorgers zu befriedigen sind. Das Erfordernis der Befriedigung der vor der Insolvenzeröffnung begründeten Kontrahierungsansprüche als Masseforderungen könnte allenfalls für den
Fall bejaht werden, dass eine Befriedigung der Kontrahierungsansprüche entsprechend dem insolvenzrechtlichen System die durch § 36 I 1 EnWG bezweckte Versorgungssicherheit vereiteln würde, so dass es zu einer Kollision zwischen der
Grundversorgungspflicht und den insolvenzrechtlichen Regelungen käme, bei welcher § 36 I 1 EnWG als vorrangig anzusehen wäre. Eine derartige Kollision wäre
jedoch zu verneinen, wenn der Insolvenzverwalter die Kontrahierungsansprüche –
unabhängig von einem etwaigen Vorrang des § 36 EnWG – nicht als Insolvenzforderungen behandeln dürfte, sondern vollständig als Masseforderungen erfüllen
müsste sowie dann, wenn durch die Einordnung der Kontrahierungsansprüche als
Insolvenzforderungen keine Versorgungsunsicherheit entstünde.
[2] Pflicht zur Erfüllungswahl gem. § 103 InsO / Fehlen des Ablehnungsrechts
Fraglich ist, ob es Gründe gibt, aus welchen das Ablehnungsrecht des Insolvenzverwalters hinsichtlich der Befriedigung der vor der Insolvenzeröffnung begründeten
Kontrahierungsansprüche zu verneinen wäre und damit einhergehend eine Pflicht
des Insolvenzverwalters zur Erfüllungswahl dieser Ansprüche nach § 103 InsO analog bestünde. Bei dieser Sachlage wäre im Ergebnis stets eine Qualifizierung der aus
Grundversorgungsverträgen resultierenden Belieferungsansprüche als Masseforderungen zu bejahen.
229
[a] Verstoß der Ausübung des Ablehnungsrechts gegen § 36 I 1 EnWG
Bei Außerachtlassen der Möglichkeit einer etwaigen Vorrangstellung des § 36 I 1
EnWG gegenüber den insolvenzrechtlichen Normen zur Gläubigerbefriedigung ist
der Grundversorgungspflicht nach § 36 I 1 EnWG nicht zu entnehmen, wie der Insolvenzverwalter sein Wahlrecht hinsichtlich des durch den Kontrahierungsanspruch
begründeten gesetzlichen Schuldverhältnisses auszuüben hat bzw. dass dessen Erfüllungsablehnung durch den Insolvenzverwalter generell unzulässig sei.
[b] Ausübung des Ablehnungsrechts als Rechtsmissbrauch gem. § 242 BGB
Fraglich ist, ob die Ausübung des Ablehnungsrechts durch den Insolvenzverwalter
in Hinblick auf Kontrahierungsansprüche aus § 36 I 1 EnWG gegen den Grundsatz
von Treu und Glauben nach § 242 BGB verstieße, so dass aufgrund der Unzulässigkeit der Erfüllungsablehnung eine Erfüllungspflicht gem. § 103 InsO analog zu
bejahen wäre.
[aa] Vorüberlegung
Die bei einem Anspruch eines Haushaltskunden auf den Abschluss eines Grundversorgungsvertrages bestehende Sachlage ist mit der Situation vergleichbar, in welcher
ein Grundversorgungsvertrag bereits vor der Insolvenzeröffnung abgeschlossen
wurde. Auch in Bezug auf die Befriedigung von Kontrahierungsansprüchen ist zu
beachten, dass die Grundversorgungspflicht des Grundversorgers aus § 36 I 1
EnWG fortbesteht, so dass der Grundversorger bei erneutem Vertragsangebot durch
den Kunden nach der Insolvenzeröffnung zum Abschluss des Grundversorgungsvertrages verpflichtet wäre. Diejenigen Fallgruppen des § 242 BGB, deren Vorliegen
im Zusammenhang mit der Frage, ob die Ausübung des Ablehnungsrechts hinsichtlich der Grundversorgungsverträge gegen § 242 BGB verstößt, verneint wurde,
vermögen aus den gleichen Gründen auch nicht das Fehlen eines Ablehnungsrechts
in Bezug auf den Abschluss von Grundversorgungsverträgen zu begründen. Insofern
kommt, wie auch im Zusammenhang mit der Frage, ob die Ausübung des Ablehnungsrechts bei Grundversorgungsverträgen gegen § 242 BGB verstößt, lediglich
die Fallgruppe des Verstoßes gegen Treu und Glauben aufgrund des Fehlens eines
schutzwürdigen Interesses in Betracht.
[bb] Unzulässigkeit einer Rechtsausübung wegen des Fehlens eines schutzwürdigen
Interesses
Grundsätzlich wird der Insolvenzverwalter bei einer Erfüllungsablehnung von Kont
230
rahierungsansprüchen – wie auch bei Erfüllungsablehnung von Grundversorgungsverträgen – im Interesse der Insolvenzgläubiger handeln, indem er sein Recht zur
Erfüllungsablehnung in der Hoffnung ausübt, dass sich die unlukrativen Kunden
dadurch veranlasst sehen, sich um einen anderen Lieferanten zu bemühen. Dadurch
würde nämlich die Masse – nach einer zwischenzeitlichen Ersatzversorgung gem. §
38 EnWG – von der Versorgung eines unlukrativen Kunden entlastet. Auch im Hinblick auf die Interessen des Kunden gilt dasselbe, was in Bezug auf die Interessen
der Kunden eines bereits bestehenden Grundversorgungsvertrages festgestellt wurde.908 Angesichts der Parallelität der Interessenlagen ist, ebenso wie in dem Fall, in
welchem vor der Insolvenzeröffnung ein Grundversorgungsvertrag bestanden hat,
festzustellen, dass es sich bei der Erfüllungsablehnung von Kontrahierungsansprüchen durch den Insolvenzverwalter um die Wahrnehmung eines schutzwürdigen
Interesses handelt.
[cc]Ergebnis
Eine Erfüllungsablehnung von Kontrahierungsansprüchen verstößt somit nicht
gegen den Grundsatzes des Treu und Glauben (§ 242 BGB).
[3] Ergebnis hinsichtlich des Bestehens einer Pflicht zur Erfüllungswahl
Somit bestehen hinsichtlich der Kontrahierungsansprüche keine Besonderheiten, die
eine Pflicht des Insolvenzverwalters zur Erfüllungswahl und damit einhergehend
stets eine Befriedigung dieser Ansprüche als Masseforderungen bewirken würden.
(cc) Schlussfolgerung hinsichtlich der insolvenzrechtlichen Behandlung / der Frage
der Versorgungssicherheit
[1] Insolvenzrechtliche Behandlung
Die vor der Insolvenzeröffnung begründeten Ansprüche auf den Abschluss eines
Grundversorgungsvertrages stellen Insolvenzforderungen dar, die grundsätzlich
quotal zu befriedigen sind. Allerdings kann eine Befriedigung als Masseforderung
erfolgen, sofern der Insolvenzverwalter die Erfüllung des Anspruchs wählt (§§ 103 I
analog i.V.m. 55 I Nr.2, 1. Alt. InsO).
908 Vgl. S. 204.
231
[2] Bedeutung hinsichtlich der Frage der Versorgungssicherheit
Angesichts der Tatsache, dass die Kontrahierungsansprüche derjenigen Kunden,
denen gegenüber eine Erfüllungswahl ihrer Ansprüche erfolgt ist, als Masseforderungen befriedigt werden, ist die Versorgungssicherheit dieser Kunden gewährleistet.
Für die Frage der Versorgungssicherheit der Kunden, welchen gegenüber die Erfüllung ihrer Kontrahierungsansprüche abgelehnt wurde, ist zu beachten, dass diese
erneut einen Anspruch auf den Abschluss eines Grundversorgungsvertrages geltend
machen bzw. ein Ersatzversorgungsverhältnis begründen können, wobei sowohl der
Kontrahierungsanspruch als auch die aus § 38 EnWG folgenden Belieferungsansprüche gem. § 55 I Nr. 1 InsO als Masseforderungen qualifiziert werden. Somit ist
sowohl bei Erfüllungswahl durch den Insolvenzverwalter als auch bei Erfüllungsablehnung die Versorgungssicherheit dieser Haushaltkunden gewährleistet.
In der Zeit zwischen der Insolvenzeröffnung und der Wahlrechtsausübung durch
den Insolvenzverwalter wird durch den zwangsläufig stattfindenden Strombezug der
Kunden, die vor der Insolvenzeröffnung einen Kontrahierungsanspruch gem. § 36 I
1 EnWG geltend gemacht haben, ein Ersatzversorgungsverhältnis begründet, da der
Energiebezug in diesem Fall einer Lieferung oder einem bestimmten Liefervertrag
nicht zugeordnet werden kann (§ 38 I 1 EnWG). Dabei müssen die daraus entstehenden Belieferungsansprüche gem. § 55 I Nr. 1 InsO aus Massemitteln befriedigt
werden. Eine tatsächliche Belieferung der Haushaltskunden, die vor der Insolvenzeröffnung einen Kontrahierungsanspruch geltend gemacht haben, findet daher auch
in der Zeit zwischen der Insolvenzeröffnung und der Ausübung des Wahlrechts
durch den Insolvenzverwalter statt. Für den Fall, dass der Insolvenzverwalter gem. §
103 InsO analog Erfüllung des durch den Kontrahierungsanspruch begründeten
gesetzlichen Schuldverhältnisses wählt, wird dieses Ersatzversorgungsverhältnis
automatisch beendet. Für den Fall, dass die Erfüllung dieses Schuldverhältnisses
abgelehnt wird, hängt es von der Entscheidung des Kunden ab, ob er einen Grundversorgungsvertrag abschließt möchte oder zunächst in der Ersatzversorgung verbleibt.
(b) Befriedigung der Belieferungsansprüche aus den vom starken vorläufigen Insolvenzverwalter begründeten Kontrahierungspflichten
Fraglich ist, inwiefern ein starker vorläufiger Insolvenzverwalter eine Verbindlichkeit auf den Abschluss eines Grundversorgungsvertrages begründeten kann. Wie
bereits erörtert909, bedarf es zur Begründung einer Verbindlichkeit des Grundversorgers zum Abschluss eines Grundversorgungsvertrages keiner entsprechenden Erklärung bzw. Handlung des Grundversorgers oder eines (starken) Insolvenzverwalters.
909 Vgl. S. 181.
232
Vielmehr entsteht eine solche Verpflichtung bei Vorliegen eines entsprechenden
Angebots durch den Haushaltskunden kraft Gesetzes (§ 36 I 1 EnWG). Angesichts
der Tatsache, dass von § 55 II 1 InsO nicht nur die vom vorläufigen starken Insolvenzverwalter begründeten vertraglichen Ansprüche erfasst werden, sondern auch
die im Zusammenhang mit der Fortführung des Unternehmens durch den vorläufigen Verwalter kraft Gesetzes entstehenden Ansprüche910, ist davon auszugehen, dass
die den im Vorverfahren begründeten Kontrahierungsansprüchen entsprechenden
Verpflichtungen des Grundversorgers zum Vertragsabschluss als vom starken Insolvenzverwalter i.S.d. § 55 II 1 InsO „begründet“ anzusehen und daher als Masseverbindlichkeiten zu befriedigen sind.
Eine Begründung von Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 II 2 InsO ist bei der hier
behandelten Fallkonstellation hingegen nicht denkbar, da mangels eines vorher bestandenen Dauerschuldverhältnisses eine Inanspruchnahme von Gegenleistungen
durch den starken vorläufigen Insolvenzverwalter nicht stattfinden kann.
Ergebnis
Das Eingreifen insolvenzrechtlicher Normen zur Gläubigerbefriedigung bewirkt,
dass diejenigen Kunden, die einen Kontrahierungsanspruch gegenüber einem vorläufigen starken Insolvenzverwalter geltend machen, diesen Anspruch als Masseforderung erfüllt bekommen, so dass deren Versorgungssicherheit gewährleistet ist.
(c) Zusammenfassung: Auswirkungen der insolvenzrechtlichen Normen auf die
Versorgungssicherheit der Kunden, die vor der Insolvenzeröffnung einen Kontrahierungsanspruch geltend gemacht haben
Alle Haushaltskunden, die vor der Insolvenzeröffnung einen Kontrahierungsanspruch geltend gemacht haben, müssen auch nach der Insolvenzeröffnung über das
Vermögen des Grundversorgers von diesem mit Strom beliefert werden. Dies gilt
unabhängig davon, ob die Kunden diesen Anspruch gegenüber einem starken vorläufigen Insolvenzverwalter geltend gemacht haben (§ 55 II 1 InsO) oder gegenüber
dem Schuldner bzw. dem schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter.
Insoweit führt das Eingreifen der insolvenzrechtlichen Normen hinsichtlich der
Gläubigerbefriedigung und die dadurch bedingte Einordnung der vor der Insolvenzeröffnung begründeten Kontrahierungsansprüche als Insolvenzforderungen nicht
dazu, dass das durch die Regelungen der §§ 36, 38 EnWG verfolgte Ziel der Gewährleistung der Versorgungssicherheit vereitelt wird. Vielmehr ist die Versorgungssicherheit auch bei Eingreifen der insolvenzrechtlichen Normen gewährleistet.
910 Jaeger-Henckel, InsO, § 55 Rn. 91; MüKo-Hefermehl, InsO, § 55 Rn. 215; FK-Schumacher,
InsO, § 55 Rn. 36.
233
Dementsprechend bestehen insoweit keine Kollisionen zwischen der Regelung des §
36 I 1 EnWG und den Normen der §§ 1 S. 1, 38, 87 InsO, so dass auf die oben angesprochene Überlegung, dass aus dem Sinn und Zweck des § 36 I 1 EnWG bei Vorrang dieser Norm gegenüber den insolvenzrechtlichen Regelungen zur Gläubigerbefriedigung eine von diesen Regelungen abweichende Gläubigerbefriedigung folgen
könnte, nicht weiter einzugehen ist.
d) Zusammenfassung: Auswirkungen des Eingreifens der insolvenzrechtlichen
Normen hinsichtlich der Gläubigerbefriedigung auf das durch die §§ 36, 38
EnWG verfolgte Ziel der Gewährleistung der Versorgungssicherheit
Die nach der Insolvenzeröffnung begründeten Belieferungsansprüche aus Grundversorgungsverträgen bzw. Ersatzversorgungsverhältnissen sowie Kontrahierungsansprüche aus § 36 I 1 EnWG bilden stets Masseforderungen gem. § 55 I Nr. 1 InsO,
so dass die Gläubiger dieser Ansprüche Versorgungssicherheit genießen.
Die vor der Insolvenzeröffnung begründeten Belieferungsansprüche bzw. Kontrahierungsansprüche hingegen stellen in der Regel Insolvenzforderungen dar. Nur
im Falle des Eingreifens des § 55 II InsO bzw. § 55 I Nr. 2 i.V.m. § 103 I InsO (analog) erfahren diese Ansprüche eine Befriedigung als Masseforderungen. Allerdings
können die Insolvenzgläubiger nach der Insolvenzeröffnung neue Kontrahierungsansprüche geltend machen sowie allein durch Stromentnahmen neue Grundversorgungsverträge bzw. Ersatzversorgungsverhältnisse begründen, wobei die daraus
folgenden Ansprüche gem. § 55 I Nr. 1 InsO vom Grundversorger als Masseforderungen zu befriedigen sind. Im Ergebnis bewirkt das bei Insolvenzeröffnung eingreifende insolvenzrechtliche System zur Gläubigerbefriedigung also keine Versorgungssicherheit der Gläubiger der aus §§ 36 I 1 (i.V.m. StromGVV), 38 EnWG
resultierenden Ansprüche. Eine Vereinbarkeit des Eingreifens insolvenzrechtlicher
Normen mit dem durch die Regelungen der §§ 36, 38 EnWG verfolgten Zweck der
Gewährleistung von Versorgungssicherheit ist daher gegeben.
C. Auswirkungen der §§ 36, 38 EnWG auf das Ziel der Gläubigerbefriedigung
I. Vorüberlegung
Das Insolvenzverfahren dient gem. § 1 S. 1 InsO dazu, die Gläubiger des insolventen Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem dessen Vermögen verwertet
und der Erlös verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird.911 Zur Erreichung dieses
Ziels stellt die InsO drei gleichberechtigte Verfahrensziele und damit Verwertungs-
911 Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 157 Rn. 3.