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Kapitel 4: Vereinbarkeit der durch die §§ 36, 38 EnWG und der durch die
InsO verfolgten Ziele
A. Einleitung
Die Vereinbarkeit zwischen dem durch die Regelungen der §§ 36, 38 EnWG verfolgten Ziel der Versorgungssicherheit und dem durch die InsO verfolgten Ziel der
bestmöglichen Gläubigerbefriedigung wäre zu bejahen, wenn im Insolvenzverfahren
über das Vermögen eines Grundversorgers aus rechtlicher Sicht beide Ziele erreichbar sind.
Zur Untersuchung der rechtlichen Vereinbarkeit oben genannter Ziele werden im
Folgenden zunächst die Auswirkungen des Eingreifens potenziel konfliktträchtiger
insolvenzrechtlicher Normen auf die Erreichbarkeit des Ziels der Versorgungssicherheit und anschließend die Auswirkungen der Grund- und Ersatzversorgungspflicht auf die Erreichbarkeit des Ziels der optimalen Gläubigerbefriedigung untersucht.
B. Auswirkungen der insolvenzrechtlichen Normen auf das Ziel der Versorgungssicherheit
I. Vorüberlegung
Angesichts der Tatsache, dass in § 36 EnWG zum Zwecke der Versorgungssicherheit eine Pflicht des Grundversorgers zum Abschluss von Grundversorgungsverträgen normiert ist, wobei aus diesen Verträgen Belieferungsverpflichtungen des
Grundversorgers folgen (§ 36 I 1 EnWG i.V.m. StromGVV) und durch § 38 EnWG
ein gesetzliches Schuldverhältnis begründet wird, aus welchem unmittelbar Belieferungsverpflichtungen des Grundversorgers resultieren, kommen als konfliktträchtige
Normen der InsO diejenigen Regelungen in Betracht, welche die Befriedigung von
Ansprüchen gegen den Grundversorger regeln. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens greift das in der InsO ausdifferenzierte System zur Gläubigerbefriedigung
ein. Dabei bewirkt die Insolvenzordnung durch ihre Vorgaben hinsichtlich der
Gläubigerbefriedigung kein Erlöschen schuldnerischer Verpflichtungen, sondern
lediglich, dass die aus den fortbestehenden Pflichten abgeleiteten Ansprüche entsprechend diesen Vorgaben erfüllt werden.712 Im Rahmen des insolvenzrechtlichen
Systems zur Gläubigerbefriedigung wird zwischen den aussonderungs- bzw. absonderungsberechtigten Gläubigern, Massegläubigern und Insolvenzgläubigern unter-
712 Vgl. v. Wilmowsky, ZIP 1997, 1445, 1446.
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Zusammenfassung
Nach der Liberalisierung des Energiemarktes müssen sich die auf der Vertriebsebene tätigen Energieversorgungsunternehmen dem Wettbewerb mit anderen Lieferanten stellen, womit die Wahrscheinlichkeit der Insolvenz dieser Unternehmen steigt.
Die Autorin widmet sich der Untersuchung der mit der Insolvenzeröffnung über das Vermögen eines Grundversorgers zusammenhängenden rechtlichen Fragen. Ausgehend von den veränderten Rahmenbedingungen wird zunächst die Reichweite der den Grundversorger gem. §§ 36, 38 EnWG treffenden Grund- und Ersatzversorgungspflichten erörtert. Einen Kernpunkt der Untersuchung bildet die Frage des Fortbestandes dieser Pflichten auch nach der Insolvenzeröffnung.
Abschließend wird die Vereinbarkeit von Versorgungssicherheit und Gläubigerbefriedigung im Insolvenzverfahren anhand der Auswirkungen der Insolvenzeröffnung auf die Befriedigung der aus §§ 36 (i.V.m. StromGVV), 38 EnWG resultierenden Ansprüche einerseits und der §§ 36, 38 EnWG auf das Ziel der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung andererseits analysiert.