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Verpflichtung, auf deren Erfüllung die Betroffenen einen Anspruch haben267, allerdings ist davon auszugehen, dass der Staat seiner Verpflichtung zur Gewährleistung
einer sicheren Energieversorgung seiner Bürger nachkommen wird.
Um jegliche Unsicherheiten in Bezug auf die Versorgungssicherheit von Haushaltskunden zu beseitigen, müsste allerdings eine Novellierung des EnWG erfolgen,
in welcher der Aufsichtsbehörde eine Möglichkeit gegeben wird, in bestimmten
Fällen die Einstellung der Geschäftstätigkeit durch den Grundversorger zu unterbinden und dabei die Zulässigkeit der Einstellung der Geschäftstätigkeit an klar formulierte und durch das EVU ohne weiteres zu prüfende Bedingungen zu knüpfen.
VII. Zusammenfassung
Die Regelung des § 36 EnWG verfolgt den Zweck der Gewährleistung der Versorgungssicherheit von Haushaltskunden. Bei der in § 36 I 1 EnWG normierten Grundversorgungspflicht handelt es sich um einen Kontrahierungszwang, durch welchen
der Grundversorger dazu verpflichtet wird, mit jedem Haushaltskunden, der den
Abschluss eines Grundversorgungsvertrages begehrt, einen entsprechenden Vertrag
abzuschließen und diesen Kunden zu den für Grundversorgungsverträge geltenden
Allgemeinen Bedingungen und Allgemeinen Preisen zu beliefern. Da der Grundversorger verpflichtet ist, auch die kurzfristigen und unvorhersehbaren Kontrahierungsbzw. Belieferungsansprüche zu erfüllen, folgt aus der Grundversorgungspflicht
zugleich eine mittelbare Investitionspflicht des Grundversorgers.
Die Allgemeinen Bedingungen der Grundversorgungsverträge sind im Wesentlichen durch die StromGVV vorgegeben. Dabei führen die darin normierten Verpflichtungen des Grundversorgers zur Klassifizierung der Grundversorgungsverträge
als offene Stromlieferungsverträge, die als Vollversorgungsverträge in Form von allinclusive-Verträgen ausgestaltet sind. Hinsichtlich der Gestaltung der Allgemeinen
Preise für Grundversorgungsverträge finden sich hingegen keine näheren Vorgaben.
Die Grundversorgungspflicht besteht gem. § 36 I 2 EnWG ausnahmsweise nicht,
wenn die Versorgung für das EVU aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar ist.
Die Gründe hierfür können sowohl auf der Kundenseite liegen, so zum Beispiel,
wenn der Kunde seine Zahlungsverpflichtungen mißachtet, als auch auf der Seite
des Grundversorgers. Letzteres ist der Fall, wenn ein Versorgungsverhältnis strukturelle Besonderheiten aufweist und deshalb außerhalb der Bandbreite liegt, die das
EVU für seine Kalkulation der Allgemeinen Preise zugrunde gelegt hat. Die gesamtwirtschaftliche Lage des Grundversorgers ist im Rahmen des § 36 I 2 EnWG
unbeachtlich.
Eine weitere Ausnahme von der Grundversorgungspflicht nach § 36 I 1 EnWG
bildet die Regelung des § 37 I 1 EnWG, die jedoch durch die §§ 37 I 2 und 3 EnWG
modifiziert wird.
267 Sachs-Sachs, GG, Art. 20 Rn. 50; Münch/Kunig-Schnapp, GG, Art. 20 Rn. 19.
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Die Grundversorgungspflicht erlischt, wenn im Rahmen der regulären, alle drei
Jahre stattfindenden Feststellung gem. § 36 II 2 EnWG ein neuer Grundversorger
festgestellt wird bzw. wenn der Grundversorger seine Geschäftstätigkeit gem. § 36
II 4 EnWG einstellt. Eine Einstellung der Geschäftstätigkeit i.S.d. § 36 II 4 EnWG
liegt vor, wenn der Grundversorger die werbende Tätigkeit der Belieferung der
Haushaltskunden in dem Netzgebiet, in welchem er als Grundversorger festgestellt
wurde, aufgrund einer autonomen Entscheidung oder äußerer Umstände einstellt.
Dabei ist dem Grundversorger eine Geschäftseinstellung aufgrund einer autonomen
Entscheidung auch dann möglich, wenn er der einzige Lieferant ist, der in dem jeweiligen Netzgebiet der allgemeinen Versorgung Haushaltskunden beliefert. Grundversorger, auf die die öffentliche Hand einen beherrschenden Einfluss hat, haben
allerdings das in Art. 20 I GG normierte Sozialstaatsprinzip zu berücksichtigen.
Deren Bindung an Art. 20 I GG bewirkt, dass ihnen die Einstellung der Geschäftstätigkeit nur dann möglich ist, wenn die Energieversorgung der Haushaltskunden in
dem jeweiligen Netzgebiet der allgemeinen Versorgung durch ein anderes EVU
sichergestellt ist.
B. Ersatzversorgungspflicht gem. § 38 EnWG
I. Tatbestand des § 38 EnWG
§ 38 EnWG schafft ein gesetzliches Schuldverhältnis268 zwischen dem Grundversorger und Letztverbrauchern für die Fälle, in denen Letztverbraucher über das Energieversorgungsnetz der allgemeinen Versorgung in Niederspannung oder Niederdruck Energie beziehen, ohne dass dieser Bezug einer Lieferung oder einem bestimmten Liefervertrag zugeordnet werden kann. In diesen Fällen gilt die Energie
als vom Grundversorger geliefert. Die Entstehung einer Ersatzversorgung beruht
weder auf dem Willen der Beteiligten noch verlangt sie deren Kenntnis, vielmehr
entspringt sie von selbst den objektiven Gegebenheiten.269 Der Kreis der im Rahmen
des § 38 EnWG Anspruchsberechtigten ist weiter als im Rahmen des § 36 EnWG,
da die Ersatzversorgungspflicht nicht nur gegenüber Haushaltskunden, sondern
gegenüber allen Letztverbrauchern – Kunden, die Energie für den eigenen
Verbrauch kaufen ( § 3 Nr. 25 EnWG) – besteht, die Energie über das Energieversorgungsnetz der allgemeinen Versorgung in Niederspannung oder Niederdruck
beziehen.270 Vorwegzunehmen ist, dass über die Frage des Beginns der Ersatzversorgung der Netzbetreiber entscheidet, der im jeweiligen Netzgebiet der allgemeinen
268 Regierungsentwurf vom 14.10.2004, Drs. 15/3917, Begründung zu § 38, S. 66; 120; Regulierungsbehörde Telekommunikation und Post, in der Ausschluss-Drs. des Ausschusses für
Wirtschaft und Arbeit 15 (9) 1511, S. 169; Hampel, ZNER 2004, 117.
269 Rottnauer, RdE 2008, 105, 107.
270 Strohe, ET 2006, Heft 9, S. 62, 64.
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References
Zusammenfassung
Nach der Liberalisierung des Energiemarktes müssen sich die auf der Vertriebsebene tätigen Energieversorgungsunternehmen dem Wettbewerb mit anderen Lieferanten stellen, womit die Wahrscheinlichkeit der Insolvenz dieser Unternehmen steigt.
Die Autorin widmet sich der Untersuchung der mit der Insolvenzeröffnung über das Vermögen eines Grundversorgers zusammenhängenden rechtlichen Fragen. Ausgehend von den veränderten Rahmenbedingungen wird zunächst die Reichweite der den Grundversorger gem. §§ 36, 38 EnWG treffenden Grund- und Ersatzversorgungspflichten erörtert. Einen Kernpunkt der Untersuchung bildet die Frage des Fortbestandes dieser Pflichten auch nach der Insolvenzeröffnung.
Abschließend wird die Vereinbarkeit von Versorgungssicherheit und Gläubigerbefriedigung im Insolvenzverfahren anhand der Auswirkungen der Insolvenzeröffnung auf die Befriedigung der aus §§ 36 (i.V.m. StromGVV), 38 EnWG resultierenden Ansprüche einerseits und der §§ 36, 38 EnWG auf das Ziel der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung andererseits analysiert.