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Allerdings ist der Umstand zu beachten, dass der Grundversorger als Energielieferant im Wettbewerb zu anderen Energielieferanten steht und dass der Wettbewerb
zur Insolvenz von Marktakteuren führen kann.24 Für den Fall der Eröffnung eines
Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Grundversorgers stellt sich die angesichts der Notwendigkeit der Energieversorgung für die Kunden des Grundversorgers die Frage, inwieweit dieser rechtlich weiterhin zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit in der Lage ist. Mit der Insolvenzeröffnung über das Vermögen
eines Schuldners greift die insolvenzrechtliche Haftungsordnung ein, die der gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedigung eines in Insolvenz geratenen Schuldners
dient, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und verteilt oder in einem
Insolvenzplan eine abweichende Regelung, insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird (vgl. § 1 I InsO).25 Dabei wird das Vermögen des insolventen
Schuldners nicht als eine nach dem Maßstab sozialer Nützlichkeit verwertbare Verfügungsmasse betrachtet, vielmehr erfolgt die Gläubigerbefriedigung unabhängig
von wirtschafs- und sozialpolitischen Erwägungen.26
Insoweit würden im Falle einer Insolvenzeröffnung über das Vermögen des
Grundversorgers das durch die Regelungen der §§ 36, 38 EnWG verfolgte Ziel der
Gewährleistung von Versorgungssicherheit und das durch die InsO verfolgte Ziel
der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung aufeinandertreffen, was Friktionen vermuten lässt. Die Untersuchung der mit der Insolvenzeröffnung über das Vermögen
eines Grundversorgers zusammenhängenden rechtlichen Fragen sowie der Konsequenzen im Hinblick auf die Erreichbarkeit der durch die §§ 36, 38 EnWG bezweckten Versorgungssicherheit und der durch die InsO angestrebten bestmöglichen
Gläubigerbefriedigung bilden den Kern der nachfolgenden Untersuchung.
B. Gang der Untersuchung
Die Untersuchung beginnt mit einer Erörterung der Grundversorgungs- und Ersatzversorgungspflicht aus §§ 36, 38 EnWG, wobei insbesondere zu klären sein wird,
unter welchen Umständen diese Pflichten grundsätzlich fortfallen. Anschließend
wird die Frage zu untersuchen sein, ob es aus rechtlicher Sicht überhaupt zu einem
Aufeinandertreffen des durch die §§ 36, 38 EnWG angestrebten Ziels der Versorgungssicherheit und des durch die InsO verfolgten Ziels der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung kommen kann. Dabei wird die Frage der Insolvenzfähigkeit der
Grundversorger sowie etwaiger Insolvenzabwendungspflichten diesen gegenüber zu
erörtern sein, ebenso wie die Frage des Fortbestandes der Pflichten aus §§ 36, 38
EnWG bei Insolvenzeröffnung über das Vermögen eines Grundversorgers. Im darauf folgenden Abschnitt wird eine Untersuchung der Vereinbarkeit des durch §§ 36,
38 EnWG verfolgten Ziels der Versorgungssicherheit mit dem durch die InsO ver-
24 Vgl. Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 3.
25 Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, Rn. 1.
26 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 1.13.
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folgten Ziel der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung im Insolvenzverfahren über
das Vermögen eines Grundversorgers vorzunehmen sein. Eine Vereinbarkeit dieser
Ziele wird angenommen, wenn sich sowohl das Ziel der Versorgungssicherheit unter
Beachtung der insolvenzrechtlichen Vorschriften als auch das Ziel der Gläubigerbefriedigung unter Beachtung der §§ 36, 38 EnWG grundsätzlich erreichen lassen,
ohne dass es zu Friktionen kommt. Anschließend wird in einer Anmerkung der Frage nachgegangen, ob und inwieweit eine Gesetzesänderung zum Zwecke einer besseren Harmonisierung der untersuchten Ziele zweckmäßig wäre. Zum Abschluss
werden die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit in Thesenform zusammengefasst.
C. Untersuchungsgegenstand
Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sind die in der Rechtsform der GmbH bzw.
AG organisierten Grundversorger, deren Geschäftstätigkeit in der Strombelieferung
besteht. Auch wenn die Regelungen der §§ 36, 38 EnWG ebenso für die Gasbelieferung gelten27, rechtfertigt sich die Konzentration auf Stromlieferanten dadurch, dass
die Angewiesenheit der Allgemeinheit auf die Elektrizitätsversorgung größer ist als
auf die Versorgung mit Gas. Durch die Beschränkung auf die Organisationsformen
der GmbH und AG wird der Tatsache Rechnung getragen, dass diese die gängigsten
Organisationsformen der EVU darstellen. Dabei bilden sowohl die Grundversorger,
die sich in privater Trägerschaft befinden als auch diejenigen, die in öffentlicher
(zumeist kommunaler) Hand liegen, ebenso wie gemischt-wirtschaftliche Unternehmen den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit. Entsprechend dem EnWG und
der InsO wird also kein Unterschied hinsichtlich der Trägerschaft der als AG bzw.
GmbH organisierten Grundversorger gemacht. Lediglich bei Fragen, bei denen in
Bezug auf die sich (überwiegend) in öffentlicher Hand befindlichen Grundversorger
aufgrund ihrer Staatsnähe bzw. etwaiger außerhalb des EnWG liegenden Verpflichtungen eine Abweichung von den grundsätzlich geltenden Untersuchungsergebnissen nahe liegt, wird erörtert, ob bzw. inwieweit für diese Grundversorger eine Ausnahme anzunehmen ist.
27 Vgl. zur Kritik, dass ein Grundversorger auch für Gaslieferungen bestimmt wird: VKU, in
der Ausschluss-Drs. des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit 15 (9) 1511, S. 27; Galahn,
RdE 04, 35, 39.
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References
Zusammenfassung
Nach der Liberalisierung des Energiemarktes müssen sich die auf der Vertriebsebene tätigen Energieversorgungsunternehmen dem Wettbewerb mit anderen Lieferanten stellen, womit die Wahrscheinlichkeit der Insolvenz dieser Unternehmen steigt.
Die Autorin widmet sich der Untersuchung der mit der Insolvenzeröffnung über das Vermögen eines Grundversorgers zusammenhängenden rechtlichen Fragen. Ausgehend von den veränderten Rahmenbedingungen wird zunächst die Reichweite der den Grundversorger gem. §§ 36, 38 EnWG treffenden Grund- und Ersatzversorgungspflichten erörtert. Einen Kernpunkt der Untersuchung bildet die Frage des Fortbestandes dieser Pflichten auch nach der Insolvenzeröffnung.
Abschließend wird die Vereinbarkeit von Versorgungssicherheit und Gläubigerbefriedigung im Insolvenzverfahren anhand der Auswirkungen der Insolvenzeröffnung auf die Befriedigung der aus §§ 36 (i.V.m. StromGVV), 38 EnWG resultierenden Ansprüche einerseits und der §§ 36, 38 EnWG auf das Ziel der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung andererseits analysiert.