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C. Thesen
1. Der § 1 I 1 AStG ist europarechtswidrig.
2. Der § 1 AStG sollte als § 16 a in das EStG überführt werden.
Die Vorschrift sollte wie der unter These 3. gemachte Vorschlag zum § 1 AStG
lauten, aber zwei wesentliche Abweichungen enthalten. In § 16a I 1 EStG wäre der
Terminus „zum Ausland“ nicht aufzunehmen, und in § 16a XII EStG würde der
Satzteil „und die Übereinstimmung mit den internationalen Grundsätzen zur Einkunftsabgrenzung“ nicht enthalten.
3. Sollte das nicht durchsetzbar sein, sollte § 1 AStG zumindest überarbeitet werden.
Die Vorschrift sollte dann lauten:
§ 1 AStG:
Grundtatbestand:
(1) 1Ein Steuerpflichtiger hat bei der Ermittlung seiner Einkünfte aus einer Geschäftsbeziehung zum Ausland zu einer ihm nahe stehenden Person Bedingungen, insbesondere Verrechnungspreise, zu Grunde zu legen, die dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen. 2Verrechnungspreise sind die Entgelte, zu denen
Lieferungen und Leistungen zwischen nahe stehenden Personen abgerechnet
werden. 3Werden Einkünfte eines Steuerpflichtigen aus einer Geschäftsbeziehung durch vom Fremdvergleichsgrundsatz abweichende Bedingungen, insbesondere Verrechnungspreise gemindert oder erhöht, sind seine Einkünfte entsprechend dem Fremdvergleichsgrundsatz anzusetzen.
Definition nahe stehende Person:
(2) Dem Steuerpflichtigen ist eine Person nahe stehend, wenn
1. die Person an dem Steuerpflichtigen mindestens zu einem Viertel
unmittelbar oder mittelbar beteiligt (wesentlich beteiligt) ist oder auf
den Steuerpflichtigen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden
Einfluss ausüben kann oder umgekehrt der Steuerpflichtige an der Person wesentlich beteiligt ist oder auf diese Person unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder
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2. eine dritte Person sowohl an der Person als auch an dem Steuerpflichtigen wesentlich beteiligt ist oder auf beide unmittelbar oder mittelbar
einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder
3. die Person oder der Steuerpflichtige imstande ist, bei der Vereinbarung
der Bedingungen einer Geschäftsbeziehung auf den Steuerpflichtigen
oder die Person einen außerhalb dieser Geschäftsbeziehung begründeten Einfluss auszuüben oder wenn einer von ihnen ein eigenes Interesse
an der Erzielung der Einkünfte des anderen hat.
Definition Geschäftsbeziehung:
(3) Geschäftsbeziehung im Sinne der Absätze 1 und 2 ist jede den Einkünften
zugrunde liegende schuldrechtliche Beziehung, die keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung ist und entweder beim Steuerpflichtigen oder bei der nahe
stehenden Person Teil einer Tätigkeit ist, auf die die §§ 13, 15, 18 oder § 21 des
Einkommensteuergesetzes anzuwenden sind oder im Fall eines ausländischen
Nahestehenden anzuwenden wären, wenn die Tätigkeit im Inland vorgenommen
würde.
Uneingeschränkter und eingeschränkter Fremdvergleich:
(4) 1Für eine Geschäftsbeziehung im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 ist der Verrechnungspreis vorrangig nach der Preisvergleichsmethode, der Wiederverkaufspreismethode oder der Kostenaufschlagsmethode zu bestimmen, wenn
Fremdvergleichswerte ermittelt werden können, die nach Vornahme sachgerechter Anpassungen aufgrund einer Funktionsanalyse, die die ausgeübten
Funktionen, eingesetzten Wirtschaftsgüter und übernommenen Chancen und Risiken berücksichtigt, für diese Methoden uneingeschränkt vergleichbar sind.
2Mehrere solche Werte bilden eine Bandbreite. 3Sind solche Fremdvergleichswerte nicht zu ermitteln, sind eingeschränkt vergleichbare Werte nach Vornahme sachgerechter Anpassungen der Anwendung einer geeigneten Verrechnungspreismethode zugrunde zu legen. 4Sind in den Fällen des Satzes 2 mehrere
eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte feststellbar, ist die sich ergebende Bandbreite einzuengen. 5Liegt der vom Steuerpflichtigen für seine
Einkünfteermittlung verwendete Wert in den Fällen des Satzes 1 außerhalb der
Bandbreite oder in den Fällen des Satzes 2 außerhalb der eingeengten Bandbreite, ist der Median maßgeblich.
Hypothetischer Fremdvergleich:
(5) 1Können keine eingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerte festgestellt werden, hat der Steuerpflichtige für seine Einkünfteermittlung einen
hypothetischen Fremdvergleich durchzuführen. 2Für die Anwendung des
Fremdvergleichsgrundsatzes in den Fällen des Satzes 1 ist davon auszugehen,
dass die voneinander unabhängigen Dritten alle wesentlichen Umstände der Ge-
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schäftsbeziehung kennen und nach den Grundsätzen ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter handeln.
Rechtsfolgen beim hypothetischen Fremdvergleich:
(6) 1In den Fällen des Absatzes 5 hat der Steuerpflichtige auf Grund einer
Funktionsanalyse und innerbetrieblicher Planrechnungen den Einigungsbereich
zwischen dem Mindestpreis des Leistenden und den Höchstpreis des Leistungsempfängers zu ermitteln. 2Der Einigungsbereich wird von den jeweiligen Gewinnerwartungen bestimmt. 3Es ist der Preis im Einigungsbereich der Einkünfteermittlung zugrunde zu legen, der dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der
höchsten Wahrscheinlichkeit entspricht. 4Wenn kein anderer Wert glaubhaft
gemacht, wird, ist der Mittelwert des Einigungsbereichs zugrunde zu legen. 5Ist
der vom Steuerpflichtigen zugrunde gelegte Einigungsbereich unzutreffend und
muss deshalb von einem anderen Einigungsbereich ausgegangen werden, kann
auf eine Einkünfteberichtigung verzichtet werden, wenn der vom Steuerpflichtigen zugrunde gelegte Wert innerhalb des anderen Einigungsbereichs liegt.
Anpassungsregelung:
(7)1Sind in den Fällen des Absatzes 5 wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter
und Vorteile Gegenstand einer Geschäftsbeziehung und weicht die tatsächliche
spätere Gewinnentwicklung innerhalb der ersten drei Jahre nach Geschäftsabschluss erheblich von der Gewinnentwicklung ab, die der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde lag, ist eine Berichtigung nach Absatz 1 Satz 1 in Form eines einmaligen angemessenen Anpassungsbetrags auf den ursprünglichen Verrechnungspreis in dem Wirtschaftsjahr vorzunehmen, das dem Jahr folgt, in
dem die Abweichung eingetreten ist. 2Satz 1 ist nicht anzuwenden, wenn der
Steuerpflichtige beim Geschäftsschluss eine dem Fremdvergleich entsprechende
Anpassungsklausel vereinbart hat oder wenn er glaubhaft macht, dass die erhebliche Abweichung der Gewinnentwicklung zum Zeitpunkt des Geschäftabschlusses nicht vorhersehbar war.
Funktionsverlagerung
(8) Wenn eine Funktion einschließlich der dazugehörigen Chancen und Risiken
und der mitübertragenen oder überlassenen Wirtschaftsgüter und sonstigen
Vorteile verlagert wird und die Bestimmung des Verrechnungspreises gemäß
Absatz 5 erfolgt, hat der Steuerpflichtige den Einigungsbereich aufgrund einer
Gesamtbewertung der verlagerten Funktion unter Berücksichtigung funktionsund risikoadäquater Kapitalisierungszinssätze gemäß der Anteilsbewertungsverordnung (BGBl. …) zu bestimmen.
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(9) Betriebsstättenklausel
Schätzung nach § 162 AO:
(10) 1Ist bei den in Absatz 1 genannten Einkünften in Fällen des § 162 Abs. 2
der Abgabenordnung eine Schätzung vorzunehmen, so ist mangels anderer geeigneter Anhaltspunkte eine durchschnittliche Umsatzrendite oder Verzinsung
für das im Unternehmen eingesetzte Kapital anzusetzen, die unter Berücksichtigung der ausgeübten Funktionen, eingesetzten Wirtschaftsgüter und übernommenen Risiken zu erwarten ist. 2Schätzungen nach § 162 Abs. 3 der Abgabenordnung bleiben unberührt.
Konkurrenzen:
(11) 1Die Regelungen dieses Paragrafen sind vorrangig vor anderen Vorschriften anzuwenden. 2 Führt die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes bei
anderen Vorschriften zu weitergehenden Berichtigungen als die dieses Paragrafen, sind die weitergehenden Berichtigungen neben den Rechtsfolgen dieses Paragrafen durchzuführen. 3 Die Regelungen dieses Paragrafen sind in Fällen, die
durch das Umwandlungssteuergesetz (BGBl. …) erfasst werden, nicht anzuwenden.
Ermächtigungsnorm für Rechtsverordnungen:
(12) Um eine einheitliche Rechtsanwendung und die Übereinstimmung mit den
internationalen Grundsätzen zur Einkunftsabgrenzung sicherzustellen, wird das
Bundesministerium der Finanzen ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates
durch Rechtsverordnung Einzelheiten zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes im Sinne dieses Paragrafen zu bestimmen.
4. Wenn der Ansatz unter 2. verfolgt wird, bedarf das außerdem weiterer Änderungen im EStG. Vorgeschlagen wird ein § 6 VIII EStG. Nur durch diese entsprechenden Änderungen kann § 1 als europarechtskonform angesehen werden.
Die Vorschrift könnte lauten:
§ 16 a IV EStG
(4) 1Erfolgen Entnahmen und Einlagen eines Steuerpflichtigen bei einer nahe
stehenden Person gemäß Absatz 2 mit vom Fremdvergleichsgrundsatz gem.
Absatz 1 abweichenden Werten, sind diese mit dem Fremdvergleichswert anzusetzen. 2Als Einlage gelten in Fällen des Satzes 1 auch nicht in Wirtschaftsgütern verkörperte Nutzungsvorteile, insbesondere das Einbringen von unentgeltlichen oder teilunentgeltlichen Nutzungen oder das Erbringen unentgeltlichen
oder teilunentgeltlichen Dienstleistungen.
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5. Der Ansatz der Gesamtbewertung für eine verlagerte Funktion ist richtig. Die Gesamtbewertung sollte mit Hilfe einer Ertragsbewertung durchgeführt werden.
6. Die Unternehmensbewertung sollte einheitlich für alle Steuerarten erfolgen.
a) Dazu ist § 11 II BewG entsprechend anzupassen. Er sollte eine Ermächtigungsnorm für eine Rechtsverordnung enthalten.
b) Diese Rechtsverordnung könnte eine Anteils- oder Unternehmensbewertungsverordnung sein. In dieser sollte die Unternehmensbewertung für alle Steuerarten einheitlich erfasst werden.
c) In der FVerlV sollten nur Abweichungen vorgenommen werden, die für Funktionsverlagerungsfälle unbedingt notwendig sind. Grundsätzlich können die
allgemeinen Regelungen der Unternehmensbewertung auf Funktionsverlagerungen angewendet werden.
7. Sollte der Ansatz der vorherigen These nicht möglich sein, ist § 1 IV FVerlV zu
überarbeiten. Die Definition der Gewinnpotenziale ist dahingehend zu berichtigen,
dass es sich bei ihnen um den Barwert der abgezinsten Summe der erwarteten Gewinne handelt. Zu klären ist dabei außerdem, wie der Begriff der Gewinne in diesem
Zusammenhang zu verstehen ist. Es sollte auf den Jahresüberschuss oder ein Cashflow-Ansatz abgestellt werden. Außerdem ist zu klären, wie die Nachsteuerbetrachtung im Einzelnen auszusehen hat.
8. Die Escape-Klausel des § 1 III 10 AStG ist zu streichen.
9. Funktionsverlagerungen sind als außergewöhnliche Geschäftsvorfälle zu dokumentieren. In diesem Rahmen unterliegen sie den allgemeinen Regelungen für die
Dokumentation von Verrechnungspreisen.
10. Die Regelungen zur Funktionsverlagerung sind ebenso wie die Neuregelungen
des § 1 AStG im Allgemeinen verfassungskonform.
11. Die Regelungen zur Funktionsverlagerung sind für sich genommen europarechtskonform. Wenn § 1 AStG in das EStG überführt wird oder Normen in das
EStG aufgenommen werden, die die Ungleichbehandlung von Inlandssachverhalten
und grenzüberschreitenden Konstellationen beseitigen, liegt jedenfalls aufgrund der
steuerlichen Behandlung von Funktionsverlagerungen keine Europarechtswidrigkeit
vor.
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References
Zusammenfassung
Das Thema Funktionsverlagerung ist das Thema des Jahres im Internationalen Steuerrecht. Der deutsche Gesetzgeber hat als erstes Gesetzgebungsorgan weltweit ausdrückliche Regelungen in § 1 Abs. 3 AStG zu diesem umstrittenen Thema erlassen. Die deutsche Finanzverwaltung hat mit Zustimmung des Bundesrats außerdem das Gesetz durch die Funktionsverlagerungsverordnung (FVerlVO) ergänzt. Damit stehen umfassende legislative Regelungen zur Besteuerung dieses umstrittenen Themenbereichs zur Verfügung.
Das Werk analysiert die neuen Regelungen und bezieht zu den einzelnen Themenbereichen ausführlich Stellung. Im ersten Teil werden zunächst die Neuregelungen zur steuerlichen Behandlung von Verrechnungspreisen durch die Unternehmensteuerreform 2008 dargestellt. Dabei wird auch die Vereinbarkeit des § 1 AStG mit dem Europarecht untersucht. Darauf aufbauend werden die Regelungen zur Funktionsverlagerung im zweiten Teil kritisch untersucht und ebenfalls auf ihre Europarechtstauglichkeit analysiert.