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C. Rechtsfolgen
I. Einführung, Überblick und Fragestellungen
1. Einführung
Da der Tatbestand der Funktionsverlagerung neu in das Gesetz aufgenommen
wurde, finden sich die Rechtsfolgen zwangsläufig ebenfalls zum ersten Mal im Regelwerk. Während jedoch beim Tatbestand letztlich nur Konkretisierungen des
Fremdvergleichs vorgenommen wurden, hat der Gesetzgeber bei den Rechtsfolgen
etwas gänzlich Neues eingeführt. Er hat zunächst den Begriff des Transferpaketes
erfunden und damit einhergehend einen Wechsel vom Grundsatz der Einzelbewertung gemäß § 6 I EStG zum Grundsatz der Gesamtbewertung für die in Frage kommenden Fälle vorgenommen. Der Verordnungsgeber hat in § 1 V FVerlV den Begriff des Transferpaketes dann näher definiert. Ziel dieser Neuregelung ist, den Gewinn als Bemessungsgrundlage anzusetzen, den bei einer gedanklichen Veräußerung
der Funktion ein Dritter für diese zahlen würde. Dieser wiederum würde sich nach
Vorstellung des Gesetzgebers ertragswertorientiert für die Zukunft überlegen, wie
viel er mit der Funktion verdienen könnte. Er würde also nicht nur eine Gegenleistung für die materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter und deren stillen Reserven entrichten, sondern grundsätzlich zusätzlich ein Agio. Dies beruht auf der Annahme, dass das Ganze mehr wert sei als die Summe seiner Einzelteile. Dieser zu
bezahlende Gegenwert der Funktion wird sodann also der Besteuerung im Inland
unterworfen. Dieser Schwenk der Betrachtungsweise vom Grundsatz der Einzelzum Grundsatz der Gesamtbewertung hat weit reichende Konsequenzen, wie bereits
der folgende Überblick zeigt.
2. Überblick
Die gesetzliche Vorschrift des § 1 III 9 AStG verweist auf § 1 III 5 AStG. Die neuen
Rechtsfolgen zur Transferbetrachtung treten also nur ein, wenn für eine Funktionsverlagerung keine tatsächlichen oder eingeschränkten Fremdvergleichswerte vorliegen und deshalb der Verrechnungspreis für die Funktionsverlagerung mit Hilfe des
hypothetischen Fremdvergleichs zu ermitteln ist,773 was allerdings die Regel ist. Die
Bildung eines Transferpaketes und damit der Grundsatz der Gesamtbewertung gel-
773 Kroppen/Rasch/Eigelshoven, IWB 2007, 301 (309) (= F. 3, Gr. 1, 2201 (2209)); Hammerschmitt/Rehfeld, IWB 2007, 229 (232) (= F. 3, Gr. 1 2293 (2296)).
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ten nur in diesem Fall. Kommt es dagegen zu einer Funktionsverlagerung in den anderen genannten Fällen (tatsächlicher und eingeschränkter Fremdvergleich), gilt
weiter der Grundsatz der Einzelbewertung gemäß § 6 I EStG.
Im gesetzlichen Verweis von Satz 9 auf Satz 5 erfolgt gleichzeitig die Verknüpfung
des Transferpaketes und des daraus folgenden Grundsatzes der Gesamtbewertung
mit den Folgen des hypothetischen Fremdvergleichs gemäß § 1 III 6 AStG. Folglich
sind die Gewinnpotenziale der beteiligten Unternehmen die Grundlage der Bestimmung des Wertes des Transferpaketes, wobei der Begriff des Gewinnpotenzials in
§ 1 VI FVerlV definiert ist. Die Gewinnpotenziale bestimmen ihrerseits den Einigungsbereich gemäß § 1 III 6 AStG. Auf eine Funktionsverlagerung angewandt bedeutet dies, dass sich der Einigungsbereich aufgrund der Differenz zwischen dem
Mindestpreis des abgebenden Unternehmens mit dem Höchstpreis des aufnehmenden Unternehmens ergibt. Der Mindestpreis ist also der minimalste Betrag, zu dem
das abgebende Unternehmen soeben noch bereit ist, Funktionen zu verlagern. Der
Höchstpreis ist dagegen der maximale Betrag, zu dem das empfangene Unternehmen
höchstens bereit ist, die Funktion in sein Unternehmen zu übernehmen und zu
integrieren. Angesichts dieser Regelungen und der darin enthaltenen Vorstellungswelt des Gesetzgebers ergibt sich eine Vielzahl von Fragestellungen.
3. Fragestellungen
Bei der Einzelanalyse der angesprochenen Regelungen ist zunächst das Konstrukt
des Transferpaketes zu betrachten und zu fragen, ob der Wechsel von der Einzel- zur
Gesamtbewertung gerechtfertigt ist (sogleich II.). Sodann ist zu untersuchen, ob die
Herangehensweise des Gesetzes, das Transferpaket mit den Gewinnpotenzialen der
beteiligten Unternehmen zu bewerten, als sachlich richtig zu werten ist. Dabei sind
die Ergebnisse zum Gewinnpotenzial aus dem ersten Teil der Arbeit zu berücksichtigen. Einzubeziehen ist auch die Regelung in § 1 VI FVerlV, die das Gewinnpotenzial definiert. Außerdem ist die Wertermittlung gemäß §§ 3 II, 5, 6 und 7 FVerlV in
die Analyse mit einzubeziehen (III.). Im letzten Schritt sind sodann die Ansätze von
Gesetzgeber und Verordnungsgeber in § 1 III 6-8 AStG und § 7 FVerlV auf ihre
Plausibilität zu untersuchen und zu fragen, ob das gedachte Vorgehen des Gesetzgebers einer rechtlichen Überprüfung standhält (IV.).
II. Transferpaket
Der Begriff des Transferpakets erscheint zum ersten Mal im Gesetz. Er ist im Hinblick auf seine Werthaltigkeit in Abgrenzung zur Funktion und zur Umsetzung des
Konzepts der Gesamtbewertung der Funktion zu untersuchen. Dazu wird er zunächst
in das Gesamtsystem eingeordnet (unter 1.), sodann seine Definition analysiert (2.)
und abschließend die Konzeption kritisch gewürdigt (3.).
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References
Zusammenfassung
Das Thema Funktionsverlagerung ist das Thema des Jahres im Internationalen Steuerrecht. Der deutsche Gesetzgeber hat als erstes Gesetzgebungsorgan weltweit ausdrückliche Regelungen in § 1 Abs. 3 AStG zu diesem umstrittenen Thema erlassen. Die deutsche Finanzverwaltung hat mit Zustimmung des Bundesrats außerdem das Gesetz durch die Funktionsverlagerungsverordnung (FVerlVO) ergänzt. Damit stehen umfassende legislative Regelungen zur Besteuerung dieses umstrittenen Themenbereichs zur Verfügung.
Das Werk analysiert die neuen Regelungen und bezieht zu den einzelnen Themenbereichen ausführlich Stellung. Im ersten Teil werden zunächst die Neuregelungen zur steuerlichen Behandlung von Verrechnungspreisen durch die Unternehmensteuerreform 2008 dargestellt. Dabei wird auch die Vereinbarkeit des § 1 AStG mit dem Europarecht untersucht. Darauf aufbauend werden die Regelungen zur Funktionsverlagerung im zweiten Teil kritisch untersucht und ebenfalls auf ihre Europarechtstauglichkeit analysiert.