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tungsgesellschaften zu koordinieren und gemeinsame Arbeitsmittel („Tools“) zwischen diesen Gesellschaften einzuführen, um auf solche Weise ihre Zusammenarbeit
auf diesem Gebiet zu fördern. Zu diesem Zweck hat sie ein weltweites digitales
Informationssystem ausgearbeitet, das „Common Information System“ (CIS), dem
im Bereich der Musik eine dezentrale Vernetzung lokaler und regionaler Dokumentationssysteme zugrunde liegt. Dieses System soll auf der Basis verbindlicher Regeln und Standards der Identifizierung und Abrechnung von Werken dienen. Die
Bemühungen der CISAC widmen sich im selben Rahmen der Entwicklung des sog.
IPI-Systems („Interested Parties Identifier“), das durch Identifizierung des jeweiligen Urhebers bzw. der jeweiligen Verwertungsgesellschaft die Zuordnung der anfallenden Vergütungen ermöglicht – auch ohne genaue elektronische Identifizierung
des benutzten Werks. Mithilfe dieses Registrierungssystems vergibt die Verwertungsgesellschaft jedem ihrer Mitglieder eine IPI-Nummer, die einem Datenpaket
über Urhebereigenschaften, wahrgenommene Rechte und ökonomische Nutzungen
entspricht und künftig bei der Werknutzung den vergütungsberechtigten Urheber
schnell erkennbar macht.
Zur Effizienzsteigerung einer weltweiten Werkdokumentation wird des Weiteren
zusammen mit den Nutzern an einem Instrumentarium („International Standard
Work Code“, ISWC) gearbeitet, das eine international einheitliche Nummerierung
musikalischer Werke zugunsten der Online-Lizenzierung gewährleistet. Zur elektronischen Identifizierung soll die Anbringung von Wasserzeichen in den mit den Verwertern abzuschließenden Verträgen verhelfen.305
5. Abschnitt: Wertende Betrachtung der Organisationen kollektiver Wahrnehmung
in Europa
In den im Rahmen der vorliegenden Arbeit untersuchten EU-Mitgliedstaaten operieren derzeit weit mehr als 130 Organisationen im Bereich der kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten, die zumeist eine klare Spezialisierung nach Werkart bzw.
nach einzelnen Urheberrechtsbefugnissen (z.B. mechanische Vervielfältigungsrechte) aufweisen. Gemeinsames Anliegen der Verwertungsgesellschaften ist, den Urhebern und Leistungsschutzberechtigten bessere Verwaltungsmöglichkeiten bei der
Erwirtschaftung ihrer Rechte anzubieten und zugleich als zentrale Stellen zu fungieren, an die sich Nutzer und Werkvermittler zum Lizenzerwerb wenden können.
Mittels der Institution der kollektiven Wahrnehmung wird nämlich eine effizientere
Kontrolle über eine nicht überschaubare Anzahl von Werknutzungen erzielt, die
jedem Berechtigten die ihm dafür zustehende angemessene Vergütung sicherstellen
soll.
305 Becker, in: Prütting/Reinbothe/Schöfisch/Becker/Junker/Gerth/Schäfer (Hrsg.), Die Entwicklung des Urheberrechts im europäischen Rahmen, 1999, S. 53, 62; Kreile/Becker, FS Schricker, 2005, S. 387, 390 f.
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Die in Europa tätigen Verwertungsgesellschaften vermitteln kein einheitliches
Bild, sondern unterscheiden sich in Bezug auf rechtliche Grundlagen, Organisationsform und innere Strukturen. Dennoch lassen sich einige Hauptmerkmale der kollektiven Wahrnehmung in Bezug auf das Verhältnis der Verwertungsgesellschaften
sowohl zu ihren Mitgliedern als auch zu ihren Vertragspartnern (Verwertern) in
allen Rechtssystemen deutlich erkennen:
- Die auf der Privatautonomie beruhenden Verwertungsbefugnisse der Rechteinhaber werden an die zuständige Verwertungsgesellschaft zur gemeinsamen Verwaltung und Auswertung übertragen (kollektives Prinzip). Diese Zusammenfassung
bzw. Bündelung von Nutzungsrechten, die dem Nutzer in Form eines Repertoires
angeboten wird, dient einer verbesserten Verhandlungsposition der Inhaber und
bildet somit ein Korrelat zu der Marktmacht großer Werkverwerter. Die Verwertungsgesellschaften nehmen in der Regel ihre Tätigkeit als Treuhänder ihrer Mitglieder wahr (Treuhandprinzip), im Namen derer sie die Nutzungsentgelte einziehen, um diese schließlich möglichst individuell auszuschütten.
- Aus der Sicht der Verwerter kommt den Verwertungsgesellschaften eine weitere
Funktion zu: leichter und kostengünstiger Zugriff auf ein - auf der Basis von Gegenseitigkeitsverträgen - umfassendes bzw. weltweites Repertoire an Werken der Musik
und Literatur, dramatischen Werken, audiovisuellen Werken, Produktionen und
Darbietungen. In diesem Rahmen wird dem Verwerter das zur Ausübung seiner
Tätigkeit benötigte Paket an Nutzungsrechten, das wahlweise von den traditionellen
Formen der öffentlichen Wiedergabe über die mechanische Vervielfältigung, Reprographie, private Vervielfältigung, Vermietung und Verleih bis hin zur Mannigfaltigkeit der elektronischen Werkübermittlung reichen kann. Ansprüche auf eine angemessene Vergütung für die jeweilige Nutzung werden grundsätzlich in Form von
Pauschalierungen erhoben, wobei die „entindividualisierten“ Einnahmen auf der
Basis von komplexen Verteilungsschlüsseln aus dem gemeinsamen Geldtopf an die
Berechtigten individuell ausgeschüttet werden. Die Tätigkeit der jeweiligen Verwertungsgesellschaft lässt sich allerdings nicht anhand der einzelnen von ihr wahrgenommenen Vergütungsansprüche definieren, da oft ein und derselbe Vergütungsanspruch von verschiedenen Verwertungsgesellschaften geltend gemacht wird.
- Die Existenzberechtigung und Funktion der Verwertungsgesellschaften ist von
ihrer sozialen und kulturellen Mission stark geprägt. Neben dem Abschluss, der
Durchführung und Überwachung von Lizenzverträgen sowie der Einziehung und
Verteilung von Lizenzgebühren betreiben die Verwertungsgesellschaften auf der
Grundlage der jeweiligen nationalen Regelungsrahmen soziale Vorsorge- und Unterstützungseinrichtungen für ihre Mitglieder, die durch einen Teil des Gebührenaufkommens finanziert werden.
- Die europäische Landschaft der kollektiven Wahrnehmung wird durch eine
Rechtebündelung bzw. Repertoiremonopolisierung gekennzeichnet. Je nach Werkgattung oder Sparte tritt zumeist eine einzige Verwertungsgesellschaft den Nutzern
gegenüber - die belgische SABAM und die italienische SIAE vetreten sogar sämtliche Werkgattungen und schließen die Entstehung konkurrierender Verwertungsgesellschaften aus. Aber auch dort, wo das nationale Wahrnehmungsrecht kein gesetz-
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liches Monopol, sondern die freie Gründung von Verwertungsgesellschaften
vorsieht, erscheinen natürliche Monopole angesichts der Besonderheiten der kollektiven Wahrnehmung als unvermeidbar, wenn nicht erwünscht; denn mit der Größe
der Verwertungsgesellschaft wächst gleichzeitig der ökonomische Vorteil ihrer
Vertragspartner (Nutzer und Rechteinhaber).306 Die daraus zu ziehenden Spezialisierungs (Know-how) - und Informationsvorteile verhelfen den Verwertungsgesellschaften zu einer rentablen Kooperation untereinander, bei der sie von Synergien
und Verbundvorteilen profitieren können.
Tatsache ist, dass die kollektive Rechtewahrnehmung, wie sie durch die europäischen Verwertungsgesellschaften praktiziert wird, das geistige Eigentum zu einem
festen Begriff im öffentlichen Bewusstsein gemacht hat. Die Existenzberechtigung
der Verwertungsgesellschaften liegt in der effektiven Durchsetzung von Rechten
und Ansprüchen, die dem Urheber und Leistungsschutzberechtigten gesetzlich vorbehalten sind bzw. zustehen, mit möglichst minimalem zeitlichen und organisatorischen Aufwand. Der Wert bleibt auch heute aufrechterhalten, da es angesichts des
technologischen Wandels dem Rechteinhaber unmöglich wird, mit jedem interessierten Nutzer über die Erteilung einer Nutzungslizenz zu verhandeln und das Inkasso zu betreiben. Die Bestimmung der Verwertungsgesellschaften, dem schöpferischen Menschen zu dienen, wird somit im digitalen Kontext verfestigt und angereichert. Das nachhaltige Kommunikationsmodell zu den Berechtigten, die langjährige
und routinierte Partnerschaft zu den Lizenznehmern, die vertrauensvolle Kooperation mit den ausländischen Schwestergesellschaften, die durch das fein oder dicht
gesponnene Geflecht der Gegenseitigkeitsverträge erzielten Synergieeffekte, die
Formen des internationalen Auftritts und der Medienpräsenz, das Informations- und
Serviceangebot im globalen Datennetz, die Kontaktpflege zu politischen, wirtschaftlichen und Kulturkreisen, die strategische Innen- und Außenkommunikation sind
einige der wichtigsten Wesensmerkmale, welche die Verwertungsgesellschaften als
moderne Dienstleistungsunternehmen, wichtige wirtschaftliche Akteure und politische Entscheidungsträger in einer stets wandelnden Medien- und Kulturlandschaft
etablieren.
306 In der Ökonomie lässt sich diese Marktreaktion mit dem sog. „Netwerkeffekt“ erklären, da
mit dem Anschluss eines neuen Rechteinhabers nicht nur eine, sondern mehrfache Verwertungsbeziehungen entstehen; erreicht eine Verwertungsgesellschaft eine kritische Größe, kippt
der Markt um und es entsteht ein natürliches Monopol, welches der parallelen Etablierung einer weiteren, konkurrierenden Gesellschaft zumeist wenig Erfolg verspricht; vgl. Drexl, in:
Riesenhuber (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland und Europa, Berlin 2005, S.
193, 227.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Anpassung der kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten durch die Verwertungsgesellschaften an das digitale Zeitalter gewinnt zunehmend an Brisanz. Diese rechtsvergleichende Studie nimmt den Urheberrechtswandel in vielen Ländern Europas unter die Lupe, um anschließend die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Wahrnehmungspraxis ausgewählter Verwertungsgesellschaften zu untersuchen. Nachgezeichnet werden dabei die Konturen einer gemeinschaftsweiten Rechtewahrnehmung, vor allem im Bereich der Online-Lizenzierung. Dazu wird der Frage nach Handlungsoptionen für eine gestärkte Rolle der Verwertungsgesellschaften in einer stets wandelnden Medienlandschaft nachgegangen.