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vom 18. Oktober 2005. Demnach wird die Tauglichkeit des bisherigen Systems von
Gegenseitigkeitsvereinbarungen und seine Ausweitung auf die Online-Verwertung
durch Zusatzvereinbarungen in Frage gestellt sowie den Verwertungsgesellschaften
der Vorschlag unterbreitet, sich vom (im Offline-Bereich sonst beizubehaltenden)
Modell der Gegenseitigkeitsvereinbarungen als Regelungsrahmen für eine länder-
übergreifende Lizenzierung abzuwenden. Die Kommissionsempfehlung entfaltet
zwar keine verbindliche Wirkung, stellt aber klar, welche Merkmale des alten Systems seiner Anpassung an die neuen technischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten im Wege stehen. Von einer gemeinschaftsweiten Regelung und einer allgemein
als notwendig erkannten Kontrolle dieses Systems - mit Auswirkungen zumindest
für den Offline-Bereich - wurde allerdings bisher abgesehen. Derzeit richtet sich das
Augenmerk primär darauf, inwiefern es sämtlichen Beteiligten gelingen wird, das
traditionelle, nunmehr lückenhafte Modell der Vergabe territorial begrenzter Lizenzen für sämtliche Rechte aus der Online-Verwertung, welches den Nutzer zu vertraglichen Vereinbarungen mit den einzelnen Verwertungsgesellschaften zwingt,
durch neue Lizenzierungsmodelle zu ersetzen und somit die Praxis der kollektiven
Rechtewahrnehmung an die Bedürfnisse der Online-Wirtschaft anzupassen – unter
Berücksichtigung sowohl der Interessen von Rechteinhabern als auch von kommerziellen und nicht-kommerziellen Nutzerkreisen.
Trotz kritischer Haltung der Kommission gegenüber den von den Verwertungsgesellschaften praktizierten Lizenzierungsmodellen darf schließlich nicht verkannt
werden, dass die IFPI-Simulcasting-Vereinbarung einen erfolgreichen Schritt seitens
der Verwertungsgesellschaften auf dem Weg zu einer effizienten One-stop-shop-
Lizenzierung im Online-Bereich darstellt – auch wenn er sich nur auf die Simulcasting-Sparte sowie den kommerziellen Nutzerkreis der Sendeunternehmen beschränkt.
E. Dokumentationsmanagement und -vernetzung
Um die Teilnahme am elektronischen Geschäftsverkehr mit Werken zu ermöglichen
und eine effiziente Einnahme und Verteilung der Abgaben zu gewährleisten, sehen
die Verwertungsgesellschaften eine Notwendigkeit in der systematischen Registrierung des Werkrepertoires in digitalisierten Datenbanken sowie in der Archivierung
der Dokumente aus dem Lizenzierungsvorgang. Vor allem die musikalischen Verwertungsgesellschaften pflegen die weltweite Vernetzung ihrer Datenbanken, um
den Nutzern einen kontrollierten und identifizierbaren Zugang sicherzustellen, und
bauen zugleich EDV-Systeme auf, die eine qualitativ bessere und rationellere Abrechnung der Auslandsnutzungen ermöglichen werden. Führende Verwertungsgesellschaften, wie die GEMA und BUMA/STEMRA, haben bereits ihren Internetauftritt um einen Lizenzshop erweitert, welcher der weitgehend automatisierten Lizenzierung von Webradio, Podcasting und Mitglieder-Webseiten dient.
Auch auf internationaler Ebene arbeitet die Dachorganisation der Verwertungsgesellschaften CISAC daran, die technischen Aktivitäten zwischen den Verwer-
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tungsgesellschaften zu koordinieren und gemeinsame Arbeitsmittel („Tools“) zwischen diesen Gesellschaften einzuführen, um auf solche Weise ihre Zusammenarbeit
auf diesem Gebiet zu fördern. Zu diesem Zweck hat sie ein weltweites digitales
Informationssystem ausgearbeitet, das „Common Information System“ (CIS), dem
im Bereich der Musik eine dezentrale Vernetzung lokaler und regionaler Dokumentationssysteme zugrunde liegt. Dieses System soll auf der Basis verbindlicher Regeln und Standards der Identifizierung und Abrechnung von Werken dienen. Die
Bemühungen der CISAC widmen sich im selben Rahmen der Entwicklung des sog.
IPI-Systems („Interested Parties Identifier“), das durch Identifizierung des jeweiligen Urhebers bzw. der jeweiligen Verwertungsgesellschaft die Zuordnung der anfallenden Vergütungen ermöglicht – auch ohne genaue elektronische Identifizierung
des benutzten Werks. Mithilfe dieses Registrierungssystems vergibt die Verwertungsgesellschaft jedem ihrer Mitglieder eine IPI-Nummer, die einem Datenpaket
über Urhebereigenschaften, wahrgenommene Rechte und ökonomische Nutzungen
entspricht und künftig bei der Werknutzung den vergütungsberechtigten Urheber
schnell erkennbar macht.
Zur Effizienzsteigerung einer weltweiten Werkdokumentation wird des Weiteren
zusammen mit den Nutzern an einem Instrumentarium („International Standard
Work Code“, ISWC) gearbeitet, das eine international einheitliche Nummerierung
musikalischer Werke zugunsten der Online-Lizenzierung gewährleistet. Zur elektronischen Identifizierung soll die Anbringung von Wasserzeichen in den mit den Verwertern abzuschließenden Verträgen verhelfen.305
5. Abschnitt: Wertende Betrachtung der Organisationen kollektiver Wahrnehmung
in Europa
In den im Rahmen der vorliegenden Arbeit untersuchten EU-Mitgliedstaaten operieren derzeit weit mehr als 130 Organisationen im Bereich der kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten, die zumeist eine klare Spezialisierung nach Werkart bzw.
nach einzelnen Urheberrechtsbefugnissen (z.B. mechanische Vervielfältigungsrechte) aufweisen. Gemeinsames Anliegen der Verwertungsgesellschaften ist, den Urhebern und Leistungsschutzberechtigten bessere Verwaltungsmöglichkeiten bei der
Erwirtschaftung ihrer Rechte anzubieten und zugleich als zentrale Stellen zu fungieren, an die sich Nutzer und Werkvermittler zum Lizenzerwerb wenden können.
Mittels der Institution der kollektiven Wahrnehmung wird nämlich eine effizientere
Kontrolle über eine nicht überschaubare Anzahl von Werknutzungen erzielt, die
jedem Berechtigten die ihm dafür zustehende angemessene Vergütung sicherstellen
soll.
305 Becker, in: Prütting/Reinbothe/Schöfisch/Becker/Junker/Gerth/Schäfer (Hrsg.), Die Entwicklung des Urheberrechts im europäischen Rahmen, 1999, S. 53, 62; Kreile/Becker, FS Schricker, 2005, S. 387, 390 f.
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References
Zusammenfassung
Die Anpassung der kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten durch die Verwertungsgesellschaften an das digitale Zeitalter gewinnt zunehmend an Brisanz. Diese rechtsvergleichende Studie nimmt den Urheberrechtswandel in vielen Ländern Europas unter die Lupe, um anschließend die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Wahrnehmungspraxis ausgewählter Verwertungsgesellschaften zu untersuchen. Nachgezeichnet werden dabei die Konturen einer gemeinschaftsweiten Rechtewahrnehmung, vor allem im Bereich der Online-Lizenzierung. Dazu wird der Frage nach Handlungsoptionen für eine gestärkte Rolle der Verwertungsgesellschaften in einer stets wandelnden Medienlandschaft nachgegangen.