29
neuen Nutzungsmöglichkeiten über die verschiedenen Kommunikationskanäle setzen grundlegende Strukturveränderungen in Gang. Es entstehen neue elektronische
Vertriebsebenen von Produkten und Dienstleistungen, die in den Markt eindringen
und zahlreiche Warengruppen erfassen. Dies verstärkt die wirtschaftliche Dimension
des geistigen Eigentums und bringt eine Erweiterung der interessierten Kreisen nach
sich, die von den Rechteinhabern über die Verwerter bis hin zu den Endverbrauchern reicht – eine Abgrenzung ist dabei nicht immer klar. Deutlich wird eine faktisch bedingte Verlagerung der Rechte von den einzelnen Kreativen in die Hände der
Kulturindustrie und der Verlage; verschiedenen Unternehmensformen werden dabei
vertraglich mehrere Rechte zugewiesen. Hinzu kommt die weltweite Vernetzung
über das Internet – es wird geschätzt, die Hälfte der Menschenheit wird bis 2015
vernetzt sein! - und die Globalisierung der Märkte. Auch die Verbraucher werden in
der digitalen Welt zunehmend mit gesetzlichen Pflichten und Vertragsbestimmungen konfrontiert. Die zunehmende Komplexität zeigt sich besonders deutlich beim
Umgang mit Informations- und Kulturgütern, die in der heutigen Informationsgesellschaft konsumiert werden. Gleich ob Musik von einem Downloaddienst heruntergeladen und auf einen MP3-Spieler kopiert, Software erworben, genutzt und wieder
verkauft wird oder Kopien von Computerspielen zu privaten Zwecken hergestellt
werden: Die Nutzer müssen auf gesetzliche Bestimmungen achten, wobei die
Rechtsunsicherheiten hinsichtlich der Zulässigkeit der Nutzung sowohl die Abnehmer als auch die Anbieter treffen.6
All die neuen technologiespezifischen Formen der Werkverwertung stellen eine
große Herausforderung für das herkömmliche Urheberrecht dar, das somit vor neue,
stets wachsende Aufgaben gestellt wird – die Geschichte des Urheberrechts besteht
lediglich in einem Prozeß rechtlicher Reaktionen auf die technischen Entwicklungen. Das materielle Schutzziel des Urheberrechts, der Schutz vor unbefugter wirtschaftlicher Verwertung, beihaltet die normative Verpflichtung, dem tatsächlichen
Wachstumsfaktor der Werkverwertung gerecht zu werden7, wobei der Schutz der
Interessen der Rechtsinhaber nach wie vor vorrangige Zielsetzung der Urheberrechtsreformen im kontinentaleuropäischen Raum bleibt.
Die Anpassung des Urheberrechts im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit
geschützer Werke ist Ausgangspunkt dieser Dissertation.
B. Gang der Darstellung
Die vorliegende Arbeit befasst sich in gleicher Weise mit urheberrechtlichen Aspekten der digitalen Werknutzung wie auch mit Recht und Praxis der kollektiven Wahrnehmung digitaler Nutzungsrechte aus der Sicht bedeutender Verwertungsgesell-
6 Interessant hierzu die Untersuchungsergebnisse von Kreutzer, Verbraucherschutz bei digitalen Medien, 2006, S. 7 ff.
7 Vgl. Brinkmann, Urheberschutz und wirtschaftliche Verwertung, 1989, S. 55.
30
schaften Europas. Es ist beabsichtigt, den Blick für eine Harmonisierung bestimmter
Aspekte des Rechts der kollektiven Rechtewahrnehmung im digitalen Umfeld zu
schärfen sowie Klarheit über die künftige Rolle der europäischen Verwertungsgesellschaften zu schaffen. Auch hier steht das digitale Repertoire der kollektiven
Wahrnehmung im Mittelpunkt einer rechtsvergleichenden Betrachtung. Angeführt
werden dabei Lehre und Rechtsprechung aus mehreren EU-Rechtsordnungen - diejenigen, die eine lange Tradition der kollektiven Wahrnehmung aufweisen, werden
vordergründig untersucht. Die rechtsvergleichende Darstellung der nationalen Ansätze folgt nicht der Methodologie einzelner Länderberichte, sondern erarbeitet
Gemeinsamkeiten und Diskrepanzen, die das Urheber- und Urheberwahrnehmungsrecht in Europa kennzeichnen.
Der Erste Teil behandelt rechtsvergleichende Aspekte der digitalen Werkverwertung in ausgewählten EU-Urheberrechtsystemen. Es wird zunächst definiert, welche
digitalen Nutzungshandlungen geistiger Werke in das herkömmliche Urheberrecht
einzuordnen sind. Verwertungsrechte und Schrankenregelungen werden dabei nicht
in ihrer Gesamtheit dargestellt, sondern diejenigen hervorgehoben, die im digitalen
Kontext eine besondere Bedeutung erlangen und für die kollektive Wahrnehmung
relevant sind. Der Untersuchungsrahmen konzentriert sich auf die Entwicklung des
kontinentaleuropäischen Rechts. Dem britischen Copyright-System wird hingegen
ein kurzer Überblick über die neuesten Änderungen in Folge der Umsetzung der
Informationsgesellschaftsrichtlinie gewidmet - eine umfassende Darstellung würde
den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen und ließe sich im Übrigen mangels
entsprechender Vergütungsstrukturen kaum rechtfertigen. Auch die Entwicklungen
im Bereich des Leistungsschutzes werden hier begrenzt abgehandelt werden.
Der Zweite Teil bildet den Übergang vom Urheberrecht auf das Recht der Verwertungsgesellschaften ab und bietet einen grundlegenden Einstieg in die Entstehung und den Wahtnehmungsbereich europäischer Verwertungsgesellschaften. Dabei werden Gemeinsamkeiten und Abweichungen in deren Organisation und Verwaltungsstruktur aufgezeigt. Besondere Bedeutung wird der Darstellung der
unterschiedlichen Rechtssysteme in Bezug auf die staatliche Regulierung und Aufsicht über die Tätigkeit monopolistischer Verwertungsgesellschaften beigemessen.
Gesondert behandelt wird zudem die grenzübergreifende Aktivität europäischer
Verwertungsgesellschaften sowohl im Rahmen internationaler Bündnisse als auch
auf der Basis der Gegenseitigkeitsverträge.
Der Dritte Teil befasst sich zuerst mit vertragsrechtlichen Aspekten der kollektiven Wahrnehmung und Lizenzierung digitaler Nutzungsrechte. Ergänzend wird auf
die Praxis der Tarifgestaltung mit Schwerpunkt auf digitale Nutzungsvorgänge eingegangen. Obgleich die großen, überwiegend musikalischen, Verwertungsgesellschaften Europas eine hohe Effizienz bei der Lizenzierung sowie beim Inkasso der
Gebühren für analoge und digitale Werknutzungen aufweisen, so dass das Gewicht
der einschlägigen Darstellung deutlich auf sie verlagert wird, wird auch den anderen
Wahrnehmungsorganisationen gebührend Rechnung getragen. Von einer eingehenden Darstellung der Tarifsysteme einzelner Verwertungsgesellschaft wird allerdings
31
hierbei abgesehen - sowohl aus Gründen der Ökonomie als auch mangels ausreichender Auskunft, die öffentlich zugängliche Quellen enthielten.
Der Vierte Teil schildert die europäischen Perspektiven und die künftige Gestaltung der kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten. Die Organisation zentraler Anlaufstellen (One-stop-shops) für die Informationsvermittlung und die Lizenzvergabe auf dem Gebiet der Multimedia sowie mögliche Alternativen zur kollektiven Wahrnehmung im Wechselspiel mit dem Einsatz
technischer Schutzmaßnahmen runden das Gesamtbild ab.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Anpassung der kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten durch die Verwertungsgesellschaften an das digitale Zeitalter gewinnt zunehmend an Brisanz. Diese rechtsvergleichende Studie nimmt den Urheberrechtswandel in vielen Ländern Europas unter die Lupe, um anschließend die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Wahrnehmungspraxis ausgewählter Verwertungsgesellschaften zu untersuchen. Nachgezeichnet werden dabei die Konturen einer gemeinschaftsweiten Rechtewahrnehmung, vor allem im Bereich der Online-Lizenzierung. Dazu wird der Frage nach Handlungsoptionen für eine gestärkte Rolle der Verwertungsgesellschaften in einer stets wandelnden Medienlandschaft nachgegangen.