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lässt,623 so dass letztlich niemand gegen den Beschluss Klage erheben konnte. Dadurch sah sich der Senat jedoch nicht gezwungen, von der Beschränkung des § 241
Nr. 3 AktG auf Inhaltsmängel abzurücken.624
III. „…Vorschriften…“
Drei kurze Bemerkungen verdient sodann die Wendung im Tatbestand, der Beschluss müsse bestimmte „Vorschriften verletzt“ haben. Überzeugend erscheint der
Ausgangspunkt der Kommentarliteratur, den Begriff auszulegen wie die „Rechtsnorm“ in Art. 2 EGBGB.625 Dass bedeutet, dass § 241 Nr. 3 AktG und § 243 Abs. 1
AktG der gleiche Normbegriff zugrunde liegt.626 Erfasst ist nicht nur das AktG,
sondern auch das MitbestG, das UmwG oder das GWB. Daraus folgt:
(1) Bloße Verletzungen der Satzung sind von § 241 Nr. 3 AktG ausgeschlossen.627 Das lässt sich mit dem in § 6 erläuterten Verständnis dieses Nichtigkeitstatbestandes unschwer vereinbaren, soweit in dem Satzungsverstoß nicht zugleich ein
Verstoß gegen eine zwingende Vorschrift liegt und die Aktionäre die Möglichkeit
gehabt hätten, den Satzungsverstoß durch eine andere Fassung der Satzung zu verhindern.628
(2) § 241 Nr. 3 AktG erfasst nicht nur ausdrückliche Regelungen, sondern auch
Gewohnheitsrecht und – bei hinreichender tatbestandlicher Konkretisierung –
Rechtsgrundsätze, die aus richterlicher Rechtsfortbildung hervorgegangen sind.629
Diese Auslegung entspricht dem überwiegenden Verständnis von § 134 BGB.630
623 OLG Schleswig, AG 2006, 120, 121 f.; Hüffer, AktG, § 20 Rn. 14; Emmerich/Habersack § 20
Rn. 47; Spindler/Stilz/Sester, AktG, 2007, § 20 Rn. 39; K. Schmidt/Lutter/Veil, AktG, § 20
Rn. 39, Anh. § 22: § 28 WpHG Rn. 3; Wilsing/Goslar, EWiR 2006, 449, 450; differenzierend
OLG Dresden, AG 2005, 247, 250 f., das für den Fall des allseitigen Rechtsverlustes die
Anfechtungsbefugnis gewähren wollte; offen lassend BGHZ 167, 204, 210. – Vgl.
demgegenüber zu § 245 Nr. 3 AktG OLG Schleswig, AG 2008, 129, 131; Hüffer, AktG, § 20
Rn. 14 a.E.
624 Anders früher Geßler, BB 1980, 217, 219, mit der knappen Begründung, § 20 Abs. 7 AktG
sei eine im öffentlichen Interesse gegebene Vorschrift i.S.d. § 241 Nr. 3 AktG; dagegen
Burgard, Offenlegung, 1990, S. 59; Hüffer, FS Boujong, 1996, S. 277, 295.
625 Vgl. Hüffer, AktG, § 241 Rn. 18; MünchKommAktG/Hüffer § 241 Rn. 57; vgl. auch Zöllner
in Kölner Komm. AktG, § 241 Rn. 102.
626 Vgl. U. Huber, FS Coing, Bd. 2, 1982, S. 167, 189; zum „Gesetz“ i.S.d. § 243 Abs. 1 AktG
vgl. MünchKommAktG/Hüffer § 243 Rn. 16; Hüffer, AktG, § 243 Rn. 5; K. Schmidt in
Großkomm. AktG, § 243 Rn. 9; Zöllner in Kölner Komm. AktG, § 243 Rn. 66;
Spindler/Stilz/Würthwein, AktG, 2007, § 243 Rn. 58.
627 Allg. Ansicht, vgl. K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 241 Rn. 56, 111; Zöllner in Kölner
Komm. AktG, § 241 Rn. 102; Spindler/Stilz/Würthwein, AktG, 2007, § 241 Rn. 213.
628 Dazu, in Abgrenzung zu anderen Fallgestaltungen, unten § 10 I, S. 193 ff.
629 Ebenso Zöllner in Kölner Komm. AktG, § 241 Rn. 102.
630 MünchKommBGB/Armbrüster § 134 Rn. 32; Bork, Allgemeiner Teil, 2006, Rn. 1091; anders
dagegen Staudinger/Sack, Bearbeitung 2003, § 134 Rn. 22, § 138 Rn. 26, der den Verstoß
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(3) Schließlich hat die Formulierung, der Beschluss müsse bestimmte „Vorschriften verletzt“ haben, einige Autoren angeregt, im Anschluss an § 134 BGB Gesetze
zu suchen, denen, zumindest durch Auslegung, ein Verbot der betreffenden Beschlussfassung zu entnehmen ist.631 Sieht man mit den vorangegangen Ausführungen den Schwerpunkt von § 241 Nr. 3 AktG im Fehlen der Rechtsmacht der Hauptversammlung, zeigt sich, dass es einer derartigen Begründung nicht bedarf. Wie
beim Parallelfall des Fehlens der rechtsgeschäftlichen Gestaltungsmacht im Bürgerlichen Recht genügt die negative Feststellung, dass die Hauptversammlung keine
Befugnis hat, einen Beschluss dieses Inhalts zu fassen.
IV. Maßgeblicher Zeitpunkt
Für die Frage, ob ein Beschluss der Hauptversammlung einwandfrei gefasst oder
anfechtbar oder sogar nichtig ist, kommt es allein auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung an.632 Das hat die wichtige Konsequenz, dass Ereignisse, die nach Abschluss
der Beschlussfassung eintreten, nicht mehr zur Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit des
Beschlusses führen können. Dabei ist nicht die Frage nachträglicher Änderungen der
rechtlichen Vorschriften angesprochen,633 sondern Veränderungen in tatsächlicher
Hinsicht. Als Beispiel ist an eine Mehrheitseingliederung oder einen Squeeze out zu
denken, bei dem die Kapitalbeteiligung der Hauptgesellschaft bzw. des Hauptaktionärs nach der Beschlussfassung unter die 95%-Schwelle absinkt.634 Zu erwägen ist,
ob das Registergericht in diesem Fall die Eintragung, soweit noch nicht erfolgt,
ablehnen muss;635 zudem kann das Gesetz ausdrücklich anordnen, dass die Rechtswirkungen bei Wegfall der Voraussetzungen wieder entfallen.636 Dagegen kann der
Beschluss nicht nachträglich nichtig werden, wenn das Beteiligungserfordernis im
Zeitpunkt der Beschlussfassung noch erfüllt war.
Davon ist wiederum die Frage zu trennen, auf welchen Zeitpunkt es für die Klagevoraussetzungen des § 249 Abs. 1 Satz 1 AktG ankommt; hier geht es in erster
Linie darum, wann der Kläger Aktionär gewesen sein muss. Nach ganz überwiegender Auffassung kommt es dafür nicht auf die Beschlussfassung an, sondern auf den
gegen Rechtsgrundsätze der Generalklausel in § 138 BGB zuschlagen möchte, die er als
„umfassende Regelung aller rechtlich zu missbilligenden Handlungen“ versteht.
631 Vgl. am Beispiel vom Kompetenzüberschreitungen der Hauptversammlung unten § 10 II 1
bei Fn. 947; zu § 23 Abs. 5 AktG auch Casper, Heilung, 1998, S. 208 f.
632 Eine weitere Präzisierung, etwa auf Antrag, Abgabe der Stimmen oder Feststellung des
Beschlussergebnisses, dürfte kaum je relevant werden.
633 Vgl. dazu im Bürgerlichen Recht MünchKommBGB/Armbrüster § 134 Rn. 20 f.;
Staudinger/Sack, Bearbeitung 2003, § 134 Rn. 54 ff.
634 Eingehende Darstellung des Problems bei Fleischer in Großkomm. AktG, § 327a Rn. 19 ff.;
MünchKommAktG/Grunewald § 319 Rn. 5, § 320 Rn. 3.
635 So Emmerich/Habersack § 327a Rn. 18; zu Recht ablehnend Fleischer in Großkomm. AktG,
§ 327a Rn. 21, vgl. noch unten § 10 V 1 bei Fn. 1050.
636 Siehe zur Eingliederung § 327 Abs. 1 Nr. 3 AktG.
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References
Zusammenfassung
Im deutschen Aktienrecht führt nicht jeder Rechtsverstoß zur Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses. Regelmäßig soll bei der Verletzung eines Gesetzes oder der Satzung nur die bloße Anfechtbarkeit eintreten. In diesem Fall fehlen dem Beschluss nicht ipso iure die intendierten Rechtswirkungen, vielmehr bedarf es der Geltendmachung durch eine spezielle Klage, die personell und zeitlich eng begrenzt ist.
Trotz der zentralen Stellung dieser Unterscheidung ist die Abgrenzung von Nichtigkeitsmängeln und Anfechtungsmängeln bis heute nicht vollständig geklärt. Im Mittelpunkt des Interesses steht § 241 Nr. 3 AktG, der mit seinem weiten Wortlaut seit seinem Inkrafttreten im AktG 1937 für erhebliche Auslegungsschwierigkeiten sorgt. Ausgehend von der Entstehungsgeschichte und Systematik des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts entwickelt der Band ein besseres Verständnis dieser Vorschrift und ermöglicht dadurch eine klare Abgrenzung von Nichtigkeit und Anfechtbarkeit.
Die Arbeit wurde mit dem Harry Westermann-Preis 2008 ausgezeichnet.