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überhaupt nicht um einen Beschluss der Hauptversammlung.592 Diese Frage hat das
Gericht gewiss zu prüfen und abschließend zu entscheiden, aber der angemessene
Ort ist eben der Beschlussmängelstreit nach den Regeln und mit der Urteilswirkung
der §§ 249, 248, 246 AktG. Gleiches gilt, wenn dem vermeintlichen Beschluss infolge Perplexität593 oder Unbestimmtheit594 auch durch Auslegung595 kein eindeutiger Regelungsgehalt zu entnehmen ist; diese Fälle sind indes kein aktienrechtsspezifisches Problem, sondern der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre zugehörig.596 Für
die gerichtliche Geltendmachung macht es in dieser zweiten Fallgruppe also im
Ergebnis keinen Unterschied, ob man mit der hier befürworteten Ansicht den mangelhaften Beschlusstatbestand außerhalb von § 241 AktG ansiedelt oder aber unter
einen dieser Nichtigkeitsgründe fasst: Jedenfalls ist die Klage – direkt oder analog –
nach § 249 AktG möglich. Das Gericht kann die Frage, ob ein nichtiger Beschluss
oder Nichtbeschluss vorliegt, im Urteil sogar offenlassen.597 Dennoch ist daran festzuhalten, diesen Fehlertyp als eigenständige Kategorie zu behandeln. Denn den
unbestreitbaren Unterschieden zu den übrigen Beschlussmängeln ist bei der Heilung
nach § 242 AktG598 und der Anwendbarkeit der Regeln über die fehlerhafte Strukturänderung Rechnung zu tragen.599
II. „…durch seinen Inhalt…“
§ 241 Nr. 3 AktG erfasst nur Inhaltsmängel, nicht aber Verfahrensmängel. Fehler im
Beschlussverfahren führen allein in den in § 241 Nr. 1 und 2 AktG genannten Fällen
592 Darauf weist K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 241 Rn. 11 f., hin; insoweit zustimmend
MünchKommAktG/Hüffer § 241 Rn. 11.
593 Von Nichtigkeit nach § 241 Nr. 3 AktG sprechen dagegen MünchKommAktG/Hüffer § 241
Rn. 67; Zöllner in Kölner Komm. AktG, § 241 Rn. 107; Spindler/Stilz/Würthwein, AktG,
2007, § 241 Rn. 59, 216 ff.; Casper, Heilung, 1998, S. 45 f.; auf die „Natur der Sache“
verweist K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 241 Rn. 64. Für Anfechtbarkeit dagegen Emde,
ZIP 2000, 59, 63.
594 Für die Einordnung als Nichtbeschluss auch Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 45 Rn. 50;
C. Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 13 f. in Fn. 19 und S. 371;
unzutreffend wiederum Emde, ZIP 2000, 59, 64, der nur Anfechtbarkeit annimmt.
595 Vgl. dazu § 1 I 3, S. 24; eingehend Trendelenburg, NZG 2003, 860 ff.
596 Siehe etwa Medicus, Allgemeiner Teil, 2002, Rn. 759; ders., Bürgerliches Recht, 2004,
Rn. 133 f., 155.
597 Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 45 Rn. 51.
598 Zur Frage der Heilung von Mängeln im Beschlusstatbestand ablehnend Casper, Heilung,
1998, S. 296; Spindler/Stilz/Casper, AktG, 2007, § 242 Rn. 28; für Heilungsmöglichkeit
dagegen OLG Stuttgart, GmbHR 2000, 721, 726; Spindler/Stilz/Würthwein, AktG, 2007,
§ 241 Rn. 54, sowie all jene, die die genannten Konstellationen als Nichtigkeitsfälle i.S.d.
§ 241 Nr. 1 oder 3 AktG einordnen, vgl. Zöllner in Kölner Komm. AktG, § 241 Rn. 53; Berg,
Schwebend unwirksame Beschlüsse, 1994, S 56 f.; Noack, Fehlerhafte Beschlüsse, 1989,
S. 11.
599 Zur Anwendbarkeit der Regeln über die fehlerhafte Strukturänderung bei Mängeln des
Beschlusstatbestandes C. Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 368 ff.
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zur Nichtigkeit, sonst lediglich zur Anfechtbarkeit nach § 243 Abs. 1 AktG. Dies
entspricht der ganz überwiegenden Auffassung im Schrifttum,600 auch wenn der
Bundesgerichtshof die Frage bislang ausdrücklich offen gelassen hat.601 Der Wortlaut der Vorschrift lässt durchaus beide Ansichten zu, weil sich die ausdrückliche
Beschränkung auf den Inhalt sprachlich nur auf die Verletzung gläubigerschützender und im öffentlichen Interesse gegebener Vorschriften, nicht aber auf die Unvereinbarkeit mit dem Wesen der Aktiengesellschaft bezieht.
Dennoch bleibt es nach den vorangegangenen Ausführungen dabei, dass Verfahrensmängel keinesfalls die Nichtigkeit nach § 241 Nr. 3 AktG begründen. Denn sie
führen nicht dazu, dass die Hauptversammlung einen Beschluss fasst, der außerhalb
ihrer Rechtsmacht liegt. Vielmehr dienen Verfahrensvorschriften dazu, auch unter
dem Mehrheitsprinzip einen Kern an Mitwirkungsmöglichkeiten aller Aktionäre an
der Beschlussfassung sicherzustellen und dadurch zugleich die Entscheidungsqualität zu verbessern.602 Diese Regelungen beeinflussen somit lediglich, welche unter
den in der Zuständigkeit der Hauptversammlung liegenden Entscheidungsvarianten
sich im innerverbandlichen Machtkampf durchsetzt. Sieht ein Aktionär dieses Teilhaberecht verletzt, muss er initiativ werden und in Monatsfrist unter den Voraussetzungen des § 245 Nr. 1, 2 AktG Anfechtungsklage erheben, sofern kein Fall des
§ 241 Nr. 1 oder 2 AktG vorliegt. Für dieses enge Verständnis von § 241 Nr. 3 AktG
spricht auch die historische Auslegung: Wie erläutert finden sich keine Anzeichen,
dass die Ergänzung dieses Tatbestandes um die Wesensalternative die Nichtigkeit
auf weitere Verfahrensfehler ausdehnen sollte. Weder verwendete das Reichsgericht
diese Formel für andere als inhaltliche Mängel,603 noch lässt die Gesetzesbegründung ein derartiges Verständnis des Gesetzgebers erkennen, der vielmehr ausdrücklich die Beschränkung der Nr. 3 auf Inhaltsmängel betonte.604
Dieser eindeutige Befund der dogmatischen und historischen Analyse entbindet
jedoch nicht von der Frage, wie mit krassen Verfahrensverstößen umzugehen ist, in
denen die bloße Anfechtbarkeit vor allem wegen der starren Fristbindung als Sanktion nicht ausreichend erscheint. Nachdem die Kategorie des Nichtbeschlusses jenseits der soeben erläuterten Mängel des Tatbestandes als Lösungsweg ausscheidet,
verbleiben noch zwei Möglichkeiten: Einerseits könnte man bei den Beschränkungen des Anfechtungsrechts in § 245 Nr. 1, 2 und § 246 Abs. 1 AktG ansetzen. Während eine Ausnahme von der Widerspruchsobliegenheit nach § 245 Nr. 1 AktG ganz
600 Siehe übereinstimmend MünchKommAktG/Hüffer § 241 Rn. 46; K. Schmidt in Großkomm.
AktG, § 241 Rn. 55, 59; Zöllner in Großkomm. AktG, § 241 Rn. 98, 100;
Spindler/Stilz/Würthwein, AktG, 2007, § 241 Rn. 178.
601 BGH, AG 1990, 78, 81; vgl. auch Casper, Heilung, 1998, S. 35, demzufolge „Nr. 3 auf
Fehler bei beiden Beschlußkomponenten Anwendung finden kann.“ Für die Einbeziehung
von Verfahrensfehlern auch Heidel in Heidel, Aktienrecht, § 241 AktG Rn. 10;
Schiffer/Müller in Kompaktkommentar Gesellschaftsrecht, § 241 AktG Rn. 17.
602 Oben § 1 IV 2 in Ziff. (3), S. 32.
603 Vgl. oben § 3 III 3 b, S. 71 ff.
604 Oben § 3 III 3 d Ziff. (1), S. 77; ausdrücklich bereits A. Hueck, Aktienrechtsreform, 1933,
S. 36.
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überwiegend befürwortet wird, wenn der Mangel unerkennbar war,605 scheidet eine
Aufweichung der Anfechtungsfrist aufgrund ihrer Rechtssicherheitsfunktion jedoch
aus.606 Somit bleibt einzig der Weg über die speziellen Nichtigkeitstabestände für
Verfahrensfehler. Methodisch setzt das eine Analogie zu § 241 Nr. 1 und 2 AktG
voraus. Maßgeblich ist also, ob der Rechtsverstoß den dort niedergelegten Wertungen näher steht als dem allgemeinen Grundsatz, wonach ein Verfahrensmangel nur
die Anfechtbarkeit des Beschlusses rechtfertigt. Dies lässt sich an zwei neueren
Urteilen des Bundesgerichtshofs verdeutlichen.
(1) In einer Entscheidung zum GmbH-Recht aus dem Jahr 2006 urteilte der II.
Zivilsenat, dass eine sogenannte kombinierte Beschlussfassung, bei der ein Teil der
Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung, ein anderer Teil schriftlich abstimmt, ohne Satzungsermächtigung unzulässig ist.607 Einzelheiten brauchen hier
nicht erörtert zu werden, denn die spezielle Rechtsfrage stellt sich im Aktienrecht in
dieser Weise nicht.608 Vorliegend soll das Augenmerk auf die Argumentation des
Gerichts zur Rechtsfolge gelenkt werden, denn ersichtlich erfassen § 241 Nr. 1 und
2 AktG diesen Fall nicht unmittelbar. Dennoch führt das kombinierte Verfahren
nach Ansicht des Senats selbst bei Einvernehmen sämtlicher Gesellschafter zur
Nichtigkeit des Beschlusses, sofern das Prozedere nicht in der Satzung vorgesehen
ist: „Wenn bereits Einberufungsmängel die Nichtigkeit des in einer derart zusammengetretenen Gesellschafterversammlung Beschlossenen zur Folge haben, wäre es
wertungswidersprüchlich und vom Gesetz nicht gedeckt (…), den Fall, dass überhaupt kein zugelassenes Abstimmungsverfahren stattgefunden hat, nicht der Nichtigkeitsfolge nach dem im GmbH-Recht entsprechend heranzuziehenden § 241 Nr. 1
AktG zu unterwerfen.“609 In diesem knappen Satz, der nach richtigem Verständnis
605 Dazu, m. Nachw., oben § 4 III 4 bei Fn. 427.
606 Vgl. oben § 4 III 2, S. 94; für eine flexiblere Handhabung der Anfechtungsfrist bei analoger
Anwendung der §§ 241 ff. AktG im GmbH-Recht dagegen die Rechtsprechung und
herrschende Lehre, vgl. etwa BGHZ 111, 224, 226; zustimmend Lutter/Hommelhoff,
GmbHG, Anh. § 47 Rn. 60; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 45 Rn. 142 f.; danach sei eine
Überschreitung der Monatsfrist zulässig, wenn der Kläger andernfalls „nicht ausreichend Zeit
hatte, schwierige tatsächliche oder rechtliche Fragen zu klären oder klären zu lassen“ (so
BGH, a.a.O.); dagegen mit guten Gründen M. Schwab, Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner
Streitigkeiten, 2005, S. 399 f. De lege ferenda für eine Verlängerung der Anfechtungsfrist
Casper, Diskussionsbeitrag, Verhandlungen 63. DJT, Band II/2, S. O 137 f.; zur Anwendung
der Regeln über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei vorsätzlichen oder grob
fahrlässigen Informationspflichtverletzungen Kersting, ZGR 2007, 319, 348 f. – Eine mit
§ 242 BGB begründete Ausnahme von der Klagefrist des § 14 Abs. 1 UmwG bei
„Geheimbeschlüssen“ erwägt Lutter/Bork, UmwG, § 14 Rn. 11.
607 BGH, GmbHR 2006, 706.
608 Vgl. zum Problem Ulmer/Hüffer, GmbHG, § 48 Rn. 60 f.; Lutter/Hommelhoff, GmbH, § 48
Rn. 14; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 48 Rn. 36; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 48 Rn. 72;
Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, § 48 Rn. 41 f.; eingehend Hoffmann-Becking, FS
Priester, 2007, S. 233 ff.
609 BGH, GmbHR 2006, 706, 707; zur im Grundsatz anerkannten analogen Anwendbarkeit des
aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts auf die GmbH vgl. Lutter/Hommelhoff, GmbH,
Anh. § 47 Rn. 1; Ulmer/T. Raiser, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 3; Baumbach/Hueck/Zöllner,
138
nicht die Unzulässigkeit der kombinierten Beschlussfassung, sondern die Anschlussfrage der Fehlerfolge betrifft,610 steckt die Begründung einer Analogie zu § 241
Nr. 1 AktG in der Form eines Erst-Recht-Schlusses. Das führt zu der Frage, ob sich
der Regelungsgedanke der Vorschrift verallgemeinern lässt. Mit diesem Nichtigkeitstabestand stellt das Gesetz das Teilnahmerecht des Mitglieds unter einen besonderen Schutz und hält die Gesellschaft durch die Nichtigkeitsdrohung an, auf die
Wahrung eines Mindeststandards der Einberufung höchste Sorgfalt zu verwenden.611
Mit Blick auf die Anfechtungsvoraussetzungen zeigt sich indes eine zweistufige
Lösung des Gesetzgebers: War das Mitglied infolge eines Einberufungsfehlers an
der Teilnahme gehindert, dispensiert § 245 Nr. 2 AktG grundsätzlich nur vom Widerspruchserfordernis, weil die widerspruchslose Hinnahme dann keine Verwirkung
begründen kann.612 Nur in einzelnen Fällen erspart § 241 Nr. 1 AktG darüber hinaus,
Anfechtungsklage zu erheben. Hinter dem Nichtigkeitsgrund steht der Gedanke,
dass Klageerfordernis und Fristbindung der Anfechtung den Charakter einer Obliegenheit geben, die nur aus der Treupflicht des Mitglieds zu rechtfertigen ist.613 Bei
Mängeln der Einberufungsberechtigung und Bekanntmachungsmängeln besteht nach
der Wertung des Gesetzes aber keine ausreichende Grundlage für diese Verkürzung
des Klagerechts. Ob vor diesem Hintergrund die Analogie zu § 241 Nr. 1 AktG bei
einem Beschlussverfahren, dem letztlich nur die satzungsmäßige Grundlage fehlt,
überzeugt, lässt sich mit Recht bezweifeln, bedarf aber aufgrund der GmbHspezifischen Problematik keiner abschließenden Klärung.614
(2) Gegenbeispiel ist ein Urteil des II. Zivilsenats zu einem stimmlos gefassten
Beschluss der Hauptversammlung.615 In dem entschiedenen Fall hatten sämtliche
Aktionäre zum Zeitpunkt der Beschlussfassung nach § 20 Abs. 1, 7 AktG kein
Stimmrecht, weil sie ihre Mitteilungspflicht nicht erfüllt hatten, die das Gesetz zur
GmbHG, Anh. § 47 Rn. 1; Casper, ZHR 163 (1999), 54, 55 ff.; M. Schwab, Das Prozeßrecht
gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 370 ff., jeweils m. umfangreichen Nachw. zur
Rechtsprechung.
610 K. Schmidt, NJW 2006, 2599, 2602.
611 Vgl. zum Regelungsgedanken von § 241 Nr. 1 AktG etwa Spindler/Stilz/Würthwein, AktG,
2007, § 241 Rn. 117; K. Schmidt/Lutter/M. Schwab, AktG, § 241 Rn. 5.
612 § 4 III 4 bei Fn. 423; allerdings soll das Teilnahme- und Widerspruchserfordernis nach h.M.
in der GmbH überhaupt nicht zu Anwendung kommen, vgl. Lutter/Hommelhoff, GmbH, Anh.
§ 47 Rn. 62; Ulmer/T. Raiser, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 106, 168; Baumbach/Hueck/Zöllner,
GmbHG, Anh. § 47 Rn. 13, 135; dagegen M. Schwab, Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner
Streitigkeiten, 2005, S. 373 ff.
613 Dazu oben § 4 III 2 und 3, S. 94 ff.
614 Vgl. zur Kritik an der Entscheidung K. Schmidt, NJW 2006, 2599 ff.; Liese/Theusinger,
GmbHR 2006, 682, 684 f.; zustimmend dagegen Ulmer/Hüffer, GmbHG, § 48 Rn. 63. Zuvor
bereits für Nichtigkeit OLG München, BB 1978, 471 f.; Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG,
§ 48 Rn. 42; für Anfechtbarkeit Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 48 Rn. 14; Roth/Altmeppen,
GmbHG, § 48 Rn. 36; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 48 Rn. 72.
615 BGHZ 167, 204.
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Offenlegung der Beteiligungsverhältnisse aufstellt;616 die parallele Frage könnte bei
§ 28 WpHG auftreten.617 Auch in dieser extremen Konstellation ist der Beschluss
nach Ansicht des Senats nur anfechtbar: „Derartige Beschlüsse sind (…) auch nicht
etwa unter Normzweckaspekten dem Verdikt der Nichtigkeit zu unterwerfen, da eine
Stimmlosigkeit der Beschlussfassung im materiellen Unrechtsgehalt den in § 241
AktG aufgeführten Gesetzes- und Satzungsverstößen keineswegs gleichzustellen
ist.“618 Der stimmlose Beschluss ist nur ein Unterfall der fehlerhaften Feststellung
des Abstimmungsergebnisses durch den Versammlungsleiter, die nach inzwischen
ganz überwiegender Ansicht lediglich zur Anfechtbarkeit führt.619 Denn die Unwirksamkeit der Stimmen ändert nichts daran, dass eine – wenn auch fehlerhafte – Abstimmung stattgefunden hat, so dass der Beschlusstatbestand an sich vollständig ist.
Mit der Kategorie des Nicht- oder Scheinbeschlusses lässt sich der stimmlose Beschluss deswegen nicht erfassen.620 Ersichtlich ist der Fall auch nicht mit einem
Einberufungsmangel i.S.d. § 241 Nr. 1 AktG vergleichbar. Die Nichtigkeit könnte
sich somit einzig aus § 241 Nr. 2 AktG ergeben. Diese Vorschrift verlangt jedoch
nur die Beurkundung entsprechend der Feststellung des Versammlungsleiters, betrifft aber nicht die Frage, ob das Beurkundete, also die Beschlussfeststellung, inhaltlich zutrifft.621 Der Regelungsgedanke ist auf den stimmlosen Beschluss deswegen ebenfalls nicht übertragbar.622
Pointe dieser Fallgestaltung war, dass § 20 Abs. 7 AktG (wie auch § 28 WpHG)
ebenso die Anfechtungsbefugnis der Aktionäre aus § 245 Nr. 1 AktG entfallen
616 Zum Entfall des Stimmrechts nach § 20 Abs. 7 AktG vgl. MünchKommAktG/Bayer § 20
Rn. 52; Hüffer, AktG, § 20 Rn. 14; Koppensteiner in Kölner Komm. AktG, § 20 Rn. 42 ff.;
Windbichler in Großkomm. AktG, § 20 Rn. 72 f.; Emmerich/Habersack § 20 Rn. 50.
617 K. Schmidt/Lutter/Veil, AktG, Anh. § 22: § 28 WpHG Rn. 3.
618 BGHZ 167, 204, 214.
619 Vgl. dazu Hüffer, AktG, § 243 Rn. 19; K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 241 Rn. 60, § 243
Rn. 38; Spindler/Stilz/Würthwein, AktG, 2007, § 241 Rn. 203. Die Nähe beider Fälle zeigt
sich, wenn man zum Vergleich annimmt, dass eine einzige Stimme wirksam wäre; zu diesem
Argument OLG Dresden, AG 2005, 247, 250; zustimmend Wand/Tillmann, AG 2005, 227,
230 f.
620 Casper, Heilung, 1998, S. 87 f.; Wand/Tillmann, AG 2005, 227, 230; allgemein zur
fehlerhaften Feststellung des Abstimmungsergebnisses Hüffer, AktG, § 241 Rn. 3;
MünchKommAktG/Kubis § 119 Rn. 149; Zöllner, Schranken, 1963, S. 373; a.A. Lenenbach,
WuB II A. § 20 AktG 1.06; Semler/Asmus, NZG 2004, 881 ff. 890; früher H. Horrwitz, Recht
der Generalversammlungen, 1913, S. 76 f.
621 Vgl. OLG Dresden, AG 2005, 247, 250; OLG Stuttgart, AG 2004, 457, 458;
Spindler/Stilz/Sester, AktG, 2007, § 20 Rn. 42; Spindler/Stilz/Würthwein, AktG, 2007, § 241
Rn. 163.
622 BGHZ 167, 204, 214; OLG Dresden, AG 2005, 247, 250; Spindler/Stilz/Sester, AktG, 2007,
§ 20 Rn. 42; im Ergebnis auch MünchKommAktG/Bayer § 20 Rn. 55; Emmerich/Habersack,
§ 20 Rn. 51; Hüffer, AktG, § 20 Rn. 17; Windbichler in Großkomm. AktG, § 20 Rn. 84;
Krieger in MünchHdb. AG, § 68 Rn. 129; Burgard, Offenlegung, 1990, S. 59; Hüffer, FS
Boujong, 1996, S. 277, 295; Wand/Tillmann, AG 2005, 227, 230; Wilsing/Goslar, EWiR
2006, 449, 450.
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lässt,623 so dass letztlich niemand gegen den Beschluss Klage erheben konnte. Dadurch sah sich der Senat jedoch nicht gezwungen, von der Beschränkung des § 241
Nr. 3 AktG auf Inhaltsmängel abzurücken.624
III. „…Vorschriften…“
Drei kurze Bemerkungen verdient sodann die Wendung im Tatbestand, der Beschluss müsse bestimmte „Vorschriften verletzt“ haben. Überzeugend erscheint der
Ausgangspunkt der Kommentarliteratur, den Begriff auszulegen wie die „Rechtsnorm“ in Art. 2 EGBGB.625 Dass bedeutet, dass § 241 Nr. 3 AktG und § 243 Abs. 1
AktG der gleiche Normbegriff zugrunde liegt.626 Erfasst ist nicht nur das AktG,
sondern auch das MitbestG, das UmwG oder das GWB. Daraus folgt:
(1) Bloße Verletzungen der Satzung sind von § 241 Nr. 3 AktG ausgeschlossen.627 Das lässt sich mit dem in § 6 erläuterten Verständnis dieses Nichtigkeitstatbestandes unschwer vereinbaren, soweit in dem Satzungsverstoß nicht zugleich ein
Verstoß gegen eine zwingende Vorschrift liegt und die Aktionäre die Möglichkeit
gehabt hätten, den Satzungsverstoß durch eine andere Fassung der Satzung zu verhindern.628
(2) § 241 Nr. 3 AktG erfasst nicht nur ausdrückliche Regelungen, sondern auch
Gewohnheitsrecht und – bei hinreichender tatbestandlicher Konkretisierung –
Rechtsgrundsätze, die aus richterlicher Rechtsfortbildung hervorgegangen sind.629
Diese Auslegung entspricht dem überwiegenden Verständnis von § 134 BGB.630
623 OLG Schleswig, AG 2006, 120, 121 f.; Hüffer, AktG, § 20 Rn. 14; Emmerich/Habersack § 20
Rn. 47; Spindler/Stilz/Sester, AktG, 2007, § 20 Rn. 39; K. Schmidt/Lutter/Veil, AktG, § 20
Rn. 39, Anh. § 22: § 28 WpHG Rn. 3; Wilsing/Goslar, EWiR 2006, 449, 450; differenzierend
OLG Dresden, AG 2005, 247, 250 f., das für den Fall des allseitigen Rechtsverlustes die
Anfechtungsbefugnis gewähren wollte; offen lassend BGHZ 167, 204, 210. – Vgl.
demgegenüber zu § 245 Nr. 3 AktG OLG Schleswig, AG 2008, 129, 131; Hüffer, AktG, § 20
Rn. 14 a.E.
624 Anders früher Geßler, BB 1980, 217, 219, mit der knappen Begründung, § 20 Abs. 7 AktG
sei eine im öffentlichen Interesse gegebene Vorschrift i.S.d. § 241 Nr. 3 AktG; dagegen
Burgard, Offenlegung, 1990, S. 59; Hüffer, FS Boujong, 1996, S. 277, 295.
625 Vgl. Hüffer, AktG, § 241 Rn. 18; MünchKommAktG/Hüffer § 241 Rn. 57; vgl. auch Zöllner
in Kölner Komm. AktG, § 241 Rn. 102.
626 Vgl. U. Huber, FS Coing, Bd. 2, 1982, S. 167, 189; zum „Gesetz“ i.S.d. § 243 Abs. 1 AktG
vgl. MünchKommAktG/Hüffer § 243 Rn. 16; Hüffer, AktG, § 243 Rn. 5; K. Schmidt in
Großkomm. AktG, § 243 Rn. 9; Zöllner in Kölner Komm. AktG, § 243 Rn. 66;
Spindler/Stilz/Würthwein, AktG, 2007, § 243 Rn. 58.
627 Allg. Ansicht, vgl. K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 241 Rn. 56, 111; Zöllner in Kölner
Komm. AktG, § 241 Rn. 102; Spindler/Stilz/Würthwein, AktG, 2007, § 241 Rn. 213.
628 Dazu, in Abgrenzung zu anderen Fallgestaltungen, unten § 10 I, S. 193 ff.
629 Ebenso Zöllner in Kölner Komm. AktG, § 241 Rn. 102.
630 MünchKommBGB/Armbrüster § 134 Rn. 32; Bork, Allgemeiner Teil, 2006, Rn. 1091; anders
dagegen Staudinger/Sack, Bearbeitung 2003, § 134 Rn. 22, § 138 Rn. 26, der den Verstoß
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Im deutschen Aktienrecht führt nicht jeder Rechtsverstoß zur Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses. Regelmäßig soll bei der Verletzung eines Gesetzes oder der Satzung nur die bloße Anfechtbarkeit eintreten. In diesem Fall fehlen dem Beschluss nicht ipso iure die intendierten Rechtswirkungen, vielmehr bedarf es der Geltendmachung durch eine spezielle Klage, die personell und zeitlich eng begrenzt ist.
Trotz der zentralen Stellung dieser Unterscheidung ist die Abgrenzung von Nichtigkeitsmängeln und Anfechtungsmängeln bis heute nicht vollständig geklärt. Im Mittelpunkt des Interesses steht § 241 Nr. 3 AktG, der mit seinem weiten Wortlaut seit seinem Inkrafttreten im AktG 1937 für erhebliche Auslegungsschwierigkeiten sorgt. Ausgehend von der Entstehungsgeschichte und Systematik des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts entwickelt der Band ein besseres Verständnis dieser Vorschrift und ermöglicht dadurch eine klare Abgrenzung von Nichtigkeit und Anfechtbarkeit.
Die Arbeit wurde mit dem Harry Westermann-Preis 2008 ausgezeichnet.