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III. Beschränkungen der Anfechtungsklage
Im Vergleich zur Nichtigkeit ist die Möglichkeit des Aktionärs, die bloße Anfechtbarkeit eines Beschlusses geltend zu machen, in mehrfacher Hinsicht beschränkt.
Diese Regelungen bringen ein besonderes Bedürfnis nach Rechtssicherheit zum
Ausdruck.
1. Rechtssicherheit als Ausgleich zwischen Gesellschafts- und Gesellschafterinteresse
Die Anfechtungsklage zeichnet sich vor allem durch drei Besonderheiten gegenüber
der Nichtigkeitsklage aus. Leidet ein Beschluss unter einem bloßen Anfechtungsmangel, ist die materielle Unwirksamkeit von der klageweisen Geltendmachung der
Rechtswidrigkeit abhängig (Anfechtungsklageerfordernis, näher sub 2.). Die Anfechtungsklage kann nur innerhalb der Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG erhoben
werden (Anfechtungsfrist, näher sub 3.). Schließlich setzt die Anfechtungsklage
regelmäßig das Erscheinen in der Hauptversammlung, die Erklärung eines Widerspruchs sowie neuerdings den Erwerb der Aktien vor Bekanntmachung der Tagesordnung voraus (§ 245 Nr. 1 AktG, dazu 4.).
Alle drei Regelungen schränken die Geltendmachung der Beschlussmängel ein;
dies dient nach gängiger Auffassung der Rechtssicherheit.378 Dahinter steht der Gedanke, dass auch der fehlerhafte Beschluss zumindest als tatsächliches Geschehen in
der Welt ist und bei den Beteiligten den Eindruck hervorruft, wirksame Grundlage
des Gesellschaftslebens zu sein; möglicherweise ist er sogar bereits ausgeführt.379
Zudem lässt die Rechtmäßigkeit, also die Frage, ob der Beschluss allen Vorgaben
des Gesetzes genügt, häufig Raum für Zweifel.380 Jede Klage gegen einen Beschluss
erzeugt eine Unsicherheit und bewirkt deswegen eine Schwebelage, die von der
Umsetzung des Beschlusses abhält.381
In privatrechtlichen Konstellationen liefert der Verweis auf die Rechtssicherheit
allein jedoch keine ausreichende Wertungsgrundlage. Als Argument trägt er vielmehr nur soweit, wie die Interessen, denen mit der Rechtssicherheit Geltung verschafft werden soll, schutzwürdig sind.382 Die herausgehobene Bedeutung der
Rechtssicherheit muss sich deswegen mit aktienrechtlichen Wertungen begründen
378 Vgl. die Nachw. unten in Fn. 398, 406 und 421.
379 Vgl. zur allgemeinen Rechtsgeschäftslehre Flume, Rechtsgeschäft, 1979, § 30, 1.;
Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, 2004, § 44 Rn. 7.
380 Ein Grund dürfte die Bedeutung offener Normen und die damit verbundene Bedeutung des
Richterrechts sein; vgl. zum Konzept von rules und standards im Gesellschaftsrecht etwa
Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 697 ff.
381 Eingehend zu diesem Problem bereits Flechtheim, FS Zitelmann, 1913, S. 6 f.
382 Überzeugend F. Hey, Freie Gestaltung, 2004, S. 102.
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lassen.383 Die Rechtsprechung hat in diesem Zusammenhang auf die Besonderheiten
des Hauptversammlungsbeschlusses verwiesen.384 Anders als an einem typischen
Vertrag ist an einem Hauptversammlungsbeschluss eine große Zahl von Personen
beteiligt. Vor allem ist der Beschluss zumeist Legitimationsgrundlage für das zukünftige Handeln der Gesellschaft, insbesondere in Gestalt von Ausführungsgeschäften. Bereits die Begründung zur Aktienrechtsnovelle 1884 hat diesen maßgeblichen Sachgrund, der hinter den Einschränkungen der Beschlusskontrolle zugunsten
der Rechtssicherheit steht, deutlich hervorgehoben. „Die fortdauernde Ungewißheit
über die Gültigkeit eines Beschlusses der Generalversammlung (führe) nothwendig
zu einer Abschwächung der Verwaltung, (…) sogar zu einem Stillstande derselben
und einer völligen Zersetzung der Organisation.“385
Der Bundesgerichtshof nahm diese Wertung auf und präzisiert:
„Diese Entscheidung des Gesetzgebers ist bei der Aktiengesellschaft wegen der Breitenwirkung von Hauptversammlungsbeschlüssen und des besonderen Angewiesenseins der Aktiengesellschaft auf Rechtssicherheit tragbar. Die Möglichkeit erst nach längerer Zeit anhängig
werdender Anfechtungsklagen könnte ihre Investitionsentscheidungen, ihre Stellung am Kapitalmarkt und die Bewertung ihrer Aktien erheblich beeinträchtigen.“386
Grund für die rigide Beschränkung des Anfechtungsrechts ist mithin die Sorge
um die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft. Die besondere Ausgestaltung des Beschlussmängelrechts soll die Funktionstauglichkeit der Aktiengesellschaft als Unternehmensform stärken.387 Mit der Aktionsfähigkeit der Gesellschaft gründen sich die
Beschränkungen des Anfechtungsrechts auf eben jene Wertung, die schon zur Begründung des Mehrheitsprinzips dient.388 Zwischen beiden Ebenen besteht ein
wechselseitiger Zusammenhang: Die Beschlussmängelklage soll dem Aktionär ermöglichen, die Grenzen der Bindungswirkung von Mehrheitsbeschlüssen durchzusetzen;389 die Schranken des Klagerechts sollen andererseits sicherstellen, dass durch
das Kontrollverfahren nicht die gesteigerte Entscheidungsfähigkeit konterkariert
wird.390
383 Ob es sich dabei um spezifisch aktienrechtliche, oder um allgemein kapitalgesellschaftsrechtliche oder gar verbandsrechtliche Besonderheiten handelt, diskutieren etwa Casper,
ZHR 163 (1999), 54 ff.; Noack, Fehlerhafte Beschlüsse, 1989; K. Schmidt, FS Stimpel, 1985,
S. 217 ff.; M. Schwab, Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 370 ff.,
420 ff. Dies ist in der vorliegenden, auf das Aktienrecht beschränkten Untersuchung nicht zu
vertiefen, sondern wird erst für die Frage relevant, inwieweit das Anfechtungsmodell auf
andere Gesellschaftsformen übertragbar ist.
384 Vgl. etwa BGHZ 122, 342, 347 f.
385 Allgemeine Begründung zur Aktienrechtsnovelle 1884, abgedr. bei Schubert/Hommelhoff,
Hundert Jahre modernes Aktienrecht, 1985, S. 467, siehe schon oben § 3 II 3, S. 61.
386 BGHZ 104, 66, 70; zustimmend Ulmer/T. Raiser, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 195.
387 Vgl. auch Thöni, Rechtsfolgen fehlerhafter GmbH-Gesellschafterbeschlüsse, 1998, S. 14.
388 Vgl. oben § 1 IV 1 bei Fn. 93.
389 Vgl. zur Beschlussmängelklage als Korrelat des Mehrheitsprinzips oben I bei Fn. 330.
390 Überzeugend M. Schwab, Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 471;
vgl. auch K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2002, § 21 V 2 (S. 647).
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Ob die dahinter stehende gesetzgeberische Entscheidung überzeugt, wird zwar
unterschiedlich beurteilt.391 Für die Auslegung des geltenden Rechts ist indes wesentlich, dass die Beschränkungen des Anfechtungsrechts als Ergebnis einer abstrakten Abwägung erscheinen: Auf der einen Seite steht das Interesse des Aktionärs an
der Geltendmachung des Rechtsverstoßes, auf der anderen Seite das Interesse der
Gesellschaft, das – in den Worten des BGH – hier eine bewusste Bevorzugung erfährt.392 Hier wirkt sich aus, dass der Gesetzgeber bei der Konzeption des Anfechtungsrechts von Anfang an auf einen rein verbandsinternen Blickwinkel beschränkt
war.393 Diese einseitige Ausrichtung, die Interessen Dritter oder ein öffentliches
Interesse an der Beschlussunwirksamkeit nicht berücksichtigt, wird bei der Frage, ob
ein Beschlussfehler zur Nichtigkeit oder lediglich zur Anfechtbarkeit führt, aufzugreifen sein.394
2. Anfechtungsklageerfordernis
§ 249 Abs. 1 Satz 2 AktG stellt klar, dass die Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses auch auf andere Weise als durch Erhebung der Nichtigkeitsklage
geltend gemacht werden kann.395 Klagebefugte Personen i. S. d. § 249 Abs. 1 Satz 1
AktG können sich auch außerhalb eines Prozesses auf die Nichtigkeit berufen oder
sie als Vorfrage in einem anderen Prozess als Einwendung geltend machen.396 Weil
der Beschluss ipso iure keine Rechtswirkung entfaltet, können sich darüber hinaus
auch Dritte auf die Nichtigkeit stützen.
Ist ein fehlerhafter Beschluss dagegen nur anfechtbar, so ist er zunächst wirksam
und erst mit Rechtskraft des stattgebenden Anfechtungsurteils nichtig. Die Gestaltungswirkung des Urteils ist mithin eine notwendige Voraussetzung; die Unwirksamkeit auf materiellrechtlicher Ebene ist von der klageweisen Geltendmachung des
Rechtsverstoßes abhängig. Konstruktive Voraussetzung dieses Rechtinstituts ist die
Trennung von Rechtswidrigkeit und Unwirksamkeit.397 Auf Rechtsfolgenseite lässt
391 Vgl. vor allem die Kritik von Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, S. 152; er äußert den
„Verdacht, daß im Aktienrecht die Rechtssicherheit mit dem Interesse der Mehrheit oder der
Verwaltung an ‚Ruhe und Ordnung’ verwechselt wurde, denn das – bestehende und
anerkennenswerte – Bedürfnis nach Rechtssicherheit kann und muß ohne Verkürzung des
rechtsstaatlichen Anspruchs des Aktionärs auf gerichtliche Kontrolle erfüllt werden.“ Kritik
an der starren Fristbindung bei Becker, Verwaltungskontrolle, 1997, S. 459 ff.; de lege
ferenda für eine Verlängerung der Anfechtungsfrist Casper, Diskussionsbeitrag,
Verhandlungen 63. DJT, Band II/2, S. O 137 f.
392 So zur Anfechtungsfrist BGHZ 104, 66, 70; vgl. Noack, Fehlerhafte Beschlüsse, 1989, S. 144
f., zum Interesse an der Bestandskraft der Beschlüsse.
393 Vgl. § 3 II 4, S. 62.
394 Unten § 6 II 2, S. 119 ff.
395 Überblick bei K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2002, § 28 IV 5 c (S. 858).
396 K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 249 Rn. 7; Spindler/Stilz/Dörr, AktG, 2007, § 249 Rn. 23.
397 Vgl. bereits die Einleitung sub I 1, S. 13 ff., sowie K. Schmidt, FS Stimpel, 1985, S. 217, 223;
ders. in Großkomm. AktG, § 241 Rn. 9.
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sich – wie bei der bürgerlichrechtlichen Anfechtung – zwischen der Primärstufe
(Anfechtbarkeit) und der Sekundärstufe (Nichtigkeit) unterscheiden. Der Übergang,
das heißt die Vernichtung des Beschlusses, erfolgt durch das Anfechtungsurteil.
Diese Regelungstechnik hat vier wichtige Konsequenzen.
(1) Das Anfechtungserfordernis führt zu Rechtsklarheit.398 Jeder anfechtbare
Hauptversammlungsbeschluss ist zunächst wie vom Versammlungsleiter festgestellt
wirksam und erst mit Rechtskraft des Urteils nach § 241 Nr. 5 AktG nichtig. Daraus
resultiert eine Reduktion der möglichen Nichtigkeitsgründe, die in § 241 AktG deutlich wird. Die Wirksamkeit eines Beschlusses kann nicht bei jeder Rechtswidrigkeit
in Zweifel gezogen werden, sondern nur dann, wenn entweder ein spezieller Nichtigkeitsgrund oder ein entsprechendes Anfechtungsurteil vorliegt.
(2) Bei bloßer Anfechtbarkeit des Beschlusses ist es von der Initiative eines Anfechtungsberechtigten und damit eines Verbandsbeteiligten abhängig, ob Nichtigkeit
eintritt.399 Erst aus der Verbindung mit dem Anfechtungserfordernis folgt die Bedeutung der personellen Begrenzung der Anfechtungsklage im Vergleich zur Nichtigkeitsklage. Daraus ergibt sich für die Mehrheit bzw. die Verwaltung, die den Beschluss initiiert hat, die Chance, dass auch ein rechtswidriger Beschluss in Geltung
bleibt, wenn die verbandsinternen Gegner nicht rechtzeitig reagieren.400 Das bedeutet eine starke Einschränkung der präventiven Funktion, die mit der Nichtigkeitsdrohung sonst verbunden ist.401 Zugleich besteht die Möglichkeit, dass der Beschluss
durch allseitige Unterlassung der Anfechtung dauerhaft wirksam bleibt; im Ergebnis
führt dies zur gleichen Rechtslage wie die zulässige Abbedingung der verletzten
Vorschrift. Leidet der Beschluss an einem bloßen Anfechtungsmangel, können weder verbandsexterne Dritte für seine Vernichtung sorgen, noch steht einer staatlichen
Stelle ein Anfechtungsrecht402 oder die Amtslöschung nach § 144 Abs. 2 FGG zur
Verfügung.403
(3) Anders als die bürgerlichrechtliche Anfechtung verlangt die Anfechtung fehlerhafter Hauptversammlungsbeschlüsse nicht nur eine Gestaltungserklärung, sondern die Erhebung einer Gestaltungsklage; die Klage ist das einzige Instrument, mit
dem Anfechtungsmängel geltend gemacht werden können. Die Beschränkung auf
die klageweise Geltendmachung bedeutet eine beträchtliche Rechtsschutzverkürzung für den Aktionär. Aufgrund der Mühen und Kosten der Klageerhebung lässt
398 Vgl. K. Schmidt, FS Stimpel, 1985, S. 217, 223; ders., Gesellschaftsrecht, 2002, § 21 V 2
(S. 647); Noack, Fehlerhafte Beschlüsse, 1989, S. 110.
399 Oben II 1, S. 85.
400 So Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, S. 467; Noack, Fehlerhafte Beschlüsse, 1989,
S. 146 (zur GmbH).
401 Vgl. Noack, Fehlerhafte Beschlüsse, 1989, S. 145; Bayer, VGR Bd. 2, 2000, S. 35, 38 ff.
402 Vgl. zu entsprechenden Überlegungen im Vorfeld des HGB 1897 oben § 3 III 1 b, S. 65.
403 So OLG Karlsruhe, AG 2002, 523 f.; OLG Hamm, AG 1994, 376; Steder in Jansen, FGG,
§ 144 Rn. 36; K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 241 Rn. 84; Hachenburg/Ulmer, GmbHG,
§ 54 Rn. 56; offen lassend Hüffer, AktG, § 241 Rn. 30; Casper, Heilung, 1998, S. 236.
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sich von einer prohibitiven Wirkung des Anfechtungsklagezwangs sprechen.404 Die
Ausgestaltung des Anfechtungsrechts beruht auch hier auf einer Abwägung der
verbandsinternen Interessen von betroffenem Gesellschafter und Gesellschaft, ohne
etwaige Interessen Dritter an der Beschlussnichtigkeit einzubeziehen.
(4) Als Folge des Anfechtungsklageerfordernisses ist die Vernichtung des Beschlusses an die Entscheidung eines Gerichts gekoppelt. In dem Anfechtungsurteil
fallen die verbindliche Feststellung der Rechtswidrigkeit und die Nichtigerklärung
des Beschlusses zusammen. Diese Abhängigkeit von der gerichtlichen Kontrolle
erscheint sachgerecht, wenn die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit schwer fällt
und deswegen für Streit unter den Beteiligten sorgt, der in einem gerichtlichen Verfahren zu klären ist. Zu denken ist nicht nur an Fälle unrichtiger Beschlussfeststellung, wenn unklar ist, was mit welchen Stimmen beschlossen wurde, oder an die
Frage der Relevanz eines Verfahrensmangels für den betroffenen Beschluss. Vor
allem trägt die Bindung an eine gerichtliche Entscheidung der besonderen Bedeutung Rechnung, die der Rechtsprechung für die Fortbildung der gesellschaftsrechtlichen Generalklauseln – der Treupflicht, des Gleichbehandlungsgrundsatzes und der
daraus entwickelten materiellen Beschlusskontrolle – zukommt.405
3. Anfechtungsfrist
Gemäß § 246 Abs. 1 AktG kann die Anfechtungsklage nur innerhalb eines Monats
nach der Beschlussfassung erhoben werden. Diese drastische Verkürzung des Aktionärsrechts durch eine formalisierte, starre Frist rundet die Rechtssicherheitsfunktion des Gestaltungsklageprinzips ab.406 Ist nach Ablauf eines Monats nicht Klage
erhoben,407 steht fest, dass ein Anfechtungsmangel nicht mehr zur Nichtigkeit des
Beschlusses führen wird. Die Gesellschaft kann sich darauf verlassen, dass die Gültigkeit nicht mehr wegen eines angeblichen Rechtsverstoßes in Zweifel gezogen
wird, und den Beschluss dementsprechend zur Grundlage ihrer weiteren Tätigkeit
machen, insbesondere zur Umsetzung schreiten.
404 So Noack, Fehlerhafte Beschlüsse, 1989, S. 145 f.; eingehend zum Problem im Kontext des
GmbH-Rechts ebenda, S. 133 ff.; Casper, ZHR 163 (1999) 54, 72 ff., insb. 75; M. Schwab,
Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 381 ff.
405 Eingehend zur Funktion der Gerichte in diesem Zusammenhang Pistor/Xu, ECGI Law
Working Paper Nr. 01/2002, insb. S. 31.
406 Hüffer, AktG, § 246 Rn. 1; MünchKommAktG/Hüffer § 246 Rn. 3; K. Schmdt in Großkomm.
AktG, § 246 Rn. 3, 12; Spindler/Stilz/Casper, AktG, 2007, Vor § 241 Rn. 8;
Spindler/Stilz/Dörr, AktG, 2007, § 246 Rn. 1; Baums, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. F 63;
zur Bedeutung der starren Fristbestimmung in § 246 Abs. 1 AktG M. Schwab, Das
Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 399 f.
407 Für Einzelheiten zu Fristlauf und Fristwahrung Hüffer, AktG, § 246 Rn. 22 ff.;
Spindler/Stilz/Dörr, AktG, 2007, § 246 Rn. 14 ff.; K. Schmidt/Lutter/M. Schwab, AktG,
§ 246 Rn. 6 ff.; abweichend Zöllner in Kölner Komm. AktG, § 246 Rn. 18.
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Neben dieser Rechtsklarheit hat die Anfechtungsfrist noch eine weitere Funktion.
Sie zwingt die Aktionäre dazu, etwaige Einwände gegen den Beschluss alsbald vorzubringen, da sie andernfalls ihr Klagrecht verlieren. Dieser Obliegenheitscharakter408 bewirkt eine Aktivierung der Mitglieder, die dem Anliegen des Gesetzgebers
von 1884 entspricht, die Mitglieder für die Selbstkontrolle der Gesellschaft zu mobilisieren.409
Die Anfechtungsklage dient zwar der Verteidigung der Rechtsposition des Aktionärs und seinem Interesse an der Rechtsmäßigkeit des Organhandelns,410 andererseits gefährdet aber die damit verbundene Schwebelage die ungestörte Zweckverfolgung der Gesellschaft. Der unbeschränkten Rechtsausübung steht deswegen die
Treupflicht entgegen.411 Erst diese besondere Pflichtenstellung des Mitglieds rechtfertigt es, ihm eine derartige Verkürzung seiner Rechtsposition zuzumuten. Im Aktienrecht hat der Gesetzgeber diese Bindung des Anfechtungsrechts in Gestalt der
starren Anfechtungsfrist konkretisiert.412 An dieser Begründung der Anfechtungsfrist aus der Interesseabwägung zwischen Gesellschaft und klagewilligem Mitglied
zeigt sich wiederum die auf einen verbandsinternen Ausgleich beschränkte Konzeption des Anfechtungsrechts.
Zwar beruht auch die Heilung nichtiger Beschlüsse nach § 242 AktG im Kern auf
einer abstrakten Interessenabwägung.413 Schon aufgrund des anders dimensionierten
Zeitmoments hat dieses Rechtsinstitut jedoch eine andere Qualität. Es verwirklicht
nicht nur das Bestandsinteresse der Gesellschaft, sondern zugleich einen allgemeine
Verkehrsschutz.414 Die unterschiedliche Konzeption zeigt sich schließlich in § 242
Abs. 2 Satz 3 AktG, der auch nach Eintritt der Heilungswirkung die Amtslöschung
des Beschlusses nach § 144 Abs. 2 FGG zulässt. Damit verbleibt ein Korrektiv für
die Berücksichtigung verbandsexterner Interessen, die im Einzelfall die Beseitigung
408 So bereits Habersack, Mitgliedschaft, 1996, S. 227.
409 Vgl. oben § 3 II 1 c, S. 58. – Die Sinnhaftigkeit dieser Regelung ist indes heute nicht
unumstritten; mit Blick auf das GmbH-Recht kritisch etwa Baumbach/Hueck/Zöllner Anh §
47 Rn. 4: Die Frist übe einen „rechtspolitisch nicht wünschenswerten Zwang zur
Klageerhebung“ aus.
410 Vgl. bereits oben I.
411 Vgl. zu diesem Gedanken Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 7 f.; Casper,
ZHR 163 (1999) 54, 86; Großfeld/Brondics, JZ 1982, 589, 590; Kort, Bestandsschutz, 1998,
S. 54; Lindemann, Die Beschlussfassung in der Einmann-GmbH, 1996, S. 226; M. Schwab,
Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 397, 436 f.; Wolf, ZGR 1998,
92, 109.
412 M. Schwab, Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 397. – Inwieweit
die aktienrechtliche Anfechtungsklage darüber hinaus einer weitergehenden Bindung
unterliegt, wird unter dem Aspekt des Rechtsmissbrauchs diskutiert; dem kann hier nicht
nachgegangen werden; vgl. – mit Unterschieden – Baums, Gutachten zum 63. DJT, 2000,
S. F 149 ff.; Bayer, VGR Bd. 2, 2000, S. 35, 54 f.; Hüffer, AktG, § 245 Rn. 22 ff.
413 Vgl. dazu Casper, Heilung, 1998, S. 74.
414 MünchKommAktG/Hüffer § 242 Rn. 1; Casper, Heilung, 1998, S. 72 ff., 76; Piekenbrock,
Befristung, 2006, S. 324; vgl. auch BGHZ 11, 231, 241 ff.; BGHZ 80, 212, 216.
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des Beschlusses erforderlich machen.415 Die Amtslöschung eines Beschlusses aufgrund eines bloßen Anfechtungsmangels ist dagegen ausgeschlossen.416
Dass auch Dritte, insbesondere die Gläubiger, ein darüber hinausgehendes Interesse an der Bestandskraft gesellschaftsrechtlicher Akte haben können, wird damit
keineswegs geleugnet. Dies gilt vor allem bei wesentlichen Strukturänderungen,
insbesondere Umwandlungsvorgängen. Das Gesellschaftsrecht sieht für diese Fälle
spezielle Schutzinstrumente vor, die in den Rechtsfolgen weiter reichen als § 246
Abs. 1 AktG, andererseits aber auf bestimmte Maßnahmen beschränkt sind. Zu nennen sind die Klagefrist in § 14 Abs. 1 UmwG, die aktien- und umwandlungsrechtlichen Freigabeverfahren sowie die Wirksamkeit der Eintragung von Umwandlungsmaßnahmen nach § 20 Abs. 2 UmwG und die Regeln über die fehlerhafte Struktur-
änderung.417
4. Präsenz- und Widerspruchserfordernis
Der Aktionär kann nach § 245 Nr. 1 AktG nur dann anfechten, wenn er in der
Hauptversammlung erschienen ist418 und gegen den betreffenden Beschluss Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat.419 Der Aktionär muss deutlich machen, dass er
Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Beschlusses hat und deswegen die Erhebung der Anfechtungsklage in Erwägung zieht.420 Das schafft Rechtssicherheit, denn
die Gesellschaft erhält Klarheit, ob mit einem Rechtsstreit zu rechnen ist.421 Nach
der Neuregelung der Vorschrift durch das UMAG muss der Aktionär zudem seine
Aktien bereits vor Bekanntmachung der Tagesordnung erworben haben. Diese Regelung soll – so die Erwartung des Gesetzgebers – verhindern, dass nach Bekannt-
415 Näher unten § 7 V 1 bei Fn. 649.
416 Vgl. die Nachweise oben in Fn. 403.
417 Zur Anwendbarkeit dieser Rechtsinstitute auf nichtige Hauptversammlungsbeschlüsse
eingehend unten § 7 V, S. 142 ff.
418 Vgl. für Einzelheiten des Teilnahmeerfordernisses, insb. zur Vertretung, Hüffer, AktG, § 245
Rn. 12; MünchKommAktG/Hüffer § 245 Rn. 30 f.; K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 245
Rn. 18; Spindler/Stilz/Dörr, AktG, 2007, § 245 Rn. 22.
419 Näher zum Widerspruchserfordernis Hüffer, AktG, § 245 Rn. 13 ff.; MünchKommAktG/
Hüffer § 245 Rn. 32 ff.; K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 245 Rn. 19 ff.; Spindler/Stilz/
Dörr, AktG, 2007, § 245 Rn. 24 ff.
420 Vgl. Hüffer, AktG, § 245 Rn. 14. – Ein pauschaler „Vorratswiderspruch“, der bereits vor der
Beschlussfassung eingelegt wird und sich auf sämtliche Beschlüsse der Tagesordnung
bezieht, soll nach Meinung einiger Instanzgerichte ausreichend sein, so OLG Jena, NZG
2006, 467, 469; OLG München, NZG 2006, 784, 785; LG Darmstadt, AG 2006, 127, 128 f.;
a.A. LG Frankfurt am Main, NZG 2006, 438, 439; vgl. dazu K. Schmidt/Lutter/M. Schwab,
AktG, § 245 Rn. 14 f.; E. Vetter, DB 2006, 2276 ff.
421 Siehe OLG München, NZG 2006, 784, 785; A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit, 1924,
S. 25.
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machung der Tagesordnung Aktien mit dem einzigen Ziel erworben werden, sich
eine Anfechtungsmöglichkeit zu verschaffen.422
In zwei Ausnahmefällen sieht das Gesetz vom Widerspruchserfordernis ab. Nach
§ 245 Nr. 2 AktG kann auch der nicht erschienene Aktionär anfechten, wenn der
Teilnahme Gründe entgegenstehen, die in der Sphäre der Gesellschaft lagen. Ist der
Aktionär nicht in der Hauptversammlung erschienen, weil er zu Unrecht nicht zugelassen wurde oder die Einberufung oder Bekanntmachung fehlerhaft erfolgte, kann
das Gesetz an die widerspruchslose Hinnahme des Beschlusses keine Rechtswirkung
knüpfen.423
Auf die Widerspruchserklärung verzichtet das Gesetz nach § 245 Nr. 3 AktG
auch dann, wenn der Beschluss gemäß § 243 Abs. 2 AktG wegen unzulässiger Verfolgung von Sondervorteilen angefochten wird. In diesen Fällen ist die Rechtswidrigkeit häufig nur schwer erkennbar, weshalb es dem Aktionär nicht zumutbar sei,
noch in der Hauptversammlung den Widerspruch zu erklären.424 Zudem lässt sich
auf die Nähe der hinter § 243 Abs. 2 AktG stehenden Wertung zu § 241 Nr. 4 AktG
verweisen.425 Die Sonderstellung dieses Anfechtungsgrundes spricht deswegen dagegen, die Ausnahmeregelung der Nr. 3 auf das Gleichbehandlungsgebot und die
gesellschaftsrechtliche Treupflicht auszudehnen.426 Überzeugend erscheint es aber,
vom Widerspruchserfordernis abzusehen, wenn der Mangel des Beschlusses im
Einzelfall unerkennbar war.427 Somit verbleibt es auch bei einer Verletzung der
Generalklauseln bei der allgemeinen Regel, dass außerhalb der Nr. 2 und Nr. 3 jeweils konkret zu prüfen ist, ob der Beschlussmangel für den Kläger wirklich während der Hauptversammlung nicht zu erkennen war.
Greift keine der erläuterten Ausnahmen, führt die Unterlassung des Widerspruchs
zum Wegfall des Anfechtungsrechts; § 245 Nr. 1 AktG begründet eine Obliegenheit.428 Sucht man nach dem Rechtsgedanken, der hinter dieser Regelung steht, stößt
422 Vgl. Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 26 f.; dazu Spindler/Stilz/Dörr, AktG,
2007, § 245 Rn. 23; Hüffer, AktG, § 245 Rn. 7; Fleischer, NJW 2005, 3525, 3529; Veil, AG
2005, 567, 568; eingehend K. Schmidt/Lutter/M. Schwab, AktG, § 245 Rn. 6 ff.
423 MünchKommAktG/Hüffer § 245 Rn. 37; K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 245 Rn. 23;
K. Schmidt/Lutter/M. Schwab, AktG, § 245 Rn. 18.
424 So MünchKommAktG/Hüffer § 245 Rn. 46; K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 245 Rn. 29;
Zöllner in Kölner Komm. AktG, § 245 Rn. 56.
425 Vgl. MünchKommAktG/Hüffer § 245 Rn. 46, § 243 Rn. 70; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, 2006, S. 359.
426 So aber K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 245 Rn. 30; Heidel in AnwKomm AktG § 245
Rn. 20; für § 53a AktG auch Zöllner in Kölner Komm. AktG, § 245 Rn. 57; dagegen
MünchKommAktG/Hüffer § 245 Rn. 46; Spindler/Stilz/Dörr, AktG, 2007, § 245 Rn. 40.
427 Ganz h.M., etwa Baums, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. F 74; MünchKommAktG/Hüffer
§ 245 Rn. 33; Hüffer, FS Brandner, 1996, S. 57, 71; K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 245
Rn. 19; Zöllner in Kölner Komm. AktG, § 245 Rn. 42, 57; Spindler/Stilz/Dörr, AktG, 2007,
§ 245 Rn. 30; K. Schmidt/Lutter/M. Schwab, AktG, § 245 Rn. 16; Kersting, ZGR 2007, 319,
345 f.; Noack, AG 1989, 78, 82; a.A. A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit, 1924, S. 25;
Feltkamp, Anfechtungsklage und Vergleich im Aktienrecht, 1991, S. 28 f.; Semler in
MünchHdb. AG, § 41 Rn. 55.
428 Noack, AG 1989, 78.
100
man auf folgende Begründung des Gesetzgebers zur Vorgängervorschrift in Art. 190
Abs. 1 Satz 3 ADHGB 1884:
„Das Schweigen eines anwesenden Aktionärs muß als eine Billigung des Beschlusses gelten.
Ebenso muß angenommen werden, daß ein nicht erschienener Aktionär sich im Voraus den
Beschlüssen der Generalversammlung unterworfen und damit auf ein Anfechtungsrecht verzichtet hat.“429
Zu Recht wurde darauf hingewiesen, dass in der widerspruchslosen Hinnahme eines Beschlusses mangels entsprechender Willenserklärung kein stillschweigender
rechtsgeschäftlicher Verzicht auf das Anfechtungsrecht liegt; ebenso wenig überzeugt es, § 245 Nr. 1 AktG als gesetzliche Fiktion eines solchen Aktionärswillens zu
interpretieren.430 Das Widerspruchserfordernis ist vielmehr ein gesetzlich geregelter
Fall des venire contra factum proprium.431 Zwar tritt die Verwirkung infolge Zeitablaufs nach allgemeinen zivilrechtlichen Regeln erst dann ein, wenn der Inhaber über
einen längeren Zeitraum von seinem Recht keinen Gebrauch gemacht hat und dadurch bei der Gegenseite einen entsprechenden Vertrauenstatbestand begründete.432
Der Aktionär unterliegt allerdings im Vergleich zum Vertragspartner des Bürgerlichen Rechts einer weitaus intensiveren Treupflicht; das rechtfertigt es, von ihm eine
förmliche Erklärung zu verlangen, dass er den Beschluss aufgrund eines Rechtsverstoßes nicht als verbindlichen Willen der Gesellschaft anerkennen will.433 Erst dann
hat die Gesellschaft Klarheit, dass mit der gerichtlichen Überprüfung des Beschlusses zu rechnen ist. Der zu erwartende Widerstand ergibt sich dagegen noch nicht
daraus, dass der betreffende Aktionär gegen den Beschlussvorschlag gestimmt hat.
Im Normalfall ist vielmehr aufgrund des Mehrheitsprinzips davon auszugehen, dass
sich auch der dissentierende Aktionär dem Mehrheitsbeschluss unterwirft. Deswegen erscheint es konsequent, dass der Gesetzgeber die Anfechtungsbefugnis unabhängig vom konkreten Abstimmungsverhalten ausgestaltet hat.434
Das bedeutet auf der anderen Seite, dass auch die Stimmabgabe für den Beschluss
die Anfechtungsbefugnis nicht ausschließt.435 Dies entspricht der Grundkonzeption
429 Allgemeine Begründung zur Aktienrechtsnovelle 1884, abgedr. bei Schubert/Hommelhoff,
Hundert Jahre modernes Aktienrecht, 1985, S. 467.
430 Näher dazu Noack, AG 1989, 78, 79.
431 MünchKommAktG/Hüffer § 245 Rn. 32; K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 245 Rn. 19;
Spindler/Stilz/Dörr, AktG, 2007, § 245 Rn. 30; Noack, AG 1989, 78, 80;
K. Schmidt/Lutter/M. Schwab, AktG, § 245 Rn. 12; M. Schwab, Das Prozeßrecht
gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 374; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, 2006,
S. 360.
432 Dazu etwa BGHZ 25, 47, 52; BGHZ 105, 290, 298; MünchKommBGB/Roth § 242 Rn. 296;
Staudinger/Looschelders/Olzen, Bearbeitung 2005, § 242 Rn. 306 ff.
433 Vgl. Baums, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. F 75; Noack, AG 1989, 78, 80; allgemein zum
Zusammenhang von Widerspruchserfordernis und Treupflicht ders., Fehlerhafte Beschlüsse,
1989, S. 73, 75.
434 Überzeugend M. Schwab, Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 374
ff.; K. Schmidt/Lutter/M. Schwab, AktG, § 245 Rn. 3, 12.
435 Hüffer, AktG, § 245 Rn. 13; MünchKommAktG/Hüffer § 245 Rn. 32; Spindler/Stilz/Dörr,
AktG, 2007, § 245 Rn. 25; Noack, AG 1989, 78, 81; M. Schwab, Das Prozeßrecht
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des Anfechtungsrechts. Ebenso wenig wie das Gesetz die Anfechtungsbefugnis von
einer persönlichen Betroffenheit abhängig macht, differenziert es nach dem Abstimmungsverhalten. Verstößt ein Beschluss gegen Gesetz oder Satzung, kann jeder
Aktionär geltend machen, dass dem Beschluss die Legitimation für eine allseitig
verbindliche Wirkung fehlt.
Festzuhalten ist aber, dass sich auch die Beschränkungen, denen § 245 Nr. 1
AktG das Anfechtungsrecht unterwirft, auf die Treuebindung des Aktionärs zurückführen lassen; wiederum erfährt das Beschlussmängelrecht im Zusammenspiel mit
dem Anfechtungserfordernis eine Einschränkung, die sich nur als eine rein verbandsinterne Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers rechtfertigen lässt.
IV. Ergebnis
Anfechtungsklage und Nichtigkeitsklage weisen Übereinstimmungen in Streitgegenstand, Urteilswirkung und Rechtsnatur auf. Dies spricht dafür, beide als einheitliche Beschlussmängelklage zusammenzufassen. Diese Klage, die der Gesetzgeber
bewusst auf Verbandsangehörige beschränkte, hat eine doppelte Funktion. Zum
einen dient sie der gesellschaftsinternen Selbstkontrolle durch die Verbandsmitglieder und sichert dadurch die Rechtmäßigkeit der Beschlussfassung; zum anderen ist
sie ein Schutzrecht des einzelnen Aktionärs, um ein Legitimationsdefizit des Hauptversammlungsbeschlusses geltend zu machen: Ist der Mehrheitsbeschluss rechtswidrig, kann er keine Bindungswirkung gegenüber sämtliche Aktionären unabhängig
von deren Zustimmung entfalten.
Alle an der Gesellschaft Beteiligten haben jedoch ein großes Interesse an der Bestandskraft von Hauptversammlungsbeschlüssen, um andauernde Unsicherheiten
über deren Wirksamkeit zu verhindern. Die Aktionäre müssen deswegen im Interesse einer möglichst ungestörten Zweckverfolgung des Verbandes Beschränkungen
ihrer Rechte hinnehmen. Diesen Grundgedanken der allgemeinen Treupflicht des
Gesellschafters hat der Gesetzgeber im Aktienrecht in Gestalt der zusätzlichen Voraussetzungen der Anfechtungsklage konkretisiert: Das Anfechtungsklageerfordernis
bürdet dem Aktionär die Initiativlast auf, d.h. er muss das Risiko einer Klageerhebung auf sich nehmen, wenn er die Wirksamkeit des Beschlusses verhindern will.
Die Anfechtungsfrist und das Widerspruchserfordernis zwingen das klagewillige
Mitglied, sämtliche Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit alsbald vorzubringen.
Die Verbindung des Anfechtungserfordernisses mit der personellen Beschränkung des Klagerechts auf die Aktionäre und die Verwaltung der Gesellschaft führt
allerdings dazu, dass Anfechtungsmängel nur dann auf die Wirksamkeit des Beschlusses durchschlagen, wenn einer der Verbandsbeteiligten ein Interesse an dessen
gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 376; anders noch A. Hueck, Anfechtbarkeit und
Nichtigkeit, 1924, S. 140; differenzierend Zöllner in Kölner Komm. AktG, § 245 Rn. 27, 82
ff. unter dem Aspekt des Missbrauchs des Anfechtungsrechts; zur GmbH einschränkend
Saenger, GmbHR 1997, 112, 116.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Im deutschen Aktienrecht führt nicht jeder Rechtsverstoß zur Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses. Regelmäßig soll bei der Verletzung eines Gesetzes oder der Satzung nur die bloße Anfechtbarkeit eintreten. In diesem Fall fehlen dem Beschluss nicht ipso iure die intendierten Rechtswirkungen, vielmehr bedarf es der Geltendmachung durch eine spezielle Klage, die personell und zeitlich eng begrenzt ist.
Trotz der zentralen Stellung dieser Unterscheidung ist die Abgrenzung von Nichtigkeitsmängeln und Anfechtungsmängeln bis heute nicht vollständig geklärt. Im Mittelpunkt des Interesses steht § 241 Nr. 3 AktG, der mit seinem weiten Wortlaut seit seinem Inkrafttreten im AktG 1937 für erhebliche Auslegungsschwierigkeiten sorgt. Ausgehend von der Entstehungsgeschichte und Systematik des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts entwickelt der Band ein besseres Verständnis dieser Vorschrift und ermöglicht dadurch eine klare Abgrenzung von Nichtigkeit und Anfechtbarkeit.
Die Arbeit wurde mit dem Harry Westermann-Preis 2008 ausgezeichnet.