85
tionär auf die richterliche Hilfe angewiesen sein, um diese Rechtslage auch durchzusetzen, das heißt vor allem die Mehrheit und die von ihr getragene Verwaltung von
der Umsetzung des Beschlusses abzuhalten.339
II. Gemeinsamkeiten von Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage
Die rechtstechnische Ausgestaltung der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage enthält
mehrere Gemeinsamkeiten.340 Diese Regelungen verbindet das Ziel, eine möglichst
effiziente, allseitig verbindliche Bewältigung des Beschlussmängelstreits zu erreichen.
1. Personelle Beschränkung der Beschlussmängelklage
Das AktG sieht sowohl für die Anfechtungs- als auch für die Nichtigkeitsklage eine
Begrenzung des zur Klagerhebung berechtigten Personenkreises vor. Anfechtungsbefugt sind nach § 245 AktG – zum Teil unter weiteren, einschränkenden Voraussetzungen341 – Aktionäre, der Vorstand sowie Mitglieder des Vorstands und des
Aufsichtsrats. Der gleichen Personengruppe eröffnet § 249 Abs. 1 Satz 1 AktG die
Nichtigkeitsklage.342
Unterschiedlich sind gewiss die Folgen, wenn die personelle Voraussetzung bei
Klageerhebung fehlt. Während das Fehlen der Anfechtungsbefugnis nach h.M. aufgrund ihres materiell-rechtlichen Charakters zur Unbegründet der Klage und damit
zum Ausschluss jedes Klagerechts führt,343 entscheidet die Zugehörigkeit zum Klä-
339 Casper, ZHR 163 (1999), 54, 74, betont mit Blick auf die GmbH, die Anfechtungsklage sei
„keine zwingende Konsequenz des Mehrheitsprinzips“. Die Klagemöglichkeit ist für die
Rechtsdurchsetzung aber jedenfalls sehr hilfreich; davon ist indes Frage der Exklusivität der
klageweisen Geltendmachung von Anfechtungsmängeln zu trennen, die in der
Aktiengesellschaft aufgrund der lex lata aber hinzunehmen ist, vgl. zum Anfechtungsklageerfordernis noch sub III 2, S. 94.
340 Neben den im Folgenden erörterten Parallelen sei noch auf die Zuständigkeit des
Landgerichts, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat, für sämtliche Anfechtungsund Nichtigkeitsklagen nach §§ 246 Abs. 3 Satz 1, 249 Abs. 1 Satz 1 AktG hingewiesen
sowie auf das Freigabeverfahren nach § 246a AktG, das ebenfalls auf beide Klagen
Anwendung findet, vgl. zu letzterem im Zusammenhang mit Nichtigkeitsmängeln unten § 7
V 3, S. 146 ff.
341 Dazu insb. sub III 4, S. 98 ff.
342 Nach § 249 Abs. 1 Satz 1 AktG können die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats
die Klage ohne die einschränkenden Voraussetzungen des § 245 Nr. 5 AktG erheben, vgl.
dazu noch § 9, S. 181 ff.
343 BGHZ 167, 204, 210 Rn. 15; Hüffer, AktG, § 245 Rn. 2; Zöllner in Kölner Komm. AktG,
§ 245 Rn. 2; Spindler/Stilz/Dörr, AktG, 2007, § 245 Rn. 5; andere dogmatische Verortung als
Zulässigkeitsvoraussetzung bei K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 245 Rn. 6; ders., FS
Semler, 1993, S. 329, 332; Pflugradt, Leistungsklagen, 1990, S. 89 ff.;
86
gerkreis des § 249 AktG lediglich darüber, ob die Klage als spezielle aktienrechtliche Nichtigkeitsklage oder als allgemeine Feststellungsklage nach § 256 ZPO zu
behandeln ist.344 Nur im Fall der bloßen Anfechtbarkeit ist, wie ein Umkehrschluss
aus § 249 Abs. 1 Satz 2 AktG ergibt, die Geltendmachung des Beschlussfehlers
durch Dritte ausgeschlossen.345
Gemeinsam ist aber beiden Fällen, dass das Gesetz das spezielle Rechtsregime
der aktienrechtlichen Beschlussmängelklage auf Kläger beschränkt, die dem verbandsinternen Bereich zuzuordnen sind. Der Gesetzgeber erkennt das besondere
Interesse vor allem der Aktionäre an einer effektiven Rechtskontrolle der Hauptversammlungsbeschlüsse an.346 Zugleich verhindert er, dass verbandsexterne Dritte auf
dem Klagewege in die inneren Angelegenheiten der Gesellschaft eingreifen können;
sie sind auf die allgemeine Feststellungsklage nach § 256 ZPO beschränkt, der vor
allem die besondere Urteilswirkung der §§ 248, 249 AktG fehlt (hierzu sogleich
unter 4.).347
§ 245 Nr. 1 bis 3 AktG und § 249 Abs. 1 Satz 1 AktG verlangen keine individuelle Betroffenheit; vielmehr begründet jede Rechtswidrigkeit eines Beschlusses das
Klagerecht eines jeden Aktionärs.348 Dafür spricht die Kontrollfunktion der Beschlussmängelklage: Wenn sich der Gesetzgeber der Aktionäre zur Beschlusskontrolle bedient, kommt es nicht darauf an, dass gerade das betroffene Mitglied
K. Schmidt/Lutter/M. Schwab, AktG, § 245 Rn. 2; M. Schwab, Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 397.
344 Hüffer, AktG, § 249 Rn. 4; MünchKommAktG/Hüffer § 249 Rn. 2, 10 (tatbestandliche
Voraussetzung für die Anwendung der Anfechtungsvorschriften); Spindler/Stilz/Dörr, AktG,
2007, § 249 Rn. 7; vgl. auch C. Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 15;
anders wiederum K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 249 Rn. 12.
345 Zu dieser exklusiven Funktion der Anfechtungsbefugnis noch unten bei III 2, S. 94.
346 Dazu soeben sub I, S. 82 ff.; näher zum Klagerecht des Vorstands und der Organmitglieder
MünchKommAktG/Hüffer § 245 Rn. 14, 16; K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 245 Rn. 4,
32, 38 f.; ders., FS Semler, 1993, 329 ff.; Spindler/Stilz/Dörr, AktG, 2007, § 245 Rn. 6, 9, 41,
48.
347 Vgl. vor allem M. Schwab, Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 437;
allgemein zum unterschiedlichen Schutz von Eigenkapital- und Fremdkapitalgebern Baums,
Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. F 16 f.
348 Vgl. RGZ 146, 385, 395; BGHZ 43, 261, 265 f. (zur GmbH); BGHZ 70, 117, 118; BGHZ
107, 296, 308; bereits H. Horrwitz, Recht der Generalversammlungen, 1913, S. 88; A. Hueck,
Anfechtbarkeit und Nichtigkeit, 1924, S. 151, 235; so heute die ganz h.M., etwa Becker,
Verwaltungskontrolle, 1997, S. 445; Habersack, Mitgliedschaft, S. 230 f.; MünchKomm
AktG/Hüffer § 245 Rn. 8; Hüffer, AktG, § 246 Rn. 9, § 249 Rn. 11; Knobbe-Keuk, FS
Ballerstedt, 1975, S. 239, 244; Lutter, AcP 180 (1980) 84, 143; T. Raiser, FS 100 Jahre
GmbHG, 1992, S. 587, 601; K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 246 Rn. 60, § 249 Rn. 29; zur
Entstehungsgeschichte Hommelhoff, Eigenkontrolle, 1985, S. 53, 97; für die Anfechtungsklage wird dies in jüngster Zeit angezweifelt; de lege lata vor allem Zöllner, ZGR Sonderheft
12, 1994, S. 147, 156 ff.; ders., AG 2000, 145, 146; einschränkend auch der Vorschlag von
Baums, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. F 101 f., der in der Abstimmung eine knappe
Mehrheit fand, vgl. Verhandlungen zum 63. DJT, Band II/1, 2000, S. O 73 f.; dagegen
insbesondere K. Schmidt, Referat zum 63. DJT, 2000, S. O 11, 15 ff., 20, 36; Schindler/
Witzel, NZG 2001, 577, 580.
87
klagt.349 Durch diese formelle Bestimmung des Klagerechts unterscheidet sich die
aktienrechtliche insbesondere von der verwaltungsrechtlichen Anfechtungsklage, die
in §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO auf ein materielles Kriterium abstellt.350
Nur in Einzelfällen ist die Anfechtungsbefugnis dem Aktionär wegen eines Missbrauchs des Anfechtungsrechts abzusprechen.351
Die Aktivlegitimation des Aktionärs entfällt nicht, wenn der Kläger seine Mitgliedschaft nach Klageerhebung verliert. Das gilt nicht nur für die rechtsgeschäftliche Veräußerung der Aktien während des Prozesses,352 sondern auch bei einem
wirksamen Squeeze out.353
349 Vgl. K. Schmidt, AG 1977, 205, 208; Knobbe-Keuk, FS Ballerstedt, 1975, S. 239, 244; Lutter,
AcP 180 (1980) 84, 143.
350 Vgl. dazu Wahl/Schütz in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 Rn. 5 ff.,
und Gerhardt in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 Rn. 11. – In Abgrenzung
zur verwaltungsrechtlichen Schutznormtheorie könnte man also formulieren, dass die
Beschlussmängelklage nicht die Verletzung einer Vorschrift voraussetzt, die „individuell
aktionärsschützend“ ist und gerade auch den klagenden Aktionär schützt. Eine Einschränkung
macht die Rechtsprechung nur bei der Anfechtung von Verfahrensmängeln, vgl. zur sog.
Relevanzbetrachtung Hüffer, AktG, § 243 Rn. 12 f. m. weit. Nachweisen.
351 Vgl. dazu bereits RGZ 146, 385 ff., sowie BGHZ 107, 296, 308 ff.; BGHZ 112, 9 ff.; Baums,
Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. F 144 ff.; MünchKommAktG/Hüffer § 245 Rn. 47 ff.;
Hüffer, ZGR 2001, 833, 858 ff.; K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 245 Rn. 47 ff.; Zöllner in
Kölner Komm. AktG, § 245 Rn. 78 ff., jeweils auch m. weit. Nachweisen zur
Rechtsprechung und Literatur.
352 Inzwischen h.M., die überwiegend mit einer Analogie zu § 265 Abs. 2 ZPO begründet wird,
vgl. BGHZ 43, 261, 266; BGH, AG 1993, 514; BGH, NZG 2007, 26, 27; Spindler/Stilz/Dörr,
AktG, 2007, § 245 Rn. 20; MünchKommAktG/Hüffer § 245 Rn. 24; Hüffer, AktG, § 245
Rn. 8; K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 245 Rn. 17; K. Schmidt/Lutter/M. Schwab, AktG,
§ 245 Rn. 26; Zöllner in Kölner Komm. AktG, AktG § 245 Rn. 23; H. Horrwitz, Recht der
Generalversammlungen, 1913, S. 106; a.A. noch Beyerle, DB 1982, 837, 838; A. Hueck,
Anfechtbarkeit und Nichtigkeit, 1924, S. 137 ff.; v. Godin/Wilhelmi, 4. Aufl. 1971, § 245
Anm. 2. – Gleiches gilt für die Nichtigkeitsklage, vgl. BGH, NZG 2007, 26, 27;
Spindler/Stilz/Dörr, AktG, 2007, § 249 Rn. 10; K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 249
Rn. 15; K. Schmidt/Lutter/M. Schwab, AktG, § 249 Rn. 4; dagegen will Hüffer (AktG, § 249
Rn. 6; MünchKommAktG § 249 Rn. 13) den Kläger auf die Fortführung als gewöhnliche
Feststellungsklage verweisen.
353 So jetzt BGH, NZG 2007, 26, 27 f., dazu Goette, VGR Bd. 12, 2007, S. 1, 16 ff.; im Ergebnis
ebenso Bachmann, LMK 2007, 220486; Heise/Dreier, BB 2004, 1126, 1127; Lehmann, NZG
2007, 295; K. Schmidt/Lutter/M. Schwab, AktG, § 245 Rn. 27; Tielmann, WM 2007, 1686;
vgl. auch Nietsch, NZG 2007, 451 ff.; Waclawik, ZIP 2007, 1 ff.; a.A. OLG Koblenz, AG
2005, 365; Bungert, BB 2005, 1345; Hüffer, AktG, § 245 Rn. 8; differenzierend
Spindler/Stilz/Dörr, AktG, 2007, § 245 Rn. 21. Dass jedenfalls die Anfechtungsklage gegen
den Squeeze out-Beschluss noch nach dessen Wirksamwerden möglich bleibt, zeigen die
§§ 327e Abs. 2, 319 Abs. 6 Satz 6 AktG.
88
2. Beklagtenrolle der Gesellschaft
Nach § 246 Abs. 2 Satz 1 AktG ist die Anfechtungsklage gegen die Aktiengesellschaft zu richten; gleiches gilt über § 249 Abs. 1 Satz 1 AktG für die Nichtigkeitsklage. Sieht man mit der ganz überwiegenden Meinung als Grundlage der Beschlussmängelklage das mitgliedschaftliche Recht auf gesetzes- und satzungsmäßige
Beschlussfassung der Hauptversammlung, erscheint es konsequent, die Gesellschaft
als Beklagte anzusehen; denn ihr wird der rechtswidrige Beschluss zugerechnet, und
gegen sie richtet sich der entsprechende Anspruch auf Beschlussaufhebung.354 Entscheidend für das Verständnis der Vorschrift dürften aber vor allem die prozessualen
Vorteile sein, die sich aus der Beklagtenrolle der Gesellschaft ergeben. § 246 Abs. 2
Satz 1 AktG erspart es dem Aktionär, Klage gegen alle Mitaktionäre zu erheben,
was in den meisten Fällen praktisch unmöglich, jedenfalls aber mit erheblichem
Aufwand verbunden wäre.355 Die Regelung sichert dadurch die Funktion des Mehrheitsprinzips ab: Der Mehrheitsbeschluss erhöht die Aktionsfähigkeit des Verbandes; entsprechend muss auch das gerichtliche Kontrollverfahren, das der Gesetzgeber für die überstimmte Minderheit geschaffen hat, eine möglichst effiziente Streitbeilegung ermöglichen, um nicht die positive Wirkung des Mehrheitsprinzips zu
konterkarieren.356 Zugleich passt die Regelung zur allseitigen Rechtskraft, die dem
Anfechtungs- und Nichtigkeitsurteil zukommt (dazu sogleich unter 4.).357
3. Urteilswirkung, Streitgegenstand, Klageart
Nach § 248 Abs. 1 Satz 1 AktG wirkt das Anfechtungsurteil, mit dem ein Beschluss
für nichtig erklärt wird, für und gegen alle Aktionäre sowie die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats – unabhängig davon, ob sie selbst Partei des Rechtsstreits waren. § 249 Abs. 1 Satz 1 AktG erstreckt diese Urteilswirkung auf die Nichtigkeitsklage. Vollständig lassen sich Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage allerdings
nur erfassen, wenn man zwischen der prozessualen Wirkung des Urteils einerseits
und der Konsequenz für den angegriffenen Beschluss auf Ebene der materiellen
Rechtslage andererseits trennt.
354 Vgl. zu dieser dogmatischen Konstruktion die Nachweise oben in Fn. 336; abweichende
Begründung bei Pflugradt, Leistungsklagen, 1990, S. 156; M. Schwab, Das Prozeßrecht
gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 294 ff.
355 Überzeugend insoweit M. Schwab, Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005,
S. 295; K. Schmidt/Lutter/M. Schwab, AktG, § 246 Rn. 13; vgl. bereits Baums, Gutachten
zum 63. DJT, 2000, S. F 79; Becker, Verwaltungskontrolle, 1997, S. 474; Rehbinder, ZGR
1983, 92, 106 f.
356 M. Schwab, Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 346.
357 Vgl. Koch, Anfechtungsklageerfordernis, 1997, S. 228; M. Schwab, Das Prozeßrecht
gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 296 f.; M. Winter, Treuebindungen, 1988, S. 90
f.
89
Wie das Reichsgericht formulierte, „würde eine auf die Parteien beschränkte
Wirkung des Nichtigkeitsurteils in der Mehrzahl der Fälle zu unlösbarem Wirrsal
führen.“358 Bereits die Begründung zum ADHGB 1884 betonte zur Vorgängervorschrift, mit dem Anfechtungsurteil, das den Beschluss rechtskräftig für ungültig
erklärt hat, stehe fest, „daß der Beschluß nicht der Wille der Gesellschaft war.“
Deswegen gelte das Urteil gegenüber allen Aktionären, denn es gebe „nur einen
Willen der Gesellschaft.“359 So überzeugend die Argumentation im Ergebnis ist,
scheint die zitierte Passage doch davon geprägt, dass der historische Gesetzgeber
noch nicht hinreichend zwischen der prozessualen Rechtskraftwirkung und der materiellen Ebene unterschied. Nach heute wohl anerkanntem Verständnis betrifft
§ 248 Abs. 1 Satz 1 AktG lediglich die subjektive Reichweite der materiellen
Rechtskraft des Anfechtungsurteils;360 die Regelung dient der Rechtssicherheit und
Rechtsklarheit.361 Diese Ausweitung der Rechtskraft gilt auch für das stattgebende
Urteil auf eine Nichtigkeitsklage; das folgt aus der Verweisung in § 249 Abs. 1
Satz 1 AktG.362
Die Verwandtschaft beider Klagearten zeigt sich zudem darin, dass mit ihnen das
gleiche prozessuale Ziel verfolgt wird. Anfechtungsklage und Nichtigkeitsklage sind
darauf gerichtet, eine richterliche Klärung der Nichtigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses herbeizuführen (vgl. bereits oben I.).363 Diese funktionale Übereinstimmung hat die Einsicht befördert, dass beide Arten der aktienrechtlichen Beschlussmängelklage gegen denselben Beschluss den gleichen Streitgegenstand haben.364
Der erläuterte Gleichlauf auf Ebene des Streitgegenstandes und der materiellen
Rechtskraft führte zu der Frage, ob nicht Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage auch
die gleiche Klageart darstellen. Die Anfechtungsklage ist eine Gestaltungsklage. Das
auf sie ergehende Urteil führt zur Nichtigkeit des zwar anfechtbaren, aber eben zunächst wirksamen Hauptversammlungsbeschlusses; es hat eine Gestaltungswirkung,
was bedeuten soll, dass das Urteil die materielle Rechtslage verändert.365 Aus der
358 RGZ 85, 311, 313.
359 Allgemeine Begründung zur Aktienrechtsnovelle 1884, abgedr. bei Schubert/Hommelhoff,
Aktienrecht, 1985, S. 468.
360 Hüffer, AktG, § 248 Rn. 8; K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 248 Rn. 13;
Spindler/Stilz/Dörr, AktG, 2007, § 248 Rn. 18.
361 Hüffer, AktG, § 248 Rn. 1; Spindler/Stilz/Dörr, AktG, 2007, § 248 Rn. 1.
362 Hüffer, AktG, § 249 Rn. 17; K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 249 Rn. 32;
Spindler/Stilz/Dörr, AktG, 2007, § 249 Rn. 19.
363 Siehe BGHZ 152, 1, 5; BGH, AG 1999, 375; vgl. auch die Begr. RegE UMAG, BT-Drucks.
15/5092, S. 30.
364 Inzwischen fast allgemeine Ansicht im Schrifttum, vgl. MünchKommAktG/Hüffer § 246
Rn. 18 ff.; K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 249 Rn. 20 f.; Baumbach/Hueck/Zöllner,
GmbHG, Anh. § 47 Rn. 166; K. Schmidt/Lutter/M. Schwab, AktG, § 249 Rn. 2; M. Schwab,
Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 271; Bedenken jedoch bei
Sosnitza, NZG 1998, 335, 337 f. u. ders., NZG 1999, 497 f.
365 Zur Gestaltungswirkung etwa Noack, Fehlerhafte Beschlüsse, 1989, S. 95 f.; K. Schmidt in
Großkomm. AktG, § 248 Rn. 4; M. Schwab, Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner
Streitigkeiten, 2005, S. 270.
90
Gestaltungswirkung folgt zugleich die Wirkung inter omnes.366 All dies ist für die
Anfechtungsklage anerkannt; Anknüpfungspunkt im Gesetz ist nicht § 248 Abs. 1
Satz 1 AktG, sondern § 241 Nr. 5 AktG, demzufolge mit Eintritt der formellen
Rechtskraft ein materiellrechtlicher Nichtigkeitstatbestand besteht.367
Demgegenüber fällt die Einordnung der Nichtigkeitsklage bei genauerer Betrachtung schwer. Fasst man das Klageziel als die richterliche Klärung der Beschlussnichtigkeit zusammen, so erscheint es selbstverständlich, die Klage zur Geltendmachung der ipso iure eintretenden Beschlussnichtigkeit als Feststellungsklage zu
qualifizieren. So war denn auch das Verständnis des historischen Gesetzgebers, das
sich bereits im Wortlaut der Vorgängervorschrift in § 201 Abs. 1 Satz 1 AktG 1937
niedergeschlagen hat.368 Dem folgte die bis heute ganz herrschende Meinung.369
Namentlich K. Schmidt schreibt dagegen auch dem auf eine Nichtigkeitsklage ergehenden Urteil Gestaltungswirkung zu.370 In der Systematik des aktienrechtlichen
Beschlussmängelrechts lässt sich diese Ansicht auf die Formel bringen, dass der
materiellrechtliche Nichtigkeitstatbestand des § 241 Nr. 5 AktG auf das rechtskräftige Nichtigkeitsurteil analoge Anwendung findet.371 Rechtskonstruktiv ist dies möglich, wenn man mit der für das bürgerliche Recht entwickelten Lehre Doppelwirkungen im Recht anerkennt:372 Die Nichtigkeit des Beschlusses nach § 241 Nr. 1 bis
4 AktG schließt die Vernichtung durch das Gestaltungsurteil nicht aus.
366 Bayer, NJW 2000, 2609; MünchKomm/Hüffer § 248 Rn. 13; K. Schmidt, in Großkomm.
AktG, § 248 Rn. 4; ders., AG 1977, 205, 206; ders., FS Stimpel, 1985, S. 217, 223; Zöllner in
Kölner Komm. AktG, § 248 Rn. 16; abweichend M. Schwab, Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 272 f.
367 Casper, ZHR 163 (1999) 54, 74; Noack, Fehlerhafte Beschlüsse, 1989, S. 85, 95 f.;
K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 241 Rn. 69, § 248 Rn. 5; M. Schwab, Das Prozeßrecht
gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 269; K. Schmidt/Lutter/M. Schwab, AktG, 2008,
§ 241 Rn. 25; in der Sache ebenso MünchKommAktG/Hüffer § 248 Rn. 12, der § 241 Nr. 5
AktG dennoch nur als Klarstellung bezeichnet, siehe MünchKommAktG/Hüffer § 241
Rn. 71.
368 Vgl. bereits oben § 3 III 2 b, S. 68.
369 Vor dem AktG 1937 bereits A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit, 1924, S. 234; später
etwa MünchKommAktG/Hüffer § 249 Rn. 4; Hüffer, AktG, § 249 Rn. 10; Schlosser,
Gestaltungsklagen, 1966, S. 59; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, S. 464; Zöllner in
Kölner Komm. AktG, § 249 Rn. 25; Spindler/Stilz/Dörr, AktG, 2007, § 249 Rn. 2, 4;
Großfeld/Brondics, AG 1987, 293, 302 f.; Kort, Bestandsschutz, 1998, S. 51; M. Schwab, Das
Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 272 ff.; K. Schmidt/Lutter/M.
Schwab, AktG, § 249 Rn. 1.
370 K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 249 Rn. 4 f.; ders., JZ 1977, 769; ders., AG 1977, 205,
207 f.; ders., FS Stimpel, 1985, S. 217, 223 f.; ders., JZ 1988, 729 ff.; zustimmend Becker,
Verwaltungskontrolle, 1997, S. 425; Kindl, ZGR 2000, 166, 172 f.; Paefgen, ZIP 2004, 145,
149; Michalski/Römermann, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 481; Schmitt, Beschlussmängelrecht,
1977, S. 172 ff., 179; sympathisierend auch C. Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband,
2002, S. 379 f.
371 K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 241 Rn. 70.
372 Grundlegend Kipp, FS Martitz, 1911, S. 211 ff.; dazu Bork, Allgemeiner Teil, 2006, Rn. 927;
Flume, Rechtsgeschäft, 1979, § 31, 6; Schermaier in Historisch-kritischer Kommentar,
§§ 142-144 Rn. 8 f.; Schmelz, JA 2006, 21.
91
Vor allem zwei Argumente sprechen dafür, beide Klagearten als einheitliche kassatorische Beschlussmängelklage zusammenzufassen.373 Zum ersten erscheint es in
der Tat wenig stimmig, der Klage des Aktionärs bei bloßen Anfechtungsmängeln
eine weitergehende Urteilswirkung zuzuschreiben als bei Nichtigkeitsmängeln.
Insbesondere vermag nur die Annahme einer Gestaltungswirkung zwanglos zu erklären, warum das Urteil Wirkung gegenüber jedermann haben solle.374 Zum zweiten entspricht nur diese Lösung der gemeinsamen Wurzel beider Klagen in der Anfechtungsklage des ADHGB, das – wie erläutert – nicht zwischen Anfechtungs- und
Nichtigkeitsmängeln differenzierte, sondern alle Rechtsverstöße erfasste.375 Als das
Reichsgericht das Beschlussmängelrecht später um die ipso iure eintretende Nichtigkeit ergänzte, hatte es nicht im Sinn, das effektive Instrument des gestaltenden
Klagerechts einzuschränken, sondern wollte nur für bestimmte Mängel die Fristbindung ausschließen.376 Dass diese Einsicht später verloren ging und schließlich der
Gesetzgeber die nichtigen Beschlüsse nicht der Anfechtungsklage unterstellte, sondern mit der Vorgängervorschrift zu § 249 AktG eine spezielle Nichtigkeitsklage
schuf, die nach ihrem Wortlaut auf die (bloße) Feststellung der Nichtigkeit gerichtet
ist, steht der Einordnung als Gestaltungsklage deswegen nicht zwingend entgegen.
Im Ergebnis sind Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage als einheitliche kassatorische Beschlussmängelklage aufzufassen, mit der dem Aktionär die Möglichkeit
gegeben wird, zum einen die richterliche Klärung der Rechtmäßigkeit des Beschlusses auch gegen den Willen der Mehrheit und der Verwaltung herbeizuführen und
den Beschluss zum anderen vernichten zu lassen.377 Die Abweichungen zwischen
beiden Klagen beruhen also nicht notwendig auf einer unterschiedlichen Rechtsnatur, sondern dienen der Ausdifferenzierung der Beschlussmängelklage, um dem
Charakter von Anfechtungs- und Nichtigkeitsmängeln Rechnung zu tragen; dazu im
Folgenden ausführlich.
373 Dafür vor allem Noack, Fehlerhafte Beschlüsse, 1989, S. 94.
374 K. Schmidt, AG 1977, 205, 206; zu diesem Ergebnis wollen auch diejenigen kommen, die die
Nichtigkeitsklage als Feststellungsklage einordnen, vgl. MünchKommAktG/Hüffer § 249
Rn. 23; Zöllner in Kölner Komm. AktG, § 249 Rn. 40 f.; Spindler/Stilz/Dörr, AktG, 2007,
§ 249 Rn. 19 („argumentum a maiore ad minus“); Köster, Nichtigkeitsklage, 1981, S. 39;
Schulte, AG 1988, 67, 73; Steinmeyer/Seidel, DStR 1999, 2077, 2078; anders noch
H. Horrwitz, Recht der Generalversammlungen, 1913, S. 123. Abweichend jetzt
K. Schmidt/Lutter/M. Schwab, AktG, § 248 Rn. 5, § 249 Rn. 1, der auch die erga omnes-
Wirkung des Anfechtungsurteils ablehnt; eingehend ders., Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 219 ff.
375 Oben § 3 II 4 a.E., S. 62, und III 2 b, S. 68; vgl. auch K. Schmidt, AG 1977, 243, 244.
376 Ebenso K. Schmidt, FS Stimpel, 1985, S. 217, 226.
377 Ähnlich Spindler/Stilz/Casper, AktG, 2007, Vor § 241 Rn. 9, mit dem Befund einer
Doppelnatur der Nichtigkeitsklage, die auf Feststellung und verbindliche Herbeiführung der
Nichtigkeit für alle gerichtet sei.
92
III. Beschränkungen der Anfechtungsklage
Im Vergleich zur Nichtigkeit ist die Möglichkeit des Aktionärs, die bloße Anfechtbarkeit eines Beschlusses geltend zu machen, in mehrfacher Hinsicht beschränkt.
Diese Regelungen bringen ein besonderes Bedürfnis nach Rechtssicherheit zum
Ausdruck.
1. Rechtssicherheit als Ausgleich zwischen Gesellschafts- und Gesellschafterinteresse
Die Anfechtungsklage zeichnet sich vor allem durch drei Besonderheiten gegenüber
der Nichtigkeitsklage aus. Leidet ein Beschluss unter einem bloßen Anfechtungsmangel, ist die materielle Unwirksamkeit von der klageweisen Geltendmachung der
Rechtswidrigkeit abhängig (Anfechtungsklageerfordernis, näher sub 2.). Die Anfechtungsklage kann nur innerhalb der Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG erhoben
werden (Anfechtungsfrist, näher sub 3.). Schließlich setzt die Anfechtungsklage
regelmäßig das Erscheinen in der Hauptversammlung, die Erklärung eines Widerspruchs sowie neuerdings den Erwerb der Aktien vor Bekanntmachung der Tagesordnung voraus (§ 245 Nr. 1 AktG, dazu 4.).
Alle drei Regelungen schränken die Geltendmachung der Beschlussmängel ein;
dies dient nach gängiger Auffassung der Rechtssicherheit.378 Dahinter steht der Gedanke, dass auch der fehlerhafte Beschluss zumindest als tatsächliches Geschehen in
der Welt ist und bei den Beteiligten den Eindruck hervorruft, wirksame Grundlage
des Gesellschaftslebens zu sein; möglicherweise ist er sogar bereits ausgeführt.379
Zudem lässt die Rechtmäßigkeit, also die Frage, ob der Beschluss allen Vorgaben
des Gesetzes genügt, häufig Raum für Zweifel.380 Jede Klage gegen einen Beschluss
erzeugt eine Unsicherheit und bewirkt deswegen eine Schwebelage, die von der
Umsetzung des Beschlusses abhält.381
In privatrechtlichen Konstellationen liefert der Verweis auf die Rechtssicherheit
allein jedoch keine ausreichende Wertungsgrundlage. Als Argument trägt er vielmehr nur soweit, wie die Interessen, denen mit der Rechtssicherheit Geltung verschafft werden soll, schutzwürdig sind.382 Die herausgehobene Bedeutung der
Rechtssicherheit muss sich deswegen mit aktienrechtlichen Wertungen begründen
378 Vgl. die Nachw. unten in Fn. 398, 406 und 421.
379 Vgl. zur allgemeinen Rechtsgeschäftslehre Flume, Rechtsgeschäft, 1979, § 30, 1.;
Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, 2004, § 44 Rn. 7.
380 Ein Grund dürfte die Bedeutung offener Normen und die damit verbundene Bedeutung des
Richterrechts sein; vgl. zum Konzept von rules und standards im Gesellschaftsrecht etwa
Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 697 ff.
381 Eingehend zu diesem Problem bereits Flechtheim, FS Zitelmann, 1913, S. 6 f.
382 Überzeugend F. Hey, Freie Gestaltung, 2004, S. 102.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Im deutschen Aktienrecht führt nicht jeder Rechtsverstoß zur Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses. Regelmäßig soll bei der Verletzung eines Gesetzes oder der Satzung nur die bloße Anfechtbarkeit eintreten. In diesem Fall fehlen dem Beschluss nicht ipso iure die intendierten Rechtswirkungen, vielmehr bedarf es der Geltendmachung durch eine spezielle Klage, die personell und zeitlich eng begrenzt ist.
Trotz der zentralen Stellung dieser Unterscheidung ist die Abgrenzung von Nichtigkeitsmängeln und Anfechtungsmängeln bis heute nicht vollständig geklärt. Im Mittelpunkt des Interesses steht § 241 Nr. 3 AktG, der mit seinem weiten Wortlaut seit seinem Inkrafttreten im AktG 1937 für erhebliche Auslegungsschwierigkeiten sorgt. Ausgehend von der Entstehungsgeschichte und Systematik des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts entwickelt der Band ein besseres Verständnis dieser Vorschrift und ermöglicht dadurch eine klare Abgrenzung von Nichtigkeit und Anfechtbarkeit.
Die Arbeit wurde mit dem Harry Westermann-Preis 2008 ausgezeichnet.