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che Streitigkeiten zwischen der Aktiengesellschaft und ihren Mitgliedern erfassen.
Dass das Schiedsverfahren auch dafür genutzt werden konnte, um unabhängig von
einem konkreten Anspruch die abstrakte Kontrolle eines Generalversammlungsbeschlusses durchzuführen, ist in den Statuten dagegen nicht erkennbar.206
4. Befund
Mit dem Übergang vom Octroi- zum Konzessionssystem im 17. und 18. Jahrhundert
entstanden in Deutschland die ersten allgemeinen aktienrechtlichen Regelungen.
Spezielle gesetzliche Vorschriften über fehlerhafte Beschlüsse der Generalversammlung, wie sie heute in den §§ 241 ff. AktG enthalten sind, finden sich allerdings noch
nicht: Dies gilt sowohl für die materielle Unwirksamkeit rechtswidriger Beschlüsse
als auch für die gerichtliche Geltendmachung durch die Aktionäre. Das gleiche Bild
zeigt sich in den Statuten der Gesellschaften, die im Octroi- und Konzessionssystem
gegründet wurden.
Das prägende Element des Aktienrechts dieser Zeit ist vielmehr die behördliche
Kontrolle der Gesellschaften, die sich nicht auf den Gründungsvorgang beschränkte,
sondern ebenso die Beschlussfassung der Generalversammlung erfasste. Den Behörden war das Recht vorbehalten, Beschlüsse durch Verweigerung der Genehmigung zu verhindern oder zumindest im Sinne eines aufschiebenden Vetos zu blockieren. Diese staatliche Aufsicht, die dem Gläubiger- und Minderheitenschutz
diente, lässt sich als funktionales Äquivalent zum modernen Beschlussmängelrecht
einordnen.
Typischer Bestandteil der Statuten dieser Zeit ist die ausdrückliche Anordnung
der Bindungswirkung der Generalversammlungsbeschlüsse auch gegenüber den
abwesenden und überstimmten Aktionären. Wenn einige Satzungen einen nachträglichen Einspruch der Minderheit gegen statutenmäßige Mehrheitsbeschlüsse ausschließen, bestätigen sie auf der einen Seite das Mehrheitsprinzip, markieren aber
auf der anderen Seite implizit das Gesetz und die Statuten als Grenze, bei deren
Überschreitung das überstimmte Mitglied dem Willen der Mehrheit nicht mehr unterworfen ist.
II. Entwicklung des Anfechtungsrechts
In der Aktienrechtsnovelle von 1870 hat der Gesetzgeber den Übergang vom Konzessionssystem zum Normativsystem endgültig vollzogen und damit zugleich den
Fn. 193); § 52 des Statuts der „Actien-Gesellschaft Concordia, Cölnische Lebens-
Versicherungs-Gesellschaft“ (oben Fn. 193); ähnlich § 26 des Statuts der „Bergbau-Actien-
Gesellschaft Hellweg“ v. 22. 6. 1861; § 8 des Statuts der „Halberstädter Gas-Actien-
Gesellschaft“ v. 17. 11. 1862.
206 Ebenso M. Emmerich, Historische Entwicklung, 2000, S. 102 f.
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Boden für die Entstehung des modernen Beschlussmängelrechts bereitet.207 Im
Rahmen der darauf folgenden Neuordnung des Aktienrechts kodifizierte er in der
Aktienrechtsnovelle von 1884 das Recht der Aktionäre, Beschlüsse der Generalversammlung anzufechten.208 Der Gesetzgeber griff mit dem Anfechtungsrecht ein
Rechtsinstitut auf, das in der Rechtsprechung des Reichsoberhandelsgerichts209 und
des Reichsgerichts210 bereits vorgebildet und im damaligen Schrifttum anerkannt
war.211 Aus einer Analyse der Aktienrechtsnovelle von 1884 ergibt sich eine doppelte Funktion dieses Aktionärsrechts. Es diente zum einen – entsprechend der rechtspolitischen Grundtendenz der Reform – der gesellschaftsinternen Selbstkontrolle
durch die Aktionäre (dazu 1.) und ist zum anderen als Rechtsinstrument des überstimmten Mitglieds konzipiert, um die Grenzen der Bindungswirkung des Generalversammlungsbeschlusses gegenüber der Mehrheit mit richterlicher Hilfe durchzusetzen (dazu 2.). Der Gesetzgeber bemühte sich nicht nur um die Begründung, sondern zugleich um die sachgerechte Beschränkung des Anfechtungsrechts (dazu 3.).
1. Das Anfechtungsrecht als Instrument zur Selbstkontrolle der Gesellschaft
a) Das Normativsystem in der Novelle von 1870
Nach der Umstellung auf das Normativsystem in der Aktienrechtsnovelle von 1870
war die Gründung einer Aktiengesellschaft allein von der Erfüllung der gesetzlich
festgelegten Mindestvoraussetzungen abhängig.212 Die Gesellschaft entstand nach
einer Kontrolle auf Einhaltung dieser Normativbestimmungen mit der Eintragung in
das Handelsregister durch den Registerrichter. Einem parallelen Regime waren nach
Art. 214 Abs. 2 ADHGB 1870 die späteren Änderungen der Satzung unterworfen.
Kennzeichnend für dieses System ist nicht der völlige Verzicht auf die staatliche
Mitwirkung an der Gesellschaftsgründung und der Satzungsänderung. Wie erläutert,
unterscheidet sich das Normativsystem vom Konzessionssystem vielmehr dadurch,
dass der zuständige Registerrichter bei seiner Entscheidung keinerlei Ermessen hat,
207 Aktienrechtsnovelle vom 11. 6. 1870, BGBL. des Norddt. Bundes S. 375, Abdruck der
wichtigsten Bestimmungen bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht,
1985, S. 107 ff.
208 Aktienrechtsnovelle vom 18. 7. 1884, RGBl. S. 123, abgedr. bei Schubert/Hommelhoff,
Hundert Jahre modernes Aktienrecht, 1985, S. 560 ff.
209 Siehe ROHGE 11, 118, 125; ROHGE 14, 354, 357; ROHGE 23, 273, 275; ROHGE 25, 307,
312.
210 Siehe RGZ 3, 123, 126.
211 Vgl. Endemann, Das deutsche Handelsrecht, 1876, S. 301; Thöl, Das Handelsrecht, 1879,
S. 498.
212 Eingehend zur Aktienrechtsnovelle von 1870 Assmann in Großkomm. AktG, Einl. Rn. 79 ff.;
Großfeld, Aktiengesellschaft, 1968, S. 139 ff.; Landwehr, ZRG GA 99 (1982), 1, 17 f.;
Lieder in Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Bd. 1, 2007, S. 318 ff.; Merkt,
Unternehmenspublizität, 2001, S. 62 f.; Schubert, ZGR 1981, 285 ff.; Söhnchen,
Gründungsvoraussetzungen, 2005, S. 178 ff.
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sondern auf die formale Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen beschränkt ist.213
Mit den Normativbestimmungen stand nunmehr ein allgemeiner gesetzlicher Maßstab zur Rechtskontrolle der Gründungssatzung und der Generalversammlungsbeschlüsse im Zentrum des Aktienrechts. Das bedeutete zugleich, dass der Staat seinen
Einfluss auf das Aktienwesen allein mittels entsprechender gesetzlicher Vorgaben
ausüben konnte.214
Grund für diesen Systemwechsel waren nicht in erster Linie liberale wirtschaftspolitische Überlegungen.215 Für eine grundlegende Reform sprach vor allem die
praktische Erfahrung, dass sich das Genehmigungsverfahren bei der Sicherung der
Gläubiger und Aktionäre als unwirksam und gleichzeitig für die Bedürfnisse des
Wirtschaftslebens als zu schwerfällig erwiesen hatte.216 Mehr und mehr kam man zu
dem Schluss, dass sich die bisherige Form der Aufsicht sogar kontraproduktiv ausgewirkt habe. Die staatliche Fürsorge könne die „gehörige eigene Vorsicht der betheiligten Privaten (…) schwächen“217, weil das Konzessionssystem bei den Aktionären und Gläubigern ein Vertrauen schaffe, das nicht gerechtfertigt sei. In den
Motiven zum ADHGB 1870 formulierte der Gesetzgeber: „Dadurch aber, dass das
Publikum auf die vom Staat ihm verheißene Fürsorge sich verläßt und in diesem
Vertrauen der eigenen Mühe und Sorge sich entschlagen zu können glaubt, wirkt
jene unerfüllbare Verheißung geradezu schädlich.“ 218 Das neue Gesetz solle deswegen „zum Schutze des Publikums gegen Übervorteilung und Täuschung einen geeigneten Ersatz (…) schaffen für diejenige Fürsorge, welche bisher in der Form der
Konzessionsbedingungen bei der staatlichen Prüfung und Feststellung des einzelnen
Statuts geübt wurden.“ An die Stelle der Sicherung der Interessen durch die Verwaltung sollten nun „gewisse, ein für allemal maßgebende gesetzliche Normativbe-
213 Oben I 1 bei Fn. 176; vgl. zum Systemunterschied aus neuerer Zeit K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2002, § 8 II 5 (S. 192 ff.); Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, S. 205 ff.;
Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, 2006, § 4 IV 3 (S. 32 f.).
214 Nachdem der Übergang vom Octroi- zum Konzessionssystem zur Entstehung allgemeiner
Aktiengesetze geführt hatte (dazu bereits I 1 bei Fn. 174), war mit dem Normativsystem das
Gesetz zum alleinigen Maßstab geworden, neben dem für andere öffentlich-rechtliche Akte –
hingewiesen sei vor allem auf die Bedeutung der Verwaltungsinstruktionen unter dem
PreußAktG 1843 (siehe das Beispiel oben I 2 in Fn. 182) – kein Raum mehr war.
215 Zum wirtschaftspolitischen Kontext der Reform Schubert, ZGR 1981, 285, 287; Söhnchen,
Gründungsvoraussetzungen, 2005, S. 183; zum Wettbewerbsgedanken Großfeld, Aktiengesellschaft, 1968, S. 136 ff., 141 ff.; ders. in Coing/Wilhelm, Bd. IV, 1979, S. 236, 245 ff.,
248.
216 Vgl. bereits Goldschmidt, ZHR 30 (1885), S. 69 ff.; aus neuerer Zeit Assmann in Großkomm.
AktG, Einl. Rn. 81 f.; Großfeld, Aktiengesellschaft, 1968, S. 132, 134; Merkt,
Unternehmenspublizität, 2001, S. 59, 62; Reich, in Coing (Hrsg.), Ius Commune, Band 2,
1969, S. 239, 257 ff.; Schubert, ZGR 1981, 285, 287 f.; Söhnchen, Gründungsvoraussetzungen, 2005, S. 182. Rückblickend auch die Allgemeine Begründung zur Aktienrechtsnovelle 1884, abgedr. bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, 1985,
S. 414 f.
217 So bereits die Argumentation der Hamburger Abgeordneten in den Nürnberger Beratungen
im Vorfeld des ADHGB 1861, zitiert nach Großfeld, Aktiengesellschaft, 1968, S. 134.
218 Zitiert nach Großfeld, Aktiengesellschaft, 1968, S. 140.
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stimmungen treten, welche sich theils auf die Begründung, theils auf die fortlaufende Verwaltung der Gesellschaften zu beziehen haben.“219
Die Abschaffung des Konzessionssystems war also keineswegs Ausdruck einer
laissez faire-Haltung des Gesetzgebers, vielmehr war der Schutz der Gläubiger und
des Anlegerpublikums gegen unsolide Gründungen weiterhin ein wesentliches Regelungsanliegen. Die Funktion der neu eingeführten Normativbestimmungen war
also die Gewährleistung des vormals mit den Mitteln der Aufsicht verfolgten öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Missbräuchen im Aktienwesen. Der Gesetzgeber baute aber nunmehr auf die eigene Vorsicht der privaten Akteure, die
selbst für die Wahrung ihrer Interessen Sorge tragen sollten.
Schon bald nach der ersten Reform zeigte sich indes, dass die gewählten Regelungen nicht ausreichend waren, um die Missstände zu beenden, sondern der Aktienschwindel sogar noch in unerträglichem Maße zunahm. Die Hoffnung, dass –
neben Vorschriften über Gründung, Kapitalaufbringung und -erhaltung sowie Bilanzvorschriften – einige punktuelle Eingriffe in die Organisationsverfassung der
AG genügen würden, um den Wegfall der Staatskontrolle auszugleichen, hatte sich
bald zerschlagen.220 Vereinzelte Forderungen, als Konsequenz die Aktiengesellschaft gänzlich abzuschaffen221 oder zumindest auf bestimmte Betätigungsbereiche
zu beschränken,222 lehnte der Gesetzgeber ebenso ab wie die Vorschläge, die staatlichen Eingriffsbefugnisse wieder zu verstärken.223 Stattdessen entschied er sich, den
1870 eingeschlagenen Weg durch eine Fortentwicklung und Verbesserung des Normativsystems weiter zu verfolgen.224 Diese Reformbemühungen mündeten in die
219 Zitiert nach Schubert, ZGR 1981, 285, 288.
220 Vgl. zur Zeit nach 1870 und zur Bewertung der Novelle Assmann in Großkomm. AktG, Einl.
Rn. 83 ff.; Großfeld, Aktiengesellschaft, 1968, S. 143 ff.; Hommelhoff, Eigenkontrolle, 1985,
S. 53, 55 f.; Brondics, Die Aktionärsklage, 1988, S. 30 ff.; Schubert, ZGR 1981, 285, 312 ff.;
Söhnchen, Gründungsvoraussetzungen, 2005, S. 192 ff.
221 Etwa Perrot, Ein parlamentarisches Votum über das Aktienwesen, 1884, S. 115; klassisch die
Polemik bei v. Jhering, Der Zweck im Recht, Erster Band, 2. Aufl. 1884, S. 223; dagegen
Goldschmidt, ZHR 30 (1885), 69, 73 ff.; vgl. zur damaligen Diskussion Hofer in
Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Bd. 1, 2007, S. 388, 395 ff.
222 Siehe die Ausführungen in der Allgemeinen Begründung zur Aktienrechtsnovelle 1884,
(Fn. 216), S. 413; dazu Hommelhoff, Eigenkontrolle, 1985, S. 53, 59 ff.
223 Vgl. den Vorschlag auf dem Deutschen Juristentag 1873, ein „Reichsamt für das
Aktienwesen“ mit Aufsichtsrechten gegenüber den Aktiengesellschaften zu schaffen,
Wachtel, Diskussionsbeitrag, Verhandlungen zum 11. DJT, Bd. 2, 1873, S. 110 f.; der Antrag
wurde abgelehnt, vgl. die Abstimmungsergebnisse ebenda, S. 136. Eingehend dazu die Allg.
Begr., (Fn. 216), S. 414 f.; weitere Quellen bei Hofer in Bayer/Habersack (Hrsg.),
Aktienrecht im Wandel, Bd. 1, 2007, S. 388, 400 ff.
224 Ausdrücklich die Allg. Begr., (Fn. 216), S. 416: „Sonach führen vielmehr die vorstehend
erörterten Gesichtspunkte zur Beibehaltung des Systems, welches in der Novelle vom
11. Juni 1870 seinen Ausdruck gefunden hat, des Systems gesetzlicher Normativ- und
Kautelarvorschriften für die Entstehung und die Verwaltung der Aktiengesellschaften. (…)
Die richtigen Grundgedanken haben in der Novelle nur nicht ihre vollständige Entwickelung
gefunden, und diese fortzubilden, muß die Aufgabe der Reform sein.“ Als „kriseninduziertes
Reformgesetz“ beschreibt Fleischer, FS Priester, 2007, S. 75, 76 f., die Aktienrechtsnovelle
von 1884.
57
zweite Aktienrechtsnovelle von 1884, die erstmals ein Anfechtungsrecht der Aktionäre einführte.
b) Eigenkontrolle statt Staatskontrolle als Grundkonzept der Novelle von 1884
Einerseits verschärfte der Gesetzgeber die Gründungsvorschriften, um der Entstehung unsolider Gesellschaften im Ansatz vorzubeugen.225 Die Mitwirkung des Staates bei der Gründung – und parallel bei der Satzungsänderung – war allerdings weiterhin auf eine Prüfung der formellen Voraussetzungen der Registereintragung beschränkt; ausdrücklich betont die Begründung, nicht den Anschein einer auch
materiellen Prüfung der Gesellschaft erwecken zu wollen.226 Schon im Vorfeld der
Reform wies man allerdings darauf hin, dass eine einseitige Ausrichtung auf die
Gründungsphase unzureichend sei.227 Zweites Ziel der Novelle war es deswegen, die
Überwachung und Kontrolle der Gesellschaft auch im laufenden Geschäftsbetrieb zu
intensivieren. Die neuen Regelungen sollten die Staatskontrolle durch die Eigenkontrolle der Beteiligten ersetzen.228 Das Augenmerk des Gesetzgebers verlegte sich
deswegen auf die Bereitstellung geeigneter Rechtsinstrumente, um den Selbstschutz
der Beteiligten zu ermöglichen. Neben einer Verbesserung der Publizität229 und
Änderungen der Organisationsverfassung, die vor allem auf eine Stärkung der Gesellschaftsorgane gegenüber den Gründern zielten,230 enthält die Novelle von 1884
vor allem einen Ausbau der Minderheitenrechte.231 Sowohl die Anordnung unentziehbarer Entscheidungskompetenzen der Generalversammlung als auch die neuen
Möglichkeiten der Minderheit, die Einberufung der Generalversammlung und eine
Ergänzung der Tagesordnung durchzusetzen, dienten letztlich dem Zweck, die Aktionäre zu einer intensiveren Beteiligung an der verbandsinternen Willensbildung zu
225 Überblick bei Assmann in Großkomm. AktG, Einl. Rn. 94 ff.; Hommelhoff, Eigenkontrolle,
1985, S. 53, 64 ff.; Merkt, Unternehmenspublizität, 2001, S. 67 f.; eingehend Söhnchen,
Gründungsvoraussetzungen, 2005, S. 201 ff.
226 Allg. Begr., (Fn. 216), S. 445: „Wie bisher soll der Richter nur prüfen, ob die formellen
Voraussetzungen erfüllt sind, von welchen das Gesetz die Eintragung des Gesellschaftsvertrages in das Handelsregister abhängig macht. Allerdings sind durch die schon
besprochenen Bestimmungen des Entwurfs diese Voraussetzungen in den Einzelheiten
erweitert und präzisiert.“ Es solle aber beim Publikum der Eindruck vermieden werden, es
habe auch eine materielle Prüfung stattgefunden, ebenda S. 446; dazu Hommelhoff,
Eigenkontrolle, S. 53, 81.
227 Siehe zur Diskussion auf dem 11. DJT Großfeld, Aktiengesellschaft, 1968, S. 146.
228 Vgl. zum Folgenden vor allem Hommelhoff, Eigenkontrolle, 1985, S. 53 ff.
229 Näher Merkt, Unternehmenspublizität, 2001, S. 67 f.; Hofer in Bayer/Habersack (Hrsg.),
Aktienrecht im Wandel, Bd. 1, 2007, S. 388, 404 ff.
230 Dazu Assmann in Großkomm. AktG, Einl. Rn. 97 f.; Hommelhoff, Eigenkontrolle, 1985,
S. 53, 85 ff.; Schubel, Verbandssouveränität, 2003, S. 345 ff.
231 Assmann in Großkomm. AktG, Einl. Rn. 99; Hofer in Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht
im Wandel, Bd. 1, 2007, S. 388, 409 ff.; Hommelhoff, Eigenkontrolle, 1985, S. 53, 96 ff.
58
motivieren.232 Hinzu kam das Recht zur Anfechtung von Generalversammlungsbeschlüssen, das die Novelle als einziges der neu eingeführten Rechte in die Hand des
einzelnen Aktionärs legte.
c) Aktivierung der Aktionäre zur Rechtskontrolle der Generalversammlungsbeschlüsse
Nach Art. 190a Abs. 1, 222 ADHGB 1884 konnte ein Generalversammlungsbeschluss „wegen Verletzung des Gesetzes oder des Gesellschaftsvertrages als ungültig im Wege der Klage angefochten werden.“233 Dieses Recht stand dem Vorstand,
vor allem aber jedem in der Generalversammlung erschienenen Aktionär zu, sofern
er gegen den Beschluss Widerspruch eingelegt hatte.234 Der Gesetzgeber bezeichnete die Vorschrift als Möglichkeit der Aktionäre, „die Rechte der durch ihre Organe
geschädigten Gesellschaft wahrzunehmen, um dadurch zugleich ihr eigenes Recht
zu schützen.“235
Die gesetzliche Anerkennung des Anfechtungsrechts diente dazu, die Mitglieder
der Gesellschaft zur Beteiligung am Verbandsleben zu aktivieren. Das Recht, Beschlüsse einer gerichtlichen Überprüfung zuzuführen, ist mit anderen Worten ein
Teil des gesetzgeberischen Gesamtkonzepts, die Beteiligten durch Schaffung geeigneter Rechtsinstrumente in die Lage zu versetzen, selbst die Wahrung ihrer Interessen in die Hand zu nehmen.236 Wie die Publizitätsvorschriften und die Stärkung von
Generalversammlung und Aufsichtsrat hatte mithin auch das Anfechtungsrecht die
Funktion eines Substituts der weggefallenen Staatsaufsicht: Das Rechtsinstitut sollte
für die Rechtmäßigkeit der Beschlussfassung sorgen und auf diese Weise die Rücknahme der unmittelbaren staatlichen Einflussnahme auf die Gesellschafterbeschlüsse
kompensieren.237 Dass der Anfechtungskläger nicht nur seine eigenen Interessen
schütze, sondern auch eine objektive Funktion für die gesamte Aktiengesellschaft
232 Vgl. die Allg. Begr. (Fn. 216), S. 464: „Durch eine Erhöhung der Kompetenz der
Generalversammlung wird eine größere und lebendigere Theilnahme an derselben seitens der
Aktionäre erzielt werden.“
233 Art. 190a ADHGB 1884 galt unmittelbar nur für die Kommanditgesellschaft, über die
Verweisung in Art. 222 ADHGB 1884 aber auch für die Aktiengesellschaft.
234 War die Klage darauf gegründet, dass „die Berufung der Generalversammlung oder die
Ankündigung des Gegenstandes der Beschlußfassung nicht gehörig erfolgt war,“ stand das
Anfechtungsrecht auch dem nicht erschienenen Aktionär zu; vgl. heute § 245 Nr. 2 AktG.
235 So die Allg. Begr. (Fn. 216), S. 466.
236 Nach der Vorstellung des Gesetzgebers verfolgten die Aktionäre dabei nicht nur eigene
Interessen, sondern den wohlverstandenen wahren Willen der Gesellschaft, vgl. die Allg.
Begr. (Fn. 216), S. 465: Das Anfechtungsrecht gehöre als Individualrecht zu der Frage, „ob
und inwieweit unabhängig von einem so bekundeten Willen die einzelnen Aktionäre befugt
sein sollen, die Rechte der Gesellschaft als dem wahren Willen der letzteren entsprechend
selbständig geltend zu machen.“ Die klagenden Aktionäre handelten „als Notgeschäftsführer“
zugunsten der Gesellschaft, so Hommelhoff, Eigenkontrolle, 1985, S. 53, 99.
237 Vgl. Noack, Fehlerhafte Beschlüsse, 1989, S. 43; Casper, Heilung, 1998, S. 9.
59
erfülle, klingt bereits in der Rechtsprechung an, an die der Gesetzgeber ausdrücklich
anknüpfte. So formulierte das ROHG, der Aktionär habe das Recht „um der Gesellschaft und seiner Mitgliedschaft willen zu verlangen, daß der Gesellschaftswille sich
entsprechend den Gesetzen und den statutarischen Bestimmungen bethätige.“238
Mit Blick auf den erstrebten Selbstschutz der Gesellschafter bemühte sich der Gesetzgeber, das Gesellschaftsleben soweit als möglich von Außeneinflüssen einschließlich den bislang übermächtigen Gründern freizuhalten und setzte stattdessen
auf das Prinzip der Verbandssouveränität. Dem entsprach es, das Anfechtungsrecht
auf den verbandsinternen Bereich zu beschränken. Anfechtungsbefugt waren deswegen einzig die Aktionäre und der Vorstand (Art. 190 Abs. 1 Satz 3, 222 ADHGB
1884). Verbandsexternen Personen oder einer Verwaltungsbehörde stand das Klagerecht dagegen nicht zu. Denn Funktion des Anfechtungsrechts war die verbandsinterne Kontrolle der Gesellschaft, die der Gesetzgeber bewusst den Aktionären überließ, indem er ihnen ein Instrument an die Hand gab, um Generalversammlungsbeschlüsse einer gerichtlichen Überprüfung zuzuführen. Dieser Ansatz vermag indes
nicht zu erklären, warum gerade dieses Recht nicht einer Aktionärsminderheit, sondern jedem einzelnen Aktionär eingeräumt wurde. Das legt die Vermutung nahe,
dass dieses Rechtsinstitut noch von einem zweiten Regelungsgedanken geprägt ist.
2. Die fehlende Bindungswirkung von Mehrheitsbeschlüssen als Grundgedanke des
Anfechtungsrechts
Die Begründung zur Novelle von 1884 betont zu Beginn der Ausführungen zur
Anfechtung die Begrenzung der Generalversammlungszuständigkeit auf den von
Gesetz und Statut vorgegebenen Rahmen:
„Die Generalversammlung erhält ihre Berechtigung, als Organ der Gesellschaft zu fungieren,
lediglich durch das Gesetz und den Gesellschaftsvertrag; Statut und Gesetz begrenzen ihre Befugnisse.“239
An diese Feststellung knüpft sie sodann eine wesentliche Folgerung für die
Rechtsstellung der Aktionäre gegenüber rechtswidrigen Beschlüssen:
„Beschlüsse einer nicht gehörig berufenen Generalversammlung oder Beschlüsse, welche die
Grenzen ihrer Zuständigkeit überschreiten, auf die Unterlassung von etwas Gebotenem oder
die Vornahme von Verbotenem gerichtet sind, brauchen diejenigen Aktionäre, welche sich ihnen nicht unterworfen haben, als einen sie verbindenden Willen der Gesellschaft nicht gelten
zu lassen. Die Unterstellung der einzelnen Aktionäre unter die Willensäußerung der Generalversammlung deckt sich mit den für die letztere durch Statut und Gesetz bestimmten Grenzen.“240
238 ROHGE 23, 273, 275.
239 Allg. Begr. (Fn. 216), S. 467.
240 Allg. Begr. (Fn. 216), S. 467 (Hervorhebung nicht im Original). In der Entscheidung ROHGE
7, 105 ff., auf die die Begründung an dieser Stelle verweist, findet sich die Aussage indes
nicht; das Urteil betrifft die Gesetzesbindung der Gesellschaftsorgane im Interesse der
60
In dieser Passage stellt der Gesetzgeber einen argumentativen Zusammenhang her
zwischen dem Anfechtungsrecht und der grundsätzlichen Bindungswirkung, die
Generalversammlungsbeschlüsse auch gegenüber den widersprechenden Aktionären
entfalten. Verfahrensfehlerhafte oder sonst rechtswidrige Beschlüsse seien von der
allgemeinen Unterwerfung des einzelnen Mitglieds unter die Generalversammlungsentscheidungen auszunehmen; das Anfechtungsrecht erscheint als Instrument des
Aktionärs, um die fehlende Bindungswirkung des betreffenden Beschlusses gerichtlich geltend zu machen.241
Dieser Begründungsansatz blickt aus der Perspektive des einzelnen Aktionärs auf
den rechtswidrigen Beschluss. Er knüpft an einen Regelungsgedanken an, der bereits
in der Statutenpraxis unter dem Konzessionssystem erkennbar war: Im Anschluss an
die ausdrückliche Anordnung des bindenden Charakters der Mitgliederbeschlüsse
auch für den widersprechenden Aktionär wurde in diesen Satzungen häufig klargestellt, dass diese Wirkung nur in den von Gesetz und Satzung gezogenen Grenzen
gelte. Grundsätzlich sei der einzelne Aktionär zwar dem Mehrheitsvotum unterstellt;
für den Fall einer Überschreitung dieser Grenzen war er aber befugt, sich dem Beschluss der anderen Mitglieder zu widersetzen.242 Mit dieser zweiten Funktion erhält
die Beschlussanfechtung ihre eigentliche Bedeutung im Konflikt zwischen der
Mehrheit und der Minderheit. Deswegen kam es bei der rechtliche Ausgestaltung
darauf an, die überstimmten Aktionäre zu ermächtigen, das Recht außerhalb der
ordentlichen Organe selbständig geltend zu machen. Vor allem sollten sie die Möglichkeit haben, sich zur Durchsetzung richterlicher Hilfe zu bedienen und den
rechtswidrigen Beschluss gerichtlich für nichtig erklären zu lassen. Die dogmatische
Grundüberlegung des Gesetzgebers, dass einem rechtswidrigen Beschluss die Bindungswirkung gegenüber allen Aktionären fehlt, erklärt auch die Entscheidung, das
Anfechtungsrecht jedem einzelnen Aktionär einzuräumen, ohne wie bei den übrigen
Minderheitsrechten ein bestimmtes Quorum vorauszusetzen. Nicht das Widerspruchsrecht des Aktionärs ist die begründungsbedürftige Ausnahme, sondern seine
Bindung an den Mehrheitswillen trotz der Überschreitung von Gesetz oder Satzung.
Weil in diesen Fällen für die regelmäßige Wirkung des Mehrheitsprinzips kein
Raum ist, soll es nicht darauf ankommen, dass sich eine signifikante Zahl von Aktionären gegen den Beschluss wendet.
Gläubiger, nicht aber die Rechtsposition des einzelnen Aktionärs im Falle der
Rechtswidrigkeit eines Beschlusses; missverständlich insoweit Hommelhoff, Eigenkontrolle,
1985, S. 53, 97.
241 Ähnlich Slabschi, Anfechtungsklage, 1997, S. 25: „Klage gegen die alle Aktionäre
verbindende Wirkung des Beschlusses“.
242 Siehe oben § 3 I 3 c, S. 51, m. Nachw. aus der Statutenpraxis und der damaligen Literatur.
61
3. Beschränkungen des Anfechtungsrechts
Die skizzierte Herleitung des Anfechtungsrechts aus den Grenzen der Bindungswirkung von Mehrheitsbeschlüssen könnte den Schluss nahelegen, die Unverbindlichkeit des fehlerhaften Beschlusses müsse schrankenlos geltend gemacht werden können.243 Dieser Auffassung hat sich der Gesetzgeber indes nicht angeschlossen. Im
Zentrum seiner Überlegungen stand vielmehr die sachgerechte Beschränkung des
Anfechtungsrechts; eine unbegrenzte Zulässigkeit erschien ihm nicht akzeptabel:
„In solcher Unbeschränktheit erscheint das Anfechtungsrecht höchst bedenklich. Die fortdauernde Ungewißheit über die Gültigkeit eines Beschlusses der Generalversammlung muß
nothwendig zu einer Abschwächung der Verwaltung, kann sogar zu einem Stillstande derselben und einer völligen Zersetzung der Organisation führen. Das Recht eines Jeden zur Anfechtung ist ein zweischneidiges Mittel, welches Chikanen und Erpressungen Thür und Thor öffnet. (…) Die kurze Befristung ist unabweislich geboten, um die Ungewissheit über die Gültigkeit oder Anfechtbarkeit des Beschlusses zu beseitigen und den Vorstand in die Lage zu
setzen, den Umständen entsprechend über die Ausführung oder die Sistierung des Beschlusses
zu befinden.“244
Auch die Rechtsprechung, die vor 1884 über entsprechende Klagen zu entscheiden hatte, hatte enge Voraussetzungen für die Geltendmachung von Beschlussfehlern aufgestellt. Bereits eine Entscheidung des Oberappellationsgerichts Berlin aus
dem Jahr 1868, auf die auch der Gesetzgeber in der Begründung verweist, versagte
einem Aktionär das Anfechtungsrecht, der an der Generalversammlung teilgenommen, im Anschluss an die Abstimmung gegen den Beschluss aber nicht protestiert
hatte. Er könne sich auf den Formverstoß nicht mehr berufen, da es ihm nicht gestattet sei, „etwaige in Formalitäten begangene Verstöße einstweilen ungerügt hingehen
zu lassen, um gelegentlich in späterer Zeit alle damit in Zusammenhang stehenden,
ihm mißliebigen Akte der Gesellschaftsbehörden als ungültig anzufechten.“245
Deswegen enthielt bereits Art. 190a Abs. 1 Satz 2 und 3 ADHGB 1884 die Klagefrist von einem Monat sowie den noch heute gültigen Grundsatz, dass der anfechtende Aktionär an der Generalversammlung teilgenommen und gegen den Beschluss
Widerspruch zu Protokoll erklärt haben muss. Hinter diesen Beschränkungen der
Klagemöglichkeit steht das Bedürfnis nach Rechtssicherheit, weil man das Risiko
einer nachträglichen Ungültigkeitserklärung des Beschlusses als Gefahr für die der
Aktionsfähigkeit der Gesellschaft erkannt hatte.246 Dem Gesetzgeber ging es bei der
Ausgestaltung des Anfechtungsrechts also um die Abwägung zwischen den Interessen des klagenden Aktionärs auf der einen Seite und den Interessen der übrigen
Aktionäre auf der anderen Seite, deren gemeinsames Unternehmen er durch den
Rechtsschutz behindert sah. Dass es der Zweck der verletzten Vorschrift gebieten
243 Vgl. insofern Pöhls, Recht der Actiengesellschaften, 1842, S. 198, 203, dazu § 3 I 3 c, S. 51.
244 Allg. Begr. (Fn. 216), S. 467.
245 Oberappelationsgericht Berlin, Buschs Archiv 20, 344, 346.
246 Zur Rechtsunsicherheit bereits Löwenfeld, Das Recht der Actien-Gesellschaften, 1879,
S. 233.
62
kann, einem Beschluss auch dann die Wirksamkeit zu versagen, wenn kein Aktionär
dagegen vorgeht, fand in dieser Interessenabwägung keine Berücksichtigung.247
4. Befund
Fasst man die Erkenntnisse zum Anfechtungsrecht in der Novelle 1884 zusammen,
so ergibt sich das folgende Bild:
Die in Art. 190a, 222 ADHGB 1884 geregelte Anfechtungsklage hatte nach der
Vorstellung des Gesetzgebers eine doppelte Funktion. Zum einen diente sie – entsprechend der rechtspolitischen Grundtendenz der Novelle – der objektiven Selbstkontrolle der Gesellschaft und sollte gemeinsam mit anderen Elementen der Neuregelung den Wegfall der Staatsaufsicht kompensieren. Nach den Ausführungen des
Gesetzgebers in der Begründung liegt in dem Klagerecht zum anderen ein Rechtsinstrument des Verbandsmitglieds, um geltend zu machen, dass dem Generalversammlungsbeschluss ausnahmsweise die allseitige Bindungswirkung fehle. Funktional ist die Anfechtung deswegen zugleich ein Korrelat zum Mehrheitsprinzip: Sie
dient dazu, dessen Grenzen gegenüber den übrigen Aktionären und den Verwaltungsorganen mit richterlicher Hilfe durchzusetzen.
Beiden Funktionen gemeinsam ist die Ausrichtung des Gesetzgebers auf einen
verbandsinternen Rechtsschutz. Einerseits sollten die Aktionäre und der Vorstand
die Möglichkeit haben, die Wirksamkeit rechtsfehlerhafter Beschlüsse zu verhindern; andererseits versuchte der Gesetzgeber, den Rechtsschutz soweit als möglich
zu beschränken, weil er in der fortdauernden Unsicherheit über die Gültigkeit eines
Generalversammlungsbeschlusses eine Gefahr für die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft und damit die Interessen der übrigen Aktionäre sah. Dagegen berücksichtigte der Gesetzgeber offensichtlich nicht, dass nicht nur die Verbandsmitglieder und
Verwaltungsorgane der Gesellschaft, sondern auch außenstehende Dritte ein Interesse an der Wirkungslosigkeit des rechtswidrigen Beschlusses haben könnten. Er beschränkte sich in der Novelle 1884 auf die Verankerung des Anfechtungsrechts, ließ
aber offen, was gilt, wenn die Anfechtung eines rechtswidrigen Beschlusses unterbleibt. Somit hatte er zwar die Vernichtung des Beschlusses durch das Anfechtungsurteil kodifiziert; die Kategorie der ipso iure, also unabhängig von ihrer Geltendmachung eintretende Nichtigkeit war im ADHGB 1884 dagegen nicht geregelt.248 Diese Differenzierung zwischen verschiedenen Arten der Beschlussmängel fand sich im
Gesetz noch nicht. Das bedeutet zugleich, dass der Anfechtungstatbestand des
247 In der rechtspolitischen Diskussion im Vorfeld des ADHGB 1884 hatte man dieses Problem
bereits erkannt; besonders deutlich warnte das Gutachten des ROHG vom 31.3.1877, abgedr.
bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, 1985, S. 157 ff., 257: „Es
würde sonst immer eine Anfechtung auch ganz offenbar ungültiger oder verbootswidriger
Beschlüsse erforderlich sein, wenn dieselben nicht in Rechtskraft übergehen sollten.“ Die
Begründung zur Novelle 1884 geht darauf nicht ein.
248 Vgl. Casper, Heilung, 1998, S. 10 f.; U. Huber, FS Coing, Bd. 2, 1982, S. 167, 169;
K. Schmidt, AG 1977, 243, 244; Slabschi, Anfechtungsklage, 1997, S. 24.
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Art. 190a Abs. 1 ADHGB 1884 sämtliche Rechtsverletzungen in Generalversammlungsbeschlüssen erfasste. Bei allen denkbaren Rechtsverstößen sollten die Aktionäre die Möglichkeit haben, die gerichtliche Überprüfung und gegebenenfalls Vernichtung des Beschlusses herbeizuführen.
III. Entwicklung der aktienrechtlichen Nichtigkeit
Schon bald nach Inkrafttreten der Aktienrechtsnovelle von 1884 erkannten Rechtsprechung und Schrifttum, dass die neu geschaffenen gesetzlichen Regelungen zur
Bewältigung der vorgelegten Beschlussstreitigkeiten nicht ausreichend waren. Vor
allem bei Verstößen gegen aktienrechtliche Vorschriften, die für zwingend erachtet
wurden, und bei Beschlüssen, die Interessen Dritter berührten, fragte sich, ob auch
eine Unwirksamkeit anzuerkennen war, die unabhängig von der Erhebung der Anfechtungsklage eintritt.
Unbefriedigend erschien zum einen, dass die strenge Fristbindung der Anfechtungsklage in Art. 190 Abs. 1 Satz 2 ADHGB 1884 es dem Aktionär auch bei
schweren Rechtsverstößen unmöglich machte, nach Ablauf eines Monats Klage zu
erheben; fraglich war also, ob das Fristversäumnis in jedem Fall zur endgültigen
Wirksamkeit des Beschlusses führen sollte. Zum anderen führte die personelle Beschränkung des Anfechtungsrechts auf die Aktionäre und den Vorstand dazu, dass
Dritte die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses überhaupt nicht geltend machen konnten,
wenn die Anfechtung unterblieben war. Diese Situation drohte, wenn die Aktionäre
durch den Rechtsverstoß ihre Interessen nicht berührt sahen oder sogar insgesamt
auf Kosten Dritter, etwa der Gläubiger, profitierten. Ebenso konnte die Klageerhebung unterblieben sein, weil den Aktionären das Anfechtungsrecht von der
Verwaltung „abgekauft“ worden war.249
Der Gesetzgeber reagierte erst 1937 mit der Einführung eines speziellen aktienrechtlichen Nichtigkeitstatbestandes einschließlich eines zugehörigen Klagerechts
(§§ 195, 196, 201 AktG 1937). Ob Generalversammlungsbeschlüsse nicht nur anfechtbar, sondern in bestimmten Fällen auch schlechthin nichtig sein konnten, war
zuvor in Rechtsprechung und Schrifttum kontrovers diskutiert worden. Die Begründung zum AktG 1937 fasst den Diskussionsstand wie folgt zusammen:
„Die Reformvorschläge bewegten sich in verschiedener Richtung. Die einen schlugen vor, den
Unterschied zu beseitigen und nur die zeitlich begrenzte Anfechtung zuzulassen. Die anderen
wollten grundsätzlich die Nichtigkeit beibehalten, sie aber im Interesse der Gesellschaften
sachlich oder zeitlich einschränken. Schließlich wurde die Auffassung vertreten, daß eine zeitliche Beschränkung der Nichtigkeit dem Aufbau unseres gesamten Rechtssystems widerspre-
249 Zu diesem Problem bereits Flechtheim, FS Zittelmann, 1913, S. 1, 5; Hachenburg,
Diskussion im vorläufigen Reichswirtschaftsrat, abgedr. bei Schubert/Hommelhoff (Hrsg.),
Die Aktienrechtsreform am Ende der Weimarer Republik, 1987, S. 590, 593; H. Horrwitz,
ZBlHR 1 (1926), 181.
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References
Zusammenfassung
Im deutschen Aktienrecht führt nicht jeder Rechtsverstoß zur Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses. Regelmäßig soll bei der Verletzung eines Gesetzes oder der Satzung nur die bloße Anfechtbarkeit eintreten. In diesem Fall fehlen dem Beschluss nicht ipso iure die intendierten Rechtswirkungen, vielmehr bedarf es der Geltendmachung durch eine spezielle Klage, die personell und zeitlich eng begrenzt ist.
Trotz der zentralen Stellung dieser Unterscheidung ist die Abgrenzung von Nichtigkeitsmängeln und Anfechtungsmängeln bis heute nicht vollständig geklärt. Im Mittelpunkt des Interesses steht § 241 Nr. 3 AktG, der mit seinem weiten Wortlaut seit seinem Inkrafttreten im AktG 1937 für erhebliche Auslegungsschwierigkeiten sorgt. Ausgehend von der Entstehungsgeschichte und Systematik des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts entwickelt der Band ein besseres Verständnis dieser Vorschrift und ermöglicht dadurch eine klare Abgrenzung von Nichtigkeit und Anfechtbarkeit.
Die Arbeit wurde mit dem Harry Westermann-Preis 2008 ausgezeichnet.