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Kombination mit den speziellen Klagemöglichkeiten gegen rechtswidrige Hauptversammlungsbeschlüsse. Die effektive gerichtliche Beschlusskontrolle ist eine wesentliche Voraussetzung für die Legitimation des Mehrheitsprinzips;118 sie ist nach der
Rechtsprechung des BVerfG deswegen auch verfassungsrechtlich geboten, um das
Eigentumsrecht der Aktionäre abzusichern.119 Die nähere Ausgestaltung muss jedoch der Funktion des Mehrheitsprinzips gerecht werden, die Entscheidungsfindung
im Verband zu erleichtern. Dieser Gewinn an Handlungsfähigkeit darf nicht durch
das Kontrollverfahren neutralisiert werden.120
V. Zusammenfassung
Funktion des Hauptversammlungsbeschlusses ist die Bildung eines einheitlichen
Willens der Aktionäre, der dem Verband im Rahmen der gesetzlichen Voraussetzungen zugerechnet wird. Das Mehrheitsprinzip, das in der Aktiengesellschaft gilt,
erleichtert auf der einen Seite die Beschlussfassung der Aktionäre, führt aber auf der
anderen Seite zu einer Beschränkung des grundsätzlich gleichen Rechts aller Mitglieder, an der Willensbildung der Hauptversammlung mitzuwirken. Der notwendigen Legitimation des Mehrheitsbeschlusses dient ein System gesetzlicher Vorgaben,
die zum einen das Beschlussverfahren regeln, zum anderen inhaltliche Grenzen für
die Beschlüsse aufstellen. Sie schließen entweder einen Beschlussinhalt schlechthin
aus oder binden die Beschlussfassung über einen bestimmten Gegenstand an die
Zustimmung der betroffenen Aktionäre. Ist eine der rechtlichen Voraussetzungen
nicht erfüllt, fehlt dem Mehrheitsbeschluss die Legitimation für eine bindende Wirkung auch gegenüber den widersprechenden Aktionären.
118 Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 207; Bayer, NJW 2000, 2609, 2616; M. Schwab, Das
Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 436; Wiedemann, Gesellschaftsrecht
I, 1980, S. 423.
119 BVerfGE 14, 263, 283 – Feldmühle; BVerfGE 100, 289, 304 – DAT/Altana; vgl. dazu Bayer,
NJW 2000, 2609, 2616 f.; Schön, FS Ulmer, 2003, S. 1359, 1380; Schmidt-Aßmann, FS
Badura, 2004, S. 1009, 1025.
120 M. Schwab, Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 436, 446; näher zur
Ausgestaltung der Beschlussmängelklage unten § 4 II und III, S. 85 ff.
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§ 2 Fehlerhafte Mehrheitsbeschlüsse im Bürgerlichen Recht
Die §§ 241 ff. AktG enthalten leges speciales zu den allgemeinen Vorschriften des
BGB über fehlerhafte Rechtsgeschäfte;121 die §§ 125, 134, 138 BGB finden deswegen auf den Hauptversammlungsbeschluss ungeachtet seiner Einordnung als
Rechtsgeschäft keine Anwendung.122 Ohne diesen Befund in Frage zu stellen, soll
im Folgenden untersucht werden, mit welchen Rechtsfolgen die bürgerlichrechtliche
Rechtsgeschäftslehre auf Beschlussfehler antwortet.123 Dies soll als Grundlage dienen für die Untersuchung des speziellen Regelungsregimes, das der deutsche Gesetzgeber für die Aktiengesellschaft ab 1884 geschaffen hat (Darstellung der Entwicklungsgeschichte in § 3). Mit dieser Vorgehensweise verbindet sich die Hoffnung, einen Anschluss des Aktienrechts an die Dogmatik des Bürgerlichen Rechts
herzustellen, um einerseits die Besonderheiten des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts klarer herausarbeiten zu können und andererseits zu klären, inwieweit es
einen Gleichlauf zwischen den bürgerlichrechtlichen und den aktienrechtlichen
Regelungen gibt.
I. Einführung
Nach einem vielfach anzutreffenden Vorverständnis beschränken die §§ 241 ff.
AktG gegenüber den bürgerlichrechtlichen Regeln die Möglichkeit, Beschlussmängel geltend zu machen.124 Dahinter steht die Vorstellung, § 134 BGB führe zur Nichtigkeit jedes rechtswidrigen Beschlusses.125 Auch das BGB trennt indes zwischen
der Rechtswidrigkeit und der Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäfts; wie in den
meisten anderen Rechtsgebieten sind fehlerhafte Rechtsakte nicht schlechthin nich-
121 Vgl. etwa Baumbach/Hueck, 13. Aufl. 1968, Vor § 241 Rn. 3; MünchKommAktG/Hüffer
§ 241 Rn. 8; Hüffer, ZGR 2001, 833, 838; Schilling in Großkomm. AktG, 3. Aufl. 1973,
§ 241 Anm. 10; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2002, § 15 I 2 a (S. 436);
K. Schmidt/Lutter/Spindler, AktG, § 133 Rn. 2 a.E.; Spindler/Stilz/Willamowski, AktG, 2007,
§ 133 Rn. 2; Spindler/Stilz/Würthwein, AktG, 2007, § 241 Rn. 15; Zöllner in Kölner Komm.
AktG, § 241 Rn. 28.
122 Zur grundsätzlichen Anwendbarkeit der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre auf Beschlüsse
oben § 1 I 2, S. 23.
123 Vgl. mit Blick auf GmbH, Verein und Personengesellschaften vor allem Noack, Fehlerhafte
Beschlüsse, 1989, S. 15 ff.; Casper, ZHR 163 (1999) 54, 66 ff.; Koch, Anfechtungsklageerfordernis, 1997, S. 43 ff.; MünchKommBGB/Reuter § 32 Rn. 57; Prior, Vereinsbeschlüsse,
1972, S. 56; Schmitt, Beschlußmängelrecht, 1997, S. 51 ff.; Schröder, GmbHR 1994, 532,
536 f.; M. Schwab, Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 425 f.; vgl.
auch Lemke, Aufsichtsratsbeschluß, 1994, S. 62 ff.
124 Dies klingt etwa an bei BGHZ 104, 66, 70; Becker, Verwaltungskontrolle, 1997, S. 416;
Habersack, Mitgliedschaft, 1996, S. 227; MünchKommAktG/Hüffer § 241 Rn. 69; Zöllner,
Schranken, 1963, S. 381 f.
125 Vgl. Wiedemann, Gesellschaftsrecht II, 2004, S. 323; Däubler, GmbHR 1968, 4;
MünchKommBGB/Ulmer § 709 Rn. 105.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Im deutschen Aktienrecht führt nicht jeder Rechtsverstoß zur Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses. Regelmäßig soll bei der Verletzung eines Gesetzes oder der Satzung nur die bloße Anfechtbarkeit eintreten. In diesem Fall fehlen dem Beschluss nicht ipso iure die intendierten Rechtswirkungen, vielmehr bedarf es der Geltendmachung durch eine spezielle Klage, die personell und zeitlich eng begrenzt ist.
Trotz der zentralen Stellung dieser Unterscheidung ist die Abgrenzung von Nichtigkeitsmängeln und Anfechtungsmängeln bis heute nicht vollständig geklärt. Im Mittelpunkt des Interesses steht § 241 Nr. 3 AktG, der mit seinem weiten Wortlaut seit seinem Inkrafttreten im AktG 1937 für erhebliche Auslegungsschwierigkeiten sorgt. Ausgehend von der Entstehungsgeschichte und Systematik des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts entwickelt der Band ein besseres Verständnis dieser Vorschrift und ermöglicht dadurch eine klare Abgrenzung von Nichtigkeit und Anfechtbarkeit.
Die Arbeit wurde mit dem Harry Westermann-Preis 2008 ausgezeichnet.