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Finanzverfassung beeinflusst die Hauptversammlung jedoch die Fähigkeit der Aktiengesellschaft, ihre Verbindlichkeiten zu erfüllen. Deswegen können die Entscheidungen der Hauptversammlung spezifische Gläubigerinteressen beeinträchtigen; zu
denken ist etwa an Verstöße gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften, aber auch die
Rechnungslegungsvorschriften.86 Ähnliches gilt für die Arbeitnehmerinteressen. Das
Vertragsverhältnis des einzelnen Arbeitnehmers ist dem Zugriff der Hauptversammlung zwar entzogen. Aufgrund ihrer Zuständigkeit für die Organisationsverfassung
der AG beeinflusst sie aber die mitbestimmungsrechtlichen Einflussmöglichkeiten
der Arbeitnehmer.87 Für die Teilnehmer am Kapitalmarkt haben vor allem Beschlüsse der Hauptversammlung besondere Bedeutung, die die Mitgliedschaft an der Gesellschaft ausgestalten.88 Zu denken ist etwa an die Übertragbarkeit der Aktie und
damit die Verkehrsfähigkeit des am Kapitalmarkt gehandelten Produkts.89
In all diesen Fällen lässt sich jedoch nicht von einem Recht der betroffenen Au-
ßenstehenden auf eine bestimmte Beschlussfassung der Hauptversammlung sprechen. Vielmehr liegt es allein in der Hand der Aktionäre, im Rahmen des rechtlich
Zulässigen über das Ob und den Inhalt des Beschlusses zu entscheiden. Mit anderen
Worten sind die berührten Drittinteressen für die Hauptversammlung nur relevant,
soweit der Gesetzgeber zwingende Vorschriften erlassen hat, die die inhaltliche
Gestaltungsfreiheit bei der Beschlussfassung begrenzen.90
IV. Mehrheitsprinzip
1. Begründung
Die Hauptversammlung fällt ihre Entscheidungen nach § 133 Abs. 1 AktG grundsätzlich durch Mehrheitsbeschluss.91 Angesprochen ist damit die Entscheidungsre-
86 Vgl. Kübler, Verrechtlichung, 1985, S. 167, 177, 183, 218; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I,
1980, S. 554 ff., 574 ff.
87 Siehe beispielsweise die Satzungsbestimmungen in BGHZ 83, 106, 108; BGHZ 83, 151, 152;
BGHZ 89, 48, 49; eingehend noch unten in § 9, S. 181 ff.
88 Zum Zusammenspiel von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht allgemein K. Schmidt,
Gesellschaftsrecht, 2002, § 1 II 3 a (S. 13 f.); Lutter, FS Zöllner, 1998, S. 363 ff.; Seibt, VGR
Bd. 3, 2001, S. 37 ff.; Mülbert, Aktiengesellschaft, 1995.
89 Vgl. zu einer Satzungsklausel, die zur Einschränkung der Übertragbarkeit der Aktien führt,
BGHZ 160, 253, 256 ff., dazu Bayer/Lieder, LMK 2004, 224; Kammel, WuB II A § 67 AktG
1.05; Noack, EWiR 2005, 49; Stupp, NZG 2005, 205. Zur satzungsmäßige Begründung von
Mehrstimmrechten entgegen § 12 Abs. 2 AktG Hüffer, AktG, § 12 Rn. 10.
90 Vgl. M. Schwab, Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 291, 433 f.
91 Zwar erlauben die §§ 133 Abs. 1, 2. HS, 179 Abs. 2, Satz 2 und 3 AktG dem Satzungsgeber
eine Erhöhung des Mehrheitserfordernisses; die satzungsmäßige Festschreibung des
Einstimmigkeitsprinzips, das von der Regelungsermächtigung grundsätzlich gedeckt wäre,
dürfte in der typischen Publikumsaktiengesellschaft jedoch unzulässig sein, sofern sie eine
Beschlussfassung faktisch unmöglich macht, vgl. Hüffer, AktG, § 179 Rn. 20.
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gel, nach der sich bestimmt, ob ein Antrag angenommen oder abgelehnt wurde.92
Nur bei Geltung des Zustimmungsprinzips ist das positive Votum aller Mitglieder
des Beschlussorgans erforderlich. Davon lässt sich das Einstimmigkeitsprinzip unterscheiden, bei dem alle Teilnehmer an der Beschlussfassung mit Ja stimmen müssen. Anders als beim Zustimmungsprinzip ist es aber unschädlich, wenn sich Mitglieder enthalten oder der Abstimmung ganz fernbleiben. Findet dagegen das Mehrheitsprinzip Anwendung, gilt der Antrag schon dann als angenommen, wenn eine
einfache oder qualifizierte Mehrheit dafür gestimmt hat; mit anderen Worten verhindert nicht einmal der ausdrückliche Widerspruch einer Minderheit die Wirksamkeit des Beschlusses. Mit der Entscheidung für das Mehrheitsprinzip verbessert der
Gesetzgeber die Handlungsfähigkeit des Organs, denn die Abstimmungsregel erleichtert die positive Beschlussfassung. Andernfalls müsste der Beschlussinhalt bis
zur Zufriedenheit jedes einzelnen Stimmberechtigten ausgehandelt werden. In einer
Publikumsgesellschaft dürfte der Mehrheitsbeschluss sogar notwendig sein, um die
Funktionsfähigkeit des Mitgliederorgans zu erhalten.93 Hierin liegt die rechtspolitische Begründung des Mehrheitsprinzips.
2. Legitimationsbedarf
Das Mehrheitsprinzip führt jedoch dazu, dass der abweichende Wille der Minderheitsaktionäre bei der Bildung des Gesellschaftswillens unberücksichtigt bleibt. Es
steht damit im Widerspruch zur Gleichheit des Stimmrechts aller Aktionäre.94 Denn
grundsätzlich haben alle Aktionäre das gleiche Recht, sich an der kollektiven Willensbildung zu beteiligen, das heißt, durch ihre Stimmabgabe auf die Beschlussfassung auch im Ergebnis Einfluss zu nehmen.95 Das bedeutet zugleich, dass – anders
als beim Abschluss eines Vertrages – nicht die Interessen aller Mitglieder durch ein
allseitiges Zustimmungserfordernis geschützt sind.96 Unter Geltung des Mehrheitsprinzips fehlt die „Richtigkeitsgewähr“, die man dem Konsensprinzip des Vertragsrechts zuschreibt.97 Dies ist besonders problematisch, wenn die Stimmenmehrheit in
92 Zum Folgenden Baltzer, Beschluß, 1965, S. 156 ff.
93 Vgl. Baltzer, Beschluß, 1965, S. 215; Göbel, Mehrheitsentscheidungen, 1992, S. 25, 136;
Heinrichs, Mehrheitsbeschlüsse, 2006, S. 44 ff.; Kreß, Beschlußkontrolle, 1996, S. 1;
K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2002, § 16 I 2 b (S. 451 f.); M. Schwab, Das Prozeßrecht
gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 346, 436, 459 f.
94 Dazu vor allem Baltzer, Beschluß, 1965, S. 38, 214, 216.
95 Vgl. zum Stimmrecht Zöllner, Schranken, 1963, S. 11 f.; Bachmann (Private Ordnung, 2006,
S. 173) spricht von dem „Ideal der freien Zustimmung des potentiellen Adressaten als
Voraussetzung der Geltung einer Regel“.
96 Die Mehrheitsregel reduziert die „Entscheidungsfindungskosten“, erzeugt aber „externe
Kosten“ zulasten der übergangenen Minderheit, dazu Bachmann, Private Ordnung, 2006,
S. 198 f., m. Nachweisen.
97 MünchKommAktG/Hüffer § 243 Rn. 48; Kreß, Beschlußkontrolle, 1996, S. 126; M. Schwab,
Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 268; Wiedemann,
Gesellschaftsrecht I, 1980, S. 406; grundlegend zur Theorie der Richtigkeitsgewähr Schmidt-
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den Händen einer stabilen Mehrheitsgruppe liegt.98 Deswegen besteht heute Einigkeit, dass eine wesentliche Aufgabe des Gesellschaftsrechts darin besteht, für den
Schutz der Minderheit und damit die notwendige Legitimation des Mehrheitsbeschlusses zu sorgen.99
Zur wertungsmäßigen Begründung der Bindung auch der überstimmten Minderheit an die Beschlussfassung lässt sich zunächst auf die Freiwilligkeit des Beitritts
und damit die freiwillige Unterwerfung unter das Mehrheitsprinzip verweisen.100
Diese Argumentation trägt indes nur, soweit der Beschluss von Gesetz und Satzung
gedeckt ist; denn nur auf dieser Grundlage hat sich das Mitglied der Mehrheitsentscheidung unterstellt. Daraus folgt das wichtige Ergebnis, dass jedem rechtswidrigen Beschluss die Legitimation für eine Bindungswirkung auch gegenüber den überstimmten Mitgliedern fehlt.101 Durchmustert man vor diesem Hintergrund die aktienrechtlichen Regelungen, die Relevanz für die Beschlussfassung der Hauptversammlung haben, lassen sich vier Gruppen unterscheiden.
(1) Für zahlreiche Beschlussgegenstände gibt es starre gesetzliche Vorgaben. Es
handelt sich dabei um zwingende Vorschriften, die zur Unzulässigkeit bestimmter
Beschlussinhalte führen. Entweder schreibt das Gesetz eine bestimmte Regelung,
etwa die Mindesthöhe des Grundkapitals in § 7 AktG, positiv vor, oder eine bestimmte Angelegenheit wird schlechthin der Zuständigkeit der Hauptversammlung
entzogen und einem anderen Organ übertragen.102
(2) Einzelne grundsätzlich zulässige Maßnahmen bindet das Gesetz an die besondere Zustimmung der betroffenen Aktionäre. Zwei Varianten sind dabei zu unterscheiden. Nach dem allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsatz, der in § 35
BGB zum Ausdruck kommt, bedürfen Eingriffe in besondere Mitgliedschaftsrechte
der Zustimmung aller Gesellschafter, deren Rechte berührt werden.103 Das Mehrheitsprinzip gilt zwar weiter; bestimmten Aktionären eröffnet das Gesetz aber die
Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 149 ff.; ders., FS L. Raiser, 1974, S. 3 ff.; dazu F. Hey, Freie
Gestaltung, 2004, S. 52 ff.
98 MünchKommAktG/Hüffer § 243 Rn. 48; Kreß, Beschlußkontrolle, 1996, S. 126; Roitzsch,
Minderheitenschutz, 1981, S. 171; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, S. 406.
99 Vgl. Baltzer, Beschluß, 1965, S. 91 ff.; 186 ff.; MünchKommAktG/Hüffer § 243 Rn. 47 f.;
K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2002, § 16 III 1 a (S. 467); Rock/Kanda/Kraakman, The
Anatomy of Corporate Law, 2004, S. 147 ff. Bachmann (Private Ordnung, 2006, S. 179, 193
ff. und passim) erblickt in der Zustimmung und dem Gemeinwohl zwei komplementäre
Legitimationselemente: Soweit eine Regelung nicht durch die Zustimmung eines Adressaten
gedeckt ist, bedarf sie einer zusätzlichen Legitimation durch das Gemeinwohl, d.h. im Fall
des Verbandsrechts: Sie muss dem Gruppenwohl der Verbandsbeteiligten dienen; näher zum
Verbandsrecht Bachmann, ebenda, S. 206 ff.
100 Vgl. Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 174 („mittelbare Zustimmung nach Vorbild der
Vollmacht“); Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, S. 357; Kreß, Beschlußkontrolle, 1996,
S. 6, auch zu den Grenzen dieser Argumentation.
101 Bayer, NJW 2000, 2609, 2616 f.
102 Dazu Zöllner, Schranken, 1963, S. 101 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2002, § 16 II 4 a
(S. 461 f.); F. Hey, Freie Gestaltung, 2004, S. 110 ff.
103 Berg, Schwebend unwirksame Beschlüsse, 1994, S. 111 ff.; Zöllner, Schranken, 1963, S. 109
ff.
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Möglichkeit, eine Beschlussfassung der Hauptversammlung zu blockieren.104 In
Fällen, in denen typischerweise eine größere Gruppe von Aktionären betroffen ist,
ersetzt das AktG die individuelle Zustimmung durch einen Sonderbeschluss dieser
Mitglieder, für den wiederum das Mehrheitsprinzip gilt.105 Der Sonderbeschluss ist
ein Verfahren, um den Minderheitenschutz durch besondere Zustimmungsrechte mit
der Handlungsfähigkeit des Verbandes in Ausgleich zu bringen.106
(3) Zur Legitimation des Mehrheitsprinzips tragen sodann die Vorschriften über
das Beschlussverfahren bei.107 Sie dienen nicht nur dazu, den Entscheidungsvorgang
einer Vielzahl von Personen effizient zu organisieren. Vielmehr haben sie zugleich
eine materielle Funktion. Sie sichern die gleiche Chance eines jeden Mitglieds, im
Rahmen der Hauptversammlung auf die Willensbildung Einfluss zu nehmen.108
Zugleich sollen Verfahrensvorschriften die Entscheidungsfindung verbessern und
somit einen Beitrag zur Qualität des Beschlussergebnisses leisten.109
(4) Als vierte Gruppe sind schließlich die inhaltlichen Schranken der Mehrheitsmacht zu nennen, die eine materielle Beschlusskontrolle ermöglichen.110 Nicht nur
im deutschen Aktienrecht hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass auch in den Grenzen des zwingenden Rechts und bei Einhaltung aller Verfahrensregeln nicht jede
Mehrheitsentscheidung zulässig sein kann.111 Zum Schutz der Minderheit bedürfen
104 Wann derartige Zustimmungsrechte bestehen, wurde anhand des Begriffs der Sonderrechte
lange diskutiert; dies kann hier nicht nachgezeichnet werden. Vgl. außer den Nachw. in der
vorherigen Fn. noch MünchKommBGB/Reuter § 35 Rn. 1 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht,
2002, § 19 III 3 c bb (S. 558 ff.); M. Schwab, Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner
Streitigkeiten, 2005, S. 353 f.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, S. 358 ff.
105 Überblick zum Anwendungsbereich bei G. Bezzenberger in Großkomm. AktG, § 138 Rn. 9
ff.; Hüffer, AktG, § 138 Rn. 2; zum Mehrheitserfordernis G. Bezzenberger in Großkomm.
AktG, § 138 Rn. 29. Für eine Ausdehnung des Mehrheitsprinzips auf Zustimmungen zu
Ungleichbehandlungen T. Bezzenberger, Eigene Aktien, 2002, Rn. 144; Verse,
Gleichbehandlungsgrundsatz, 2006, S. 327 f.
106 Vgl. G. Bezzenberger in Großkomm. AktG, § 138 Rn. 6; MünchKommAktG/Vollhard § 138
Rn. 2; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, 2006, S. 325 f.; zur historischen Entwicklung
Altmeppen, NZG 2005, 771, 772 f.
107 Baltzer, Beschluß, 1965, S. 216 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2002, § 15 I 3 a (S. 438),
§ 16 III 2 (S. 468 f.); Schnorr, Teilfehlerhafte Gesellschaftsbeschlüsse, 1997, S. 108.
108 Zweifelnd an der „legitimatorischen Kraft“ von Teilhaberechten, die, wie im Fall des
Mehrheitsprinzips, nicht in echten Mitbestimmungsrechten bestehen, Bachmann, Private
Ordnung, 2006, S. 193, der darauf verweist, dass das Beschlussverfahren allein die
Ausbeutung der Minderheit nicht verhindere; dazu sogleich.
109 Vgl. Baltzer, Beschluß, 1965, S. 51 in Fn. 8, 218.
110 Allgemein dazu Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 328 („Inhaltskontrolle als
Strukturprinzip“); Kreß, Beschlußkontrolle, 1996.
111 Rechtsvergleichender Überblick bei Kreß, Beschlußkontrolle, 1996, S. 125 ff. Grundlegend
BGHZ 71, 40 – „Kali und Salz“; anders noch RGZ 68, 235, 245 f. – Hibernia: „Im Übrigen
sind die in Angelegenheiten der Gesellschaft mit der erforderlichen Stimmenzahl gefaßten
Beschlüsse der Mehrheit für die Minderheit auch dann maßgebend, wenn sie dieser als
verkehrt, wirtschaftlich nachteilig und die Bestrebungen der Minderheit schädigend
erscheinen. Dies ist eine unabwendbare Folge des im Gesetz zur Anerkennung gelangten
Grundsatzes, daß die Mehrheit des Aktienbesitzes über die Verwaltung der Gesellschaft und
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auch Beschlüsse einer Begrenzung, die über an sich erlaubte Beschlussgegenstände
gefasst werden.112 Grundlage sind die mitgliedschaftlichen Treupflichten der Aktionäre zur Gesellschaft und in ihrem Verhältnis untereinander.113 Als besondere Ausprägung der Treupflicht ist das gesellschaftsrechtliche Gleichbehandlungsgebot
aufzufassen, das in § 53a AktG verankert ist:114 Dahinter steht der Gedanke, dass
aufgrund des Interessengleichlaufs der Gesellschafter eine Entscheidung, die im
Interesse der Mehrheit liegt, grundsätzlich auch für die Minderheit akzeptabel sein
dürfte. Wirkt sich eine Maßnahme aber unterschiedlich auf die Aktionäre aus, besteht Anlass, der Mehrheit zu misstrauen und den Beschluss einer besonderen Kontrolle zu unterziehen.115
Vergleicht man die Normgruppen, ist hervorzuheben, dass sie die Entscheidungsmöglichkeiten der Hauptversammlung in ganz unterschiedlicher Weise beschränken. Die starren Vorgaben schließen bestimmte Beschlussinhalte schlechthin
aus. Dagegen formulieren die Verfahrensvorschriften lediglich besondere Voraussetzungen, an die sich die Beteiligten zu halten haben, belassen den Beschlussinhalt
aber im Belieben der Hauptversammlung. Die inhaltlichen Schranken stehen einem
angestrebten Gestaltungsziel jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die betroffenen
Aktionäre der Entscheidung zustimmen. Insoweit sind sie den besonderen Zustimmungsrechten strukturell vergleichbar.116 Im Unterschied zur ersten Gruppe handelt
es sich mit anderen Worten um überwindbare Hürden.
Formelle und materielle Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Beschlüsse
allein gewährleisten indes keinen ausreichenden Minderheitenschutz. Vielmehr ist
anerkannt, dass den überstimmten Minderheitsaktionären Rechtsinstrumente an die
Hand gegeben werden müssen, um eine gerichtliche Kontrolle initiieren zu können.117 Die erläuterten Regelungen entfalten ihre Schutzfunktion deswegen erst in
darüber entscheidet, was im Interesse der Gesellschaft und ihrer Aktionäre zu tun und zu
lassen ist. Mit dieser Tatsache muß sich jeder abgefunden haben, der Aktien erwirbt.“
112 Vgl. MünchKommAktG/Hüffer § 243 Rn. 48; Kreß, Beschlußkontrolle, 1996, S. 6 f. und 11
ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2002, § 16 II 4 (S. 460 f.); Timm, ZGR 1987, 403 ff.;
M. Winter, Treuebindungen, 1988, S. 16 ff.; Spindler/Stilz/Würthwein, AktG, 2007, § 243
Rn. 151; Zöllner, Schranken, 1963, S. 287; zur Personengesellschaft MünchKommBGB/
Ulmer § 709 Rn. 100.
113 Dazu MünchKommAktG/Bungeroth Vor § 53a Rn. 17 ff.; Spindler/Stilz/Cahn/Senger, AktG,
2007, § 53a Rn. 36 ff.; Hüffer, AktG, § 53a Rn. 13 ff.; Timm, WM 1991, 481 ff.
114 Zum Verhältnis von Treupflicht und Gleichbehandlungsgrundsatz in diesem Sinne
Henze/Notz in Großkomm. AktG, § 53a Rn. 7 f.; Hüffer, AktG, § 53a Rn. 2;
Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 45 Rn. 106; eingehend Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz,
2006, S. 87 ff.; die Unterschiede betonen demgegenüber etwa L. Raiser, ZHR 111 (1946), 75,
83 f.; Ulmer/T. Raiser, GmbHG, § 14 Rn. 104, ohne allerdings von der Funktion auch des
Gleichbehandlungsgrundsatzes für den Minderheitenschutz abzurücken.
115 Vgl. Fastrich, Funktionales Rechtsdenken am Beispiel des Gesellschaftsrechts, 2001, S. 20
ff, Roitzsch, Minderheitenschutz, 1981, S. 177; Verse, Gleichbehandlungsgrundsatz, 2006,
S. 56 ff., 79, 326.
116 Zu Unterschieden auf Rechtsfolgenseite aber unten § 6 IV 2, S. 128 ff.
117 Vgl. Baums, Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. F 17 f., 40; eingehend noch unten § 4 I, S. 82
ff.
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Kombination mit den speziellen Klagemöglichkeiten gegen rechtswidrige Hauptversammlungsbeschlüsse. Die effektive gerichtliche Beschlusskontrolle ist eine wesentliche Voraussetzung für die Legitimation des Mehrheitsprinzips;118 sie ist nach der
Rechtsprechung des BVerfG deswegen auch verfassungsrechtlich geboten, um das
Eigentumsrecht der Aktionäre abzusichern.119 Die nähere Ausgestaltung muss jedoch der Funktion des Mehrheitsprinzips gerecht werden, die Entscheidungsfindung
im Verband zu erleichtern. Dieser Gewinn an Handlungsfähigkeit darf nicht durch
das Kontrollverfahren neutralisiert werden.120
V. Zusammenfassung
Funktion des Hauptversammlungsbeschlusses ist die Bildung eines einheitlichen
Willens der Aktionäre, der dem Verband im Rahmen der gesetzlichen Voraussetzungen zugerechnet wird. Das Mehrheitsprinzip, das in der Aktiengesellschaft gilt,
erleichtert auf der einen Seite die Beschlussfassung der Aktionäre, führt aber auf der
anderen Seite zu einer Beschränkung des grundsätzlich gleichen Rechts aller Mitglieder, an der Willensbildung der Hauptversammlung mitzuwirken. Der notwendigen Legitimation des Mehrheitsbeschlusses dient ein System gesetzlicher Vorgaben,
die zum einen das Beschlussverfahren regeln, zum anderen inhaltliche Grenzen für
die Beschlüsse aufstellen. Sie schließen entweder einen Beschlussinhalt schlechthin
aus oder binden die Beschlussfassung über einen bestimmten Gegenstand an die
Zustimmung der betroffenen Aktionäre. Ist eine der rechtlichen Voraussetzungen
nicht erfüllt, fehlt dem Mehrheitsbeschluss die Legitimation für eine bindende Wirkung auch gegenüber den widersprechenden Aktionären.
118 Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 207; Bayer, NJW 2000, 2609, 2616; M. Schwab, Das
Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 436; Wiedemann, Gesellschaftsrecht
I, 1980, S. 423.
119 BVerfGE 14, 263, 283 – Feldmühle; BVerfGE 100, 289, 304 – DAT/Altana; vgl. dazu Bayer,
NJW 2000, 2609, 2616 f.; Schön, FS Ulmer, 2003, S. 1359, 1380; Schmidt-Aßmann, FS
Badura, 2004, S. 1009, 1025.
120 M. Schwab, Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 436, 446; näher zur
Ausgestaltung der Beschlussmängelklage unten § 4 II und III, S. 85 ff.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Im deutschen Aktienrecht führt nicht jeder Rechtsverstoß zur Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses. Regelmäßig soll bei der Verletzung eines Gesetzes oder der Satzung nur die bloße Anfechtbarkeit eintreten. In diesem Fall fehlen dem Beschluss nicht ipso iure die intendierten Rechtswirkungen, vielmehr bedarf es der Geltendmachung durch eine spezielle Klage, die personell und zeitlich eng begrenzt ist.
Trotz der zentralen Stellung dieser Unterscheidung ist die Abgrenzung von Nichtigkeitsmängeln und Anfechtungsmängeln bis heute nicht vollständig geklärt. Im Mittelpunkt des Interesses steht § 241 Nr. 3 AktG, der mit seinem weiten Wortlaut seit seinem Inkrafttreten im AktG 1937 für erhebliche Auslegungsschwierigkeiten sorgt. Ausgehend von der Entstehungsgeschichte und Systematik des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts entwickelt der Band ein besseres Verständnis dieser Vorschrift und ermöglicht dadurch eine klare Abgrenzung von Nichtigkeit und Anfechtbarkeit.
Die Arbeit wurde mit dem Harry Westermann-Preis 2008 ausgezeichnet.