Schriften zum Gesellschafts-,
Bank- und Kapitalmarktrecht
Herausgegeben von
Prof. Dr. Gregor Bachmann, Universität Trier
Prof. Dr. Matthias Casper, Universität Münster
Prof. Dr. Carsten Schäfer, Universität Mannheim
Prof. Dr. Rüdiger Veil, Bucerius Law School Hamburg
Band 10
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Friedemann Eberspächer
Nichtigkeit von
Hauptversammlungsbeschlüssen
nach § 241 Nr. 3 AktG
Nomos
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D6
1. Auflage 2009
© Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2009. Printed in Germany. Alle Rechte,
auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der
Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in
der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.
Zugl.: Münster, Univ., Diss., 2008
ISBN 978-3-8329-4178-9
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Vorwort
Im deutschen Aktienrecht führt nicht jeder Rechtsverstoß zur Nichtigkeit eines
Hauptversammlungsbeschlusses. Regelmäßig soll bei Verletzung eines Gesetzes
oder der Satzung nach § 243 Abs. 1 AktG nur die bloße Anfechtbarkeit eintreten. In
diesem Fall fehlen dem Beschluss nicht ipso iure die intendierten Rechtswirkungen,
vielmehr bedarf es der Geltendmachung durch eine spezielle Klage, die personell
und zeitlich eng begrenzt ist. Trotz der zentralen Stellung dieser Unterscheidung ist
die Abgrenzung von Nichtigkeitsmängeln und Anfechtungsmängeln bis heute nicht
vollständig geklärt. Im Mittelpunkt des Interesses steht § 241 Nr. 3 AktG, der mit
seinem weiten Wortlaut seit seinem Inkrafttreten im AktG 1937 für erhebliche Auslegungsschwierigkeiten sorgt.
Wie die Analyse der Entstehungsgeschichte und Systematik des aktienrechtlichen
Beschlussmängelrechts zeigen wird, lassen sich Nichtigkeit und Anfechtbarkeit als
Antworten auf zwei unterschiedliche Problemstellungen beschreiben. § 241 Nr. 3
AktG stellt nach diesem Verständnis einen Einheitstatbestand dar, der Beschlüsse
erfassen soll, deren Inhalt die Hauptversammlung auch bei allseitiger Zustimmung
und Beachtung aller Verfahrensvorschriften nicht in Geltung setzen könnte. Der
Beschlussinhalt ist in diesen Fällen schlechthin unzulässig, die Hauptversammlung
hat ihre Rechtsmacht überschritten. Dagegen betrifft die Anfechtbarkeit die verbandsinterne Problematik, dass der Beschluss nicht in ausreichendem Maße von der
Zustimmung der Aktionäre gedeckt ist und deswegen das Recht der Mitglieder zur
Teilhabe an der Willensbildung der Gesellschaft verletzt. Die Aktionäre müssen ihre
Rechte durch Erhebung der fristgebundenen Anfechtungsklage durchsetzen, wenn
sie dieses Legitimationsdefizit des Beschlusses geltend machen wollen.
Das sind die Grundgedanken der vorliegenden Untersuchung, die es im Folgenden zu entwickeln und an ausgewählten Fallgestaltungen zu überprüfen gilt.
Der Text hat im Wintersemester 2007/2008 der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation vorgelegen und
wurde mit dem Harry-Westermann-Preis 2008 ausgezeichnet. Rechtsprechung und
Literatur konnten bis Ende März 2008 berücksichtigt werden.
Die Arbeit wäre ohne die Unterstützung von vielen Seiten nicht möglich gewesen. Mein verehrter Lehrer Prof. Dr. Matthias Casper hat das Thema angeregt und
den Fortgang der Arbeit bis zum Abschluss des Promotionsverfahrens stets gefördert. Ihm sei für seine ständige Gesprächsbereitschaft, die wichtigen wissenschaftlichen Impulse und die bereichernde Zeit an seinem Lehrstuhl in Münster sehr herzlich gedankt. Herrn Prof. Dr. Ingo Saenger danke ich für die rasche Erstellung des
Zweitgutachtens. Für intensive Diskussionen während der Fertigstellung der Schrift
danke ich namentlich Olga Arnst, Friederike Boettcher, Hannes Bracht, Isabelle
Ley, Prof. Dr. Christoph Möllers, Prof. Dr. Rüdiger Veil, Ricardo Wintzer und Judy
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Witten. Schließlich danke ich den Herausgebern der „Schriften zum Gesellschafts-,
Bank- und Kapitalmarktrecht“ für die Aufnahme in diese Schriftenreihe.
Mein ganz besonderer Dank gilt meinen Eltern, die mich in dieser Zeit auf
vielfältige Weise gefördert haben. Gewidmet ist die Arbeit meinen Heidelberger
Studienfreunden.
Berlin, 1. April 2008 Friedemann Eberspächer
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Inhaltsverzeichnis
Einleitung 13
I. Die Nichtigkeit im System des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts 13
1. Rechtswidrigkeit und Unwirksamkeit 13
2. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit im Aktienrecht 16
II. Untersuchungsgegenstand und Themenbegrenzung 18
III. Gang der Darstellung 20
Teil 1: Grundlegung 22
§ 1 Der Hauptversammlungsbeschluss als Gegenstand des
Beschlussmängelrechts 22
I. Rechtsgeschäftscharakter des Hauptversammlungsbeschlusses 22
1. Grundsatz der Gestaltungsfreiheit 23
2. Anwendbarkeit der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre 23
3. Auslegung von Hauptversammlungsbeschlüssen 24
II. Tatbestand des Beschlusses 25
III. Wirkung des Hauptversammlungsbeschlusses 26
1. Zurechnung zur Gesellschaft 26
2. Verbandsinterne Bindungswirkung 27
3. Außenwirkung des Hauptversammlungsbeschlusses 28
IV. Mehrheitsprinzip 29
1. Begründung 29
2. Legitimationsbedarf 30
V. Zusammenfassung 34
§ 2 Fehlerhafte Mehrheitsbeschlüsse im Bürgerlichen Recht 35
I. Einführung 35
II. § 125 BGB 36
III. § 134 BGB und Grenzen rechtsgeschäftlicher Gestaltungsmacht 37
1. Bürgerlichrechtliche Dogmatik 37
2. Übertragung auf verbandsrechtliche Mehrheitsbeschlüsse 39
IV. § 138 Abs. 1 BGB 40
V. Befund 42
§ 3 Historische Entwicklung des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts 43
I. Gesellschafterbeschlüsse im Octroi- und Konzessionssystem 43
1. Staatliche Mitwirkung an der Gesellschaftsgründung 43
2. Funktionen der staatlichen Mitwirkung 46
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3. Gesellschafterbeschlüsse 47
a) Behördliche Aufsichtsbefugnisse 47
b) Vorschriften über das Beschlussverfahren 51
c) Bindungswirkung von Mehrheitsbeschlüssen 51
d) Schiedsklauseln 52
4. Befund 53
II. Entwicklung des Anfechtungsrechts 53
1. Das Anfechtungsrecht als Instrument zur Selbstkontrolle der
Gesellschaft 54
a) Das Normativsystem in der Novelle von 1870 54
b) Eigenkontrolle statt Staatskontrolle als Grundkonzept der
Novelle von 1884 57
c) Aktivierung der Aktionäre zur Rechtskontrolle der
Generalversammlungsbeschlüsse 58
2. Die fehlende Bindungswirkung von Mehrheitsbeschlüssen als
Grundgedanke des Anfechtungsrechts 59
3. Beschränkungen des Anfechtungsrechts 61
4. Befund 62
III. Entwicklung der aktienrechtlichen Nichtigkeit 63
1. Nichtigkeit als Unwirksamkeitskategorie neben der Anfechtbarkeit 64
a) Rechtsprechung unter dem ADHGB 1884 64
b) Begründung zum HGB 1897 65
c) Diskussion im Vorfeld des AktG 1937 66
d) Anerkennung der Nichtigkeit in § 195 AktG 1937 67
2. Klageweise Geltendmachung der Nichtigkeit 67
a) Gerichtliche Geltendmachung unter dem ADHGB 1884 und
dem HGB 1897 67
b) Die Nichtigkeitsklage im AktG 1937 68
3. Abgrenzung von Nichtigkeit und bloßer Anfechtbarkeit 69
a) Zur Tatbestandsstruktur von § 195 AktG 1937 70
b) Die Rechtsprechung des Reichsgerichts bis 1937 71
aa) Zur Argumentationsstruktur der Entscheidungen 71
bb) Öffentliches Interesse und Gläubigerschutz 72
cc) Wesen der Aktiengesellschaft 74
dd) Verstöße gegen zwingende Rechtssätze, Unzuständigkeit
der Generalversammlung 74
ee) Zusammenfassende Analyse der Rechtsprechung 75
c) Formulierungsvorschläge in der Reformdiskussion bis 1937 76
d) Schlussfolgerungen für die Auslegung von § 195 Nr. 3 AktG 77
4. Zeitliche Begrenzung der Geltendmachung von Nichtigkeitsmängeln 79
IV. Zusammenfassung 80
§ 4 Gerichtliche Geltendmachung von Anfechtungs- und Nichtigkeitsmängeln 82
I. Funktion der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage 82
II. Gemeinsamkeiten von Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage 85
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1. Personelle Beschränkung der Beschlussmängelklage 85
2. Beklagtenrolle der Gesellschaft 88
3. Urteilswirkung, Streitgegenstand, Klageart 88
III. Beschränkungen der Anfechtungsklage 92
1. Rechtssicherheit als Ausgleich zwischen Gesellschafts- und
Gesellschafterinteresse 92
2. Anfechtungsklageerfordernis 94
3. Anfechtungsfrist 96
4. Präsenz- und Widerspruchserfordernis 98
IV. Ergebnis 101
Teil 2: Die Auslegung von § 241 Nr. 3 AktG 103
§ 5 Zur bisherigen Diskussion 103
I. Überblick 103
II. Drei Dimensionen der Rechtssicherheit 105
III. Verletzung zwingender Vorschriften 106
1. Begriff der Vorschriften 106
2. Zwingende Vorschriften 107
IV. Beschränkung auf grundlegende Vorschriften 108
V. Evidenz des Rechtsverstoßes 109
VI. Interessen nicht anfechtungsberechtigter Personen als öffentliche
Interessen 110
1. Begriff der öffentlichen Interessen 110
2. Schutz der Gläubiger und Arbeitnehmer 111
3. Schutz künftiger Aktionäre 112
VII. Eingriffe in die Mitgliedschaft 113
VIII. Unverzichtbarkeit der Rechtsposition 113
§ 6 Stellungnahme zur Auslegung von § 241 Nr. 3 AktG 115
I. Zur Aussagekraft des Wortlauts der Vorschrift 115
1. Das Wesen der Aktiengesellschaft 115
2. Das öffentliche Interesse 116
II. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit im Vergleich 117
1. Rechtswidrigkeit und Unwirksamkeit von
Hauptversammlungsbeschlüssen 117
2. Beschränkungen der Anfechtbarkeit gegenüber der Nichtigkeit 119
a) Subjektivrechtlicher Charakter des Anfechtungsrechts 119
b) Beschränkung des Anfechtungsrechts als Ausdruck der
Treuebindung 121
c) Beschlusswirksamkeit bei Nichtanfechtung 122
III. Zusammenfassung: Nichtigkeit nach § 241 Nr. 3 AktG 123
IV. Zur Abgrenzung: Anfechtbarkeit und schwebende Unwirksamkeit 126
1. Verfahrensvorschriften, Zustimmungsrechte, Inhaltsschranken 127
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2. Anfechtbarkeit und schwebende Unwirksamkeit 128
3. Anfechtbarkeit einstimmiger Beschlüsse? 130
V. Ergebnis 132
§ 7 Einzelfragen zu Tatbestand und Rechtsfolge von § 241 Nr. 3 AktG 133
I. „Ein Beschluss der Hauptversammlung…“ 133
II. „…durch seinen Inhalt…“ 135
III. „…Vorschriften…“ 140
IV. Maßgeblicher Zeitpunkt 141
V. Bestandsschutz nichtiger Beschlüsse 142
1. Der Heilungstatbestand in § 242 Abs. 2 AktG 143
2. Die Klagefrist in § 14 Abs. 1 UmwG 144
3. Die aktien- und umwandlungsrechtlichen Freigabeverfahren 146
4. Die fehlerhafte Strukturänderung 153
a) Beschlüsse ohne Wirkung im Außenverhältnis 153
b) Beschlüsse mit Wirkung im Außenverhältnis 154
c) Verschmelzung, Spaltung und Formwechsel 154
d) Sonstige Strukturmaßnahmen 156
Teil 3: Einzelfälle der Nichtigkeit nach § 241 Nr. 3 AktG 159
§ 8 Nachträgliche Einführung unzulässiger Satzungsregelungen 159
I. Regelungsgehalt von § 23 Abs. 5 AktG 159
II. Grundpositionen im Schrifttum 161
1. § 23 Abs. 5 als eigenständiger Nichtigkeitsgrund 161
2. Gleichlauf von § 23 Abs. 5 AktG und § 241 Nr. 3 AktG 162
3. Differenzierung nach dem materiellen Maßstab
des § 241 Nr. 3 AktG 163
III. Stellungnahme: Nichtigkeit des schlechthin unzulässigen
Beschlussinhalts 165
IV. Überprüfung anhand der Funktionen der Satzungsstrenge 165
1. Zweck der aktienrechtlichen Satzungsstrenge 166
a) Schutzfunktion des zwingenden Aktienrechts 166
b) Standardisierungsfunktion 169
c) Informationsfunktion 171
aa) Überschießende Wirkung von § 23 Abs. 5 AktG 171
bb) Formale und materielle Realisierbarkeit
von Rechtsnormen 173
cc) § 23 Abs. 5 AktG als formal realisierbare
Abgrenzungsregel 174
2. Umsetzung auf Rechtsfolgenseite 176
a) Umsetzung der Schutzfunktion des zwingenden Aktienrechts 177
b) Umsetzung der Standardisierungsfunktion 177
c) Umsetzung der Informationsfunktion 178
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V. Ergebnis 179
§ 9 Verstöße gegen mitbestimmungsrechtliche Regelungen 181
I. Diskussionsstand 182
II. Stellungnahme 184
1. Zulässigkeit von Satzungsbestimmungen gegenüber
dem Aufsichtsrat 184
a) §§ 27 bis 29, 31, 32 MitbestG 185
b) Ungeschriebene Gestaltungsgrenzen 187
2. Nichtigkeit schlechthin unzulässiger Beschlussinhalte 189
III. Ergebnis 192
§ 10 Ausgewählte Inhaltsmängel 193
I. Satzungsänderung, Satzungsverletzung, Satzungsdurchbrechung 193
II. Kompetenzüberschreitende Hauptversammlungsbeschlüsse 196
1. Verstöße gegen die verbandsinterne Zuständigkeitsordnung 196
2. Eingriffe in Rechte Dritter 199
III. Unzulässige Ermächtigungsbeschlüsse 200
IV. Gleichbehandlungsgrundsatz, Treupflicht 205
1. Einzelverstöße 205
2. Generelle Abbedingung 209
V. Das Beteiligungserfordernis bei Squeeze out- und
Eingliederungsbeschlüssen 210
1. Die Kapitalmehrheit in § 327a Abs. 1 Satz 1 AktG 212
2. Eingliederungsbeschlüsse nach § 319 Abs. 1 Satz 1 und
§ 320 Abs. 1 Satz 1 AktG 217
Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse 219
Literaturverzeichnis 229
Stichwortverzeichnis 249
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Im deutschen Aktienrecht führt nicht jeder Rechtsverstoß zur Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses. Regelmäßig soll bei der Verletzung eines Gesetzes oder der Satzung nur die bloße Anfechtbarkeit eintreten. In diesem Fall fehlen dem Beschluss nicht ipso iure die intendierten Rechtswirkungen, vielmehr bedarf es der Geltendmachung durch eine spezielle Klage, die personell und zeitlich eng begrenzt ist.
Trotz der zentralen Stellung dieser Unterscheidung ist die Abgrenzung von Nichtigkeitsmängeln und Anfechtungsmängeln bis heute nicht vollständig geklärt. Im Mittelpunkt des Interesses steht § 241 Nr. 3 AktG, der mit seinem weiten Wortlaut seit seinem Inkrafttreten im AktG 1937 für erhebliche Auslegungsschwierigkeiten sorgt. Ausgehend von der Entstehungsgeschichte und Systematik des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts entwickelt der Band ein besseres Verständnis dieser Vorschrift und ermöglicht dadurch eine klare Abgrenzung von Nichtigkeit und Anfechtbarkeit.
Die Arbeit wurde mit dem Harry Westermann-Preis 2008 ausgezeichnet.