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1. Extensiver Täterbegriff
Nach dem extensiven Täterbegriff ist grundsätzlich jeder Täter, der eine in den
Straftatbeständen umschriebene Rechtsgutsverletzung bzw. Gefährdung kausal
herbeiführt.335 Eine Täterschaft liegt trotz kausaler Verursachung dann nicht vor,
wenn der Beteiligte ausnahmsweise als Anstifter oder Gehilfe anzusehen ist.
Demnach würden die §§ 26, 27 eine Einschränkung der im Besonderen Teil angedrohten Strafbarkeit bedeuten. Eine solche Auffassung ist einer Reihe von Bedenken ausgesetzt. Ihre konsequente Anwendung führt zu einem Einheitstäterbegriff336, der für das geltende Recht bereits im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich abgelehnt wurde.337 Darüber hinaus versagt ein extensiver Täterbegriff bei
den Sonderdelikten, denn derjenige, der ohne eine tatbestandsspezifische Pflichtverletzung kausal für eine Tatbestandsverwirklichung wird, kann Teilnehmer,
aber nicht Täter eines solchen Delikts sein.338 Auch scheint es mit dem Wortlaut
des § 25, der vom »Begehen der Straftat« spricht, nur schwer vereinbar, hierunter
allein die kausale Erfolgsherbeiführung zu verstehen.339 Soweit ersichtlich wird
ein extensiver Täterbegriff heute weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur ernsthaft vertreten. Inwieweit dies zwingend zum restriktiven Täterbegriff
führen muss bzw. was unter diesem Begriff überhaupt zu verstehen ist, soll im
Folgenden untersucht werden.
2. Restriktiver Täterbegriff
Nach dem sog. »restriktiven Täterbegriff« genügt die bloße Kausalität für einen
tabestandsmäßigen Erfolg nicht zur Begründung einer täterschaftlichen Strafbarkeit. »Wer« im Sinne des jeweiligen Straftatbestandes ist demnach nur derjenige,
der den Erfolg speziell als Täter herbeiführt.340 Demnach wären die §§ 26, 27
keine Strafeinschränkungs-, sondern Strafausdehnungsvorschriften. Der restriktive Täterbegriff wird heute in zwei Varianten vertreten.
a) Materiell-objektiver Täterbegriff
Nach dieser Auffassung haben sämtliche Varianten des § 25 lediglich deklaratorische bzw. klarstellende Funktion, da sich bereits aus den Tatbeständen des Besonderen Teils im Wege der Auslegung ermitteln lasse, dass derjenige, der den
tatbestandsmäßigen Erfolg mit eigener oder Mitherrschaft herbeiführe, als Täter
335 Baumann NJW 1962, 374 (375); Nachweise bei SK – Hoyer Vor § 25 Rn. 2.
336 LK – Roxin Vor § 25 Rn. 11.
337 Unten C. II. 1. d).
338 SK – Hoyer Vor § 25 Rn.8.
339 LK – Roxin Vor § 25 Rn. 10.
340 Vgl. SK – Hoyer Vor § 25 Rn. 2.
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anzusehen sei.341 Demnach wäre »Wer« im Sinne des Besonderen Teils also stets
derjenige, der den Tatbestand selbst, durch einen anderen oder mit mehreren gemeinschaftlich verwirklicht. Eines Rückgriffes auf § 25 bedürfe es im Grunde
nicht.
b) Formell-objektiver Täterbegriff
Nach einer strengeren Variante des restriktiven Täterbegriffs gilt das »Wer« im
Besonderen Teil zunächst nur für den unmittelbaren Alleintäter im Sinne des § 25
Abs. 1 Var. 1, während die Vorschriften in den §§ 25 Abs. 1 Var. 2 bzw. 25 Abs.
2, ebenso wie die §§ 26, 27 demgegenüber als Strafausdehnungsvorschriften anzusehen seien.342 Dieser Variante des restriktiven Täterbegriffs entspricht es,
wenn von einer »konstitutiven Funktion« des § 25 Abs. 2, oder von § 25 Abs. 2
als »Zurechnungsnorm« gesprochen wird.343 Gegen den materiell-objektiven Täterbegriff wird geltend gemacht, dass es nicht überzeuge, wenn die Tatherrschaft
des Mit- bzw. des mittelbaren Täters ohne weiteres derjenigen des unmittelbaren
Alleintäters gleichgestellt werde.344 Vielmehr komme den Tätern im Sinne der
§§ 25 Abs. 1 Var. 2 bzw. § 25 Abs. 2 regelmäßig ein Weniger an Tatherrschaft zu
als dem unmittelbaren Alleintäter, so dass die Ausdehnung der täterschaftlichen
Strafbarkeit einer positiv–rechtlichen Anordnung bedürfe.345 Diese wird sodann
in den demnach konstitutiven, strafbarkeitserweiternden Normen der §§ 25 Abs.
1 Var. 2, 25 Abs. 2 gesehen.
c) Die Ablehnung jeglichen Täterbegriffs bei Schild
Schild kommt unter Zugrundelegung seiner bereits in ihren Grundzügen dargestellten Täterschaftskonzeption zu dem Ergebnis, dass die Formulierung eines
Täterbegriffs überhaupt strafrechtlich weitgehend irrelevant sei. Es gehe nicht um
eine Täterlehre in dem Sinne, dass ein deliktisches Geschehen einer Person zugerechnet würde, sondern um die »Zurechnung des Geschehens als Tatbestandshandlung«.346 Strafrechtsdogmatisch gäbe es keinen Täter, sondern nur die Straftat.347 § 25 umschreibe demnach lediglich drei phänomenologisch unterschiedliche Gestalten der Straftatbegehung.348 An anderer Stelle formuliert Schild gleich-
341 Sch / Sch – Cramer Vorbem §§ 25 ff. Rn. 74; LK – Roxin § 25 Rn. 34 und Vor § 25 Rn. 12.
342 So im Ergebnis etwa Herzberg JuS 1974, 719 (720); SK – Hoyer Vor § 25 Rn. 15; MüKo
– Joecks Vor § 25 Rn. 15; Renzikowski S. 71; Wohlers ZStW Bd. 108 (1996), 61 (81).
343 Hoyer a.a.O. Rn. 9 und 15.
344 SK – Hoyer Vor § 25 Rn. 12 ff.; Renzikowski S. 71.
345 SK – Hoyer Vor § 25 Rn. 14; Wohlers ZStW Bd. 108 (1996), 61 (81).
346 NK – Schild Vorbem §§ 25 ff. Rn. 80; ders. Täterschaft S. 35 f.
347 A.a.o. Rn. 131.
348 A.a.o. Rn. 132.
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wohl, dass eine ex-post-Zurechnung des äußeren, tatbestandsmäßigen Geschehens die Verantwortlichkeit des Subjekts jener Zurechnung, mithin des Täters, für
die Tat begründe. Es geht Schild offenbar in diesem Zusammenhang primär
darum, dass die Frage des Vorliegens eines strafbaren Verhaltens allein anhand
des tatbestandsmäßigen Verhaltens349 zu bestimmen sei, welches dann natürlich
die Konsequenz haben muss, dass die sich entsprechend verhaltende Person als
für dieses Verhalten strafrechtlich verantwortlich und damit als Täter anzusehen
ist. Diese Konsequenz ist nach Schild eben lediglich dogmatisch irrelevant. Konsequenterweise hält Schild die Debatte um den restriktiven Täterbegriff für sinnlos und misst diesem allenfalls dahingehend Bedeutung bei, dass er im Sinne eines rechtsstaatlichen Strafrechts die restriktive Auslegung der Tatbestände des
Besonderen Teils bestimme.350
3. Eigene kritische Würdigung
Soweit der restriktive Täterbegriff dahingehend verstanden wird, dass hieraus die
Pflicht zur restriktiven Auslegung der gesetzlichen Straftatbestände folgt, so ist
dem ohne weiteres zuzustimmen. Eine solche Auslegung ist bereits mit Blick auf
Art. 103 Abs. 2 GG geboten. Auch kann im Grunde kein Zweifel daran bestehen,
dass ein extensiver Täterbegriff mit der gesetzlichen Regelung nur schwer zu vereinbaren ist. Über diese grundlegenden Aspekte hinaus ist es bei näherer Betrachtung aber weit weniger deutlich, welche dogmatischen Konsequenzen mit dem
Schlagwort »restriktiver Täterbegriff« tatsächlich verbunden sind.
a) § 25 als deklaratorische oder konstitutive Norm?
Im Zentrum der Diskussion um die dogmatischen Folgerungen aus dem restriktiven Täterbegriff steht anscheinend die Frage, ob § 25 konstitutiven Charakter hat
oder ob sich die dort erwähnten Täterschaftsformen bereits aus den Tatbeständen
des Besonderen Teils herleiten lassen. Dabei wird offenbar allenthalben davon
ausgegangen, dass jedenfalls bei § 25 Abs. 1 Var. 1 eine konstitutive Funktion
ausscheidet. Dies wirkt auf den ersten Blick naheliegend. Dass mit dem »Wer«
in den Deliktstatbeständen des Besonderen Teils derjenige gemeint ist, der diese
Tatbestände durch eigenes Verhalten unmittelbar und vollständig verwirklicht,
scheint auf der Hand zu liegen. Gleichwohl wird hierauf im Folgenden noch zurückzukommen sein. Zunächst soll aber untersucht werden, was genau mit der
häufig behaupteten »konstitutiven Funktion« der §§ 25 Abs. 1 Var. 2, 25 Abs. 2
gemeint ist bzw. ob von einer solchen überhaupt auszugehen ist. Wie bereits dar-
349 Vgl. in diesem Zusammenhang zu dem von Schild zugrundegelegten »normativen Handlungsbegriff« Täterschaft S. 24 ff; sowie bereits oben A. VIII. 4. c).
350 NK – Schild Vorbem §§ 25 ff. Rn. 134.
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References
Zusammenfassung
Das Werk behandelt die Abgrenzung von Mittäterschaft und Teilnahme, eine angesichts der Verbreitung des Tatherrschaftsgedankens rückläufige Diskussion. Losgelöst vom Begriff „Tatherrschaft“ wird die Mittäterschaft – anhand der sog. „additiven Mittäterschaft“ – konsequent auf ihre gesetzliche Regelung in § 25 Abs. 2 StGB zurückgeführt. Die entwickelte Lösung, eine teilweise Renaissance der formal-objektiven Theorie, mag dem Einwand fehlender argumentativer Flexibilität und somit mangelnder Praxistauglichkeit ausgesetzt sein. Demgegenüber steht die Rückbesinnung auf eine echte Tatbestandsbezogenheit, die den dahinterstehenden verfassungsrechtlichen Garantien die notwendige Geltung verschafft.