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schancen hingewiesen.313 Hier ist der Begriff »additiv« zunächst durchaus einleuchtend, denn diese Erhöhung der Erfolgswahrscheinlichkeit setzt tatsächlich,
wie bereits gezeigt wurde314, eine Addition der Tatbeiträge im mathematisch–statistischen Sinne voraus. Damit ist aber auch deutlich, dass die Begriffe »korrelativ« und »additiv« unterschiedliche Bezugspunkte haben, soweit sie im vorliegenden Zusammenhang zur Beschreibung einer Fallgruppe der Mittäterschaft
verwendet werden. Während die Korrelation im Hinblick auf die Tatbestandsverwirklichung erfolgt, findet eine Addition im Hinblick auf eine, für sich betrachtet,
zunächst unstreitig tatbestandslose Risikoerhöhung im mathematisch–statistischen Sinne statt.
II. Konsequenzen aus der Strukturanalyse: »Additive Mittäterschaft« als
atypischer Fall des gemeinschaftlichen Begehens
In der Diskussion um die hier untersuchte Fallgruppe wird immer wieder der Eindruck vermittelt, dass es sich bei den als »additive Mittäterschaft« bezeichneten
Fällen geradezu um den idealtypischen Fall der in § 25 Abs. 2 umschriebenen
Mittäterschaft handele. Dies geschieht natürlich vornehmlich dort, wo eine Mittäterschaft aller Beteiligter bejaht wird. So heißt es etwa bei Roxin, es würde »sowohl dem Wortlaut als auch dem Sinn des § 25 Abs. 2 StGB widersprechen«,
wenn man die entsprechenden Fallkonstellationen nicht als gemeinschaftliches
Begehen auffassen würde.315 Bei Herzberg findet sich im Zusammenhang mit
dem Attentats-Fall die Formulierung: »Die Figur der Mittäterschaft würde eine
ihrer wichtigsten Funktionen nicht erfüllen, wenn sie in einem Fall wie diesem
dem Richter das Auseinandergliedern der Einzelbeiträge nicht erließe.«316.
Ebenso weist Dencker darauf hin, dass alleine ein die Mittäterschaft aller Beteiligter bejahendes Ergebnis dem »klassischen Verständnis« von Mittäterschaft
entspräche.317 Doch ist das gemeinschaftliche Begehen durch alle Beteiligten im
Attentats-Fall wirklich so evident, wie es die vorstehenden Zitate implizieren?
Die soeben durchgeführte Strukturanalyse hat deutlich gemacht, dass bereits die
gewählten Begrifflichkeiten eher dagegen sprechen. Der typische Fall der gemeinschaftlichen Begehung einer Tat muss vielmehr die korrelative Mittäterschaft sein318, bei der die einzelnen Tatbeiträge in Bezug auf die Tatbestandsverwirklichung in einer sachlogisch zwingenden Wechselbeziehung zueinander stehen. Eine solche Beziehung zwischen den einzelnen Tatbeiträgen ist ohne weiteres geeignet, diese insgesamt als gemeinschaftliche Deliktsverwirklichung er-
313 Im Originalfall von Herzberg Täterschaft S. 57 findet sich die Formulierung: »Um das
Gelingen wahrscheinlicher zu machen....«
314 Oben A. II. 2. c).
315 Roxin TuT S. 692.
316 Herzberg Täterschaft S. 57.
317 Dencker S. 127.
318 Davon geht wohl auch die h.L. aus, wenn sie diese Fallgruppe als »Regelfall« bezeichnet.
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scheinen zu lassen. Die »additive Mittäterschaft« hat dagegen tatsächlich eine
grundsätzlich andere Struktur. Die Tatbeiträge ergänzen sich hier gerade nicht zu
einer gemeinschaftlichen Deliktsverwirklichung im engeren Sinne. Soweit tatsächlich ein additives Zusammenwirken der Tatbeiträge erfolgt, findet dies vielmehr losgelöst von der konkreten Erfolgsherbeiführung im Hinblick auf die statistische Erhöhung der Erfolgswahrscheinlichkeit statt. Dieses additive Zusammenwirken hat daher auch – anders als das Zusammenwirken bei der korrelativen
Mittäterschaft – keinen faktischen, sich im äußeren Geschehen manifestierenden
Charakter. Es bleibt vielmehr ein rein mathematisch-statistisches Element. Wie
bereits dargelegt wurde, erhöht die Tatsache, dass neben dem Schützen A noch
weitere 19 Schützen auf das Opfer schießen, tatsächlich nicht die Wahrscheinlichkeit, dass A das Opfer trifft.319 Die dargestellte Struktur der hier untersuchten
Fallgruppe schließt nicht per se aus, diese als gemeinschaftliches Begehen aufzufassen. Auf ein solches kann aber keinesfalls alleine daraus geschlossen werden, dass seitens des Attentäter-Kollektivs sicher ohne weiteres von einem »gemeinschaftlichen Handeln« oder einer »gemeinschaftlichen Vorgehensweise« gesprochen werden könnte. Die in den vorstehenden Zitaten implizierte Evidenz des
Vorliegens einer gemeinschaftlichen Tatbegehung kann somit nicht in der Struktur der »additiven Mittäterschaft« begründet sein, deren grundsätzliche Andersartigkeit gegenüber dem Regelfall der Mittäterschaft von der herrschenden Lehre
ja auch anerkannt wird. Vielmehr verstärkt sich der Eindruck, dass die nahezu
selbstverständliche Einordnung dieser Fallgruppe als Mittäterschaft einem zunächst eher dogmatisch undefinierten Bedürfnis nach der Vollendungsstrafbarkeit aller Beteiligten entstammt.
III. Strafbarkeitslücken bei fehlender Vollendungsstrafbarkeit aller
Beteiligten?
An dieser Stelle soll für einen Moment, weitgehend losgelöst von dogmatischen
Erwägungen, auf die Frage eingegangen werden, inwieweit die Erfassung der
»additiven Mittäterschaft« durch § 25 Abs. 2 tatsächlich mit Blick auf die Vermeidung inakzeptabler Strafbarkeitslücken notwendig erscheint. Ist die mittäterschaftliche Bestrafung aller Attentäter tatsächlich kriminalpolitisch so wünschenswert bzw. sogar zwingend erforderlich? Welche Funktion des § 25 Abs. 2
ist von Herzberg in dem bereits angeführten Zitat angesprochen? Sicherlich ist es
nicht die Funktion des § 25 Abs. 2, dem Richter über etwaige Beweisprobleme
hinsichtlich der Kausalität hinwegzuhelfen.320 Auch kann die Rechtsfigur der
Mittäterschaft nicht dazu dienen, im Einzelfall unerwünschte Ergebnisse unter
Ausschaltung des Zweifelsgrundsatzes zu vermeiden. Gleichwohl ist nicht von
der Hand zu weisen, dass derartige Aspekte in der Diskussion um die vorliegende
319 A. II. 2. b).
320 Vgl. auch Puppe FS – Spinellis S. 925.
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References
Zusammenfassung
Das Werk behandelt die Abgrenzung von Mittäterschaft und Teilnahme, eine angesichts der Verbreitung des Tatherrschaftsgedankens rückläufige Diskussion. Losgelöst vom Begriff „Tatherrschaft“ wird die Mittäterschaft – anhand der sog. „additiven Mittäterschaft“ – konsequent auf ihre gesetzliche Regelung in § 25 Abs. 2 StGB zurückgeführt. Die entwickelte Lösung, eine teilweise Renaissance der formal-objektiven Theorie, mag dem Einwand fehlender argumentativer Flexibilität und somit mangelnder Praxistauglichkeit ausgesetzt sein. Demgegenüber steht die Rückbesinnung auf eine echte Tatbestandsbezogenheit, die den dahinterstehenden verfassungsrechtlichen Garantien die notwendige Geltung verschafft.