80
der gewöhnlichen Vorsatzprüfung praktisch identisch. Die von Schild entwickelte
Auffassung verkennt die soeben dargestellte logische Vorrangigkeit des äußeren
Geschehens, das im Übrigen nicht nur Bezugspunkt des Vorsatzes, sondern auch
der Rechtswidrigkeit und der Schuld ist. Des Weiteren wird später noch zu zeigen
sein, dass die Auffassung von Schild hinsichtlich der mit ihr erzielten Ergebnisse
weitgehend mit dem übereinstimmt, was im weiteren Verlauf dieser Arbeit auf
anderer normativer Grundlage entwickelt wird.
e) Zusammenfassung
Die von Schild vertretene, eine Mittäterschaft ablehnende Auffassung bezüglich
der hier untersuchten Fallgruppe kann in ihrer Begründung unter mehreren Gesichtspunkten nicht vollständig überzeugen. Zum einen ist die inhaltliche Bestimmung des Handlungsprogrammes bei der »additiven Mittäterschaft« unklar. Insbesondere überzeugt es nicht, wenn dieses dahingehend bestimmt wird, jeder der
Attentäter wolle die Tatbestandshandlung alleine vornehmen und ein gemeinschaftliches Töten sei nicht beabsichtigt. Wird der Inhalt des Handlungsprogrammes richtigerweise modifiziert, so wird im Hinblick auf die Unabdingbarkeit der
Realisierung des Handlungsprogrammes, die auch von Schild nicht in Abrede gestellt wird, nicht klar, ob ein nicht-kausaler Schuss sich als eine solche Realisierung darstellt. Schließlich vermag weder der von Schild entwickelte normative
Handlungsbegriff noch seine, teilweise auf letzterem basierende Auffassung vom
»Vorrang des Handlungsprogrammes«, zu überzeugen. Hierbei wird übersehen,
dass die Strafbarkeit stets systematisch vorrangig an ein in einem Tatbestand des
Besonderen Teils umschriebenes, äußeres Geschehen anknüpft, welches als Bezugspunkt des Vorsatzes logisch vorrangig festzustellen ist. Alles in allem vermag somit auch Schild keine dogmatisch überzeugende Lösung für die hier untersuchte Fallgruppe zu liefern.
IX. Die »additive Mittäterschaft« bei Stein
Auch Stein bietet, auf der Basis seiner eigenständigen, stark sanktionsnormtheoretisch orientierten Täterschaftskonstruktion eine Lösung für die »additive Mittäterschaft« an. Diese Täterschaftskonstruktion ist zunächst in ihren Grundzügen
darzustellen.
1. Die Grundzüge der Steinschen Täterschaftskonzeption
Stein entwickelt eine weitgehend eigenständige Konzeption der Beteiligungsformen, indem er – verkürzt formuliert – die Beteiligungsformen durch die Dring-
81
lichkeit der jeweils zugrunde liegenden Verhaltensnormen charakterisiert.227 Den
einzelnen Beteiligungsformen liegen demnach unterschiedliche Verhaltensnormen zugrunde, die mit unterschiedlicher Dringlichkeit und Reichweite ausgestattet sind. Täterschaftliche Verhaltensweisen sind demnach solche, die die Gefahr
bergen, entweder ohne Zwischenschaltung des Verhaltens eines anderen oder
durch das Verhalten eines anderen oder gemeinschaftlich mit dem Verhalten eines
anderen ein Rechtsgutsobjekt zu verletzen, während teilnehmerschaftliche Verhaltensweisen diese Rechtsgutsobjektsverletzung durch das Bestimmen eines anderen bzw. durch das Hilfeleisten herbeiführen. Der Gesetzgeber habe sich ausweislich des § 26 entschieden, die in dieser Vorschrift enthaltene teilnehmerschaftliche Verhaltensnorm mit einer den täterschaftlichen Verhaltensnormen
entsprechenden Dringlichkeit auszustatten.228 Auf die sich hieraus nach Stein ergebenden Konsequenzen für die Mittäterschaft im Allgemeinen sowie die »additive Mittäterschaft« im Besonderen ist sogleich näher einzugehen.
2. Mittäterschaft nach Stein im Allgemeinen
Stein legt seinem Mittäterschaftsbegriff folgendes Leitprinzip zugrunde:
»Die mittäterschaftlichen Verhaltensnormen erfassen diejenigen (verbotenen) Verhaltensweisen, deren Gefährlichkeit durch das künftige Verhalten eines Vordermanns vermittelt ist, dem zwar eine vollwertige Verhaltenspflicht auferlegt ist und
der die ungeschmälerte Pflichtbefolgungsfähigkeit besitzt, bei dem jedoch andererseits der Motivationsprozess schon so weit in Richtung auf die Pflichtverletzung
fortgeschritten ist und das geplante pflichtwidrige Verhalten schon so nahe bevorsteht, dass die Pflicht praktisch keine Chance mehr hat, ihre Bestimmungswirkung
zu entfalten.«229.
Stein räumt selber ein, dass der von ihm entwickelte Mittäterbegriff relativ »offen« sei, führt jedoch an, dass vermeintlich konkretere Mittäterschaftsbegriffe lediglich einen scheinbaren Gewinn an Rationalität vermitteln würden.230 Der Regelungsgegenstand weise keine hinreichend konkreten, allen Mittäterschaftskonstellationen gemeinsamen Strukturen auf.231 Offenbar ähnlich einem Regelbeispiel, werden jedoch vor allem zwei Abgrenzungskriterien von Stein benannt:
Zum einen sei eine Parallele zwischen der Abgrenzung von Mittäterschaft und
Beihilfe und der Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch beim Alleintäter anzunehmen, weshalb die »Faustregel«232 gelten soll, dass die Grenze zwischen
Mittäterschaft und Teilnahme »zumindest ungefähr« mit der Grenze zwischen
227 Stein (nach LitVerz) S. 221 ff.
228 A.a.o. S. 241.
229 A.a.o. S. 322.
230 A.a.o. S. 325.
231 A.a.o. S. 325.
232 So wörtlich a.a.o. auf S. 325.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Das Werk behandelt die Abgrenzung von Mittäterschaft und Teilnahme, eine angesichts der Verbreitung des Tatherrschaftsgedankens rückläufige Diskussion. Losgelöst vom Begriff „Tatherrschaft“ wird die Mittäterschaft – anhand der sog. „additiven Mittäterschaft“ – konsequent auf ihre gesetzliche Regelung in § 25 Abs. 2 StGB zurückgeführt. Die entwickelte Lösung, eine teilweise Renaissance der formal-objektiven Theorie, mag dem Einwand fehlender argumentativer Flexibilität und somit mangelnder Praxistauglichkeit ausgesetzt sein. Demgegenüber steht die Rückbesinnung auf eine echte Tatbestandsbezogenheit, die den dahinterstehenden verfassungsrechtlichen Garantien die notwendige Geltung verschafft.