69
kann. Ob der ganzheitlichen Betrachtung zur Abgrenzung von Täterschaft und
Teilnahme gefolgt werden kann, so dass die vorliegende Fallgruppe stets nur anhand des Einzelfalles zu lösen wäre, ist sogleich unter 3. zu erörtern. Vorweg
seien noch einige Äußerungen Schmidhäusers zur vorliegenden Fallgruppe angeführt. Er nimmt offenbar an, dass eine Mittäterschaft aller Beteiligten regelmäßig
nicht in Betracht komme.180 Hat lediglich ein Schütze einen tödlichen Schuss ausgeführt, so habe nur er eine zurechenbare Tötungshandlung vorgenommen. Eine
Mittäterschaft käme nur in Betracht, wenn von einem Beteiligten zusätzlich zur
eigentlichen Tathandlung »sonstige Beiträge von gleichrangigem Gewicht« geleistet würden.
3. Kritik
In der Auseinandersetzung mit Schmidhäusers Ganzheitstheorie wird eine im Zusammenhang mit der Tatherrschaftslehre bereits angedeutete Problematik deutlich. Es dürfte unstreitig sein, dass eine allgemeine Abgrenzung von Täterschaft
und Teilnahme nicht dergestalt stattfinden kann, dass anhand eines von den einzelnen Straftatbeständen vollständig abstrahierten Maßstabes eine präzise Grenzziehung für jeden konkreten Einzelfall stets vorgegeben ist. Dies resultiert primär
daraus, dass Täterschaft als solche, also abstrakt nicht vorkommen kann, sondern
dass sie immer nur in Bezug auf einen im Besonderen Teil umschriebenen Straftatbestand auftritt. Die Grenzziehung muss somit immer in einem bestimmten
Maße mit Blick auf den jeweils konkret in Rede stehenden Straftatbestand erfolgen. Bedeutet dies jedoch auch zugleich, dass daneben eine allgemeine Täterschaftsdogmatik entbehrlich ist? Man könnte diese Konsequenz ziehen und das
Erfordernis eines allgemein-abstrakten Täterschaftsbegriffes negieren, indem
man die Frage nach der Beteiligungsform als Problem des Besonderen Teils auffasst.181 Oder man könnte im Sinne von Schmidhäuser die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme als eine Frage des Einzelfalles auffassen, zu deren Beantwortung lediglich beispielhaft aufgezählte, nicht abschließende Kriterien herausgearbeitet werden können. Auch dies ist in letzter Konsequenz die Negation
einer abstrakt-allgemeinen Täterschaftsdogmatik. Schmidhäusers Betrachtungsweise wird entgegengehalten, sie ermögliche eine unkontrollierbare Beliebigkeit
bei der Bestimmung von Täterschaft, was zu einer nicht hinnehmbaren Rechtsunsicherheit führe.182 Dieser Einwand wirkt zunächst naheliegend. Das macht
aber seine genaue Prüfung nicht entbehrlich. Schmidhäuser hat seine Auffassung
gegen diese Kritik auch damit verteidigt, dass andere Auffassungen, insbesondere
die Tatherrschaftslehre, keinen erhöhten Erkenntnisgewinn brächten und tatsächlich unter dem Deckmantel eines vermeintlich die Abgrenzung erleichternden
180 Schmidhäuser a.a.o. 10/62; er hält die Annahme von Mittäterschaft für »fragwürdig«,
wobei offenbar »additive« und »alternative« Mittäterschaft gleich behandelt werden.
181 In diese Richtung Freund AT § 10 Rn. 66 ff., 164; dazu s. unten C. II. 1. f) (2) (e).
182 In diesem Sinne etwa Küpper GA 1986, 437 (444); Roxin AT II § 25 V Rn. 34.
70
Begriffes ebenfalls eine Abgrenzung im Sinne der ganzheitlichen Betrachtung
vornähmen.183 Eine Auseinandersetzung mit dieser Kritik ist an dieser Stelle jedoch nicht erforderlich, da sie selbst dann nichts über die Zulässigkeit einer Einzelfallbetrachtung im Sinne der Ganzheitstheorie aussagen kann, wenn man ihre
Berechtigung unterstellt. Es bleibt also die Frage zu beantworten, ob eine über einen offenen Katalog phänomenologischer Merkmale hinausgehende, abstrakte
Grenzziehung zwischen Täterschaft und Teilnahme möglich ist. Schmidhäuser
verweist darauf, dass die Begriffe »Täter«, »Anstifter« und »Gehilfe« bereits für
sich in Verbindung mit der Schilderung eines deliktischen Geschehens eine hinreichende Bedeutungskraft entfalten würden, die eine im Einzelfall sachgerechte
Abgrenzung ermögliche.184 Eine allgemeine Grenzziehung sei dem Gesetzgeber
per se nicht möglich.185 Doch diese Auffassung lässt unberücksichtigt, dass sich
der Gesetzgeber ausweislich der §§ 25 ff. nicht auf eine bloße Nennung der Begriffe »Täter«, »Anstifter« und »Gehilfe« beschränkt hat, wie es etwa für eine deklaratorische Ablehnung des Einheitstäterbegriffes genügt hätte. Es wäre theoretisch folgende Formulierung denkbar gewesen: »Bei der Verwirklichung einer
Straftat ist zwischen Täter, Anstifter und Gehilfen zu unterscheiden. Der Anstifter ist gleich einem Täter zu bestrafen. Beim Gehilfen ist die Strafe zu mildern.«
Das Gesetz nennt jedoch zusätzlich bestimmte Kriterien, anhand derer die Teilnahmeformen voneinander abzugrenzen sind. Der Täter »begeht die Tat« (selbst,
durch einen anderen oder mit mehreren gemeinschaftlich), der Anstifter »bestimmt« ihn hierzu und der Gehilfe »leistet vorsätzlich Hilfe«. Augenscheinlich
handelt es sich hierbei wiederum um Begriffe, die im Hinblick auf die zu regelnde
Materie notwendig ein gewisses Maß an Unbestimmtheit aufweisen. Insoweit ist
Schmidhäuser zuzustimmen. Gleichwohl müssen diese Begriffe die Grundlage
für eine allgemeine Beteiligungsdogmatik bilden. Ihre Auslegung bestimmt dar-
über, inwieweit hier allgemeine Vorgaben möglich, dann aber auch im Hinblick
auf das Gesetzlichkeitsprinzip zwingend sind. Das Gesetzlichkeitsprinzip schützt
vor willkürlicher Bestrafung.186 Eine Verlagerung der Festlegung der Strafbarkeitsgrenzen in das Ermessen des Richters kann zu einer Verletzung des Gewaltenteilungsprinzips führen. Da auch die Regeln über Täterschaft und Teilnahme
im Einzelfall über die Strafbarkeit entscheiden können, ist eine Anwendung des
Gesetzlichkeitsprinzips auf sie zwingend geboten.187 Es dürfte bereits nach dem
allgemeinen Sprachgebrauch ersichtlich sein, dass ein abstrakt bestimmbarer Unterschied zwischen dem Begehen der Tat und dem Hilfeleisten hierbei besteht,
wenngleich Art und Ausmaß dieses Unterschiedes noch der näheren Untersu-
183 Schmidhäuser Stree / Wessels FS S. 357 ff.
184 Schmidhäuser Stree / Wessels – FS S. 354.
185 A.a.o. S. 348.
186 BVerfGE 73, 206 (234 ff.).
187 Vgl. Roxin AT I § 5 Rn. 41; MüKo – Schmitz § 1 Rn. 13; Der heftige Streit über die Anwendung des Gesetzlichkeitsprinzips auf den Allgemeinen Teil bezieht sich nicht auf die Regelungen über Täterschaft und Teilnahme, sondern vor allem auf die Rechtfertigungsgründe,
was hier keiner weiteren Untersuchung bedarf. Vgl. zu diesem Streitstand die Nachweise
bei Schmitz a.a.o.
71
chung bedürfen. Diesen Unterschied in abstracto herauszuarbeiten, ist Aufgabe
einer allgemeinen Täterschaftsdogmatik. Vor diesem Hintergrund kann der Ganzheitstheorie also nicht gefolgt werden.
Ob bzw. inwieweit gleichwohl ganzheitliche Elemente im Sinne der Schmidhäuserschen Auffassung bei der Abgrenzung eine Rolle spielen können, kann
also erst geklärt werden, nachdem der abstrakte Unterschied zwischen Täterschaft und Teilnahme anhand der gesetzlichen Begriffe in den §§ 25 ff. herausgearbeitet wurde. Dies wird in einem späteren Teil dieser Arbeit geschehen.188 Für
den Augenblick kann festgehalten werden, dass die ausschließlich ganzheitliche
Betrachtung aufgrund der dargelegten Bedenken weder zur Lösung der hier untersuchten Fallgruppe noch als Grundlage einer allgemeinen Täterschaftslehre
geeignet ist.
VIII. Die »additive Mittäterschaft« bei Schild
Schild lehnt die Figur der »additiven Mittäterschaft« unter Zugrundelegung seines, im Nomos-Kommentar umfassend ausgearbeiteten Täterschaftsbegriffes189
ab. Eine Auseinandersetzung hiermit macht zunächst wiederum eine kurze Darstellung seiner Täterschaftskonstruktion im Allgemeinen erforderlich.
1. Täterschaft als Umsetzung eines Handlungsprogrammes
Nach Schild ist Täterschaft nicht in erster Linie ein Zurechnungs-, sondern ein
Handlungsunrechtstyp. Erforderlich für Täterschaft sei demnach ein Wille, einen
gedachten Plan (Handlungsprogramm) in die Tat umzusetzen und in der äußerlichen Welt zu realisieren. Gefragt sei jedoch nicht der Wille an sich, sondern seine
Realisierung in einem äußeren Verhalten.190 Das unmittelbare Ansetzen zur Verwirklichung des die Herbeiführung eines tatbestandsmäßigen Erfolges umfassenden Planes sei demnach das maßgebende Handlungsunrecht für die ex-ante-Beurteilung; doch könne man darin noch nicht das tatbestandsmäßige Handlungsunrecht im Sinne der Tatbestandshandlung sehen. Dieses setze vielmehr bei den
Erfolgsdelikten die Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolges voraus und
könne daher immer nur von der Zurechnung dieses Erfolges ex post her gesehen
werden.191 Das ex-ante-Handlungsunrecht des Vorsatzdelikts werde demnach
dann zur Tatbestandshandlung, wenn dem Handelnden das äußere (tatbestands-
188 S. unten C. II.
189 In der zweiten Auflage sind die ausführlichen Vorbemerkungen zu den §§ 25 ff. nicht mehr
enthalten, wodurch der Umfang der Kommentierung wesentlich gekürzt ist. Da aber die
Vorbemerkungen für das theoretische Fundament der Schildschen Auffassung von maßgeblicher Bedeutung sind, wird hier die Bearbeitung der 1. Auflage zugrundegelegt.
190 NK - Schild Vorbem §§ 25 ff. Rn. 155.
191 Schild a.a.o. Rn. 156.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Das Werk behandelt die Abgrenzung von Mittäterschaft und Teilnahme, eine angesichts der Verbreitung des Tatherrschaftsgedankens rückläufige Diskussion. Losgelöst vom Begriff „Tatherrschaft“ wird die Mittäterschaft – anhand der sog. „additiven Mittäterschaft“ – konsequent auf ihre gesetzliche Regelung in § 25 Abs. 2 StGB zurückgeführt. Die entwickelte Lösung, eine teilweise Renaissance der formal-objektiven Theorie, mag dem Einwand fehlender argumentativer Flexibilität und somit mangelnder Praxistauglichkeit ausgesetzt sein. Demgegenüber steht die Rückbesinnung auf eine echte Tatbestandsbezogenheit, die den dahinterstehenden verfassungsrechtlichen Garantien die notwendige Geltung verschafft.