60
jektiven Tatbeitrages nicht geeignet ist. Auch hier greifen die generellen Einwände gegen eine Verknüpfung von objektivem Tatbeitrag und ex-ante-Betrachtung.
Aber das Gleichrangigkeitskriterium von Herzberg gibt noch in anderer Hinsicht
Anlass zu Bedenken. Es stellt sich nämlich bei näherer Betrachtung die Frage, im
Hinblick auf welche anderen Beteiligten eine Gleichrangigkeit des jeweiligen
Tatbeitrages festgestellt werden muss. Da man zumindest bei der Prüfung des ersten Beteiligten davon ausgehen muss, dass die Beteiligungsform der übrigen Beteiligten noch nicht festgestellt wurde, ist unklar, wessen Tatbeitrag bzw. Tatbeiträge hier als Maßstab für eine Mittäterschaft begründende Gleichrangigkeit heranzuziehen ist bzw. sind. Dies tritt im vorliegenden Beispiel nicht unbedingt
deutlich hervor, da man geneigt ist, im Attentatsbeispiel die Gleichrangigkeit der
Tatbeiträge bereits aufgrund ihrer äußerlichen Gleichartigkeit zu bejahen. Jedoch
macht bereits eine geringe Variation des Ausgangsbeispiels diese Schwierigkeiten deutlich. Man stelle sich den Fall so vor, dass zwei der Beteiligten – die besten
Schützen – beim Attentat dem Tatplan entsprechend die erfolgversprechendste
Position einnehmen, während die übrigen Beteiligten von entfernteren Positionen
aus schießen sollen, von denen die Wahrscheinlichkeit eines Treffers erheblich
geringer ist. Das führt unweigerlich zu der Frage, ob trotz der den Verschwörern
bewussten deutlich unterschiedlichen Wahrscheinlichkeit eines Treffers noch alle
Beiträge als gleichrangig im Sinne der Herzbergschen Lehre anzusehen wären
oder ob vielmehr die beiden besser positionierten Schützen als Maßstab der
Gleichrangigkeitsprüfung anzusehen wären. Da zunächst mit Blick auf keinen der
Beteiligten die Beteiligungsform feststeht, kann auch nicht eindeutig darauf geschlossen werden, bei Gleichrangigkeit mit wessen Tatbeitrag Mittäterschaft vorliegen soll. Noch deutlicher wird die Problematik, wenn alle zwanzig Schützen
von Positionen aus schießen, die nach der Vorstellung der Beteiligten eine jeweils
erheblich differierende Erfolgswahrscheinlichkeit mit sich bringen. Im Ergebnis
müsste die eine Mittäterschaft begründende Qualität eines Tatbeitrages, welche
ihn als Bezugspunkt der Gleichrangigkeitsprüfung tauglich macht, bereits feststehen, bevor die einzelnen Tatbeiträge überhaupt geprüft werden. Aus diesen
Gründen ist auch die Konzeption von Herzberg nicht geeignet, die Fallgruppe der
»additiven Mittäterschaft« sachgerecht zu lösen.
V. Die Auffassung von Gorka
Gorka vertritt eine weitgehend eigenständige Mittäterschaftskonstruktion, die er
auf die hier zu untersuchende Fallgruppe anwendet. Im Folgenden soll zunächst
die von Gorka erarbeitete allgemeine Mittäterschaftskonstruktion dargestellt
werden.
61
1. Die sog. »Untätigkeitslösung«
Nach Gorka konstituiert § 25 Abs. 2 einen Sonderfall strafbaren täterschaftlichen
Unterlassens. Die Beteiligten seien jeweils »in dem Umfang bzw. in der Beteiligungsform entsprechend dem vereinbarten eigenen Tatanteil Garanten dafür, dass
die Tat von keinem anderen Tatgenossen vereinbarungsgemäß in die Stadien des
Versuchs und der Vollendung geführt wird.«150. Weiter heißt es: »Im Anwendungsbereich des § 25 Abs. 2 StGB, also im Strukturgefüge einer einheitlichen
Tat, die gemeinschaftlich von mehreren (Mittätern) begangen wird, wird die eigene, mit dem Tatplan vereinbare Untätigkeit eines Mittäters den tatbestandsverwirklichenden Ausführungshandlungen anderer Mittäter gleichgestellt.« Demnach solle durch den gemeinsamen Tatplan eine »ingerenzähnliche Garantenhaftung«151 begründet werden. Es bestehe eine Strukturverwandtschaft zwischen §
25 Abs. 2 und § 13 Abs. 1 dahingehend, dass sowohl bei der Mittäterschaft als
auch beim täterschaftlichen Unterlassen eine Strafbarkeit trotz teilweiser Untätigkeit begründet werde.152
2. Die Anwendung der Untätigkeitslösung auf die additive Mittäterschaft
Unter Anwendung der von ihm entwickelten und soeben im Überblick dargestellten Prämissen gelangt Gorka zur Bejahung von Mittäterschaft aller Beteiligten
bei der »additiven Mittäterschaft«.153 Da nach seiner Auffassung nicht einmal das
Ausbleiben des Tatbeitrages eines Beteiligten dessen Charakterisierung als Mittäter hindern würde, kann bei einem nicht nachweisbar erfolgskausalen Tatbeitrag nichts anderes gelten. Auf die Wesentlichkeit des Tatbeitrages käme es demnach nicht an. Entscheidend sei alleine, dass jeder Beteiligte durch seine Zusage
den Sinn einer Abstandnahme für die anderen verringert habe. Da die von Gorka
vorgeschlagene Lösung der hier zu untersuchenden Fallgruppe unter Zugrundelegung seines Mittäterschaftsbegriffs konsequent ist, muss dieser Mittäterschaftsbegriff nunmehr kritisch geprüft werden.
3. Die Ablehnung der Untätigkeitslösung
Die von Gorka entwickelte Untätigkeitslösung vermag als allgemeine Mittäterschaftskonstruktion nicht zu überzeugen, so dass auch die auf sie gestützte Lösung der hier zu untersuchenden Fallgruppe abzulehnen ist.
150 Gorka S. 155.
151 A.a.o. S. 139.
152 A.a.o. S. 135 ff.
153 A.a.o. S. 162 f.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Das Werk behandelt die Abgrenzung von Mittäterschaft und Teilnahme, eine angesichts der Verbreitung des Tatherrschaftsgedankens rückläufige Diskussion. Losgelöst vom Begriff „Tatherrschaft“ wird die Mittäterschaft – anhand der sog. „additiven Mittäterschaft“ – konsequent auf ihre gesetzliche Regelung in § 25 Abs. 2 StGB zurückgeführt. Die entwickelte Lösung, eine teilweise Renaissance der formal-objektiven Theorie, mag dem Einwand fehlender argumentativer Flexibilität und somit mangelnder Praxistauglichkeit ausgesetzt sein. Demgegenüber steht die Rückbesinnung auf eine echte Tatbestandsbezogenheit, die den dahinterstehenden verfassungsrechtlichen Garantien die notwendige Geltung verschafft.