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Aus diesem Grund ist die Auffassung von Gössel, unbeschadet ihrer Undeutlichkeit hinsichtlich des Bezugsobjekts der kollektiven Tatherrschaft, abzulehnen.
Eine zufriedenstellende Lösung der »additiven Mittäterschaft« kann unter Zugrundelegung dieser Auffassung nicht erfolgen.
IV. Die Auffassung von Herzberg
Auch Herzberg, der als erster auf die hier untersuchte Fallgruppe aufmerksam
machte, gelangt zur Bejahung von Mittäterschaft aller Beteiligten. In seiner Mittäterschaftskonzeption stimmt Herzberg mit der Auffassung von Roxin »sachlich
weitgehend überein«146. Jedoch ist es gerade die hier vorliegende Fallgruppe, anhand der Herzberg die Unterschiede seiner Konzeption zur Tatherrschaftslehre
entwickelt.
1. Die Grundzüge der Herzbergschen Mittäterschaftskonzeption und ihre
Anwendung auf die »additive Mittäterschaft«
Mittäter ist nach Herzberg, »wer nach Versuchsbeginn einen vom gemeinsamen
Tatentschluss getragenen Tatbeitrag (Ausführungsbeitrag) leistet, der im Hinblick auf den erstrebten Erfolg den Leistungen des oder der anderen ungefähr
gleichwertig ist«.147 Die Gleichwertigkeit der Tatbeiträge soll nach Herzberg im
Wege einer ex-ante-Betrachtung erfolgen. Herzberg hält diese Konzeption bei der
Erfassung der »additiven Mittäterschaft« für vorzugswürdig gegenüber der Tatherrschaftslehre und dem Erfordernis des wesentlichen Tatbeitrages, da gerade
in dieser Fallgruppe der Beitrag des Einzelnen unwesentlich und entbehrlich sei.
Die von Herzberg zu keinem Zeitpunkt in Zweifel gezogene148 mittäterschaftliche
Strafbarkeit aller Beteiligten ließe sich daher allein durch das Kriterium der
Gleichrangigkeit der Tatbeiträge sachgerecht begründen.
2. Kritik
Zunächst ist mit Bezug auf das oben zur Tatherrschaftslehre Ausgeführte149 zu sagen, dass die Zugrundelegung einer ex-ante-Betrachtung zur Bestimmung der
Gleichrangigkeit der objektiven Tatbeiträge zur sachgerechten Erfassung des ob-
146 Herzberg Täterschaft S. 70.
147 A.a.o. S. 70.
148 In Täterschaft S. 57 bezeichnet Herzberg die mittäterschaftliche Strafbarkeit aller Beteiligten unabhängig von der Erfolgskausalität ihres Tatbeitrages ausdrücklich als »nicht
zweifelhaft«; vgl. auch Herzberg ZStW Bd. 99 (1987), 49 (54) sowie oben Einleitung.
149 A. II. 3.
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jektiven Tatbeitrages nicht geeignet ist. Auch hier greifen die generellen Einwände gegen eine Verknüpfung von objektivem Tatbeitrag und ex-ante-Betrachtung.
Aber das Gleichrangigkeitskriterium von Herzberg gibt noch in anderer Hinsicht
Anlass zu Bedenken. Es stellt sich nämlich bei näherer Betrachtung die Frage, im
Hinblick auf welche anderen Beteiligten eine Gleichrangigkeit des jeweiligen
Tatbeitrages festgestellt werden muss. Da man zumindest bei der Prüfung des ersten Beteiligten davon ausgehen muss, dass die Beteiligungsform der übrigen Beteiligten noch nicht festgestellt wurde, ist unklar, wessen Tatbeitrag bzw. Tatbeiträge hier als Maßstab für eine Mittäterschaft begründende Gleichrangigkeit heranzuziehen ist bzw. sind. Dies tritt im vorliegenden Beispiel nicht unbedingt
deutlich hervor, da man geneigt ist, im Attentatsbeispiel die Gleichrangigkeit der
Tatbeiträge bereits aufgrund ihrer äußerlichen Gleichartigkeit zu bejahen. Jedoch
macht bereits eine geringe Variation des Ausgangsbeispiels diese Schwierigkeiten deutlich. Man stelle sich den Fall so vor, dass zwei der Beteiligten – die besten
Schützen – beim Attentat dem Tatplan entsprechend die erfolgversprechendste
Position einnehmen, während die übrigen Beteiligten von entfernteren Positionen
aus schießen sollen, von denen die Wahrscheinlichkeit eines Treffers erheblich
geringer ist. Das führt unweigerlich zu der Frage, ob trotz der den Verschwörern
bewussten deutlich unterschiedlichen Wahrscheinlichkeit eines Treffers noch alle
Beiträge als gleichrangig im Sinne der Herzbergschen Lehre anzusehen wären
oder ob vielmehr die beiden besser positionierten Schützen als Maßstab der
Gleichrangigkeitsprüfung anzusehen wären. Da zunächst mit Blick auf keinen der
Beteiligten die Beteiligungsform feststeht, kann auch nicht eindeutig darauf geschlossen werden, bei Gleichrangigkeit mit wessen Tatbeitrag Mittäterschaft vorliegen soll. Noch deutlicher wird die Problematik, wenn alle zwanzig Schützen
von Positionen aus schießen, die nach der Vorstellung der Beteiligten eine jeweils
erheblich differierende Erfolgswahrscheinlichkeit mit sich bringen. Im Ergebnis
müsste die eine Mittäterschaft begründende Qualität eines Tatbeitrages, welche
ihn als Bezugspunkt der Gleichrangigkeitsprüfung tauglich macht, bereits feststehen, bevor die einzelnen Tatbeiträge überhaupt geprüft werden. Aus diesen
Gründen ist auch die Konzeption von Herzberg nicht geeignet, die Fallgruppe der
»additiven Mittäterschaft« sachgerecht zu lösen.
V. Die Auffassung von Gorka
Gorka vertritt eine weitgehend eigenständige Mittäterschaftskonstruktion, die er
auf die hier zu untersuchende Fallgruppe anwendet. Im Folgenden soll zunächst
die von Gorka erarbeitete allgemeine Mittäterschaftskonstruktion dargestellt
werden.
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References
Zusammenfassung
Das Werk behandelt die Abgrenzung von Mittäterschaft und Teilnahme, eine angesichts der Verbreitung des Tatherrschaftsgedankens rückläufige Diskussion. Losgelöst vom Begriff „Tatherrschaft“ wird die Mittäterschaft – anhand der sog. „additiven Mittäterschaft“ – konsequent auf ihre gesetzliche Regelung in § 25 Abs. 2 StGB zurückgeführt. Die entwickelte Lösung, eine teilweise Renaissance der formal-objektiven Theorie, mag dem Einwand fehlender argumentativer Flexibilität und somit mangelnder Praxistauglichkeit ausgesetzt sein. Demgegenüber steht die Rückbesinnung auf eine echte Tatbestandsbezogenheit, die den dahinterstehenden verfassungsrechtlichen Garantien die notwendige Geltung verschafft.