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D. Bewertung der ökonomischen Untersuchung
Schon ihrer Natur nach sind die dargestellten ökonomischen Ergebnisse einzelfallabhängig. Bei der Untersuchung der Marktmachtwirkungen zeigte sich, dass die
positiven Wirkungen vertikaler Kontrolle in der Regel überwiegen und nur in Fällen
extremer Marktmacht ins Negative umschlagen. Die Untersuchung der dynamischen
Wirkungen im Innovationsprozess ist noch schwieriger, weil sich zunächst keine
eindeutige Richtung zu ergeben scheint. Endgültig könnten die bestehenden Abwägungskonflikte ohnehin nur aufgelöst werden, wenn für jeden Einzelfall und für
jedes Schutzrecht eine konkrete Untersuchung und eine daran anschließende Gewichtung der Effekte stattfinden würde. Das ist aber unrealistisch.
Dagegen besteht die Möglichkeit, die genannten Argumente in eine logische Systematik einzufügen, die eine Bewertung erleichtert und sich in die allgemeine Logik
der Immaterialgüterrechte einfügt. Grundlegend muss die Annahme sein, dass
Schutzrechte nicht stets Vorrang vor anderen Marktfreiheiten haben, sondern gegebenenfalls auch hinter diesen zurücktreten müssen. Das heißt, dass die statische
Effizienz nicht in jedem Fall zugunsten einer erwarteten dynamischen Effizienzsteigerung eingeschränkt werden darf.860 Bei der Untersuchung von Marktmachtwirkungen schien eine „Eigentumslogik“, also ein genereller Vorrang von Schutzrechten noch vertretbar, weil die positiven Wirkungen vertikaler Kontrolle dort die Regel
und die negativen Wirkungen die Ausnahme waren.861 Nach der Betrachtung dynamischer Aspekte muss jedoch Anderes gelten: Grundlegend ist die Problematik
öffentlicher Güter. Verbindet man diese mit der Rationalität eines dezentralen marktwirtschaftlichen Systems, muss die Regel sein, dass nur dort Ausschlussrechte vergeben werden, wo der Markt wünschenswerte Produktionsergebnisse nicht von
selbst hervorbringt. Freilich ist dies nur der Ausgangspunkt. Kann in einem bestimmten Bereich – optimalerweise schon durch den Gesetzgeber – begründet werden, dass ein darüber hinaus reichender vertikaler Schutz notwendig ist, um die
gewünschten Innovationsergebnisse hervorzubringen, sollte eine solche Ausgestaltung zugelassen werden.
Für ein solches Vorgehen spricht vor allem eine Tatsache, die sich implizit durch
die ganze bisherige Untersuchung der ökonomischen Zusammenhänge gezogen hat:
Es besteht ein grundlegender Mangel an Informationen, der eine optimale Ausgestaltung des Innovationsprozesses unmöglich macht. Man kann sich der optimalen
Gestaltung des Schutzumfangs zwar durch bestimmte Theorien nähern, indem bestimmte Tendenzen festgestellt werden, diese können jedoch nicht endgültig verifiziert werden. Dies gilt für den Beobachter von außen genauso wie für den am Innovationsprozess beteiligten Akteur. Daher ist es elementar, den Innovationsprozess so
auszugestalten, dass unter der Voraussetzung unvollständiger Information möglichst
860 S. oben Teil 1 B. I. 4. u. III.
861 S. oben Teil 2 B. VI.
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wenig Schaden angerichtet werden kann. Das ist aber nur dann gewährleistet, wenn
Ausschlussrechte an Informationen nur insoweit vergeben werden, als dies auch
begründbar ist. Werden von einem Schutzrecht dagegen automatisch auch sämtliche
nachfolgende Märkte erfasst, ohne dass ein Nachweis positiver Wirkungen notwendig ist, gehen im Zweifel all die Möglichkeiten verloren, die sich aus einer dezentralen Bearbeitung dieses Innovationsbereiches ergeben könnten. Wie sich das geltende
Immaterialgüterrecht zu diesen Argumenten verhält, soll im Folgenden untersucht
werden.
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Zusammenfassung
Das Immaterialgüterrecht soll die Imitation von geistigen Leistungen verhindern. Damit wirkt es zunächst horizontal gegen direkte Konkurrenz. Es verleiht jedoch auch Schutz gegenüber Dritten, die das geschützte Gut als Input auf anderen Märkten nutzen. Dies kann als vertikale Schutzrichtung bezeichnet werden. Obwohl diese Schutzrichtungen verschiedene Auswirkungen auf die Produktion immaterieller Güter haben, wird im Immaterialgüterrecht nicht zwischen ihnen differenziert.
Die vorliegende Arbeit untersucht anhand dieser Unterscheidung die schutzrechtsinternen Grenzen des Immaterialgüterrechts. In einer ökonomischen Analyse werden zunächst die Wirkungen der vertikalen Kontrollbefugnisse dargestellt. Anschließend wird analysiert, inwieweit die ökonomischen Erkenntnisse ins Recht Einzug gefunden haben und welche Hebel es zur Justierung vertikaler Kontrolle gibt. Diese Betrachtungsweise schärft das Verständnis des Immaterialgüterrechts als Marktorganisationsrecht und schafft eine tragfähigere Grundlage für die Bewertung und Justierung der schutzrechtsexternen Grenzen. Darüber hinaus trägt sie zu einem „more economic approach“ im Immaterialgüterrecht bei.